Amt

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Mittlerweile ist mein dreisemestriger Ausflug ins Priesterseminar schon seit einem Jahrzehnt vorbei. Viele haben damals den Eindruck gewonnen, ich hätte ihn wegen des Zölibats beendet. Durchaus nachvollziehbar aufgrund zeitlicher Koinzidenzien. Tatsächlich war aber eine ganz andere Ursache maßgeblich, die mich überhaupt erst für einen anderne Lebensentwurf wieder offenwerden ließ.

Kurz zusammengefaßt: Nach einem völlig idealistischen Start habe ich mir ein Semester lang zunehmend erstaunt die Verhältnisse angesehen (die, wie ich später erfahren habe, bei uns sogar noch relativ harmlos waren), ein weiteres Semester Material gesammelt und im dritten den — wie ich heute weiß: aussichtslosen — Versuch gestartet, was zu ändern (und bevor sich ein Conblogger beschwert: natürlich war ich nicht alleine :-).

Grundübel war, daß nach außen hin Heile Welt gespielt wurde, im stillen Kämmerlein aber ein Großteil der Seminaristen über den mehr oder weniger unsinnigen Alltag meckerte (und das nicht [nur] zu Unrecht; bis heute verstehe ich nicht, warum der einzige absolut indispensable tägliche Pflichtprogrammpunkt das Mittagessen war — wegen der Ankündigungen!). Solche Heuchelei hat mich damals aufgeregt, und sie tut es heute noch viel mehr.

Dummerweise wurden wir als die Überbringer der schlechten Nachricht von der Hausleitung als das eigentliche Problem angesehen. Im Grunde wäre es ja eine berechtigte und sogar notwendige Reaktion der Leitung, denjenigen, die damit provozieren, im Seminar fielen Anspruch und Wirklichkeit fundamental auseinander, die Ohren lang zu ziehen. Das ist aber nicht passiert. Die direkten Gespräche waren von einer recht sachlichen, fast freundlichen Atmosphäre geprägt, man hat nicht wirklich Konflikte angesprochen oder gar ausgetragen, sondern viel geredet und im Grunde nichts gesagt.

Irgendwann (nach der nächsten direkten Provokation) wurden wir dann ohne viel Federlesens zum Bischof geschickt. Wow, dachte zumindest ich mir, vielleicht nimmt uns jetzt endlich mal einer ernst. Pustekuchen. Der Bischof empfing uns demonstrativ zwischen Tür und Angel (er schien sich gerade zwischen zwei Terminen umzuziehen) und wies unsere Bitte ab, ein Gespräch ohne die Hausleitung zu führen. Danach kam ein bißchen belangloses Geplänkel, dann durften wir wieder abziehen. Was uns damals mächtig enttäuscht hat. Heute habe ich (nach mehr Erfahrungen mit kirchlichen Führungsstilen und nämlichem Bischof) eine andere Deutung: Nicht uns hat er abblitzen lassen, sondern die Hausleitung, die sich nicht selbst zu helfen wußte  denn genau das hat er uns geantwortet auf die Frage, warum wir denn dann überhaupt dieses Gespräch hätten: „Weil mein Freund, der Regens, mich darum gebeten hat.“ Bei genauerer Betrachtung die schwächste aller möglichen Begründungen.

Das alles schreibe ich hier nicht so ausführlich, weil ich zehn Jahre alte Ereignisse öffentlich verarbeiten muß, sondern weil dies meine erste Konfrontation mit einem Schema war, das ich seitdem immer wieder in (nicht nur, aber vor allem) kirchlichen Kontexten erlebt habe: Leitungsversagen durch Mangel an Verantwortungsübernahme. Denn genau das ist Leitung im wesentlichen: Übernahme von Verantwortung für andere und ihr Handeln (woraus sich im Umkehrschluß Gehorsam bzw. Weisungsgebundenheit der „anderen“ ergibt). Was ich damals noch für eine ziemlich merkwürdige und eigentlich völlig unwahrscheinliche (drei von vier Angehörigen der Hausleitung waren, nunja, vorsichtig formuliert: nicht die optimalste[sic!] Besetzung), zufällige Ausahmesituation hielt, ist eher die Regel als die Ausnahme, insbesondere in der Kirche, da wir ja niemandem weh tun dürfen.

