Glaube und Vernunft

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Das Schlimmste am Bösen ist seine völlige Sinnlosigkeit.

Der Geiselnehmer, Mörder und Selbstmörder von Karlsruhe wollte die Zwangsräumung der Wohnung seiner Lebensgefährtin verhindern. Ein grundsätzlich erst mal nachvollziehbares Motiv, das seinen Sinn aber gerade daraus bezieht, daß die Lebensgefährtin weiter in der Wohnung leben kann. Jetzt ist sie tot. Weil ihr Lebensgefährte ihr die Wohnung erhalten wollte. Weil er sie getötet hat. Und den neuen Wohnungseigentümer. Und den Gerichtsvollzieher und einen Schlüsseldienstmitarbeiter. Und sich selbst. Vom Leid der Hinterbliebenen, den Frauen, den Kindern, eines noch ungeboren, ganz zu schweigen.

Die Geiselnahme war von Anfang an ein untaugliches Mittel, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Das hätte der Geiselnehmer nicht nur wissen können, er hätte es wissen müssen. Doch wenn es ihm bewußt war, was bleibt dann als Motiv? Rache? An wem? Wofür? Jedenfalls muß ihm klar gewesen sein, daß er damit nicht durchkommt, nie durchkommen konnte. Daß es keinen Ausweg aus der Situation gibt. Außer die Schuld einzugestehen und sich dem Gericht auszuliefern. Oder sich dem irdischen Gericht zu entziehen. Und so alles noch schlimmer zu machen.

Fünf Tote. Wegen einer Wohnung. Und (vermutlich) einer insgesamt wenig befriedigenden Lebenssituation. Ein verzweifeltes Leben reißt vier andere mit in den Tod. Völlig sinnlos. Nichts erreicht. Außer Fassungslosigkeit. Und „15 minutes of fame“. Der Täter hat keinerlei Vorteil durch seine Tat. Im Gegenteil. Und er hätte es wissen müssen. Trotzdem hat er es getan.

Das Böse hat eine irritierende, rational nicht erklärbare Macht in der Welt. Eine Macht, die verführt, die täuscht, auch über sich selbst, der leicht zu widerstehen wäre, wenn man sie als das erkennte, was sie ist. Aber die Verführung, die Täuschung besteht darin, das böse Tun als etwas Gutes oder als zu etwas Gutem (und sei es nur der eigene Vorteil) Führenden erscheinen zu lassen. Obwohl das rational betrachtet überhaupt nicht nachvollziehbar ist.

Eine Macht, die als eigenständig handelnd, als planvoll vorgehend erscheint. Die mehr ist als die Macht der Sünde, als ein sich selbst verstärkender Mechanismus, der das (eigentliche) Gut nicht mehr erkennen läßt und alles dem Eigennutz unterordnet. Die in (scheinbarer) Freiheit den zerstört, der ihr in (scheinbarer?) Freiheit erliegt.

Der christliche Glaube versteht diese Machtt als personal und nennt sie den Verführer, den Verwirrer, den Durcheinanderwerfer, den Mörder von Anfang an, der eben gerade in seiner Freiheit seine Freiheit zugrundegerichtet hat. Der Glaube reißt dem Bösen die Masken herunter und nennt ihn das, was er ist.

Und zeigt den Ausweg auf, selbst in der extremsten Situation: Annahme der Schuld, Buße, Umkehr. Und Vertrauen auf die Liebe, Allmacht und Barmherzigkeit Gottes, die aus dem Zerstörten etwas Neues, sogar Besseres entstehen lassen kann. Vor allem aber das Schlimmste verhindert. Wenn man Ihn läßt.

Das ist im Kern nicht einmal eine andere Antwort als die reine Vernunft zu erkennen in der Lage ist. Aber die Menschheitsgeschichte zeigt immer wieder, daß der Mensch nicht rein vernünftig ist, geschweigedenn handelt.

Betet für die Opfer, auch die Hinterbliebenen! Und wer es kann, auch für den Täter.

Auf der Bloggertagung kam kurz vor dem Mittagessen via Twitter die Frage nach der Letzbegründung der Moral auf: Geht das ohne Gott oder nicht? Die Frage läßt sich kaum angemessen in 140 Zeichen klären (und auch nicht in einem Blogpost), denn beide Extrempositionen (ja und nein) haben ihre Berechtigung und ihre Begrenzung.

Zunächst einmal beansprucht gerade die kirchliche Tradition des Naturrechts eine Zugänglichkeit ihrer Morallehre ohne explizit christlichen Gottesglauben. Vielmehr sei jeder Mensch guten Willens in der Lage, mit Hilfe seines Gewissens und seiner Vernunft zu denselben Einsichten wie die katholische Morallehre zu kommen (bei der Dogmatik ist das etwas anders, das Wesen Gottes ist nur durch Seine Offenbarung zu erkennen).

