Theologie

In meiner theologischen „Laufbahn“ gab es ab und zu mal „Aha-Erlebnisse“. Momente, in denen ich plötzlich etwas begriffen habe, was vorher gar nicht mal als Frage dastand. Eines dieser Erlebnisse verdanke ich Thomas von Aquins Trinitätstheologie, bei der mir klar wurde, was ein Gott in drei Personen in der Spitze eigentlich meint, nämlich daß die Einheit gerade in der Dreiheit besteht und es gerade keine Einheit ohne die Dreiheit gibt, weil die Beziehungen zwischen den göttlichen Personen gerade das Wesen Gottes ausmachen.

Ein weiteres hat mit der katholischen Dogmatik von Müller zu tun und betrifft die Christologie. Mir war schon klar, daß es gar nicht anders sein kann, als daß Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich war ist (und das ungetrennt und unvermischt usw.). Denn, um es mal mit Sherlock Holmes zu sagen: Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muß das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag.

Postitiv zu verstehen, dachte ich, gibt es da aber nichts. Allenfalls die Denkmöglichkeit aufweisen (wie eben bei der Trinität). Wie aber bei Thomas von Aquin in der Trinitätslehre sagte es gegen Ende der Christologie von Müller „klick“ – und das wohl gerade aufgrund des kritisierten Ansatzes, aus der Heilsgeschichte unmittelbar auf die Seinsordnung zu schließen.

Der erste Schritt betraf die Seele Christi. Natürlich war mit klar, daß mit „Seele“ in der Antike was anderes (forma corporis) gemeint war als heute (Aktzentrum). Trotzdem, erst als bei Müller nochmal ausdrücklich stand, daß die zweite göttliche Person nicht die Stelle der Seele im Menschen Jesus einnahm, weder im antiken noch im modernen Sinne von Seele, wurde mir klar, daß ich genau diese unbewußte Vorstellung hatte. Womit im ersten Schritt erstmal die Frage aufgeworfen wurde, die ich mir bewußt nie gestellt hatte: Welche Stelle denn dann?

Der zweite Schritt war komplizierter, und er stand auch nicht ausdrücklich bei Müller drin. Ich glaube, je länger ich drüber nachdenke, war das entscheidende „Klick“ auch gar nicht in der Christologie, sondern in der Gnadenlehre, wo ich dann eins und eins zusammengezählt habe.

Das erste „eins“ war: Eigentlich bleibt doch dann gar nichts mehr übrig, wo die zweite göttliche Person im Menschen Jesus „verankert“ sein kann. Aber sie einfach „drüber“ zu packen, geht auch nicht, denn dann wäre ja wieder der menschliche Wille Jesu auf göttliches Geheiß ausgehebelt. Soweit meine Fragestellung am Ende der Christologie.

Das zweite „eins“ war: Es gibt im Menschen noch einen „Ort“, den ich völlig übersehen hatte, nämlich die göttliche Gnade. Und von der heißt es ja gerade, daß sie den Menschen erst wirklich frei macht, so daß er sich frei für das Gute entscheiden kann, ohne von ihr dazu gezwungen zu werden.

Peng! Genau diesen „Ort“ muß die zweite göttliche Person in Jesus Christus wesenhaft eingenommen haben, also im Unterschied zum „normalen“ Menschen, der der Gnade durch die Sünde verlustig gehen kann, in einer unverlierbaren Weise.

Dieser „Ort“ ergibt dann auch plötzlich Sinn mit „unvermischt und ungetrennt“: Die Gnade ist zwar unterschieden von mir, und zwar so, daß sie sich nicht mit mir vermischt, aber sie ist, zumindest solange ich im Stand der Gnade bin, auch nicht getrennt von mir, also mir rein äußerlich. Boah. Und plötzlich hatte ich eine Art analogia entis für die zwei Naturen Christi…

(Anmerkung: Natürlich ist dieser Vergleich wie alle Analogien, was Gott angeht, sehr begrenzt. Mir hat’s aber wirklich geholfen.)

Wo ich gerade schon bei „ich habe gerade … gelesen“ bin: Anfang des Jahres habe ich mir endlich Müllers „Katholische Dogmatik“ gegönnt, nachdem sie schon lange im Regal stand.

