Theologie

Nach dem etwas knappen Ende des letzten Posts muß ich wohl noch einen hinterherschieben, damit mir keiner Antijudaismus unterstellt.

In der christlichen Tradition wird schon das Alte Testament an den Stellen, die auf Jerusalem, Israel usw. verweisen auf den Neuen Bund hin gelesen, d.h. Jerusalem steht für das Neue Jerusalem, Israel für das neue Volk Gottes usw., also die Kirche.

Wenn es daher zum Abschluß der alttestamentlichen Lesungen in den Karmetten heißt: „Jerusalem, Jerusalem, bekehre Dich zum Herrn, deinem Gott“, dann ist das kein selbstgerechter Aufruf an die (sowieso nicht anwesenden) Juden, die doch endlich Christen werden sollten, sondern angesprochen sind – wie mit der ganzen Lesung! – die anwesenden Christen und die ganze Kirche, deren Liturgie es ja ist. Das Neue Jerusalem soll sich bekehren!

Und wenn in den (leider meist unterschlagenen) Improperien (Anklagen) während der Kreuzverehrung in der Karfreitagsliturgie im Anschluß an Micha 6 (v.a. 3f.) Gott Seinem Volk Vorwürfe macht, wieso es seinem Erlöser das Kreuz bereite, nach all dem Guten, das Er an ihnen getan hat, dann ist das an die versammelte Gemeinde gerichtet, die im Leben jedes einzelnen ihrer Mitglieder sich immer wieder der empfangenen Taufe unwürdig gezeigt hat. Unwillkürlich klingt mir Vers 9 von Ps 95 im Ohr, der jeden Morgen das Stundengebet eröffnet: „sie haben mich auf die Probe gestellt und hatten doch mein Tun gesehen“; genau so ist es: Wir stellen Gott immer wieder durch unser mangelndes Vertrauen auf die Probe und wundern uns dann noch drüber, daß Er sich unserem Zugriff entzieht.

Genau deshalb bin ich bis heute nicht über die Stelle „wir haben keinen König außer dem Kaiser“ hinweg. Wenn die Hohenpriester in der Unbedachtheit einer angespannten Situation sich guten Glaubens selbst verfluchen und das Urteil sprechen können, ohne es zu merken – wie oft dann ich?

P.S.: Das spannendste an den Improperien ist eigentlich das „Hagios ho Theos etc.“. Denn das ist quasi die stammelnde „Antwort“ der Angeklagten auf die Vorwürfe: Du bist der Heilige Gottes, nur Du kannst uns retten, wohin sonst sollten wir gehen? (Joh 6,69)

Einer der emotionalen Höhepunkte (wenn auch nicht unbedingt der reinsten Freude) ist die Lesung der Johannespassion in der Karfreitagsliturgie. Sicherlich gehören die vorausgehenden Lesungen aus Jesaja und dem Hebräerbrief dazu, diesen Höhepunkt aufzubauen. Und nicht zuletzt gehört die Kreuzverehrung als unsere Antwort auf die Passion zu diesem Gesamtkunstwerk, aber ich will mich hier mal auf die Passion selbst beschränken.

Sie ist schon als solche hammermäßig genug, aber was noch viel krasser ist, man kann sie nie oft genug gehört haben, man kann immer noch Neues entdecken. In den letzten Jahren sind mir zwei Stellen besonders ins Herz gesunken, zum einen die Stelle ganz am Anfang, wo die Häscher vor Ihm zurückweichen und zu Boden stürzen, zum anderen die Stelle, in der die Hohenpriester(!) antworten: „Wir haben keinen König außer dem Kaiser.“

Jesus, der alles wusste, was mit Ihm geschehen sollte, ging hinaus und fragte sie: Wen sucht ihr? Sie antworteten Ihm: Jesus von Nazaret. Er sagte zu ihnen: Ich bin es. Auch Judas, der Verräter, stand bei ihnen. Als Er zu ihnen sagte: Ich bin es!, wichen sie zurück und stürzten zu Boden. (Joh 18,4–6)

Ich kann mich erinneren, daß mir schon als Kind klar war, daß es nur einen Grund geben kann, warum die Häscher zurückweichen und zu Boden stürzen: die Würde Jesu, letztlich also ihre Anerkenntnis Seiner Göttlichkeit. Warum aber an dieser Stelle – sie wußten doch, wen sie festzunehmen auszogen – und warum sehen sie dann von der Verhaftung nicht ab?

Die Lösung dieser Fragen lag dort, wo ich sie nie erwartet hätte; in den scheinbar unbedeutenden Worten: „Ich bin es.“ Es gibt noch eine zweite Stelle, bei Mk, in der (fast) dasselbe Phänomen auftritt, nur ein wenig abgemildert durch die vorangehende Frage des Hohenpriesters, ob Er „der Messias, der Sohn des Hochgelobten“ sei und die fortgesetzte Rede Jesu: „Ich bin es. Und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen.“ Dafür ist noch deutlicher, welchen Anspruch Er erhebt, insofern der Hohepriester Seine Antwort ausdrücklich als offensichtliche Blasphemie verurteilt.

Alles hängt tatsächlich am „Ich bin es“. Daß es bei mir Jahre gedauert hat zu verstehen, warum genau dieser Satz die Göttlichkeit Jesu zum Ausdruck bringt, liegt an der (in diesem Punkt „§%U/!) Einheitsübersetzung, die keinen Hinweis darauf gibt, was Jesus hier zitiert, nämlich Ex 3,14, nichts geringeres als den peinlichst in der Aussprache vermiedenen Gottesnamen!

Die Einheitsübersetzung übersetzt Ex 3,14 (schlicht falsch!): „Ich bin der Ich-bin-Da“; in einer Zeitschrift des Katholischen Bibelwerks habe ich gestern sogar „Ich bin der Ich-bin-da-für-euch“ gelesen. Das ist einfach nicht das, was dasteht, das ist insofern eine schlicht falsche Übersetzung, als sie den schillernden, vielfältig deutbaren Namen Gottes auf eine einfache, allzu klar verständliche Aussage reduziert. Eigentlich steht nämlich (ungefähr, das hebräische JHWH ist tatsächlich nicht leicht zu übersetzen) da: „Ich bin, der ich bin.“

Mir hat es sich tief eingebrannt, als mein AT-Professor in einer Nebenbemerkung mal rantete, das sei eigentlich genau das Gegenteil dessen, was die EÜ draus macht, nämlich die Verweigerung eines Namens. Noch heute sagten Juden, wenn sie auf eine Frage, z.B. wohin sie gerade gehen würden, de facto mit „das geht dich einen feuchten Kehricht an“ antworten wollten: „Ich gehe dahin, wo ich hingehe.“ Insofern sei der Name JHWH als Nicht-Name zu verstehen, als Verweigerung, einen Namen zu nennen; was sich auch klar daraus ergibt, daß im orientalischen Weltbild die Kenntnis des Namens eines Gottes Verfügungsgewalt über ihn beinhaltete, und genau dieser Verfügungsgewalt entziehe sich Gott hier durch die Nicht-Nennung Seines Namens.

