Gesellschaft

Mir hat’s letztens ziemlich die Sprache verschlagen. Obwohl die die Frage nach der Wahrhaftigkeit nur eine für den Punkt, den ich rüberbringen wollte, untergeordnete Rolle spielte, war es einem der Gesprächsteilnehmer offenbar wichtig, seine Meinung dazu (als Tatsachenbehauptung) einzubringen: „Man kann nicht immer wahrhaftig sein, man muß Kompromisse machen. So ist das im Leben, ja, das ist Leben.“

Es mag sein, daß er meinen eigentlichen Punkt nicht verstanden hatte. Der bezog sich darauf, daß apokalyptische Gefühle ihren Auslöser darin haben können, daß jemand gerade von denen, die seine eigenen Werte geprägt haben, in einem Wertekonflikt im Stich gelassen wird. D.h. daß z.B. Eltern von ihrem (inzwischen erwachsenen) Kind in einer konkreten Situation eine andere Prioritätenreihenfolge fordern, als das Kind von ihnen gelernt zu haben meint. Dabei ist es längst zu einem klaren Gewissensurteil gekommen, fühlt sich diesem verpflichtet und sucht nun bei den Eltern moralische Unterstützung – und wird im Stich gelassen. Im konkreten Beispiel ging es darum, ob eine nicht unwesentliche ungesetzliche Vorgehensweise des Vorgesetzten gegenüber dessen Vorgesetzten auch in der Probezeit anzuzeigen ist, also um Wahrheitsforderung vs. persönliche Vorteile (Stelle behalten; denn daß im Falle einer Anzeige noch während der Probezeit die Kündigung zu erwarten war, stand fest). Wie gesagt, es ging dabei nur indirekt um die Wahrheitsforderung, primär um das unbedingt verpflichtende, längst feststehende Gewissensurteil – und die Enttäuschung, gerade von denen mit der das Gewissensurteil verletzenden Handlungsforderung konfrontiert zu werden (Klappe halten!), denen man es zuletzt zugetraut hätte. Und es mag sein, daß der Gesprächsteilnehmer das so nicht verstanden hatte.

Warum mich das so sprachlos gemacht hat, hat verschiedene Gründe. Einer ist, daß ich selbst einmal in einer Situation war, in der ein Vorgesetzter eine an sich ungesetzliche Forderung stellte. Es war damals für alle Beteiligten (selbst für den durch den Vorgesetzten vertretenen Arbeitgeber) die bequemere Lösung, es ging auch nicht um wirklich schwerwiegende Materie, und konkret wurde auch der Arbeitgeber nicht geschädigt, was aber im Falle einer deutlichen Verkomplizierung der Situation hätte eintreten können. Allerdings gab es keinen anderen Anlaß, von der gesetzlichen Regelung abzuweichen, als eben die Bequemlichkeit, die bürokratischen Folgen der gesetzlichen Regelung (die allerdings die Personalabteilung hätte ausbaden müssen) zu vermeiden. Wer in einer solchen kleinen Materie aus Bequemlichkeit die Regeln bricht, der wird wohl kaum im Falle eines gewichtigen Gewissenskonflikts seinem Gewissen folgen.[1]

Was mich also letztich so sprachlos gemacht hat, war nicht die Aussage, daß man im Leben manchmal Kompromisse schließen muß, sondern die Bestimmtheit und, ja, der Zynismus, mit dem das Leben als „Kompromisse hinsichtlich der Wahrheit machen“ definiert wurde. Vielleicht ist das alles falsch verstanden, ich will der konkreten Person hier keinen Vorwurf machen, es geht mir gar nicht um diese Person. Sondern es geht mir um die ja tatsächlich weit verbreitete Einstellung, daß man ja in kleinen Dingen schonmal Kompromisse hinsichtlich der Wahrhaftigkeit eingehen kann.

Dabei will ich gar nicht bestreiten, daß eine absolute Wahrhaftigkeitsforderung in Ausnahmesituationen unmenschlich wird.[2] Aber eben als Ausnahme, nicht als Regel, und in großen Dingen, nicht in den kleinen: z.B. in Dilemmasituationen, in denen verschiedene absolute Werte miteinander kollidieren, nicht in Situationen, in denen es unbequem ist, z.B. die Steuererklärung nach bestem Wissen und Gewissen zu erstellen, obwohl klar ist, daß der kleine Trick, den man da zu seinen Gunsten einbauen könnte, überhaupt nicht als fehlerhaft auffallen, geschweigedenn nachweisbar sein würde.

Sicherlich gibt es einen Unterschied zwischen der direkten Lüge und dem Verschweigen der Wahrheit. Das Verschweigen kann eher gerechtfertigt sein als die direkte Lüge, insbesondere wenn das Verschweigen der Schwäche des Gegenüber geschuldet ist, es also nicht um eigene, sondern um fremde Vorteile geht. Da mag es mitunter sogar von Vorteil sein, die ganze Wahrheit lieber in kleinen Häppchen zu servieren. Jedoch sollte man sich immer bewußt bleiben, daß es hier auch schnell wieder die eigene Bequemlichkeit sein kann, die nach Ausreden sucht: Wird das Verschweigen zur Regel, dann dürfte wohl eher die eigene Konfliktscheu als die Schwäche des Gegenübers ausschlaggebend sein. So richtig christlich ist jedenfalls beides nicht. Die direkte Lüge verbieten schon die 10 Gebote, die Bergpredigt hingegen verabsolutiert die Wahrheitsforderung: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen“ (Mt 5,37; dem griechischen Text dieses Verses ist der Blogposttitel entnommen: ναὶ ναί, οὒ οὔ = ja, ja, nein, nein).

