Ästhetik

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Phil hat mich durch einen Kommentar (indirekt) auf Folgendes gestoßen:

Als ich den Titel „Death to the World“ gelesen habe, dachte ich ja zuerst, wie kann man aus einem Kloster ein Death Metal-Zine machen. Pustekuchen. Wobei die ästhetische Nähe ja durchaus frappierend ist (und gleich ein ganzes Bündel meiner Vermutungen stützt). Abgefahren.

An anderer Stelle gab ich ja schonmal preis, daß die Kartäuser eine gewisse Faszination auf mich ausüben. Nun habe ich über ein paar Umwege mal wieder was von einem früheren Kommilitonen und Bruder im Geiste (oder zumindest in der Haarlänge) gehört. Ich wußte von ihm, daß er schon damals[tm] mal Kontakt zu einem „harten“ Orden aufgenommen hatte, bei dem man, wie es ein anderer Kommilitone ausdrückte, „den ganzen Tag vor dem Allerheiligsten liegt“ (auch eine faszinierende Vorstellung). Damals hat ihn wohl abgeschreckt, daß er sich von seinen Haaren trennen sollte (wiederum eine Schreckensvision, die ich bisher nur mit der Bundeswehr in Verbindung gebracht habe). Jetzt habe ich gehört, daß er tatsächlich eingetreten ist. Wo? Natürlich: Bei den Kartäusern.

Gestern war mein erster Marsch für das Leben. Meine Gedanken sind irgendwie noch reichlich ungeordnet, aber für unausgereifte Gedanken ist ein Blog ja auch da.

Erfreulicherweise war ich nicht der einzige, der irgendwie potentiell nach Gegendemonstrant aussah. Und auch nicht der einzige, der „spot the abortionist“ spielte. Damit habe ich allerdings aufgehört, nachdem sich eine potentielle Gegendemonstrantin als Trägerin eines Jesus-T-Shirts entpuppte. Meine Güte, selbst in meinem Kopf solche Scheren…

Andererseits war ja tatsächlich schon vor Beginn der Veranstaltung zu erkennen, dass da eine ganze Reihe von Personen vor der Bühne standen, die sicherlich nicht für das Leben marschieren wollten. (Wie blöd ist das eigentlich, eine Demo gegen eine Demo „für das Leben“ zu machen? Macht das nicht automatisch aus der Gegendemo eine Demo gegen das Leben???) Und plötzlich fühlte ich mich sehr unwohl in meiner Haut und ließ mein dem Anlaß entsprechendes T-Shirt wegen der möglichen Mißverständnisse besser unter der Regenjacke versteckt. (Interessanterweise ist das mein einziges Metal-Shirt, das überhaupt — dafür aber regelmäßig — erkennbare Reaktionen hervorruft.) Um ein Kreuz habe ich mich dann gar nicht mehr ernsthaft bemüht, zumal es an der Stelle, an der ich stand, eh aus mir völlig unklaren Gründen nicht vorwärtsging.

Durch die Berichte über die letztjährigen Vorfälle (die neben einer glücklichen Fügung der Grund sind, daß ich mich endlich mal nach Berlin aufmachte) war ich vorgewarnt, was passieren könnte, und ehrlichgesagt: Ich fand die Störer im großen und ganzen harmlos. Nicht nett, nicht demokratisch, aber auf kurze Sicht jedenfalls harmlos. Solange die einzeln und nicht im Pulk auftraten, waren die sogar höflich und man konnte mit ihnen ruhig reden. Dass hier eine der Seiten grundsätzlich ihre Meinung änderte, war ja nicht zu erwarten, aber wer weiß, wofür’s gut ist.

Trotzdem, was da einige an Tönen von sich gaben, kenne ich sonst nur von CD (oder live). Und in diesem musikalischen Rahmen ist das in der Regel Ausdruck von verzweifelter Wut. Mit Betonung auf „verzweifelt“. Vielleicht sollte man sich diesen Leuten tatsächlich mit einer sehr pastoralen Grundhaltung nähern. Diese autoritären Ermahnungen, zu denen sich ein paar ältere Damen und Herren in meiner Umgebung hingezogen fühlten, und erst recht die Verhöhnung, die allerdings nur ein einziger älterer Herr für nötig hielt (Reaktion des Gegendemonstranten: „Was soll das denn? Sie machen doch so denselben Scheiß wie wir!“), sind völlig deplaziert. Die wollen stören, und jede Reaktion, die ihnen zeigt, daß sie stören, bestätigt sie bloß.