Später fiel es mir nochmal wie Schuppen von den Augen, als ich die klassische Interpretation des Gottesnamens, die aber sowas von 100%ig anschlußfähig an die griechische Philosophie ist, kennenlernte. Griechisch lautet die Stelle mit dem Gottesnamen nämlich: ἐγώ εἰμι ὁ ὤν, Ich bin der Seiende. Gott identifiziert sich hier also mit dem, der allein sein Sein aus sich selbst heraus hat, und das bildet die Grundlage jeglicher christlicher Philosophie bis zur Reformation.

All diese Mit-Bedeutungen des Gottesnamen unterschlägt die Einheitsübersetzung (selbst die Anmerkung zu Ex 3,14 ist eher verschleiernd!). Entscheidend für die Passion ist jedoch, wie der griechische Originaltext von Jesu Antwort lautet: ἐγώ εἰμι. Deshalb fallen die Häscher bestürzt zu Boden. Was an sich eben nichts anderes bedeutet als „Ich bin’s“, ist im Munde Jesu eine klare Anspielung auf den Gottesnamen, den er für sich selbst in Anspruch nimmt. Übrigens an x anderen Stellen, insbesondere, aber (s.o.) nicht nur bei Johannes (bei Johannes baut bereits der Prolog ganz entscheidend hierauf auf!).

Die Reaktion der Häscher entspricht daher in etwa der Jesajas in seiner Berufungsvision, es ist also die Reaktion des sündigen Menschen angesichts der Herrlichkeit Gottes. Sie drückt aus, daß Jesus Sein Leben freiwillig hingibt, die Verhaftung problemlos hätte verhindern können, und daß Gott – auch wenn uns jetzt ein Name unter dem Himmel gegeben ist – sich nach wie vor unserer Verfügbarkeit entzieht.

Die andere Stelle steht damit in gewisser Weise in Beziehung:

Pilatus sagte zu den Juden: Da ist euer König! Sie aber schrien: Weg mit ihm, kreuzige ihn! Pilatus aber sagte zu ihnen: Euren König soll ich kreuzigen? Die Hohenpriester antworteten: Wir haben keinen König außer dem Kaiser. (Joh 19,14f.)

Diese Stelle ist noch viel krasser, andererseits auch unauffälliger, weil fast nichts auf die hintergründige Bedeutung der Aussage hindeutet. Hier brauchte es die Inszenierung von Mel Gibson, um mir das Krasse an dieser Aussage bewußt werden zu lassen: Die Hohenpriester verleugnen hier nichts anderes als ihre grundlegende Daseinsberechtigung, das Königtum Gottes über Sein Volk. Wie Gott es selbst sagt in 1 Sam 8,6:

Nicht Dich haben sie verworfen, sondern Mich haben sie verworfen: Ich soll nicht mehr ihr König sein.

Darüber bin ich bis heute noch nicht weg…

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Apropos Sacrum Triduum: Eigentlich ist das Sacrum Triduum sowas wie ein Festival. Ein cooles Festival, ja das coolste Festival des Jahres:

  • Es geht über drei Tage.
  • Es beginnt Donnerstag abend und endet am Sonntag.
  • Der abendliche/nächtliche Krach (z.B. Glockenläuten) geht den Nachbarn auf die Nerven.
  • Es gibt Headliner (Abendmahlsmesse, Karfreitagsliturgie, Osternacht, Osterhochamt).
  • Es gibt Vorbands (Karmetten, Ölbergstunde).
  • Es gibt ein Vorglühen (Fastenzeit, Palmsonntag, Kartage).
  • Es gibt ein Nachglühen (Ostervesper, Ostermontag, Osteroktav, Osterzeit, Pfingsten).
  • Es gibt „Show“-Elemente, die man nur hier erleben kann (special presentation: Kreuzverehrung, Verstummen der Orgel, Klappern, Osterfeuer, Exsultet…; wenn man Glück hat, sogar die Improperien.)
  • Schlaf ist fakultativ.
  • Hinterher braucht der Nicht-Mehr-Jugendliche die eine oder andere Woche Urlaub.

Besonders cool machen es aber die Unterschiede:

  • Die Festivallocation ist in angenehmer Entfernung, was das Campen überflüssig macht.
  • Es gibt keine Assis, die schon vor dem ersten Gig knülle besoffen in der Ecke liegen oder, noch schlimmer, nur da sind, um cool zu tun, aber nicht wegen der Musik, und nie ihr Camp verlassen.
  • Der absolute Festivalheadliner „spielt“ in der Nacht zu Sonntag je nach Tagesform zwei bis zweieinhalb Stunden oder (mit Erwachsenentaufen) auch länger.
  • Die Aftershow-Party (oder das Äquivalent zur „Metal-Disco“) dauert nicht nur bis in die frühen Morgenstunden (für die, die wollen: Ganznachtfeier der Mutter aller Vigilien bis zum Sonnenaufgang), sondern geht bis in den spätern Sonntagnachmittag (Ostervesper).
  • Emotionale Berg-und-Tal-Fahrt, wie sie keine andere Running Order hinkriegt.
  • Tagtägliches intimes Meet & Greet mit dem Festivalorganisator und -chef (für die, die auf dem Schlauch stehen: Kommunion).
  • Es ist nicht (nur) Show. Es ist wahr.

Further Reading: Die längste Messe der Welt

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Sacrum Triduum – Karfreitag

Es ist Kardonnerstag. Ja, ich weiß, daß überall[tm] Gründonnerstag steht. Stimmt aber nicht (ganz).

Denn der Gründonnerstag gehört (liturgisch) bereits zum Karfreitag und bezeichnet seinen Vorabend. War mir lange auch nicht klar, und infolgedessen verstand ich nicht, warum das Sacrum triduum aus vier Tagen besteht. Tut es aber nicht, da der Gründonnerstag kein eigenständiger Tag, sondern „nur“ der Vorabend von Karfreitag ist.

Klar wurde mir das erst durch das Stundenbuch. Das trennt nämlich zwischen der Non des Donnerstags der Karwoche und der Vesper von Gründonnerstag. Und diese Trennung besteht vor allem in der Überschrift „Die drei österlichen Tage vom Leiden, vom Tod und von der Auferstehung des Herrn“:

  1. Leiden: Karfreitag
  2. Tod: Karsamstag
  3. Auferstehung: Ostersonntag

Direkt nach dieser Überschrift folgt die Unterüberschrift „Gründonnerstag oder Hoher Donnerstag“, der ausschließlich aus der Vesper besteht, die zudem nur von den armen Schweinen wie mir gebetet wird, die wegen kleiner Kinder (oder aus anderen Gründen) nicht an der Messe vom Letzten Abendmahl teilnehmen können. Ok, und der Komplet.