Kurzfristig mag die Lüge oder auch nur das Unterlassen, die Wahrheit auszusprechen, Vorteile haben. Langfristig zerstört sie das Gewissen, die Fähigkeit, dem Gewissensurteil zu folgen und vor allem: Vertrauen. Natürlich ist es verlockend, mit Hilfe einer Notlüge den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, und natürlich kenne ich das auch, daß ich in einer solchen Situation nicht die Kraft aufbringe, der Wahrheit Genüge zu tun. Es scheint ja nicht so schlimm zu sein; hier ein wenig die Wahrheit zu frisieren, schadet ja keinem, es ist die einfachere Lösung, man braucht sich keine Blöße zu geben und einen Fehler zuzugeben usw. usf. Aber: Genau das ist das Wesen der Versuchung! Wer aber in kleinen Dingen der Versuchung nicht standhält, der wird es erst recht nicht in großen schaffen, wenn es wirklich drauf ankommt.

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[1] Man liest immer wieder, wie wichtig es für „Gewissenstäter“ ist, in kleinen, sachlich eigentlich unbedeutenden Fragen aus Gewissensgründen Widerstand geleistet zu haben, um später ihren großen Widerstand zu leisten. Z.B. war es für den Anschluß Österreichs ans Deutsche Reich völlig unerheblich, ob Franz Jägerstätter als einziger in seiner kleinen Gemeinde gegen den Anschluß stimmte, und tatsächlich wurde seine Gegenstimme auch vor Weitergabe des Abstimmungsergebnisses unterschlagen, u.a. um ihn nicht in Gefahr zu bringen; d.h. seine Nein-Stimme fiel sachlich völlig unter den Tisch und hätte ihm nur schweren Ärger bereiten können, für ihn selbst war es aber wichtig, mit Nein gestimmt zu haben: Wenngleich es eigentlich nur ein symbolischer Akt war, schärfte er sein Gewissen und vor allem seine Bereitschaft und Fähigkeit, gegen alle Ängste und das sichere Wissen um das folgende Todesurteil seinem Gewissensurteil auch zu folgen und den Kriegsdienst in Hitlers Armee zu verweigern. (hoch)
[2] Klassisches Beispiel: Bin ich verpflichtet, einem SS-Offizier, der mich fragt, ob ich einen Juden verstecke, zu sagen, daß ich tatsächlich einen Juden verstecke? Wenn das so wäre, bräuchte ich den Juden gar nicht erst zu verstecken versuchen. Hier steht freilich die Wahrheitsforderung gegen die ungerechte Verfolgung, die darauf ausgerichtet ist, das Leben des Verfolgten zu vernichten. (hoch)

Cover Father ElijahMichael D. O’Brien: Father Elijah. Eine Apokalypse; Kislegg: fe-medienverlag ³2010, 544 Seiten, ISBN 978-3-939684-32-9, 19,95 €

Eine Apokalypse?! Eine Apokalypse. Dieser Untertitel machte mich erstmal mißtrauisch. Ob das wohl wirklich eine Apokalypse ist? Oder doch nur eine langatmige Klage über die schlechte Welt und wie sie von Gott zerstört werden muß, um der neuen, besseren Welt Platz zu machen? Ein solches Buch ließ der Klappentext der Übersetzerin Gabriele Kuby erwarten.

Derjenige, der mir das Buch empfohlen und ausgeliehen hat, findet darin vor allem die Erklärung und Aufdeckung von denkerisch-geistigen, religiös-geistlichen und politisch-praktischen Zusammenhängen, die unsere gegenwärtige Zeit prägen. (Wenn man bedenkt, daß das Buch von 1996 ist, könnte da durchaus was dran sein, jedenfalls hätte ich 1996 noch einiges von dem Beschriebenen für undenkbar gehalten; heute ist es praktisch schon Realität.) Ein verschwörungstheoretischer Roman ist jetzt auch nicht unbedingt das, was ich unbedingt lesen will, schon gar nicht unter der Überschrift „Apokalypse“.

Denn eine aus echter Apokalyptik hervorgegangene literarische Apokalypse ist viel mehr als eine Klage über die schlechte Welt oder ein Katastrophenroman über das Ende der Welt. Sie ist vielmehr ausgesprochen vielschichtig. Sie arbeitet mit Bildern, die nicht einfache Allegorien sind, die 1:1 übertragbar und durchschaubar sind, sondern „multicodiert“. D.h. ein Bild hat mehrere, sich zum Teil überschneidende Bedeutungen und somit einen immer bleibenden Bedeutungsüberschuß. So ist es z.B. keine sinnvolle Frage, ob die Frau der Apokalypse (Offb 12) Maria oder die Kirche ist, denn sie ist mit Sicherheit beides (und wahrscheinlich noch viel mehr).

Echte Apokalypsen werfen daher mehr Fragen als Antworten auf, sie regen das Denken des Lesers an, und er muß sich selbst einen Reim auf das Geschriebene machen. Ihre Aussage ist dabei nicht klar und deutlich im Text enthalten, die Apokalypse ist mehr als die bloße Summe ihrer Teile. Sie steht quasi zwischen den Zeilen bzw. ergibt sich in der Gesamtschau. Um zu dieser zu gelangen, muß der Leser gleichermaßen die Details wie die großen Zusammenhänge im Blick behalten. Denn in den Details liegt der eigentliche Schlüssel für die großen Zusammenhänge, die die Apokalypse aufdecken will, zugleich aber verbirgt und nur dem „Eingeweihten“ zugänglich macht. Denn es geht am Ende nicht um Fakten, Fakten, Fakten, sondern um deren Deutung – und die muß sich der Einzelne selbst zu eigen machen. Er soll gerade selbst denken und hinter die Offensichtlichkeiten blicken, statt neue Offensichtlichkeiten vorgesetzt zu bekommen.