Eigentlich wäre also völliges Ignorieren der beste Umgang mit ihnen. Andererseits machen die es einem ja auch so schwer wie möglich, sie zu ignorieren. Wenn deren Sprechchöre direkt neben mir ertönten, kam ich jedenfalls nicht mal fehlerlos durchs Vater Unser. Apropos: Der schmerzreiche Rosenkranz hatte plötzlich irgendwie historisierende Begleitphänomene… In den Nebenstraßen kam plötzlich so etwas wie Ruhe auf, durch die der ganze Zug eine ganz andere, nicht minder erschütternde Atmosphäre bekam. An der Hedwigskathedrale erschien mir der Geräuschpegel dann plötzlich höher als je zuvor.

Ich verstehe zwar nicht, warum der Marsch für das Leben dazu führt, daß da Leute gegen Homophobie, christlichen Fundamentalismus und Patriarchat demonstrieren müssen — aber klar ist: da hat jemand Angst um sein Weltbild. Mit anderen Worten: Die nehmen uns ernst. Im Gegensatz zu den Medien.

Dennoch, in einer Hinsicht sind diese Gegendemonstranten nicht harmlos. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was in den Köpfen der Kinder vorgeht. Mit meinen Kindern bin ich auf dem Bahnhof mal in eine Horde Fußballfans geraten, und meine Kinder haben sich im wahrsten Sinne des Wortes vor Angst in die Hose gemacht. Mit Familie zum Marsch für das Leben… ich weiß nicht, mit meinen Kindern traue ich mich das wohl nicht.

Zum Abschluß noch ein Fundstück: Hier habe ich tatsächlich ein Bild gefunden, auf dem ich zu sehen bin, oder zumindest mein Rucksack mit dem blauen Regenschutz :-):

So, wo ich mit Narnia schon meine White Metal-Top 3 geposted habe, will ich auch noch Top 2 nachschieben: Horde — Hellig Usvart. Eigentlich ist das gar kein White Metal, sondern „Unblack Metal“. Wer vom frühen norwegischen Black Metal keine Ahnung hat, wird vermutlich nicht verstehen, was das — ich erlaube mir an dieser Stelle mal Fäkalsprache — Endgeile an dieser Scheibe ist.

Von der Ästhetik, der Musik uns selbst den Texten her ist das Black Metal in Vollendung — nur mit anti-anti-christlichen Texten. Boah, was haben die Norweger gekotzt! Jayson Sherlock, der Horde im Alleingang gemacht hat (damals Drummer bei Mortification), bekam sogar Morddrohungen (das nenne ich Zeugnis in Bezug auf Metal 😉 — ganz doof war er allerdings auch nicht und hat als das für Black Metal nötige Pseudonym gleich „Anonymous“ gewählt — allerdings auch schon wieder eine Anspielung auf Euronymous, den „Übervater“ der norwegischen Black Metal-Szene).

Wer sich nicht ganz so ernst nahm wie die Norweger, konnte allerdings damals schon Respekt für die Provokation empfinden. Mittlerweile sind auch die Norweger wieder ruhiger geworden, und 2006 konnte Horde in Oslo ihren ersten und wohl auch einzigen Live-Auftritt hinlegen. Um das Anti-anti-christliche an Horde deutlich zu machen (was nach Black Metal-Maßstäben bei Songtiteln wie „Drink from the Chalice of Blood“, „A Church Bell Tolls Amidst the Frozen Nordic Winds“, „Behold, the Rising of the Scarlet Moon“, „An Abandoned Grave Bathes Softly in the Falling Moonlight“ und „The Day of Total Armageddon Holocaust“ nicht unbedingt auf den ersten Blick ersichtlich ist), gibt’s „Invert the Inverted Cross“:

Weitere Songtitel, über die ich mich fast nicht einkriegen kann: „Blasphemous Abomination of the Satanic Pentagram“, „Release and Clothe the Virgin Sacrifice“, „Silence the Blasphemous Chanting“, „Crush the Bloodied Horns of the Goat“, „Weak, Feeble, Dying Anti-Christ“. Davon müßte es noch viiiiiel mehr geben.