Die Verwirrung kommt wahrscheinlich daher, daß es mal (zwischendurch) zwei Triduen gab, nämlich das Leidenstriduum (Gründonnerstag, Karfreitag, Karsamstag) und das Auferstehungstriduum (Ostersonntag, Ostermontag, Osterdienstag). Letzteres ergibt aber einfach keinen Sinn, denn von Ostersonntag bis zum Weißen Sonntag ist schon Osteroktav.

Wozu ein Triduum in der Oktav? Wahrscheinlich weil das mit dem Triduum von Gründonnerstag bis Ostersonntag nicht mehr klar war, also genau aufgrund der Frage, warum das Triduum vier Tage umfasse. Tat es aber gar nicht, sondern der Karfreitag beginnt (wie jedes Hochfest) mit dem Vorabend. Seit der Wiederherstellung des klassischen Triduums durch Papst Pius XII. 1951 (siehe auch hier) droht hingegen der Karsamstag als wesentlicher Bestandteil des Triduums unter den Tisch zu fallen (drei Tage? Also Gründonnerstag, Karfreitag, Ostersonntag! – NEEEEEEIIIIIIN!!!11111einself).

Um den Karsamstag angemessen aufzuwerten, kann ich nur die Karmette empfehlen (z.B. bei uns in Eisenach am Karsamstag und 8.30 Uhr). Seit ich die kennengelernt habe, möchte ich sie nicht mehr missen, denn von ihr her kriegt der Karsamstag als fast, aber eben nicht ganz a-liturgischer Tag sein eigenes Gepräge, das ihn als vollen und bedeutsamen Tag des Triduums heraushebt.

P.S.: Eigentlich reicht bereits der Schott. Denn die Missa Chrismatis steht auch dort unter Donnerstag der Karwoche. Da die aber meistens schon am Kardienstag gefeiert wird, rutscht das leicht durch.

In den letzten Wochen bin ich beim Verfassen meiner Posts immer wieder an eine Grenze gekommen, so daß die Posts nie fertig wurden und mein Vorrat an verwertbaren Entwürfen inzwischen so ziemlich gegen Null tendiert.

Die Grundidee, an der ich mich abgearbeitet habe, betrifft einige merkwürdige Phänomene, die ich in der Kirche beobachten konnte. In allen diesen Situationen und in, wie mir scheint, immer mehr weiteren (ja, ich bin paranoid), erreiche ich gedanklich einen Punkt, an dem ich merke: So kommst Du nicht weiter. Du kannst diese Phänomene zwar auf den Punkt bringen, das wird aber nichts ändern. Es läßt sich einfach nichts ändern, zumindest nicht, indem man die konkreten Probleme direkt angeht: Es handelt sich um einen „Catch 22“.

„Catch 22“ ist ursprünglich ein Anti-Kriegsroman des Amerikaners Joseph Heller. Das Buch ist, wie ich finde, ausgesprochen anstrengend zu lesen, was wohl daran liegt, daß es die Sinnlosigkeit der beschriebenen Ereignisse und Umstände auch in der literarischen Gestaltung der Erzählung zum Ausdruck bringt. Ich bin froh, das Buch gelesen zu haben, ob ich es empfehlen kann, bin ich mir nicht so sicher.

Von diesem Buch ausgehend hat sich der Begriff „Catch 22“ im Englischen für Situationen, wie sie im Buch beschrieben werden, eingebürgert. Die deutsche Wikipedia nennt diese Situationen „Dilemmata“, das ist mindestens ungenau. Ein Dilemma ist eine Situation, in der ich, egal wie ich mich entscheide, etwas falsch mache. Bei einem „Catch 22“ kann ich zwar nichts richtig machen, aber das liegt nicht daran, daß ich etwas falsch mache, sondern daß die Situation so konstruiert ist, daß unabhängig von meiner Entscheidung das angestrebte Ziel schlicht nicht erreicht werden kann.

Das erste und bekannteste Beispiel für einen „Catch 22“ aus dem Buch ist eine Regelung, nach der wahnsinnige Piloten keine Angriffe fliegen dürfen, sondern von der Front abgezogen werden müssen. Einzige Voraussetzung dafür ist, daß der Pilot eine psychologische Untersuchung beantragt. Der „Catch“ dabei ist, daß die Beantragung dieser Untersuchung zeigt, daß er völlig gesund ist, denn nur ein Wahnsinniger würde Angriffe fliegen wollen. Infolgedessen kann der Gesunde nicht vorspiegeln, geisteskrank zu sein, und der Wahnsinnige kann nicht nach hause geschickt werden, weil er sich selbst ja nicht für wahnsinnig hält und entsprechend keinen Antrag stellen wird, und selbst wenn sich ein Wahnsinniger selbst für wahnsinnig hielte und einen Antrag stellte, würde ihm das als eindeutiges Zeichen geistiger Gesundheit ausgelegt.

Ein Catch 22 drückt sich also in der Unmöglichkeit aus, systemkonform ein Ziel, das das System als mögliches vorspiegelt, erreichen zu können. Ein (moralisches) Dilemma hingegen ist eine Situation, in der zwei absolute Werte miteinander konkurrieren, in der also die Güterabwägung nicht mehr funktioniert, um zu einer klaren Entscheidung zu kommen. Am ehesten vergleichbar ist ein Catch 22 daher mit dem Passierschein A38 aus „Asterix erobert Rom“ oder dem „Was?! Ihr müßt mir doch eine Chance lassen da raus zu kommen! Also gut, ich bin der Messias!“ aus dem „Leben des Brian“.

Allerdings ist der Catch 22 deutlich brutaler. Asterix kommt an den Passierschein A38, indem er den Spieß umdreht und nach Passierschein A39 fragt. Ein Catch 22 kann zwar anfangs noch solche Lücken haben, sie werden aber geschlossen werden und sind nicht systemimmanent wie bei Asterix. So auch im Buch: Ein Soldat entdeckt, daß er den schützenden Rang eines Private First Class auch nach einer Beförderung durch unerlaubtes Entfernen von der Truppe, das eine Degradierung nach sich zieht, immer wieder erreichen kann – bis eben diese Lücke als solche erkannt und geschlossen wird. Brian kann sich verbergen, die Volksmenge hat keine direkte Macht über ihn, und daß er am Ende am Kreuz endet, hat nichts mit der Messiasfrage, sondern mit der Beteiligung an einem terroristischen Akt zu tun. Beide Varianten sind bei einem Catch 22 nicht möglich. Egal was Du machst, egal wie Du Dich entscheidest, die gestellte Aufgabe ist nicht lösbar, denn es gibt nicht nur keine Möglichkeit, die gestellte Bedingung zu erfüllen, die Bedingung selbst ist vielmehr völlig unsinnig: die Bedingung, um „Ziel“ erreichen zu können, besteht in „Nicht-Ziel“.