Die Ursache ist mittlerweile aber wohl weniger eine irrige ekklesiologische und/oder moraltheologische Ansicht als vielmehr das häufige Fehlen positiver Vorbilder. Selbst (oder vielleicht sogar gerade) die, die als Untergebene den Führungsstil ihrer Vorgesetzen kritisieren, reproduzieren genau diesen Stil, wenn sie in Amt und Würden kommen. Nun heißt das Peterprinzip ja nicht deshalb so, weil es ausgerechnet am Beispiel der Kirche entwickelt wurde, aber die Kirche wäre ein guter Untersuchungsgegenstand, um es empirisch zu belegen. Denn während etwa die Bundeswehr auch nicht gerade ein Hort lauter aufrechter und herausragender Führungspersönlichkeiten ist, geht die Kirche nicht gleich(!) im Gefecht unter, wenn die Unterführer taktisch ihr eigenes Ding machen, statt die Strategie des Stabes umzusetzen. Meine Pastoralprofessorin pflegte zu sagen, jedes Wirtschaftsunternehmen wäre schon lange pleitegegangen, wenn in ihm (wie in der deutschen Kirche) ersteinmal alles als völliger Bockmist abqualifiziert würde, was von der Zentrale kommt. Natürlich hinkt der Vergleich, gerade auf theologischer Ebene, aber er bringt einen Aspekt gut auf den Punkt: Kein normaler Angestellter könnte sich leisten, was im kirchlichen Dienst häufig die Regel ist.

Damit sind wir auch schon beim eigentlichen, das Problem reproduzierenden Kern, der wie dieser Post im Seminar beginnt: Woher sollen die späteren Führungskräfte wissen, wie man leitet, wenn sie nicht zu den wenigen gehören, denen es quasi angeboren ist, die Führung zu übernehmen. Wer schon im Seminar lernt, Klappe halten, nicht aufmucken, Formalia erfüllen und ansonsten das eigene Ding durchziehen, und das dann als Kaplan verinnerlicht, woher soll der dann wissen, wenn er als Pfarrer das erste Mal wirklich Leitungsverantwortung übernehmen muß, wie das gehen soll. (Ersetze wahlweise „Seminar“, „Kaplan“ und „Pfarrer“ durch „Pastroalassistentenzeit“, „Pastoralreferent“ und „Abteilungsleiter“.) Der Fisch stinkt, wenn nicht vom Kopf, so doch von der (ausgesprochen breiten) mittleren Führungsebene her.

Daß das auch in Rom nicht unbemerkt geblieben ist, zeigt sich nach meinem Eindruck übrigens in der relativ geräuschlosen Verlängerung der Dienstzeit deutscher Bischöfe zum Teil auch trotz schwerer Erkrankungen über den 75. Geburtstag hinaus (Passau, Mainz, Dresden-Meißen…), die sich weniger mit der überragenden Leistung der entsprechenden Bischöfe als mit der Herkulesaufgabe der Nachfolgeregelung erklären läßt…

Ich hatte noch einen sachlichen Artikel versprochen, und hier soll er kommen, bevor das nächste kranke Kind zu hüten ist (deutet sich schon mehr als nur an…). Und zwar will ich begründen, warum ich nicht unterschreibe, weder die Petition, noch das Memorandum. So ganz klar auf den Punkt bringen kann ich es noch nicht, aber ich hoffe, es wird ungefähr deutlich, worum es mir geht.

Das Memorandum hat mich gleichermaßen gelangweilt wie geärgert. Das einzig Spannende war die Frage, wieviele es von meinen geschätzten Lehrern unterschrieben haben (vier, was weniger als befürchtet waren; aber da ich Absolvent der anscheinend einzigen Fakultät bin, die geschlossen nicht unterschrieben hat, stammen die Unterschreiber allesamt aus meinem Freijahr, und ja, ich kann bei zumindest zweien gut nachvollziehen, warum sie unterschrieben haben, und sehe in diesen Gründen keinen Angriff auf meine Positionen, eher im Gegenteil; eine weitere Unterschrift hat mich schlicht gewundert und der vierte Professor gehört eigentlich nicht zu meinen geschätzten Lehrern…). Warum es mich geärgert hat, hat bereits Walter Kardinal Kasper auf den Punkt gebracht. Erfreulich ist, daß in den FAZ-Leserbriefen dazu nur mäßig polarisiert wurde, ja geradezu zustimmend die Überwindung der Spaltung in der Kirche (auch wenn sie teilweise an m.E. falscher Stelle gesehen wurde) gefordert wurde — und zwar von Vertretern, die erkennbar „gegnerischen“ Lagern zuzuordnen wären. Es geht aufwärts.