Das Buch war nicht ganz so eine Qual wie der Psalter, obwohl ich noch länger gebraucht habe (viereinhalb Monate). Insbesondere die ersten 200 Seiten flutschen geradezu. Denn dort beschreibt Müller recht gut auf den Punkt gebracht die Schwierigkeiten, die der neuzeitlichen Philosophie innewohnen und ihre Wurzel im spätmittelalterlichen Nominalismus haben, der den Übergang von einem qualitativen in ein quantitatives Weltverständnis markiert. Hätte ich den Müller früher gelesen, hätte ich mir einige Dinge in meiner Diss leichter machen können, denn dann hätte ich einfach auf Müller verweisen können…

Ab ungefähr Seite 230 flutschte es allerdings nicht mehr ganz so gut. Das liegt möglicherweise daran, daß Müller des öfteren riesige Anläufe nimmt, in denen er nach meinem Verständnis das Pferd von hinten aufzäumt (YMMV). So habe ich mich bis etwa Seite 420 gefragt, ob er jetzt eigentlich in den suborditianistischen, modalistischen oder doketistischen Straßengraben fahren will. Erst nach Seite 400 macht er (von zwei beiläufigen, leicht zu überlesenden Bemerkungen auf Seite 228 und 313 abgesehen) deutlich, daß die „Funktionen“ bzw. „Erscheinungen“ Gottes dem Wesen Gottes entsprechen, daß der Vater, der Sohn und der Heilige Geist subsistente Relationen (= das Wesen Gottes begründende Ursprungsbeziehungen) sind, d.h. Vater, Sohn und Heiliger Geist ist die göttliche Natur.

Womit ich mir in diesem Zusammenhang besonders schwer getan habe (und nach wie vor tue), ist seine Identifikation JHWHs mit dem Vater. Ok, man kann das vielleicht so denken, auch wenn es meinem Denken fremd ist und mich entsprechend auf die suborditianistische Verdachts-Schiene brachte. Und ja, ich erkenne auch an, daß es Müller darum geht, infolge des Rahner’schen Diktums, daß die ökonomische (heilsgeschichtliche) Trinität die immanente (dem göttlichen Wesen innewohnende) Trinität sei, immer bei der heilgeschichtlichen Erfahrung ansetzt.

Was mich jedoch stört, sind Behauptungen, das alles müsse so sein, was ja impliziert, daß man es gar nicht anders sehen könne: „Nur wenn vom AT her gezeigt werden kann, daß JHWH die erste Person der Trinität ist, kann auch die innere Einheit von Schöpfung, Heilsgeschichte und eschatologischer Vollendung […] aufgewiesen werden.“ (228, eigene Hervorhebung)

Daran stören mich, neben der „Alternativlosigkeit“ und der faktisch fehlenden Begründung, zwei Dinge. Denn zum einen reichte es vollkommen aufzuzeigen, daß der dreieine Gott im AT und NT derselbe ist (was mir wesentlich leichter scheint als die Identifikation mit dem Vater – nicht zuletzt, weil die Propheten sich ja wohl unzweifelhaft von JHWH berufen fühlten, das Credo aber davon spricht, daß der Heilige Geist, also die dritte, nicht die erste Person, „durch die Propheten gesprochen hat“; ein Argument, das wohl erlaubt sein dürfte, wenn Müller selbst auf das Credo zurückgreift, um seine Identifikation JHWH=Gott=Vater zu begründen (227), wobei er außen vor läßt, daß „Dominum“ wohl als adonai und damit als JHWH verstanden werden darf).

Zum anderen kann aus logischen Gründen gar nicht vom AT her aufgezeigt werden, daß sich im AT der Vater als JHWH offenbart hat (allenfalls, daß sich JHWH als Vater offenbart hat, aber da läge bereits eine Äquivokation vor, nämlich Vater einerseits als Name eine göttlichen Person und Vater als analog auf Gott angewendeter menschlicher Begriff), da die Kategorien bzw. Namen „Vater“, „Sohn“ und „Heiliger Geist“ als im Neuen Testament wurzelnde und erst in der Tradition klar vorliegende Bezeichnungen für die drei Personen des einen Gottes sich gar nicht im AT finden lassen können. Natürlich kann man vom NT her guckend Spuren der Trinität im AT finden, aber das bedeutet eben gerade nicht, vom AT her aufzuweisen, daß sich JHWH als dieses/r oder jenes/r offenbart hat. Es ist mir ein Rätsel, wie man in und aus dem AT allein überhaupt etwas anderes über das Wesen Gottes aussagen können soll als seine Einheit und Einzigkeit (und alles, was sich daraus ergibt).