Und so gelingt es Hauptmann Yossarian, dem Antiheld von Catch 22, schließlich eher zufällig, weiteren Angriffsflügen zu entgehen, indem er zur Strafe zum Major mit Innendienstbeschreibung befördert wird. Denn jede andere Form von Bestrafung würde ihn von der Front abziehen, und dann könnten andere Piloten auch auf die Idee kommen, sich einfach zu weigern, Angriffe zu fliegen. Klingt unlogisch, ist es auch (wie der ganze Catch 22), denn es geht ausschließlich darum, den „Rebellen“ und „Abtrünnigen“ wieder ins System zu integrieren, indem man ihm gibt, was er will, ohne es explizit zu tun. Es wird also das individuelle Interesse ausnahmsweise erfüllt, um die Moral der Truppe im ganzen aufrecht zu erhalten. Und so zeigt sich der Catch 22 in einer Situation im Buch auch als das, was er tatsächlich ist: als blanke Ausübung von Macht.

Wie aber kommt man da raus? Die Antwort lautet: gar nicht. Es gibt aus einem echten „Catch 22“ keinen Ausweg, denn ein echter „Catch 22“ besteht gerade in seiner Alternativlosigkeit. Der Catch 22 ist zunächst eine reine Illusion, die die Ausübung der Macht gleichermaßen verschleiern wie absichern soll, und funktioniert selbst dann noch, wenn man ihn als solchen durchschaut hat, da er dann die Sinnlosigkeit des Versuchs offenbart, sich gegen den Catch 22 zu wehren.

Genau an diesem Punkt kam ich einfach nicht weiter. Es kann doch nicht sein, und es darf nicht sein, daß ich da wirklich nicht rauskomme, daß ich immer verliere. Und dann kam da der heutige Tagesheilige, Papst Johannes Paul II., ins Spiel. In der zweiten Lesung der Lesehore, die seiner Ansprache zu Beginn des Pontifikats entnommen ist, heißt es:

[Die Herrschaft des Herrn hat] ihre Ursprünge nicht in den Mächten dieser Welt, sondern im Geheimnis des Todes und der Auferstehung… Die uneingeschränkte und doch milde und sanfte Herrschaft des Herrn ist die Antwort auf das Tiefste im Menschen, auf die höchsten Erwartungen seines Verstandes, seines Willens und Herzens. Sie spricht nicht die Sprache der Gewalt, sondern äußert sich in Liebe und Wahrheit. […] Habt keine Angst, Christus aufzunehmen und Seine Herrschergewalt anzuerkennen! […] Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus! […] Habt keine Angst! Christus weiß, ‚was im Innern des Menschen ist‘. Er allein weiß es! Heute weiß der Mensch oft nicht, was er in seinem Innern, in der Tiefe seiner Seele, seines Herzens trägt. Er ist deshalb oft im Ungewissen über den Sinn seines Lebens auf dieser Erde. Er ist vom Zweifel befallen, der dann in Verzweiflung umschlägt. Erlaubt also … Christus, zum Menschen zu sprechen! Nur Er hat Worte des Lebens, ja des ewigen Lebens!

Da ging mir auf: Der Catch 22 basiert auf der erbsündlichen Verfaßtheit weltlichen Denkens, auf der Angst vor dem Tod, auf dem Streben nach Ehre, Anerkennung, dem Wunsch, etwas zu gelten – und nutzt diese brutal aus. Im Buch funktioniert der Catch 22 genau deshalb, weil die Soldaten Angst vor dem Tod haben (und jeder, der keine Angst vor dem Tod hat, wird als wahnsinnig dargestellt). Die Frage aber, ob der Krieg tatsächlich gerechtfertigt, ja vielleicht sogar notwendig ist (und wir reden hier immerhin vom Zweiten Weltkrieg), auch wenn es vielleicht nicht jeder einzelne Angriff ist, und ob das ständige Heraufsetzen der Flugzahl, bevor man auf Heimaturlaub darf, vielleicht aus Personalmangel tatsächlich notwendig ist, um den Krieg führen und gewinnen zu können – das alles spielt im Buch überhaupt keine Rolle. Es beginnt bereits mit dem Versuch, aus der (vorausgesetzten) Sinnlosigkeit des Sterbens auszubrechen.

Das Sterben in Christus aber ist nicht sinnlos. Die im Buch behandelte Sinnlosigkeit findet ihre Antwort tatsächlich in Christus, der dem nach weltlichen Maßstäben sinnlosen Leben einen Sinn geben kann. Nicht im Sinne einer Vertröstung auf das Jenseits, sondern in dem Sinn, daß er die Wahrheit und Gerechtigkeit als Maßstäbe erkennen läßt, für die es sich lohnt, Leib, Leben, Anerkennung, Würdigung, Bedeutung hin- und aufzugeben, weil Er selbst sie ist. Wer in Christus stirbt, dem wird das Leben nicht entrissen, er gibt es hin; wer in Christus stirbt, dem wird das Leben nicht genommen, sondern gewandelt.

Sicherlich ergibt das alles nur Sinn, wenn ich davon ausgehe, daß die Wahrheit und die Gerechtigkeit sich letztlich durchsetzen werden. Und der einzige Garant dafür ist Jesus Christus selbst. Sich gegen all die Catches 22 zu wehren, geht nur aus der Beziehung und Liebe zu Jesus Christus. Die Wahrheit wird euch frei machen: Wer (wirklich) in Christus lebt, ist für die weltliche Macht uneinnehmbar geworden, da er weder mit Drohungen noch mit Versprechungen korrumpierbar ist – zumindest solange er sich nicht wieder dieser Macht unterwirft.

Lebe ich mit Christus, springe ich nicht mehr über jedes Stöckchen, das mir hingehalten wird, ich kümmere mich um das, was (mir) wirklich wichtig ist, und ich entziehe mich dem Zugriff der Macht auf eine Weise, die die Logik der Macht schlicht nicht verstehen kann. Zugleich führt diese Freiheit aber notwendig in Verachtung, Ausgrenzung und vielleicht sogar Verfolgung; gerade weil ihr mit der Logik der Macht nicht beizukommen ist. Und die Verachtung, Ausgrenzung und Verfolgung erfolgt besonders da, wo es mir am meisten weh tut (wie ich im letzten halben Jahr mehrfach schmerzlich feststellen mußte). So ist das Leben mit Christus kein Zuckerschlecken. Es wird erst so richtig zum Kampf, zum Kampf aus der immer schlechteren Position, immer bergauf, aber es ist ein Leben in Freiheit, vor allem auch innerer Freiheit, in Identität mit sich selbst. Leiden tut immer weh, aber Leiden mit Christus kann die Welt verändern (aber eben nicht, indem die Probleme direkt angegangen werden), vor allem aber den mit Christus Leidenden befreien.

Habt keine Angst! Öffnet die Türen für Christus!