So könnte man die Offenbarung des Johannes in einem Satz des Paulus zusammenfassen: „Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll.“ (Röm 8,18) Das steht aber an keiner Stelle der Offenbarung selbst. Sie ist vielmehr von der Realität und der Drastik der Leiden, denen die Gläubigen in dieser Welt ausgesetzt sind und immer sein werden, geprägt. Doch diese Beschreibung wird immer wieder von Szenen des Lobpreises Gottes unterbrochen, die zwar im Dunkel des Ganzen unterzugehen drohen, aber einen ganz anderen Schein auf dieses Dunkel werfen: Gott ist der Herr, Er ist der Herr der Geschichte, Er hat bereits in Jesus Christus den Sieg errungen; daß die bösen Mächte anrennen gegen die, die zu Jesus gehören, sind die Nachwehen, weil die Besiegten ihre Niederlage nicht akzeptieren wollen. So endet die Offenbarung auch mit dem Bild des neuen Himmels und der neuen Erde sowie des Himmlischen Jerusalems, aber nicht, weil das irgendwann einmal passieren wird, sondern weil das – siehe die Lobpreisszenen – in die Gegenwart ausstrahlt: „Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes.“ (Eph 2,19)

Infolge dieser Komplexität von Apokalypsen sagt jede Interpretation wohl mehr über den Leser, der diese Deutung gibt, als über die Apokalypse oder gar ihren Autor aus. Wenn es sich denn um eine echte Apokalypse handelt…

Trotz meiner oben beschriebenen Zweifel habe ich das Buch dann doch gelesen, weil eben die Interpretation auch der Übersetzerin mehr über jene als über das Buch aussagt. Und ich wurde nicht enttäuscht, denn der Verfasser selbst weist in einem kurzen Vorwort ungefähr auf das oben Beschriebene hin. Er versteht (s)eine Apokalypse als vielschichtiger als sie vordergründig daher kommt.

So ist schließlich auch nicht entscheidend, was in diesem Buch an politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen aufgezeigt wird. Auch die vordergründigen Botschaften – etwa daß auch der größte Gotteshasser und Sünder bekehrt werden kann, aber sich dieser Bekehrung ebenso in Freiheit verweigern kann – sind für die Gesamtaussage nicht so zentral. Viel gravierender ist ein massiver, biblischer Schnitzer, der dem Autor nicht zufällig unterlaufen sein kann.

Die Hauptfigur ist ein Pater Elijah, der im Kloster auf dem Berg Karmel lebte, das er zu Beginn des Romans verlassen muß, da er einen Sonderauftrag des Papstes ausführen soll. Elija(h) und der Karmel, das ist die biblische Parallelität, die sich durch das ganze Buch zieht, auf die immer wieder verwiesen wird. Am Ende gibt es sogar eine Szene, die praktisch aus der Geschichte des Propheten Elija abgeschrieben ist, nämlich was unmittelbar nach der Geschichte auf dem Karmel passierte – der Prophet, verfolgt von der den heidnischen Gott Baal verehrenden Königin Isebel, meint gescheitert zu sein, will sterben, doch Gott läßt ihn nicht. So auch Pater Elijah, dem es nicht gelungen ist, den Antichrist zu bekehren oder dessen großen Schlachtplan gegen Gott und die Kirche zu ergattern.

Doch gerade in dieser Parallele fällt eine massive Abweichung auf, die ich hier nicht nennen kann, ohne dem Leser das Lesevergnügen zu verderben. Doch je mehr man das Buch mit der Brille liest, daß dieser Schnitzer kein Schnitzer, sondern Absicht ist, um so mehr erkennt man, daß genau dieser „Schnitzer“ für den Leser den Schlüssel für das Gesamtverständnis darstellt. Wer das Buch liest, sollte also dringend das 1. Buch der Könige zum Vergleich danebenliegen haben.

„Father Elijah“ ist eine echte Apokalypse. Ihr fehlen zwar gerade die apokalyptischen Bilder (wenngleich nicht die apokalyptischen Motive), sie ist aber dennoch im ganzen komplex und vielschichtig, regt zum Denken an und läßt den Leser sich selbst das Urteil bilden. Und wie in der Offenbarung des Johannes gilt auch hier: Der eigentliche Sieg ist bereits errungen, bevor das im Buch beschriebene Geschehen beginnt.

Fürchtet euch nicht!

¡Viva Cristo Rey!

P.S.: Daß eine Fortsetzung erscheinen soll, ist zwar ökonomisch verständlich, dem Genre Apokalypse aber völlig unangemessen. Ok, ich kann mir eine Möglichkeit vorstellen, wie das funktionieren könnte, aber ich sehe dem mit gemischten Gefühlen entgegen.

Wenn die Diskussionen über die Ehe in den letzten Wochen, seien sie gesellschaftlich, seien sie innerkirchlich, eins gezeigt haben, dann das: Was die Ehe eigentlich ist, weiß kaum noch einer. Da wird die Ehe über die in ihr gelebten Werte definiert (hä? und was, wenn die Werte faktisch nicht gelebt werden, ist es dann keine Ehe?!) oder sie wird willkürlich auf alle möglichen Beziehungen ausgedehnt.

Ich will mich jetzt nicht auf die Grundsatzdiskussion einlassen, ob man legitim naturrechtlich argumentieren darf (ja, natürlich), weshalb ich mich auf das kirchliche Verständnis beschränke, das allerdings beansprucht, die Ehe so zu verstehen, wie sie eigentlich von vornherein gedacht war („Nur weil ihr so hartherzig seid, hat Mose euch erlaubt, eure Frauen aus der Ehe zu entlassen. Am Anfang war das nicht so.“ [Mt 19,8]; im AT gibt es auch Polygamie).

Ausgehen möchte ich von der Umschreibung der Ehe als „Bund fürs Leben“. Vielfach eher belanglos als poetisch erscheinendes Synonym verwendet (wobei selbst das nicht mehr in den letzten 10–15 Jahren) steckt dort eigentlich alles drin, was die Ehe ausmacht.