…um zu beweisen, daß ich kein Konvertit bin:

Anmerkung: Der Beitrag ist eigentlich nicht so abstrus, wie mein Label es behauptet. Er zeigt vielmehr, daß tatsächlich die dem Text angemessene/entsprechende Musik das Problem ist, wenn ein solcher Text als „Lounge Music“ problemlos übers landesweite Fernsehen geht und die Leute sogar noch drüber lachen… Aber es gibt ja keine Heuchelei und Verdrängung des Bösen in der Gesellschaft…

…buddelt irgendwer irgendwelche uralten Thesen aus und verkauft sie als Nachricht. Wer Lust hat auf Atheistenbekehrung, kann ja mal hier kommentieren: „Jesus starb vermutlich nicht am Kreuz“ — Witzigerweise ist das Ergebnis überhaupt keine Nachricht wert, denn es heißt lediglich, die Kruzifixdarstellungen dürften nicht die historische Realität wiedergeben: Das Kreuz war kein +, sondern ein T. Daran, daß Jesus am Kreuz gestorben ist, ändert doch die Form des Kreuzes und die Art der „Befestigung“ nichts…

Einen schönen Kommentar gibt es schon:

„Gefährliches Halbwissen im Zusammenhang mit selbst zusammengebasteltem Christentum führt unweigerlich zu einer Vielzahl von Problemen.“

Am späten Abend stieß ich in der gestrigen FAZ auf einen wunderbaren Artikel auf der allerletzten Seite der Reiseblattbeilage, den ich nur empfehlen kann. (Leider gibt es ihn nicht online, bzw. nur im FAZ-Archiv: Petra Putz: „Ich bin neunzig! Das ist mein Geburtstagsgeschenk“; FAZ, 6. Mai 2010, S. R10.)

Petra Putz berichtet hier mit viel Witz, vor allem aber Einfühlungsvermögung und Liebe, von der Fahrt zu den Passionsspielen im Jahr 2000 als Begleiterin ihrer damals 90jährigen Großmutter. Die äußeren Umstände — lauter Langhaarige, Regen, Matsch, Lehm –, die ihr den Zugang über die eigene Erfahrung (Rockfestivals) ermöglichten, vor allem aber die geradezu jugendliche Begeisterung ihrer Oma („Meine Oma neben mir sah die Helden ihrer Jugend. Mit geradem Rücken verfolgte sie jede Geste, jedes Wort auf der Bühne. […] Hellwach entging ihr kein Detail der ‚Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu‘, die sie offenbar so gut kannte wie bekennende Dylanologen die Setliste aller Konzerte der letzten drei Jahrzehnte.“), hat ihre Einstellung zu Oberammergau und mutatis mutandis auch zur Bibel verändert. Der Bericht schließt:

„Meine Oma ist vor zwei Jahren gestorben. Mit 98 Jahren. Nicht weil sie krank war, sondern weil sie nicht mehr leben wollte und die Sehnsucht nach ihren Helden zu groß geworden war. Wenn ich das nächste Mal zur Passion fahre, werde ich vorher ausgiebig die Bibel studieren. Seit Oberammergau weiß ich, dass jedes Festival Spaß machen kann — man muss nur mit eingefleischten Fans hinfahren und die Texte kennen.“

Wer es irgendwie hinkriegt, diesen Artikel in die Finger zu bekommen: unbedingt lesen! Es lohnt sich.

Lieber Stanislaus,

damit es auch richtig wehtut: St. Maria Friedenskönigin war im Krieg nicht zerstört und nur kaum beschädigt worden; Hochaltar, Seitenaltäre und zwölf Buntglasfenster wurden erst bei der „Verpressung“ entfernt — und bis auf ein Fenster alles weggeschmissen. In der ursprünglichen Preß-Variante war „St. Stachel“ unten auch noch grau gestrichen.

Zum Kreuz gibt’s übrigens noch ein Anekdötchen: Einer der Bauarbeiter soll zu den Kulleraugen gesagt haben: Das sieht ja aus wie Titten. Worauf dann Friedrich Preß kurzerhand nochmal aufs Gerüst gestiegen ist, und die Vertiefungen größer gemacht haben soll…