Andererseits ist dieser Schluß nicht umkehrbar: Man kann zwar aus reinen Vernunftgründen zu derselben Moralanschauung kommen wie die Katholische Kirche, aber man muß es nicht. Denn auch wenn die Kirche beansprucht, daß ihre Morallehre der Vernunft einsichtig ist, sagt sie nicht, daß dies ohne Gott ginge. Vielmehr besagt sie (in einem für heutige Ohren ziemlich steilen Anspruch), daß der Schöpfer klar aus der Schöpfung heraus auch für den Nicht-Christen erkennbar sei:

Dieselbe heilige Mutter Kirche hält fest an der Lehre: der Mensch kann Gott, den Ursprung und das Endziel aller Dinge, durch das natürliche Licht seiner Vernunft aus den geschaffenen Dingen mit Gewissheit erkennen.
(Dei Filius, 11, bestätigt in Dei Verbum, 6 und Fides et Ratio, 8 u.ö.)

Das Grundproblem der diesen Post auslösenden Frage ist also ihre Voraussetzung: Welche Moral? Jeder naturrechtliche Ansatz wird der katholischen Moral relativ nahe kommen – sofern er Naturrecht nicht in einem empirischen Sinne mißversteht und aus den vorfindlichen Verhaltensweisen unmittelbar auf ihre moralische Richtigkeit, also vom So-Sein auf das So-Sein-Sollen schließt; dat nennen wir einen naturalistischen Fehlschluß. Die Deontologie (Pflichtethik) liegt noch vergleichsweise nahe – kommt aber auch nicht ganz ohne Gott als Letztbegründung aus, bei Kant hängt die gesamte praktische Moralphilosophie an seinem moralischen Gottesbeweis: die Vernunft muß Gott annehmen, sonst ergibt die Moral keinen Sinn (was man natürlich als Zirkelschluß kritisieren könnte, da ja das ganze Projekt „Moral“ nur Sinn ergibt, wenn Gott es ihm gibt, also muß es Gott geben, weil ja sonst die Moral sinnlos wäre; aber warum muß Moral überhaupt sinnvoll sein?).

Die Diskursethik braucht – als reines Verfahrensmodell ohne inhaltliche Festlegung über die Regeln des Diskurses hinaus – Gott natürlich nicht, denn hier muß nichts letztbegründet werden – die Diskursregeln haben allerdings, wenn man es böse formulieren möchte, ersatzgöttliche Qualität, sachlicher gesagt sind es systemnotwendige Axiome. Im Utilitarismus braucht es ebenfalls keinen Gott, weil er den größten Nutzen (in einigen Variationen: den größten Nutzen der größten Zahl) als höchstes Gut annimmt, also axiomatisch setzt.

Es gibt also keine ethische Letztbegründung, die keine weiteren Voraussetzungen macht. Dabei ist der Rekurs auf Gott noch vergleichsweise harmlos: Da Er außerhalb des von der menschlichen Vernunft geschaffenen Denksystems steht, entscheidet sich die Berechtigung des Rückgriffs auf Gott (uarghs, der Theologe in mir kriegt gerade das Kotzen, so kann man eigentlich nicht theologisch über Ihn reden; naja, erklären wir diesen Post mal zu theologischer Ethik – ach Mist, das steckt immer noch Theologie drin) in der Beantwortung der Frage nach seiner Existenz – und diese Antwort ist der Vernunft zugänglich. Die Voraussetzungen der Diskursethik und des Utilitarismus sind hingegen eher emotional zu begründen, haben (in meinen Augen) etwas von Münchhausen, der sich selbst aus dem Sumpf zieht. Natürlich wird das jeder Atheist auch von naturrechtlichen Argumentationen behaupten. Aber selbst wenn die Frage nach der Existenz Gottes unbeantwortet bleibt, stehen die Ansätze ohne Gott argumentativ nicht besser da.

So, jetzt habe ich viel geschrieben und hin- und herüberlegt. Je länger ich aber drüber nachdenke, umso mehr scheint mir: Ich bin am eigentlichen Knackpunkt der Frage vorbeigeschrammt. Beide eingangs genannten Ansichten haben ihre Berechtigung und ihren treffenden Punkt, die eine vor, die andere in der Diskussion mit Andersdenkenden.

Bevor wir uns in die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden begeben, müssen wir für uns klar haben, welche Morallehre wir vertreten und wie wir sie (mit unseren Voraussetzungen) begründen. Und das geht für einen Christen tatsächlich nicht ohne Gott. Denn die Pointe des christlichen Glaubens im Umgang mit gut und böse ist gerade der „hermeneutische Umweg“ (Dalferth) über Gott: Gut und böse bestimmen sich im christlichen Glauben, und damit letztlich auch in der christlichen Morallehre, von Gott her, der das summum bonum, das Höchste Gut ist. Gut handeln wir, wenn wir dabei dem Willen Gottes entsprechen, böses Handeln ist widergöttliches Handeln.

Wenn wir in die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden treten, dann können wir unseren Glauben nicht einfach voraussetzen. Und da es nach katholischer Auffassung nun einmal so ist, daß Glaube und Vernunft sich nicht widersprechen, nicht widersprechen können (siehe Dei Filius, 25), können wir unsere Positionen auch Nicht- oder Anders-Glaubenden unter Absehung von der Offenbarung erklären und begründen. Ob diese aber unsere Vernunftbegründung teilen, hängt dann doch wieder von ihren (meinst unthematisierten) Voraussetzungen ab.

So, isch ‚abe fertig und gebe ab an die Moralphilosophie. JoBo, bitte übernehmen Sie!