Mir hat’s letztens ziemlich die Sprache verschlagen. Obwohl die die Frage nach der Wahrhaftigkeit nur eine für den Punkt, den ich rüberbringen wollte, untergeordnete Rolle spielte, war es einem der Gesprächsteilnehmer offenbar wichtig, seine Meinung dazu (als Tatsachenbehauptung) einzubringen: „Man kann nicht immer wahrhaftig sein, man muß Kompromisse machen. So ist das im Leben, ja, das ist Leben.“

Es mag sein, daß er meinen eigentlichen Punkt nicht verstanden hatte. Der bezog sich darauf, daß apokalyptische Gefühle ihren Auslöser darin haben können, daß jemand gerade von denen, die seine eigenen Werte geprägt haben, in einem Wertekonflikt im Stich gelassen wird. D.h. daß z.B. Eltern von ihrem (inzwischen erwachsenen) Kind in einer konkreten Situation eine andere Prioritätenreihenfolge fordern, als das Kind von ihnen gelernt zu haben meint. Dabei ist es längst zu einem klaren Gewissensurteil gekommen, fühlt sich diesem verpflichtet und sucht nun bei den Eltern moralische Unterstützung – und wird im Stich gelassen. Im konkreten Beispiel ging es darum, ob eine nicht unwesentliche ungesetzliche Vorgehensweise des Vorgesetzten gegenüber dessen Vorgesetzten auch in der Probezeit anzuzeigen ist, also um Wahrheitsforderung vs. persönliche Vorteile (Stelle behalten; denn daß im Falle einer Anzeige noch während der Probezeit die Kündigung zu erwarten war, stand fest). Wie gesagt, es ging dabei nur indirekt um die Wahrheitsforderung, primär um das unbedingt verpflichtende, längst feststehende Gewissensurteil – und die Enttäuschung, gerade von denen mit der das Gewissensurteil verletzenden Handlungsforderung konfrontiert zu werden (Klappe halten!), denen man es zuletzt zugetraut hätte. Und es mag sein, daß der Gesprächsteilnehmer das so nicht verstanden hatte.

Warum mich das so sprachlos gemacht hat, hat verschiedene Gründe. Einer ist, daß ich selbst einmal in einer Situation war, in der ein Vorgesetzter eine an sich ungesetzliche Forderung stellte. Es war damals für alle Beteiligten (selbst für den durch den Vorgesetzten vertretenen Arbeitgeber) die bequemere Lösung, es ging auch nicht um wirklich schwerwiegende Materie, und konkret wurde auch der Arbeitgeber nicht geschädigt, was aber im Falle einer deutlichen Verkomplizierung der Situation hätte eintreten können. Allerdings gab es keinen anderen Anlaß, von der gesetzlichen Regelung abzuweichen, als eben die Bequemlichkeit, die bürokratischen Folgen der gesetzlichen Regelung (die allerdings die Personalabteilung hätte ausbaden müssen) zu vermeiden. Wer in einer solchen kleinen Materie aus Bequemlichkeit die Regeln bricht, der wird wohl kaum im Falle eines gewichtigen Gewissenskonflikts seinem Gewissen folgen.[1]

Was mich also letztich so sprachlos gemacht hat, war nicht die Aussage, daß man im Leben manchmal Kompromisse schließen muß, sondern die Bestimmtheit und, ja, der Zynismus, mit dem das Leben als „Kompromisse hinsichtlich der Wahrheit machen“ definiert wurde. Vielleicht ist das alles falsch verstanden, ich will der konkreten Person hier keinen Vorwurf machen, es geht mir gar nicht um diese Person. Sondern es geht mir um die ja tatsächlich weit verbreitete Einstellung, daß man ja in kleinen Dingen schonmal Kompromisse hinsichtlich der Wahrhaftigkeit eingehen kann.

Dabei will ich gar nicht bestreiten, daß eine absolute Wahrhaftigkeitsforderung in Ausnahmesituationen unmenschlich wird.[2] Aber eben als Ausnahme, nicht als Regel, und in großen Dingen, nicht in den kleinen: z.B. in Dilemmasituationen, in denen verschiedene absolute Werte miteinander kollidieren, nicht in Situationen, in denen es unbequem ist, z.B. die Steuererklärung nach bestem Wissen und Gewissen zu erstellen, obwohl klar ist, daß der kleine Trick, den man da zu seinen Gunsten einbauen könnte, überhaupt nicht als fehlerhaft auffallen, geschweigedenn nachweisbar sein würde.

Sicherlich gibt es einen Unterschied zwischen der direkten Lüge und dem Verschweigen der Wahrheit. Das Verschweigen kann eher gerechtfertigt sein als die direkte Lüge, insbesondere wenn das Verschweigen der Schwäche des Gegenüber geschuldet ist, es also nicht um eigene, sondern um fremde Vorteile geht. Da mag es mitunter sogar von Vorteil sein, die ganze Wahrheit lieber in kleinen Häppchen zu servieren. Jedoch sollte man sich immer bewußt bleiben, daß es hier auch schnell wieder die eigene Bequemlichkeit sein kann, die nach Ausreden sucht: Wird das Verschweigen zur Regel, dann dürfte wohl eher die eigene Konfliktscheu als die Schwäche des Gegenübers ausschlaggebend sein. So richtig christlich ist jedenfalls beides nicht. Die direkte Lüge verbieten schon die 10 Gebote, die Bergpredigt hingegen verabsolutiert die Wahrheitsforderung: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen“ (Mt 5,37; dem griechischen Text dieses Verses ist der Blogposttitel entnommen: ναὶ ναί, οὒ οὔ = ja, ja, nein, nein).

Kurzfristig mag die Lüge oder auch nur das Unterlassen, die Wahrheit auszusprechen, Vorteile haben. Langfristig zerstört sie das Gewissen, die Fähigkeit, dem Gewissensurteil zu folgen und vor allem: Vertrauen. Natürlich ist es verlockend, mit Hilfe einer Notlüge den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, und natürlich kenne ich das auch, daß ich in einer solchen Situation nicht die Kraft aufbringe, der Wahrheit Genüge zu tun. Es scheint ja nicht so schlimm zu sein; hier ein wenig die Wahrheit zu frisieren, schadet ja keinem, es ist die einfachere Lösung, man braucht sich keine Blöße zu geben und einen Fehler zuzugeben usw. usf. Aber: Genau das ist das Wesen der Versuchung! Wer aber in kleinen Dingen der Versuchung nicht standhält, der wird es erst recht nicht in großen schaffen, wenn es wirklich drauf ankommt.