Der Kern des Problems an Müllers Vorgehen ist m.E., daß er zwar bei der Heilsgeschichte ansetzt, daraus aber direkt die metaphysische Seinsordnung ableiten will, also das Rahner’sche Diktum zu weit treibt bzw. überinterpretiert im Sinne einer Identität, nicht im Sinne eines „für sich“ und „für uns“, die außerhalb unserer Erfahrung aber zusammenfallen.

Keine Frage, man kann Theologie immer „von unten“ oder „von oben“, d.h. von der Erfahrung der Menschen mit Gott in der Heilsgeschichte oder von der fiktiven Position Gottes her konstruieren, also beim brennenden Dornbusch oder dem Traktat De Deo Uno beginnen. Beide Ansätze haben ihre Vorteile und Schwächen. Müllers Ansatz kombiniert aber jeweils die Schwächen.

Die Theologie „von oben“ hat den Vorteil klarer, zunächst definierter Begrifflichkeiten, riecht dafür aber immer nach menschlicher Hybris, Gott in den Griff zu bekommen und zu sezieren (wie dereinst im Biounterricht den Frosch). Der Ansatz bei der Heilsgeschichte hat demgegenüber den Vorteil, immer gleich den Überschuß mit im Blick zu haben, die Unbegreiflichkeit dessen, der sich da offenbart, birgt aber die Schwierigkeit, die theologiegeschichtlich spekulativ entwickelten Begrifflichkeiten nachträglich auf das aus der Offenbarung gewonnene Gottesbild übertragen zu müssen. Müller vermittelt mir den Eindruck, daß wir aus der Offenbarung heraus Gott in den Griff bekommen können, muß aber trotzdem die klaren Begrifflichkeiten nachträglich in einer Art dogmengeschichtlichen Anhang einführen.

Nochmal konkreter: Wenn Müller zeigt, wie sich Israel altestamentlich als Sohn Gottes verstanden hat, dann lassen sich daraus durchaus gewichtige christologische Einsichten ableiten. Doch wenn diese Kategorie nicht dahingehend verstanden wird, daß sich hier ein Ansatz zum Verständnis des unbegreiflich anderen Verhältnisses Jesu zu Seinem himmlischen Vater bietet, sondern gerade diese Unbegreiflichkeit und der fundamentale Unterschied zwischen „Meinem“ und „eurem Vater“ unter den Tisch fällt, dann kann man das in so vielen verschiedenen Weisen mißverstehen, daß die angestrebte Aussage eigentlich kaum richtig verstanden werden kann:

„Gott ist vielmehr der Eigenname für die völlig voraussetzungslose Selbstmitteilung und Heilwirksamkeit JHWHs, die im Sprachgebrauch Israels und besonders Jesu als Vater angesprochen wird.“ (309)

All diese Schwierigkeiten, die ich da über knapp 200 Seiten hatte und die auch später immer mal wieder durchkamen, verhinderten jedoch nicht, daß ich das Buch im ganzen mit großem Gewinn gelesen habe. Insbesondere, da die Alternativen nun auch nicht gerade überragend sind. Im Gegensatz zu Müller, der einen Gesamtentwurf vorgelegt hat, sind die anderen Dogmatiklehrbücher, die ich kenne, allesamt bunte Zusammenstellungen ganz unterschiedlicher Autoren, so daß es kaum Bezüge über die Kapitelgrenzen hinweg gibt. Falls jemand noch ein andere dogmatische Gesamtdarstellung aus einer Hand kennt, die sich nicht in breiteste Dogmengeschichte mit kurzen systematischen Einschübe ergeht: immer her damit!

Hervorzuheben wäre bei Müller noch eine klare katholische Positionierung in kontroverstheologischen Fragen wie Maria und die Heiligen, der Analogia Entis, der Eucharistie und der Notwendigkeit von guten Werken. Auch wenn man bei der Eucharistie bedauern muß, daß er zwar lang und breit deutlich macht, daß die neuzeitlichen Philosophien aufgrund ihres quantitativen Weltverständnisses ungeeignet sind, um das Geschehen in der Eucharistie zu erläutern, dann aber genau mit neuzeitlichen Kategorien die Eucharistie zu beschreiben versucht.