Auf der anderen Seite fühle ich mich den Anliegen der Petition durchaus verbunden. Auch freue ich mich darüber, hier einige Namen aus meinem näheren Umfeld wiederzufinden (und das nicht einmal hauptsächlich aus der Blogoezese). Und manche völlig undialogische Reaktion der „Memorandumseite“ hat mich fast dazu gebracht, mit zu unterschreiben. Ich habe es letztlich aber nicht getan, weil mir bei der Reflexion über mein Unbehagen bewußt geworden ist, daß ich eine Unterschrift ekklesiologisch nicht vor mir rechtfertigen könnte.

Okay, das ist jetzt ein wenig zu geglättet formuliert und klingt nach rein persönlicher Authentizität. Nein, so banal ist es nicht, ich denke tatsächlich, daß sich in dieser Unterschreiberitis (auf beiden Seiten!) ein ekklesiologischer Irrtum ausdrückt. Wovon ich rede, ist die Anwendung politischer Mittel im innerkirchlichen Diskurs (ich brauche keinen Dialog, ein vernünftiger Diskurs — will heißen: niemand spricht dem anderen das Recht ab, seine Meinung vertreten zu dürfen — würde mir schon völlig ausreichen, aber das ist — wiederum auf beiden Seiten! — keineswegs selbstverständlich).

Als ich das erste Mal gelesen habe, Politik könne als die Technik zur Machterlangung und -erhaltung verstanden werden, war ich ernsthaft entrüstet. 13 Jahre lang wurde mir eingetrichtert, in der Demokratie könne jeder gleichermaßen seine Meinung einbringen, jede Stimme sei gleich viel wert (heute weiß ich: allenfalls gleich wenig). Zugleich lernte ich den Wert rationaler Argumente zu schätzen und den Glauben daran, das beste Argument werde sich schon durchsetzen. Tja, humanistisches Jesuitengymnasium halt.

Ja, das wäre alles sehr schön, aber die Welt, sie ist nicht so. Dort geht es darum Mehrheiten zu organisieren, Abstimmungen zu gewinnen und Interessen durchzusetzen (= Parteiführung, Stimmvieh und Lobbyarbeit). Je länger ich die Politik beobachte, um so mehr bestätigt sich ihr Verständnis als besagte Technik. Im Augenblick rede ich mir noch ein, das wäre nicht immer so gewesen. Ich kenne auch noch genug Leute, die meinen, es sei immer noch nicht so (sie werden aber immer weniger). Vielleicht liegt es daran, daß ich älter werde, an Erfahrung reife und mehr Durchblick gewinne; vielleicht liegt es auch daran, daß ich mich den falschen Einflüssen (von Metal über Telepolis bis zur FAZ) aussetze. Jedenfalls ist das mittlerweile meine Überzeugung, was Politik (wirklich) ist.

Nach einem Wort unseres Papstes ist Macht (nicht Haß) das eigentliche Gegenteil von Liebe (Joseph Ratzinger: Eschatologie – Tod und ewiges Leben; Leipzig: Benno, 1981 [DDR-Lizenzausgabe], 81). In der Kirche sollte es aber um Liebe gehen, nicht um Macht, und daher soll es keine Parteiungen geben. Daher stellt sich mir die Frage, ob uns die Unterschreiberitis nicht genau das beschert und vertieft, was sie eigentlich überwinden will, nämlich die Kirchenkrise. Dabei geht es mir nicht um die öffentliche Wirkung (Katholiken sind zerstritten), die sollte uns bei der Wahrheitssuche herzlich egal sein (und das scheint sie dem Heiligen Stuhl und den meisten Bischöfen auch zu sein), und ich will auch niemanden, der unterschrieben hat, angreifen. Ich unterstelle allen Beteiligten, sowohl den Memorandern als auch den Petitionern an sich guten Willen und ernsthafte Sorge um die Kirche (wobei wir uns eigentlich nicht um die Kirche sorgen sollten, sondern um die vielen de facto Nicht-Glaubenden, die der Kirche angehören). Und ja, ich nehme auch zur Kenntnis, das insbesondere die Initiatoren der Petition genau das hier angesprochene Problem sehen und dagegen argumentieren, es ginge nicht um Mehrheiten, sondern darum, den Bischöfen ein Zeichen zu geben, es gäbe da auch noch andere Meinungen. Wenn ich aber sehe, wie de facto ständig die Zahlen verglichen werden, komme ich doch ein wenig ins Grübeln…