Wie gesagt, geht es in der Ehe nicht um Werte, sondern um jemanden, nämlich meinen Ehepartner. Die Ehe ist der Bund zwischen einem Mann und einer Frau, der eine Gemeinschaft des ganzen Lebens begründet. „Des ganzen Lebens“ ist dabei sowohl qualitativ als auch quantitativ gemeint: Die Ehepartner geben sich ganz einander hin und versprechen sich damit, daß der jeweils andere ihnen wichtiger ist und sein wird als sie selbst.

Das ist natürlich eine steile These und ein hoher Anspruch. Noch dazu handelt es sich um einen ungedeckten Wechsel auf die Zukunft. Niemand weiß, was die Zukunft bringen wird, wie sich der andere entwickelt, wie man sich selbst entwickelt und ob das in Einklang geschieht. Das muß aber notwendigerweise so sein. Denn Ganzhingabe bedeutet eben, daß ich nicht meinen Vorteil suche, sondern den des anderen.

Damit begebe ich mich aber in eine große Gefahr, nämlich ausgenutzt zu werden. (BTW: Genau deswegen werden alle, die von ihrem Partner die Erfüllung ihrer Wünsche erwarten, scheitern, denn kein Mensch kann das leisten; aber das nur am Rande.) Um in dieser Ganzhingabe, in der man sich de facto vorbehaltlos selbst aufgibt, gerade nicht ausgenutzt und zerstört zu werden, ja um die Menschen vor der Selbstzerstörung aus Liebe zu schützen, ist die Ehe auch kein beliebig aushandelbarer Vertrag mit x Klauseln, und wenn man vergessen hat, eine bestimmte Absicherung einzubauen, hat man halt im Falle des Falles Pech gehabt. Nein, die Ehe ist beiden Partnern objektiv vorgegeben, und sie kommt nur zustande, wenn beide zumindest einschlußweise wollen, was die Ehe ist.

Rechtlich bildet die Ehe bildet auf diese Weise den Rahmen, in dem eine verantwortete Ganzhingabe überhaupt möglich wird. Die Ehegatten binden sich in diesem Bund also auf Gedeih und Verderb aneinander. Oder wie es die Bibel ausdrück: Sie werden ein Fleisch. Weil aber auch das immer noch über die menschlichen Möglichkeiten hinausgeht, ist die Ehe zwischen zwei Getauften Sakrament (das sich übrigens die Ehegatten gegenseitig spenden!). Sakramente sind Hilfsmittel Gottes, die es einem möglich machen, zu tun (oder auch zu lassen), was dem Menschen eigentlich unmöglich ist.

Und weil es nicht möglich ist, die Ehe ohne dieses Hilfsmittel in ihrer Idealform zu leben, kennt die Kirche in ihrem Recht auch diverese (ich bin fast geneigt zu sagen: pastorale) Ausnahmeregelungen, die sich insbesondere auf Ungetaufte beziehen, z.B. wenn ein Ungetaufter sich taufen läßt und der ungetauft bleibende Partner nicht gewillt ist, die Ehe fortzusetzen. Sie besteht aber auf der Höchst- und Idealform, in der allein wirklich eine Gemeinschaft des ganzen Lebens gelebt werden kann. (So muß sich der polygam lebende Heide, der sich taufen lassen will, für eine Frau entscheiden; freilich ohne seine sozialen Verpflichtungen gegenüber den anderen zu verlieren.)

Aus dieser qualitativ wie quantitativ zu verstehenden Ganzhingabe ergeben sich auch die vom CIC definierten Wesenseigenschaften der Ehe. Nämlich die Einheit (qualitativ) und die Unauflöslichkeit (quantitativ), die die Möglichkeitsbedingungen der Ganzhingabe darstellen. Wenn ich mir vorbehalte, mich auch anderen Menschen in der ehelichen Weise ganz hinzugeben, kann ich mich niemandem ganz hingeben (reine Logik), so daß der Bund der Ganzhingabe nur mit einem Menschen zugleich eingegangen werden kann. Aber auch, wenn ich diesen Bund der Ganzhingabe zeitlich begrenzen will, ist die Hingabe nicht mehr ganz, da immer der Vorbehalt der Beendigung im Raum steht. Beides würde also auf die eine oder andere Weise die Ganzhingabe unmöglich machen.

Wenn man nun noch eine Ebene „drunter“ guckt, stellt man fest, daß auch die Wesenselemente der Ehe sich aus dem Gedanken der Ganzhingabe ergeben. Wie schon gesagt, besteht die Ganzhingabe vor allem darin, des anderen Wohl zu suchen, so daß das eine Wesenselement der Ehe eben das Wohl der Ehegatten ist – und zwar beider gleichzeitig, was nur funktioniert, wenn ich immer das Wohl des anderen suche und dieser meines, und nicht andersrum, als ob ich einen Anspruch darauf hätte. Genau das meint nämlich Ganzhingabe: Ich gebe meine Ansprüche auf, um die des anderen zu erfüllen. Im besten Fall dient das auch meinem Wohl, aber darauf darf es mir nicht ankommen, weil dieser Ansatz genau meinem Wohl im Wege steht.

Das andere Wesenselement ist die Zeugung von Nachkommenschaft. Das scheint auf den ersten Blick vielleicht nicht unmittelbar aus der Ganzhingabe zu folgen, tut es aber. Denn wenn ich die Zeugung von Nachkommenschaft verhindere – und sei es im gegenseitigen Einvernehmen – mache ich Vorbehalte, ich schenke mich nicht ganz dem anderen hin. Das schließt natürlich nicht aus, daß es Zeiten und Umstände gibt, in denen der menschlichen Schwäche selbst in einer sakramentalen Ehe Zugeständnisse gemacht werden müssen. Allerdings ist eine Ehe, die nicht von Anfang an zumindest prinzipiell für Kinder offen ist, eben keine Ehe.