Ich hab mir mal den Spaß gemacht, die Psalmen am Stück zu lesen. War eine zweischneidige Sache; deutlich anstrengender als im Stundengebet, und viel schneller durch war ich auch nicht. Außerdem wuchsen in mir gewisse Zweifel, ob die häufige Einschätzung, der Psalter decke das gesamte Spektrum menschlichen (Gefühls-)Lebens ab, nicht etwas blauäugig ist. Ja, ok, man wird wohl in jeder Gemütslage einen passenden Psalm finden. Aber möglicherweise tatsächlich nur einen. Die klagenden, um Hilfe schreienden, Unterdrückung, Frevel und Heuchelei anprangernden sind deutlich in der Überzahl, und zwar so deutlich, daß ich des öfteren keine Lust mehr hatte, das Projekt fortzusetzen. (So eine Death Metal-Scheibe lebt ja auch nicht gerade von ihren Texten bzw. deren Vielfalt…)

Allerdings fallen so die sog. Fluchpsalmen kaum auf, vor allem die Einzelverse. Die gehören da einfach hin, entsprechen dem Duktus und liegen in der Konsequenz des Vorausgegangenen. Ganz davon abgesehen, daß man sich mitunter fragt, warum der eine Vers als Fluchpsalm gilt, der andere aber nicht. Mal zur Illustration: Welcher Vers von Psalm 5 gilt als Fluchpsalm? – Richtig, natürlich Vers 11, der sich inhaltlich absolut deutlich von den Versen 9 und 10 abhebt, denn Vers 11 ist im Imperativ gehalten, Verse 9 und 10 im Indikativ. Andererseits gelten Verse im (sachlich vom Imperativ nicht unterschiedenen) jussivischen Konjunktiv nicht als Fluchpsalmen. Echt jetzt, das ist mir alles etwas zu willkürlich. But I digress.

Zurück zum Thema, es gab nämlich doch den einen oder anderen Gewinn des Am-Stück-Lesens. Manche Psalmenreihen ergeben nämlich – gerade als messianische Prophetie gelesen – in ihrer Reihung tieferen Sinn. Besonders deutlich finde ich in dieser Hinsicht die Psalmen 18–24.

Psalm 18 handelt vom Gericht durch den Gesalbten (= Messias = Christus) des Herrn und weist bereits starke Ankänge an Jesu Tod und Auferstehung sowie die Sendung der Kirche auf. Er greift damit auf die Inhalte der nächsten sechs Psalmen voraus.

Psalm 19 zeigt Gott als Ursprung und Ziel des Menschen und legt damit die sachliche Grundlage des Gerichts. Nach Psalm 20 schenkt Gott uns durch den Messias den Sieg. Das heißt, der Sieg wird durch das Gericht hindurch errungen, wie auch Psalm 21 aus anderer Perspektive schildert: der Messias ist König, Gott vernichtet Seine Feinde.

Über Psalm 22 muß ich wohl nicht viele Worte verlieren. Daß das der Karfreitagspsalm ist, ist wohl nicht erst seit der Passion nach Matthäus bekannt. Gottes Kraft erweist sich in der Schwäche, in Leiden und Tod. Denn Gott beglaubigt das Leiden seines Gesalbten, Leid und Tod haben nicht das letzte Wort. So wird es vielmehr zum Gericht für die Feinde.

So ergibt es auch Sinn, daß mit Psalm 23 ausgerechnet der megamäßig positive, fast schon kitschige „Der Herr ist mein Hirte“-Psalm folgt. Wie schon das Ende von Psalm 22 ankündigt, wendet Gott das Schicksal Seines Knechtes – Auferstehung.

Wen wundert es dann noch, daß in Psalm 24 vom Kommen des Königs des Herrlichkeit die Rede ist? Wiederkunft.

In den Psalmen 18–24 sind also für den, der sie zu finden vermag, bereits die Grundzüge neutestamentlicher Heilsgeschichte enthalten.