Jedenfalls tragen beide Unterschriftenlisten (und auch die für so viele andere Anliegen, vom Kirchenvolksbegehren bis zur Petition zu den Ausführungsbestimmungen von Summorum Pontificum) nicht dazu bei, verschiedene Standpunkte in Austausch miteinander zu bringen, sondern sie vertiefen die Parteiungen, die im eigenen Saft schmoren. So geht es nicht weiter, denn so wird nie jemand „die andere Seite“ besser zu verstehen beginnen. In der Kirche, der katholischen zumal, sollte jede Stimme zählen, egal ob sie auf breite Zustimmung stößt oder ob sie abstrus oder verzagt wirkt. Katholizität orientiert sich an der Wahrheitssuche, der Katholik sollte immer in Betracht ziehen, daß er sich auch irren könnte und niemals die volle Wahrheit erkannt haben kann, so daß er von abweichenden Erfahrungen lernen kann.

Wahrheitssuche geht eben nicht durch Organisieren von Mehrheiten, sondern durch das Zueinander von ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Gott, mit der Welt und mit anderen Menschen. Jede dieser Erfahrungen ist wichtig und sollte bei Entscheidungen berücksichtigt werden. Genau das ist das Prinzip von Synodalität, von Konzilsentscheidungen: moralischer Konsens (weitgehende Einigkeit). Synodalität setzt aber voraus, daß jeder seine Meinung sagen kann und jede Meinung auch ernstgenommen wird. Dagegen ist ein Widerspruch, durch große Zahlen und Verbandsvertretungen eine Einheitlichkeit herzustellen, bei der scheinbar abseitige Meinungen unter den Tisch fallen. Jeder Katholik hat das Recht, sich an seinen Bischof oder den Papst zu wenden. Aber er sollte es niemals gegen etwas oder jemanden machen, sondern immer für die Wahrheit — und sich der späteren Entscheidung des Hirten unterwerfen, selbst wenn sie ihm nicht passen sollte. Alles andere führt zu Entindividualisierung und Vermassung: nur noch Teil einer anonymen Masse sein.

Angesichts der ganzen Forderungen nach synodaler(en) Struktur(en), Mitbestimmung der Laien bei Pfarrer- und Bischofsernennungen usw. frage ich mich: Wenn das wirklich käme (was ich mit Sicherheit ausschließe), wann sollte ich die nötigen Sitzungen, Abstimmungen und Meinungsbildungsprozesse unterbrigen? Mit Beruf und Familie bin ich schon ganz gut ausgelastet, daneben bin ich ja nicht nur in der Kirche ehrenamtlich aktiv. Manchmal fehlt mir schon die Zeit für die Blogoezese, und dafür brauche ich ja nur Internetanschluß, bin also zur Teilnahme nicht auf körperliche Anwesenheit zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort festgelegt.

Bei den Gemeindeabenden zur Zusammenlegung der hiesigen Innenstadtpfarreien zu einer einzigen wunderten sich jedesmal die Anwesenden über ihr Durchschnittsalter. Wo denn die ganzen jungen Leute seien? Die müßten doch das größte Interesse haben?

Nunja, warum war meine Frau wohl ohne mich dort? Und warum ich ohne sie beim „Ehrenamtlichenempfang“? — Tja, insbesondere Abendtermine bergen für Familien doch die eine oder andere Schwierigkeit. Entweder kann nur einer von uns oder wir brauchen einen Babysitter. Nun sind aber unsere üblichen Babysitter allesamt katholisch, ob es die Paten unserer Kinder oder „Leihomas und -opas“ sind. Ganz davon abgesehen, daß Mutterglück bekanntlich das ist, was eine Mutter empfindet, wenn alle Kinder schlafen (mir als Vater geht es da durchaus ähnlich :-), denn dann hat man endlich auch mal Zeit füreinander und für all die Dinge, die nur in Ruhe auszudiskutieren sind. Oder anders gesagt: Wir würden uns eine „Demokratisierung“ in der Kirche zeitlich kaum leisten können.