Wie drastisch der Gedanke der Ganzhingabe auch im Eherecht umgesetzt ist, zeigt sich nicht nur an den Ehehindernissen (Impotenz im Sinne von Beischlafunfähigkeit, auch und gerade wenn sie nur auf den Partner bezogen ist, macht zur Ehe unfähig, nicht aber die bloße Zeugungsunfähigkeit), sondern auch am Verständnis, wie die Ehe zustandekommt. Sowohl das Eheversprechen als auch der „Vollzug“, d.h. die sexuelle Vereinigung in wahrhaft menschlicher Weise (also z.B. nicht durch Vergewaltigung, sondern nur als Akt der zumindest versuchten Ganzhingabe), sind für das Zustandekommen einer unauflöslichen Ehe notwendig.

Abschließend noch ein Wort zur Sakramentalität der Ehe, die mir auch etwas verkürzt verstanden zu werden scheint. Das Sakrament der Ehe ist nicht punktuell. Zwar ist theologisch der Punkt der Eheschließung insofern relevant, als das Zustandekommen des Ehekonsenses den Zeitpunkt definiert, zu dem das Sakrament zustande kommt. Aber wie schon an der doppelten Bedingung für die Unauflöslichkeit der Ehe zu erkennen ist, wirkt das Sakrament nicht einmalig, sondern – ein bißchen ähnlich zu Taufe, Firmung und Weihe – fortdauernd in dem Sinne, daß die in dem einmaligen Akt vermittelten Gnaden dadurch vertieft werden können, daß ich sie mehr zu wirken zulasse, oder auch wieder aufleben, etwa indem ich meine Sünden beichte. Wie die ganze Ehe, so auch ihre Sakramentalität: Ganzhingabe. Sie ist ein Geschenk, das mich durch den Partner erreicht, wenn ich mich ihm ganz hingebe.

…Tebartz-van Elst und das Bistum Limburg.

Der Schaden, insbesondere der pastorale, ist im Bistum Limburg und darüber hinaus schon jetzt immens. Was bei den Untersuchungen herauskommt ist dafür praktisch völlig irrelevant. Nach menschlichem Ermessen gibt es aus dieser Situation keinen guten Ausweg mehr.

Angesichts der Dimension der ganzen Geschichte lade ich ein, bis sich eine dauerhafte Lösung gefunden haben wird durch Beten und Fasten den Himmel zu bestürmen, aus dem Bösen, das geschehen ist und nicht ungeschehen gemacht werden kann, etwas noch Besseres werden zu lassen. Denn wie es in der heutigen Vesper heißt:

„Groß ist unser Herr, * Seine Macht ist gewaltig.
Unermeßlich ist seine Weisheit. * Seine Macht ist gewaltig“

Das ganze bei Facebook hier.

Oder ist es wirklich beliebig, wie wir mit fundamentalen Gegebenheiten des menschlichen Lebens umgehen? Die Ehe etwa als Verbindung zwischen Mann und Frau, als Kernzelle der Familie, ist nicht etwas Beliebiges, an dem man nach Gutdünken herumoperieren kann. Ehe sollte Ehe bleiben und nicht als Begriff auf alle möglichen Verbindungen von Menschen angewendet werden. Und ich füge ausdrücklich angesichts der gewachsenen biotechnischen Möglichkeiten hinzu: Der unbedingte Schutz des menschlichen Lebens an seinem Anfang und an seinem Ende ist ebenfalls nichts Beliebiges, das man anderen Interessen unterordnen kann. Meine Unterstützung gilt allen, die sich dafür, auch öffentlich, einsetzen. Das menschliche Leben muss eine Gabe bleiben, über die der Geber verfügt, nicht wir. (Bischof Wanke in der Predigt bei der Bistumswallfahrt am 16. September 2012)

Mit diesem unterstützenden Aufruf, den wir ganz persönlich auf uns beziehen konnten, im Rücken fuhren wir am Samstag zum Marsch für das Leben. Nach 21 Mitfahrern im letzten Jahr waren wir diesmal bereits 35. (Also: Nächstes Jahr rechtzeitig anmelden, sonst ist der Bus schon voll. 🙂 Termin ist der 21.09.2013.)

Und dann: Da haben wir uns im wahrsten Sinne des Wortes seelisch und moralisch (mit Eph 6, „Des Königs Banner“ und „Heilges Kreuz sei hoch verehret“[1] – sowie einem eigens eingerichteten Gebetsdienst in der Heimat) auf einen geistlichen Kampf eingestellt, und dann ging der Marsch in aller Stille los. Bis zum Reichstag waren wir schon gekommen, bevor die ersten Trillerpfeifen zu hören waren, und erst am Brandenburger Tor ging’s mit dummen Sprüchen los. Und überhaupt waren es immer dieselben paar Hanseln, die da „gegendemonstrierten“. Ok, wer das erste Mal mit dabei war und noch nie Linksextremisten im richtigen Leben gesehen hatte, war immer noch einigermaßen schockiert, aber da hätte wahrscheinlich ein einziger Gegendemonstrant, der sich mit Trillerpfeife unter die Teilnehmer mischt, gereicht.

Die Sprüche… Die sind wirklich sowas von strunzdumm. Ich würde mich ja gerne angegriffen fühlen, aber ich verstehe nicht, wieso die Leute da de facto Selbstverfluchungen brüllen. Das macht mich allenfalls ein wenig betroffen. „Hätt Maria abgetrieben…“ – da denke ich immer an Paulus: „Nun aber hat Maria nicht abgetrieben…“ Oder „Kondom, Spirale, Linksradikale“: Kommentierte ein Teilnehmer mit: „Was lernen wir daraus? Linksradikalismus ist unfruchtbar.“ Ach ja, irgendeiner der Sprüche endete auf „…die Dummen sterben aus“.