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[1] Man liest immer wieder, wie wichtig es für „Gewissenstäter“ ist, in kleinen, sachlich eigentlich unbedeutenden Fragen aus Gewissensgründen Widerstand geleistet zu haben, um später ihren großen Widerstand zu leisten. Z.B. war es für den Anschluß Österreichs ans Deutsche Reich völlig unerheblich, ob Franz Jägerstätter als einziger in seiner kleinen Gemeinde gegen den Anschluß stimmte, und tatsächlich wurde seine Gegenstimme auch vor Weitergabe des Abstimmungsergebnisses unterschlagen, u.a. um ihn nicht in Gefahr zu bringen; d.h. seine Nein-Stimme fiel sachlich völlig unter den Tisch und hätte ihm nur schweren Ärger bereiten können, für ihn selbst war es aber wichtig, mit Nein gestimmt zu haben: Wenngleich es eigentlich nur ein symbolischer Akt war, schärfte er sein Gewissen und vor allem seine Bereitschaft und Fähigkeit, gegen alle Ängste und das sichere Wissen um das folgende Todesurteil seinem Gewissensurteil auch zu folgen und den Kriegsdienst in Hitlers Armee zu verweigern. (hoch)
[2] Klassisches Beispiel: Bin ich verpflichtet, einem SS-Offizier, der mich fragt, ob ich einen Juden verstecke, zu sagen, daß ich tatsächlich einen Juden verstecke? Wenn das so wäre, bräuchte ich den Juden gar nicht erst zu verstecken versuchen. Hier steht freilich die Wahrheitsforderung gegen die ungerechte Verfolgung, die darauf ausgerichtet ist, das Leben des Verfolgten zu vernichten. (hoch)

Manchmal frage ich mich, ob überhaupt jemand meine Posts liest. Jedenfalls enthält mein letzter eine großartige Einladung zur Kritik, mit der ich eigentlich fest gerechnet habe, die aber nicht kam:

„Diese Heuchelei ist es, die vom Metal angegriffen wird, nämlich das Böse immer nur bei den anderen zu sehen, den Balken im eigenen Auge aber nicht.“

Ergibt sich daraus nicht automatisch die Frage: Gibt es im Metal also keinerlei Heuchelei? Oder steckt in diesem Vorwurf nicht selbst Heuchelei drin? Halten sich Metaller für die besseren Menschen?

Vielleicht, aber nicht weil sie es sind, sondern allenfalls, weil sie sich ihrer Zwiespältigkeit bewußt sind. Metaller verfehlen ihren moralischen Anspruch genauso wie die Christen, die den Anspruch haben, nicht zu sündigen, aber immer wieder sündigen, und wie alle anderen, die ihren Anspruch nicht so weit runter schrauben, bis sie ihn daran angepaßt haben, was sie sowieso von sich aus tun. Und so ist auch die Kritik am Metal nicht per se etwas, was Metaller ablehnen. Ganz im Gegenteil, es gibt sehr wohl sehr unterschiedliche Auffassungen innerhalb des Metals über unterschiedliche Entwicklungen im Metal, und kein Metaller wird sich von irgend einem Metaller (oder Nicht-Metaller) den Mund verbieten lassen, eine Entwicklung, die ihm nicht gefällt zu kritisieren. Dabei ist es egal, ob es sich um Cannibal Corpse (Vermischung von Gewalt und Sexualität), NSBM (Rechtsextremismus) oder übertriebene Gegenreaktionen (wer mal mit einem Musiker geredet hat, der mal im selben Studio aufgenommen hat wie 20 Jahre vorher Burzum, muß ein Rechtsextremist sein) handelt.

Problematisch wird es jedoch in dem Augenblick, wo die Diskursebene verlassen und Machtmittel ergriffen werden, um reale oder vermeintliche Fehlentwicklungen im Metal anzugreifen. D.h. wenn mit Verboten statt mit Aufklärung und Kritik gearbeitet wird. So heterogen der Metal ist, so weitgehend homogen wird er sich gegen äußere Angriffe verteidigen. Die Verteidigung richtet sich dabei weniger gegen die inhaltliche Kritik, die sogar vom einen oder anderen Metaller geteilt werden könnte, als gegen die genutzten Methoden. Der Metaller[tm] denkt, daß ein solcher Angriff keinen anderen Sinn haben kann, als den Überbringer der schlechten Botschaft zum Schweigen zu bringen, um die schlechte Botschaft weiter verdrängen zu können. Hier sind wir zurück beim Heucheleivorwurf: Um nicht eingestehen zu müssen, daß man als Mensch halt nicht einfach zu den Guten gehört und daß die Bösen nicht immer nur die anderen sind, deklariert man diejenigen, die die Botschaft verbreiten, daß der Mensch eben von sich aus nicht einfach gut ist, als die Bösen. Das Schema sollte dem einen oder anderen Christen bekannt vorkommen…

Die eigentliche Antwort des Metals auf die Frage, ob die Metaller dann wohl die besseren Menschen seien, haben bereits 2003 Arch Enemy gegeben (auch wenn ich die Einschätzung nicht teile, daß der Glaube eine Blutspur durch die Jahrhunderte ziehe):

Du strebst nach Vollkommenheit, doch du hast nicht die Mittel
Verkörperte menschliche Schwachheit
Narrenfutter
das die Angst vor dem Leben selbst ernährt
Immer und immer wieder
Du wählst, nicht zu sehen
Verneige dich und bete mich an auf dem Altar der Schande

Also bist du der Heilige und ich der Sünder?

Du wirst es nie verstehen!

Du bist der Heilige und ich der Sünder

Nein! Du wirst es nie verstehen

Die Gläubigen sollen also die Welt heiligen. Aber wie heiligt man die Welt?

In der ostkirchlichen Theologie bin ich in diesem Kontext auf den auf den ersten Blick etwas esoterisch anmutenden Begriff „Priester der Schöpfung“ gestoßen. Ich weiß nicht, wie allgemein verbreitet dieser Begriff in der orthodoxen Theologie ist, ich bin nicht gerade ein Kenner derselben. Der Kontext, in dem er fiel, war jedoch ein klassischer Topos orthodoxen Denkens, nämlich die Theiosis, die Vergöttlichung. Hier wird jeder Gläubige zum Mittler des Heiles Gottes, und das nicht nur gegenüber anderen Menschen, sondern der gesamten Schöpfung. Der Gläubige ist berufen, (sich und) die gesamte Schöpfung auf Gott auszurichten und so zu vergöttlichen. Auf dem Hintergrund von Gen 3 klingt das für „lateinische“ Ohren etwas schräg, der Gedanke ist aber sehr wohl auch in der westlichen Tradition präsent und wird dort bezeichnet als – Heiligung!