Zum letzten Post bzw. Pater Biegers Kritik daran, daß wir[tm] mit Papst und Bischöfen ja immer einen Schuldigen haben (selbst wenn die gar nichts mit dem eigentlichen Problem zu tun haben), fällt mir noch was ein, was ein Theologiprofessor letztens sagte, als er nach den Beteiligungsmöglichkeiten von Laien in der Kirchenführung gefragt wurde. Sinngemäß: Faktisch säßen die Laien doch längst in den Entscheidungspositionen, aber die Verantwortung für die Folgen ihrer Entscheidungen delegierten sie an die Hierarchie. Beteiligung sei also doch überhaupt nicht das Problem, sondern daß „die“ Laien keine echte Verantwortung übernehmen wollten.

…sei angemerkt, daß es bei Daniel Deckers wieder eingehakt hat. Über die Entscheidung der Kirche von England, Frauen als Bischöfe zuzulassen, schreibt er heute:

„Viele Kirchen des Südens halten das Wohlwollen der Episkopal Church in den Vereinigten Staaten und der Church of England gegenüber Homosexuellen und Frauen im Bischofsamt für eine neue Spielart des weißen Imperialismus. Nicht nur die Schrift und die Tradition haben sie auf ihrer Seite, sondern auch die Demographie. Wenn die Anglikanische Kirche dieses Jahrhundert überlebt, dann nicht als ‚weiße‘ Kirche.“

Wenn das so weitergeht, wird aus meinem Blog noch ein Deckers-Watch-Blog. Diesmal (Samstagsausgabe, S. 8) ist es zwar „nur“ ein auch als solcher gekennzeichneter Kommentar zur Rehabilitierung von Abt und Prior des Klosters Ettal:

„Jetzt haben wir es gewissermaßen amtlich: Was immer in der Benediktinerabtei Ettal vor einigen Jahren zwischen einem Pater und einem Schüler vorgefallen ist, war nie von der Art, daß es dem Mißbrauchsbeauftragten des Erzbistums München hätte zu Ohren kommen müssen. Das kann man glauben, muß es aber auch nicht.“

Die Begründung lautet: Was hätte auch anderes herauskommen sollen, wenn man einen Benediktiner andere Benediktiner überprüfen läßt. Zudem fehle jegliche Begründung für das Urteil.

„Unabhängig voneinander sprechen beide Indizien dafür, daß maßgebliche Kräfte in der katholischen Kirche noch immer nicht begriffen haben, daß ihre Form der ‚Aufklärung‘ jedem auch noch so absurden Zweifel an der Integrität der Institution und der sie repräsentierenden Personen Vorschub leistet.“

Ganz davon abgesehen, daß eine solche „Prophetie“ sich selbst erfüllt, weil sie selbst genau diese absurden Zweifel fördert, zeigt der glücklicherweise nicht von Deckers stammende Artikel auf Seite vier etwas mehr sachliche Substanz. Hier nochmal die Zusammenfassung: Es geht in der Rehabilitierung ausschließlich um die Meldepflicht eines einzigen Falles aus dem Jahr 2005. Der betreffende Pater wurde vorsichtshalber versetzt (sowohl an einen anderen Ort, was bei der benediktinischen stabilitas loci schon ein gewisses Zeichen darstellt, als auch zunächst in den Verwaltungsdienst), obwohl in einem Gutachten bescheinigt wurde, daß das vorgefallene Streicheln keinerlei Anhaltspunkte für sexuellen Mißbrauch oder Pädophilie aufweise, auch wenn es bei einem „bäuchlings auf dem Bett“ liegenden Schüler „unter dem T-Shirt“ erfolgte. Gut, ich war nicht dabei, Daniel Deckers allerdings auch nicht. Da die Patres in einem Internat durchaus die Elternrolle miterfüllen müssen, sehe ich als Vater von vier Kindern hier allerdings auch keinerlei Anhaltspunkte für sexuellen Mißbrauch oder Pädophilie — es sei denn, wir leben bereits unter einer Diktatur der Verdachtshermeneutik, in der jeder noch so absurde Verdacht widerlegt werden müßte. Zum Glück gilt bei uns selbst in solchen Fällen immer noch in dubio pro reo.

Ich frage mich allerdings, woran Deckers hier bewußt oder unbewußt arbeitet. Implizit bedeutet sein Kommentar doch, daß die Kirche nicht selbst Vorfälle untersuchen dürfe. Wäre die Visitation nicht durch Benediktiner sondern durch Franziskaner oder auch Weltpriester erfolgt, hätte Deckers vermutlich sinngemäß geschrieben: Was kann man schon erwarten von einer Vistiation ausgerechnet durch Angehörige einer anderen Odensgemeinschaft bzw. der beschuldigten Kirche. Oder anders gefragt: Gilt für Deckers nicht, daß die Kirche — unbeschadet des jedem Bürger zukommenden Rechtes, die staatlichen Stellen einzuschalten, wenn er von einer mutmaßlichen Straftat erfährt — das Recht hat, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln? Denn genau darum geht es doch bei dem hier in Frage stehenden Fall: Wurden die (nur) innerkirchlich geltenden Regeln befolgt oder verletzt?

