Gerhard Ludwig Müller

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In meiner theologischen „Laufbahn“ gab es ab und zu mal „Aha-Erlebnisse“. Momente, in denen ich plötzlich etwas begriffen habe, was vorher gar nicht mal als Frage dastand. Eines dieser Erlebnisse verdanke ich Thomas von Aquins Trinitätstheologie, bei der mir klar wurde, was ein Gott in drei Personen in der Spitze eigentlich meint, nämlich daß die Einheit gerade in der Dreiheit besteht und es gerade keine Einheit ohne die Dreiheit gibt, weil die Beziehungen zwischen den göttlichen Personen gerade das Wesen Gottes ausmachen.

Ein weiteres hat mit der katholischen Dogmatik von Müller zu tun und betrifft die Christologie. Mir war schon klar, daß es gar nicht anders sein kann, als daß Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich war ist (und das ungetrennt und unvermischt usw.). Denn, um es mal mit Sherlock Holmes zu sagen: Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muß das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag.

Postitiv zu verstehen, dachte ich, gibt es da aber nichts. Allenfalls die Denkmöglichkeit aufweisen (wie eben bei der Trinität). Wie aber bei Thomas von Aquin in der Trinitätslehre sagte es gegen Ende der Christologie von Müller „klick“ – und das wohl gerade aufgrund des kritisierten Ansatzes, aus der Heilsgeschichte unmittelbar auf die Seinsordnung zu schließen.

Der erste Schritt betraf die Seele Christi. Natürlich war mit klar, daß mit „Seele“ in der Antike was anderes (forma corporis) gemeint war als heute (Aktzentrum). Trotzdem, erst als bei Müller nochmal ausdrücklich stand, daß die zweite göttliche Person nicht die Stelle der Seele im Menschen Jesus einnahm, weder im antiken noch im modernen Sinne von Seele, wurde mir klar, daß ich genau diese unbewußte Vorstellung hatte. Womit im ersten Schritt erstmal die Frage aufgeworfen wurde, die ich mir bewußt nie gestellt hatte: Welche Stelle denn dann?

Der zweite Schritt war komplizierter, und er stand auch nicht ausdrücklich bei Müller drin. Ich glaube, je länger ich drüber nachdenke, war das entscheidende „Klick“ auch gar nicht in der Christologie, sondern in der Gnadenlehre, wo ich dann eins und eins zusammengezählt habe.

Das erste „eins“ war: Eigentlich bleibt doch dann gar nichts mehr übrig, wo die zweite göttliche Person im Menschen Jesus „verankert“ sein kann. Aber sie einfach „drüber“ zu packen, geht auch nicht, denn dann wäre ja wieder der menschliche Wille Jesu auf göttliches Geheiß ausgehebelt. Soweit meine Fragestellung am Ende der Christologie.

Das zweite „eins“ war: Es gibt im Menschen noch einen „Ort“, den ich völlig übersehen hatte, nämlich die göttliche Gnade. Und von der heißt es ja gerade, daß sie den Menschen erst wirklich frei macht, so daß er sich frei für das Gute entscheiden kann, ohne von ihr dazu gezwungen zu werden.

Peng! Genau diesen „Ort“ muß die zweite göttliche Person in Jesus Christus wesenhaft eingenommen haben, also im Unterschied zum „normalen“ Menschen, der der Gnade durch die Sünde verlustig gehen kann, in einer unverlierbaren Weise.

Dieser „Ort“ ergibt dann auch plötzlich Sinn mit „unvermischt und ungetrennt“: Die Gnade ist zwar unterschieden von mir, und zwar so, daß sie sich nicht mit mir vermischt, aber sie ist, zumindest solange ich im Stand der Gnade bin, auch nicht getrennt von mir, also mir rein äußerlich. Boah. Und plötzlich hatte ich eine Art analogia entis für die zwei Naturen Christi…

(Anmerkung: Natürlich ist dieser Vergleich wie alle Analogien, was Gott angeht, sehr begrenzt. Mir hat’s aber wirklich geholfen.)