Begründet ist dieser Gedanke im Römerbrief:

Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat; aber zugleich gab er ihr Hoffnung: Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. (Röm 8,19–22)

Wie aber heiligt man „die Schöpfung“, wie verkündet man „der Schöpfung“ das Evangelium?! Diese Frage hat mich jahrelang beschäftigt, obwohl die Antwort eigentlich so nahe liegt. Denn wie heilige ich mich selbst, abgesehen von den Sakramenten, die ich nur empfangen, aber nicht spenden kann? Wie heilige ich meine Kinder? – Durch Gebet, Buße, Fasten, Almosengeben; durch Segnen, sie an das Wort Gottes heranführen und erklären. Was aber bleibt dabei für „die Schöpfung“, also auch für die unbelebte, übrig? Natürlich vor allem das Gebet, aber auch das Segnen: Einfach mal durch die Stadt oder die Natur gehen und beten – Gott lobpreisen und für die Menschen, die einem begegnen, beten, sie still segnen.

Bei mir ging dieser Erkenntnis die Praxis voraus. Als ich das erste Mal unterwegs gebetet habe, den Rosenkranz, den zu beten meine eigentliche Motivation war, „draußen“ zu beten (weil in einer großen Familie drinnen die Ruhe fehlt), fühlte ich mich ziemlich komisch, insbesondere, da ich auf dem Weg wohin war, wo ich mit meinem Glauben ziemlich alleine dazustehen erwartete. Schon die Gegend (sozialistisches Plattenbaugebiet) war nicht unbedingt der Andacht förderlich. Der eigentliche Grund, mich komisch zu fühlen, lag aber überhaupt nicht in den Äußerlichkeiten. Nein, der Grund lag in mir. Zunächst einmal war es ungewohnt, aber warum war es ungewohnt? Weil ich merkte, daß ich nach wie vor die Trennung zwischen Kirche und Welt (Glaube und Gebet hier, „normal“ sein dort) praktizierte, obwohl ich sie rational schon lange massiv in Frage gestellt hatte und durchaus zu meinem Glauben stand, wenn ich angefragt wurde oder in Konflikte zwischen Glaube und Welt geriet. Aber eben nicht in der Praxis des Gebets.

Diese Situation des Ungwohnten und ein bißchen auch Unangenehmen auszuhalten und allmählich zu überwinden hat mir der Rosenkranz sehr erleichtert. Es ist immer schwer, im Trubel der Stadt die Gebetskonzentration zu halten, insbesondere da mir schlicht die Zeit fehlt, extra zum Beten in die Stadt zu gehen und ich somit auf meinen alltäglichen Wegen zu beten versuche. Frei zu beten wäre schlicht schiefgegangen: zu viel Ablenkung, zu viele vom Gebet ablenkende Gedanken. Der Rosenkranz war hier eine nicht zu unterschätzende Hilfe. An ihm konnte ich mich „festhalten“, an seinen Wiederholungen von durch und durch auswendig bekannten (Grund-)Gebeten, vor allem aber auch ganz praktisch an der haptilen Hilfe der Perlen, die mich sowohl daran erinnerten, daß ich beten wollte als auch was ich beten wollte – und wo ich eigentlich gerade im Gebet war.

Ich garantiere: Das verändert. Zunächst den Beter, aber dann (insbesondere bei Regelmäßigkeit) auch die „bebeteten“ Orte und schließlich die „bebeteten“ Menschen. Denn man sollte bei all dem auch die geistliche Dimension nicht vergessen: „Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs.“ (Eph 6,12) Auch hier habe ich noch vor Jahren den Gedanken, daß es eine „geistliche Qualität“ von Orten gibt, daß das Böse, aber auch das Gute, sich an ihnen festsetzen kann, als esoterisch abgelehnt. Bis ich schließlich genau das erfahren habe.

Irgendwann stellte ich fest, daß die geistlichen Angriffe (die sich sehr konkret weltlich äußern können) alle aus einer bestimmten Himmelsrichtung kamen – in die ich selten bis nie ging. Als ich mir dann vornahm, genau diese Richtung in Angriff zu nehmen, fiel mir auf, daß ich reproduzierbar immer in einer bestimmten Straße besondere Schwierigkeiten hatte, die Gebetskonzentration zu halten. Natürlich kommt es immer mal vor, daß man sich „verhaspelt“, den Faden verliert, trotz der Perlen nicht mehr weiß, wo man eigentlich gerade war. Aber nicht so kontinuierlich in einer bestimmten Straße, vor bestimmten Häusern. Selbst als ich im Lichte dieser Erfahrung mich bewußt konzentrierte, kam ich noch raus. Erst mit der Zeit wurde es besser, aber ich spüre dort immer noch besonderen Widerstand gegen mein Gebet. Die geistlichen Angriffe haben seitdem zumindest erstmal eine Pause eingelegt. Und so wage ich zu behaupten, daß mein unauffälliges Gebet in dieser Straße, vor diesen Häusern, eine ganz konkret heiligende Wirkung auf diese Straße hat, daß ich hier der Schöpfung die Erlösung verkünde (denn nichts anderes sind ja die Rosenkranzgesätze von „den Du, oh Jungfrau, vom Heiligen Geist empfangen hast“ über „der für uns am Kreuz gestorben ist“ bis hin zu „der alles vollenden wird“).

Kaum etwas wird heute so falsch verstanden wie das gemeinsame Priestertum der Gläubigen. Denn dieses hat fast nichts mit dem besonderen Priestertum zu tun, insbesondere stellt es keinen graduellen Anteil am Weihepriestertum dar, sondern es ist etwas ganz anderes. Das Zweite Vatikanum stellt demzufolge fest, das „gemeinsame Priestertum der Gläubigen […] und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach“, sie seien aber aufeinander hingeordnet, weil sie beide dem Priestertum Christi entspringen (LG 10):

Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen Gewalt, die er innehat, das priesterliche Volk heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar; die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe. (ebd.)

Das Amtspriestertum wird hier wesentlich deutlicher beschrieben als das gemeinsame Priestertum. Auch im folgenden finden sich nur Andeutungen, wie das gemeinsame Priestertum sich ausdrücke, denn es wird quasi immer vom Empfang der Sakramente und damit von liturgischen Feiern her entwickelt. Das führt aber zu dem Mißverständnis, das gemeinsame Priestertum wäre auf den Gottesdienst in der Kirche bezogen. Das ist es zwar auch, insofern die Gemeinde nicht unwichtig für den Gottesdienst ist (aber als Gemeinde) und der Gottesdienst zur Selbstheiligung beiträgt. Sein eigentlicher Kern aber liegt vor den Kirchentüren.

Das Konzil deutet den Schritt vor die Kirchentür bereits durch „im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe“ an, die eben primär außerhalb der Kirche geübt werden. Ein bißchen deutlicher wird es in der Beschreibung der Wirkung der Sakramente, die nicht nur zur Selbstheiligung da sind, sondern zur Weitergabe des Glaubens durch Wort und Tat befähigen (sollen).

Vergleicht man dies nun mit dem Weihepriestertum, kann man den Unterschied knapp (und etwas ungenau) so benennen: Die Priester sind dazu da, die Gläubigen zu leiten, anzuleiten, zu belehren und in den Sakramenten zu heiligen; die Gläubigen hingegen sollen so gestärkt das Wort Gottes in die Welt tragen. Das besondere Priestertum ereignet sich im geschützten Raum der Kirche, das gemeinsame draußen in der „rauen Welt“.