Tja, mein Busmitorganisator war auch nach dieser Erfahrung und gerade im Hinblick auf unsere geistliche Vorbereitung nicht um eine deutende Bibelstelle verlegen:

Wir leben zwar in dieser Welt, kämpfen aber nicht mit den Waffen dieser Welt. Die Waffen, die wir bei unserem Feldzug einsetzen, sind nicht irdisch, aber sie haben durch Gott die Macht, Festungen zu schleifen; mit ihnen reißen wir alle hohen Gedankengebäude nieder, die sich gegen die Erkenntnis Gottes auftürmen.(1 Kor 10,3-5)

Also: Die Zeit ist reif, der Marsch ist endgültig sicher. Jetzt kann sich auch der eine oder andere Diözesanbischof vorwagen und mitlaufen. Nos sumus testes!

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[1] Unglaublich! Ich kann im Netz keine vollständige Wiedergabe des Textes finden. Maximal vier Strophen sind zu finden, und selbst dann noch meist schrecklich umgedichtet. Hier darf ich wenigstens noch „im Kampfe“ (statt so allgemein blabla „im Leben“) auf das Kreuz schauen, um mein Ziel glücklich zu erreichen, und ich darf das Kreuz auch noch als „hartes Ruhbett meines Herrn“ verehren. Dafür fehlen die Strophen, in denen uns das Kreuz mahnt, „treu zu sein bis in den Tod“ und in der wir „stets gedenken seiner Pein“ (die für mich auch und gerade emotional bedeutendsten Stellen – wo sonst darf ich mich in der Kirche mal wirklich als Mann fühlen?!). Man wird den Eindruck nicht los, daß Kampf etwas ist, was es im Christentum eigentlich nicht geben dürfte. Zum Glück war die Erfahrung im Bereich der BBK eine andere, in deren Anhang ist der Kampf deutlich drin. – Es gibt doch in der Blogoezese so’n paar Spezialisten, die GL-Fassungen und Originalfassungen vergleichen. Gibt’s den Vergleich für „Heilges Kreuz sei hoch verehret“ schon? (nach oben)

Update: Nachdem ich explizit Ausschnitte aus allen Strophen und in dem von mir gewünschten Wortlaut als Suchanfrage gestellt habe, konnte ich auch die von mir geliebte Fassung im Netz finden. Und wenn ich die Frakturschrift am Ende als Zeichen für die Ursprünglichkeit dieser Variante deuten darf, dann hat sich im BBK-Anhang tatsächlich der ursprüngliche Text erhalten – allerdings um eine mir bisher unbekannte sechste Strophe verkürzt.

Das Schlimmste am Bösen ist seine völlige Sinnlosigkeit.

Der Geiselnehmer, Mörder und Selbstmörder von Karlsruhe wollte die Zwangsräumung der Wohnung seiner Lebensgefährtin verhindern. Ein grundsätzlich erst mal nachvollziehbares Motiv, das seinen Sinn aber gerade daraus bezieht, daß die Lebensgefährtin weiter in der Wohnung leben kann. Jetzt ist sie tot. Weil ihr Lebensgefährte ihr die Wohnung erhalten wollte. Weil er sie getötet hat. Und den neuen Wohnungseigentümer. Und den Gerichtsvollzieher und einen Schlüsseldienstmitarbeiter. Und sich selbst. Vom Leid der Hinterbliebenen, den Frauen, den Kindern, eines noch ungeboren, ganz zu schweigen.

Die Geiselnahme war von Anfang an ein untaugliches Mittel, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Das hätte der Geiselnehmer nicht nur wissen können, er hätte es wissen müssen. Doch wenn es ihm bewußt war, was bleibt dann als Motiv? Rache? An wem? Wofür? Jedenfalls muß ihm klar gewesen sein, daß er damit nicht durchkommt, nie durchkommen konnte. Daß es keinen Ausweg aus der Situation gibt. Außer die Schuld einzugestehen und sich dem Gericht auszuliefern. Oder sich dem irdischen Gericht zu entziehen. Und so alles noch schlimmer zu machen.

Fünf Tote. Wegen einer Wohnung. Und (vermutlich) einer insgesamt wenig befriedigenden Lebenssituation. Ein verzweifeltes Leben reißt vier andere mit in den Tod. Völlig sinnlos. Nichts erreicht. Außer Fassungslosigkeit. Und „15 minutes of fame“. Der Täter hat keinerlei Vorteil durch seine Tat. Im Gegenteil. Und er hätte es wissen müssen. Trotzdem hat er es getan.

Das Böse hat eine irritierende, rational nicht erklärbare Macht in der Welt. Eine Macht, die verführt, die täuscht, auch über sich selbst, der leicht zu widerstehen wäre, wenn man sie als das erkennte, was sie ist. Aber die Verführung, die Täuschung besteht darin, das böse Tun als etwas Gutes oder als zu etwas Gutem (und sei es nur der eigene Vorteil) Führenden erscheinen zu lassen. Obwohl das rational betrachtet überhaupt nicht nachvollziehbar ist.

Eine Macht, die als eigenständig handelnd, als planvoll vorgehend erscheint. Die mehr ist als die Macht der Sünde, als ein sich selbst verstärkender Mechanismus, der das (eigentliche) Gut nicht mehr erkennen läßt und alles dem Eigennutz unterordnet. Die in (scheinbarer) Freiheit den zerstört, der ihr in (scheinbarer?) Freiheit erliegt.

Der christliche Glaube versteht diese Machtt als personal und nennt sie den Verführer, den Verwirrer, den Durcheinanderwerfer, den Mörder von Anfang an, der eben gerade in seiner Freiheit seine Freiheit zugrundegerichtet hat. Der Glaube reißt dem Bösen die Masken herunter und nennt ihn das, was er ist.

Und zeigt den Ausweg auf, selbst in der extremsten Situation: Annahme der Schuld, Buße, Umkehr. Und Vertrauen auf die Liebe, Allmacht und Barmherzigkeit Gottes, die aus dem Zerstörten etwas Neues, sogar Besseres entstehen lassen kann. Vor allem aber das Schlimmste verhindert. Wenn man Ihn läßt.