Das heißt natürlich nicht, daß hier roma locuta, causa finita gelten muß (obwohl Deckers selbst das vor kurzm im Falle Bischof Mixas gefordert hat; aber das gilt vermutlich nur, wenn Rom in seinem Sinn entscheidet). Natürlich kann man beklagen, daß der Visitationsbericht nicht öffentlich zugänglich ist. Allerdings sollte man schon ein paar sachliche Indizien dafür haben, daß hier etwas verschwiegen oder vertuscht wird, und nicht nur die vage Ahnung, daß Benediktiner anderen Benediktinern kein Auge auskratzen würden. Daß Katholiken dazu auch ohne klaren Grund fähig sind, ist jedenfalls offensichtlich. Aber dieser Blogeintrag stammt natürlich auch von jemandem, der vermutlich „noch immer nicht begriffen“ hat, daß seine Vorstellung von Gerechtigkeit „jedem auch noch so absurden Zweifel an der Integrität der Institution und der sie repräsentierenden Personen Vorschub leistet“. Herrliches Totschlagargument!

Daß es bei Daniel Deckers ab und zu einmal aushakt, dessen bin ich mir ja bewußt, und damit lebe ich schon das eine oder andere Jahr. Neu ist allerdings, daß „es“ jetzt nicht mehr wieder einhakt. Heute hat es mir bei der FAZ-Lektüre glatt die Sprache verschlagen, als ich die Vorstellung Bischof Zdarsas durch Daniel Deckers las:

„Daß zwischen der Annahme des Amtsverzichts [Bischof Mixas] Mitte Mai und der Ernennung eines Nachfolgers nicht einmal zwei Monate vergingen, sagt indes mehr über die dramatische Lage in dem von [Bischof] Mixa seit 2005 geleiteten Bistum aus als über die Qualifikation des neuen Bischofs. Bis auf wenige Jahre, die Zdarsa zur Promotion im Fach Kirchenrecht in Rom verbrachte, war er stets in der recht überschaubaren Welt des ostdeutschen Diaspora-Katholizismus beheimatet, ohne darin durch überdurchschnittliche Gaben etwa als Seelsorger oder Intellektueller aufzufallen. Allerdings stellte sich auf der Suche nach einem Nachfolger [Bischof] Mixas bald heraus, daß Zdarsa dser Einzige sei, der dem wichtigsten aller Erfordernisse genügen könne: Verfügbarkeit.“

Aha. Konrad Zdarsa ist also nur Bischof geworden, weil er nichts anderes konnte; wahrscheinlich war schon seine Berufung zum Generalvikar nur dem Schutz des Pastoralviehs geschuldet. Zum Bischof eines schwierigen Bistums wählt Papst Benedikt auch lieber einen unfähigen Nichtstuer aus, der zufälligerweise gerade abkömmlich ist, anstatt einen in schwieriger Situation bewährten Bischof, dem er zutraut, ruhig, aber beharrlich die tiefen Gräben im Bistum zu überwinden. Priester und Bischof in einer Gegend zu sein, wo nur selten mehr als 5% der Bevölkerung katholisch sind, ist nicht mehr als ein Kindergeburtstag. Überhaupt ist ja die „überschaubare Welt“ des katholischen Ostens der Traum eines jeden deutschen Katholiken, weil es sich dort ja so beruhigt unhinterfragt katholisch sein läßt. Deshalb ja auch der westdeutsch-katholisch Exodus ins Stammland der Reformation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Meine Güte! Ich weiß ja nicht, was Deckers so raucht, aber er sollte es reduzieren. Jedenfalls tut er sich und der FAZ damit keinen Gefallen. Bischof Zdarsa und die Kirche wird es wohl gerade so überstehen.

Leider gibt es den Song, der mir jetzt schon den halben Tag im Kopf rumschwirrt, nicht in der Carnivore’schen Originalversion im Netz (jedenfalls nicht legalerweise). Dafür brauche ich mir halt keinen tollen Postingtitel auszudenken.