Die Geimeinsamkeit freilich, die auch die Bezeichnung als Priestertum rechtfertigt, besteht in der Heiligung: der geweihte Priester heiligt die Gläubigen, die Gläubigen heiligen die Welt.

Matthias Grünewald: Isenheimer Altar, Kreuzigung

Matthias Grünewald: Isenheimer Altar, Kreuzigung (Quelle)

Dieses Bild enthält den Strukturplan der Dogmatik. Glauben Sie nicht? Ist aber so. Na gut, es ist nicht der Strukturplan der Dogmatik, sondern mein Strukturplan der Dogmatik.

Kürzlich versuchte ich, zwecks Einordnung der Mariologie in die Gesamtdogmatik, die dogmatischen Traktate zu sortieren und aufeinander zu beziehen. Für mich als Thomas-Fan kam dabei natürlich nur in Frage, bei Gott anzufangen und gemäß dem exitus-reditus-Schema (alles hat seinen Ursprung in Gott und kehrt dorthin zurück) weiterzumachen. Das ergab zunächst einmal Gotteslehre, Schöpfung, Eschatologie:

Gott / \ Schöpfung ― Vollendung

Zwischen Schöpfung und Vollendung gehört natürlich die Christologie, denn ohne Christus keine Vollendung:

Gott / | \ Schöpfung ― XP ― Vollendung

Wohin jetzt die weiteren Traktate? Als da wären: Soteriologie (sofern man sie nicht als Teil der Christologie betrachtet), Pneumatologie (so man diese als eigenständigen Traktat annimmt und nicht in den folgenden, v.a. der Gnadenlehre verwirklicht sieht), Gnadenlehre, Ekklesiologie, Sakramentenlehre, Mariologie und theologische Anthropologie (die mir eigentlich etwas querliegt, m.E. müßte die ein Querschnitt zwischen Schöpfungslehre, Gnadenlehre und Eschatologie sein).

Klar war also schonmal, daß die Soteriologie direkt der Christologie zugeordnet werden muß. Andererseits ist die Erlösung natürlich auch ein Werk der ganzen Trinität (wie bildlich in den Gnadenstuhl-Darstellungen ausgedrückt), d.h. irgendwo hier müßte doch auch der Heilige Geist kommen, wenn man Ihm einen eigenen Traktat widmen will. Außerdem ist die Gnade gleichermaßen ein Ausfluß der Erlösung wie des Heiligen Geistes: Durch Christus im Heiligen Geist werden wir vom Vater begnadet. Also packen wir die Pneumatologie zwischen die Soteriologie und die Gnadenlehre.

Die Ekklesiologie und die Sakramentenlehre sind hingegen Konkretisierungen der Gnadenlehre, nämlich wie die Gnade konkret zu uns kommt: durch die Kirche, dem Grundsakrament, das dem Ur-Sakrament Jesus Christus entspringt, und die Sakramente:

Gott | Schöpfung ― XP ― Vollendung | Erlösung | Heiliger Geist | Gnade | Kirche | Sakramente

An der Stelle hatte ich also schon ein Kreuz gebaut, was mir erst auffiel, als ich partout nicht wußte, wo ich jetzt die Mariologie unterbringen soll. Die Lehre von Maria hat starke Bezüge zu fast allen anderen Traktaten, insbesondere zur Christologie und zur Gnadenlehre sowie zur Ekklesiologie, aber auch zur Eschatologie und zur Schöpfungslehre. Sie erscheint geradezu als Konkretisierung aller Dogmatik, nämlich als Erläuterung, wie die (scheinbar) äußerlich bleibenden Lehren tatsächlich unser Inneres betreffen. In Maria ist konkret (und vollendet!) wozu wir (noch) nur berufen sind. Insofern ist die Mariologie (wie Gerhard Ludwig Müller schon schrieb) das Gegenstück in der Heilsordnung zur theologischen Anthropologie.

Und an dieser Stelle kamem mir plötzlich die Kreuzigungsdarstellungen mit Maria und Johannes in den Sinn. Maria steht nicht im Kreuz, sondern unter dem Kreuz, und in Johannes könnte man das Gegenstück erkennen:

Gott / | \ Schöpfung ― XP ― Vollendung | Erlösung | Heiliger Geist | Gnade Mensch | Maria Kirche | Sakramente

Jetzt mußte ich nur noch begreifen, daß ich mein Schema umdrehen mußte, damit es zu den Bildern paßt, also quasi „hebräisch“ von rechts nach links lesen muß, damit Maria an der rechten Seite Christi, an Seiner Ehrenseite steht. Dieses „Drehen“ kann man auch so verstehen, daß eine so aufgebaute Theologie mit den Augen Christi auf die Welt gucken muß, und nicht von uns her auf Christus und das Kreuz.

Als ich mich dann konkret für das Bild von Grünewald entschieden hatte, zunächst einmal weil dieses Bild von demselben Altar stammt wie die Versuchung des heiligen Antonius, die der Einbandgestaltung meiner Doktorarbeit zugrundeliegt, fielen mir noch mehr Dinge auf, die dieses Bild im Vergleich zu vielen anderen sehr passend machten:

  • Auf den meisten Bildern steht Maria zur Rechten und der Apostel Johannes zur Linken Christi. Zwar paßt das rein chronistisch betrachtet durchaus bei der Kreuzigungsszene, da Maria als die Immaculata bereits voll auf der Heilsseite, der Apostel Johannes hingegen noch mehr auf der Unheilsseite stand. Da störte mich bei vielen Bildern aber der Heiligenschein ein wenig… Johannes der Täufer hingegen paßt geistlich verstanden viel besser in dieses Schema, da er der letzte, wenn auch größte Vertreter des Alten Bundes ist, Maria und der Apostel Johannes hingegen ganz dem Neuen Bund zuzuordnen sind.
  • Auch die Bildaufschrift bei Johannes dem Täufer: „Er muß wachsen, ich aber kleiner werden“, paßt voll und ganz in dieses Schema: Der gefallene alte Mensch muß immer kleiner werden, Christus aber in ihm wachsen, damit die Neue Schöpfung sich in ihm ausdrücken kann, wie sie (Er) es in Maria und Johannes tat.
  • In diesem Sinne stellt Maria Magdalena, die sich auf anderen Darstellungen sogar an das Kreuz klammert, als „die“ Sünderin, die Vergebung und Heiligung erfahren hat, den Weg dar, wie wir von der einen auf die andere Seite kommen.
  • Last but not least steht bei Johannes dem Täufer das Lamm Gottes, das geschlachtet wurde und dessen Blut in den Kelch fließt. Womit sogar die Sakramentenlehre als unterster Punkt in „meinem“ Theologie-Kreuz Bestätigung findet. 🙂