Das ist im Kern nicht einmal eine andere Antwort als die reine Vernunft zu erkennen in der Lage ist. Aber die Menschheitsgeschichte zeigt immer wieder, daß der Mensch nicht rein vernünftig ist, geschweigedenn handelt.

Betet für die Opfer, auch die Hinterbliebenen! Und wer es kann, auch für den Täter.

Das Landgericht Köln hält also die Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen Gründen für Körperverletzung. Das finde ich schonmal einen ziemlichen Hammer, aber mit dem Recht ist das so eine Sache, und gerade bei der Religionsfreiheit muß die Religion ein bestimmtes Handeln schon zwingend vorschreiben, damit sich der Gläubige bei ihrer Ausführung auf sein Grundrecht berufen kann. Und selbst wenn ein Satanist daherkäme und Menschenopfer als von seiner Religion zwingend vorgeschrieben beweisen würde (was selbst bei den abstrusesten Satanismusformen eigentlich nicht der Fall ist, aber das nur am Rande), hätte wohl keiner ein Problem mit dem Verbot solcher Handlungen durch deutsche Gerichte.

Der eigentliche Hammer ist daher auch nicht das Urteil selbst. Denn soviel ich weiß, ist die Beschneidung im Islam im Gegensatz zum Judentum nicht ausdrücklich und zwingend vorgeschrieben, sondern stellt nur eine alte und wichtige Tradition dar. Ob mein Wissen da zutreffend ist oder nicht, soll bitte jemand entscheiden, der mehr Ahnung vom Islam hat als ich. Der genannte Hammer ist aber: Diese Frage scheint das Landgericht nach den mir vorliegenden Informationen überhaupt nicht umgetrieben zu haben!

Vielmehr hat es verschiedene Grundrechte, nämlich das auf körperliche Unversehrtheit einerseits und die Religionsfreiheit sowie das Erziehungsrecht der Eltern andererseits einfach gegeneinander abgewogen und kam dabei zu dem Ergebnis, Religionsfreiheit und Erziehungsrecht der Eltern hätten hinter das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes zurückzutreten.

Je mehr ich von der Argumentation des Gerichtes wahrnehme, umso wirrer kommt sie mir vor. Ok, es liegt mir nicht die Originalbegründung vor, so daß ich auf die in Rechtsfragen nicht selten verdrehte Berichterstattung der Medien angewiesen bin, und ich bin auch kein Jurist, so daß ich juristisch dazu sowieso nichts sagen kann.

Aber ein Minimum an nachvollziehbarer Logik sollten Begründungen doch eigentlich enthalten. Es fängt bereits damit an, daß ich nirgendwo eine Auseinandersetzung mit der Frage, was eigentlich körperliche Unversehrtheit bedeutet, finden kann. Nur den lapidaren Hinweis, daß körperliche Eingriffe bis zur Volljährigkeit ausgewachsen sein müßten, damit sie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht verletzten. Die körperliche Schädigung durch die Zirkumzision hält sich aber in Grenzen. Der Junge hat zwar keine Vorhaut mehr, aber auch keine bleibenden Schäden, vielmehr wächst sich das in der Regel recht schnell, jedenfalls lange vor der Volljährigkeit aus. Hier liegt auch ein gravierender Unterschied zur Beschneidung von Mädchen, der Entfernung der Klitoris. Diese ist zum einen wesentlich komplikationsreicher und weist eine hohe Todesrate auf. Zum anderen kommt es hier tatsächlich zu einer dauerhaften Schädigung. Beide Beschneidungen auf eine Stufe zu stellen, wie selbst in der FAZ (zumindest suggestiv) geschehen, verharmlost das schwere Unrecht der weiblichen Genitalverstümmelung. Eine Genitalverstümmelung ist die Beschneidung von Jungen nämlich nicht, und worin der bleibende Schaden, der sich bis zur Volljährigkeit nicht auswächst (worauf sich offenbar die Unwirksamkeit der elterlichen Zustimmung ableitet), bestehen soll, bleibt das grundlegende Rätsel dieses Urteils.

Ein weitere gravierende logische Fehlleistung stellt die Argumentation mit der negativen Religionsfreiheit des Jungen dar. Kann sich das Gericht tatsächlich, wie in der FAZ dargestellt, entblödet haben, die Zirkumzision im Kindesalter in der syllogistischen Fehlleistung des unzulässigen Umkehrschlusses (aus a folgt b, aber aus b nicht a: selbst wenn jeder Muslim beschnitten ist, ist nicht jeder Beschnittene ist Muslim) als nicht revidierbarers Faktum einer Religionszugehörigkeit anzusehen? Dann wäre auch die Taufe ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit, weil diese in derselben Weise unumkehrbar ist (nach Ansicht der jeweiligen Religion nämlich), und dennoch kennt der Staat den Kirchenaustritt. Natürlich könnte man bei der Taufe nicht mit der körperlichen Unversehrtheit argumentieren, aber es gibt ja tatsächlich die Leute, die meinen, jede religiöse Erziehung sei eine Verletzung der körperlichen (hier: geistigen) Unversehrtheit. Naja, könnte man schulterzuckend abtun, denn wie sich ein Mensch als „tabula rasa“ frei entscheiden können soll, bleibt ebenfalls das Geheimnis derer, die so argumentieren. Sollte man aber nicht tun, vielmehr erscheint mir das Urteil als Menetekel: Bald wird die Religionsfreiheit, zumindest die positive – und die ist der ältere Gehalt dieses Rechts! – nicht mehr das Papier wert sein, auf dem das Grundgesetz steht. Denn in jedem Konfliktfall wird sich schon irgendein Grundrecht finden, das mit ihr kollidiert, und – patsch – ist sie wertlos.

Das alles hätte ich noch hinnehmen können, ist es doch im Grunde nichts Neues. Neu ist hingegen der dem Urteil zustimmende Kommentar in der FAZ. Der lautet in der entscheidenden Grundlage:

Das Credo des Rechtsstaates: Der Staat gewährt die Religionsfreiheit, nicht die Religion begründet die Staatlichkeit.

Weiter muß man eigentlich nicht mehr lesen. Der Satz selbst ist schon, sorry, gequirrlte Scheiße, und zwar aus folgenden Gründen:

  1. Historisch: Nicht der Staat ist Ursprung der Trennung von Kirche und Staat, sondern die Kirche, Stichwort: libertas ecclesiae. Religionen dienten immer (auch) der Stabilisierung der Gesellschaft und des Staates. Erst die christliche Kirche, obwohl sie von Konstantin und seinen Nachfolgern genau in dieser Funktion gesehen wurde, hat sich gegen den Primat des Staates über die Religion gewehrt und ihre Unabhängigkeit und Gleichrangigkeit dem Staat gegenüber behauptet und mal mehr, mal weniger erfolgreich durchgesetzt. Der Staat bekam erst gerechtfertigterweise die Krise, als die Kirche sich dann zum Herrn über den Staat aufschwingen wollte (insbesondere unter Bonifaz VIII., wobei auch hier wieder der staatliche Versuch, sich die Kirche unterzuordnen vorausging, naja, komplizierte Geschichte, die aber ohne das Christentum undenkbar gewesen wäre).
  2. Menschenrechtlich: Der Staat gewährt die Menschenrechte nicht, zu denen die Religionsfreiheit gehört, sondern sie sind ihm vorgegeben. Ja, es handelt sich sogar ursprünglich um Abwehrrechte des einzelnen Menschen gegenüber dem Staat, die nicht an einer Staatsgrenze enden, nicht an einen bestimmten (staatsbürgerlichen) Status des Menschen gebunden sind und auch dann gelten, wenn ein Staat sie mit Füßen tritt (sollte man in Deutschland eigentlich wissen).

Man kann das Urteil drehen und wenden, wie man will. Es ist – und zwar gerade unabhängig vom konkret entschiedenen Fall – ein Menetekel über den Zustand unserer Freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Über kurz oder lang werden wir uns wohl darauf einstellen müssen, daß Religion strafbar wird. Schöne neue Welt.

Blogoezsane Linkrutsche:
b-logos, JoBo I, JoBo II, JoBo III, Kaliopevorleserin

Wenn alles mit halbwegs rechten Dingen zugeht, müßte das Betreuungsgeld jetzt sicher sein. Als Befürworter muß man sich eigentlich nur noch genüßlich zurücklehnen und darauf warten, daß sich die Gegner um Kopf und Kragen reden. Nachdem am Mittwoch bereits Manuela Schwesig erfolgreich vorgelegt hatte (und eine coole Antwort hervorgerufen hat, die weder sie noch ihre Äußerung einer Erwähnung für würdig befand und trotzdem klar gegen sie gerichtet war), greifen die Verzweifelten jetzt zum letzten Todschlagargument: Verfassungswidrigkeit.

Dafür müssen sie allerdings ganz schöne Klimmzüge machen, die es kaum wert sind, kommentiert zu werden. Zum einen bereite der Krippenausbau keine Nachteile für die Eltern, die ihre Kinder zu hause erziehen (was für sich genommen zwar richtig, aber kein Argument ist), zum zweiten dränge das Betreuungsgeld „Eltern zu einer bestimmten Art und Weise der Erziehung ihrer Kinder“ (was bereits sachlich falsch ist, denn die Geldzahlung ist ja nicht an einen bestimmten Erziehungsstil oder bestimmte Erziehungsziele geknüpft). Daß die Eltern für Kindergartengebühren entschädigt werden müßten, werde ich mir auch merken, wenn ich für meinen nächsten Ausweis Geld auf den Tisch legen soll; immerhin scheine ich ja einen verfassungsmäßigen Anspruch darauf zu haben, kostenlose Leistungen vom Staat zu bekommen.

Na, wie gesagt: Das Ende der Debatte kann nicht mehr fern sein. Zumal auch die Zustimmung deutlich höher ist, als man angesichts des Medienechos denken könnte, insbesondere in der (möglichen) Elterngeneration (51%). Und während die Piratenpartei das Betreuungsgeld ablehnt (man prüfe diese Aussage mal anhand der dortigen Kommentare :-), hat es unter den Piratenanhängern (und nur unter den Piratenanhängern) tatsächlich einer relative Mehrheit von 47%.

Ich hatte heute eine Mail von meiner Frau in meiner Mehlbox.[1] Drin war ein Link (via Seraphic).

Ich muß ja sagen, das hat ohne Frage Stil! Obwohl die Übernahme dieser Regeln gravierende Änderungen an meinem Äußeren nach sich zögen, hatte ich schonmal angefangen zusammenzurechnen, welchen Preis ich dafür zu zahlen hätte (vor allem die Trennung von einem guten halben Meter Haar…). Aber dann gab es doch gravierende Rückschläge. Weder wollte mich meine Frau zu meinem Geburtstag mit passenden Kleidungsstücken beglücken, noch war sie in Punkt 2 des Manifests verhandlungsbereit. Wenn ich anfange zu rauchen, fliege ich raus.

Na gut, dann bleibt’s wohl vorläufig doch bei Jeans und Turnschuhen. Wobei, ein Kamelhaarumhang mit Ledergürtel…

[1] Ja, wir schreiben uns vom Wohnzimmer in die Küche[2] Mails.
[2] Küche steht hier übrigens für meine Wenigkeit. Seit ich mein Arbeitszimmer zugunsten der sich mehrenden Kinderschar aufgegeben habe, habe ich den Küchentisch als Arbeitsplatz okkupiert[3].
[3] Occupy Kitchen! Yeah!