Damit der Fluchpsalm-Anfang dieses Posts noch seinen tieferen Sinn bekommt, ein weiteres Beispiel, die Psalmen 105–111. Wieder ist hier mit Psalm 110 ein Psalm enthalten, der bereits in den neutestamentlichen Schriften massiv messianisch verstanden wird (vgl. Mt 22,41-46; Hebr 7). Von ihm her hat sich mir plötzlich die ganze Reihe erschlossen, die vorher (zumindest teilweise) sterbenslangweilig war.

Psalm 105 weist auf den geschichtlich erfahrbaren Zusammenhang zwischen dem Verhalten bzw. Verhältnis des Volkes zu Gott und seinem Schicksal hin, der dann in Psalm 106 konkret ausgeführt wird: Auszug aus Ägypten – Murren in der Wüste – große Umwege; Einzug in Kanaan – Götzendienst – Exil; Umkehr – Rettung aus dem Exil. Gott ist also gerecht und barmherzig, wie dann Psalm 107 deutlicher hervorhebt: Der Herr erbarmt sich der Schwachen, Gefangenen und Bedrängten, der Sünder und Armen; die Redlichen sehen es und freuen sich, doch alle bösen Menschen verstummen. Hier Jesu Botschaft vom Reich Gottes zu erkennen, fällt nicht allzu schwer, wenn man (von Psalm 110 auf die Spur gesetzt) einmal angefangen hat, in diese Richtung zu denken.

In Psalm 108 den Widerspruch der Pharisäer und Sadduzäer anklingen zu sehen, ist zugegebenermaßen schon etwas schwieriger. Der Psalm ist aber ein Ruf nach Hilfe von Gott, ohne den das Volk nichts tun kann, und in den letzten Versen klingt wiederum das Gericht an. Und genau dieses Gericht läßt sich dann in Psalm 109 ziemlich deutlich erkennen: Lösche die Erbarmungslosen aus, vernichte ihr Erbe und Andenken, doch rette Deinen rechtschaffenen Knecht – so wie das Kreuz eben Gericht für den ist, der kein Erbarmen gezeigt hat, aber Rettung für den, der seine Hoffnung auf Gott setzt.

Psalm 110 ist nun wirklich ein messianischer Psalm par excellence (s.o.). Hier stecken deutlich die Auferstehung und die darin enthaltene Beglaubigung Gottes des Vorangegangenen drin: Der Herr erhöht Seinen Gesalbten, der Priester auf ewig ist nach der Ordnung Melchisedeks. Von hier, also dem Priestertum Melchisedeks, ist es nur noch ein kleiner Sprung, in Psalm 111 einen Psalm der Eucharistie zu sehen: Er hat ein Gedächtnis an Seine Wunder gestiftet, der Herr ist gnädig und barmherzig. Er gibt denen Speise, die Ihn fürchten, an Seinen Bund denkt Er auf ewig.

Und siehe da, in dieser Reihe steckt der wohl „schlimmste“ Fluchpsalm ever, was aber vielleicht kein Zufall ist: „Christus hat uns vom Fluch des Gesetzes freigekauft, indem Er für uns zum Fluch geworden ist.“ (Gal 3,13)

Wahrscheinlich gibt es noch viel mehr Zusammenhänge zwischen den Psalmen. So kamen mir etwa die Psalmen 146150 quasi wie eine „eschatologische Reihe“ vor, zumal die ja auch alle mit „Halleluja“ beginnen und so schon auf einen Zusammenhang aufmerksam machen.

Am Ende habe ich dann gefragt, ob die Einteilung des Psalter in Bücher bei der Suche nicht helfen könnte, indem man sie als jeweils unterschiedliche Perspektiven auf die Heilsgeschichte interpretiert – wie ja die Psalmen 18–24 und 105–111 im Prinzip dasselbe Heilsgeschehen wiederspiegelten, dabei aber ganz unterschiedlich herangehen.

Neben dem Fatima-Gebet ist mir noch eine zweite Geschichte hängen geblieben, zu der ich ein paar Worte verlieren muß. Sie ist allerdings durchaus komplexer. Es handelt sich um die „Frau aller Völker“.

Zwei Dinge muß ich vorausschicken: Zum einen habe ich, wie gesagt, die „Frau aller Völker“ erstmals um 2000 kennengelernt, und ja, sie hat mich einigermaßen verstört, insbesondere die Forderung nach dem fünften Mariendogma „Corredemptrix“ (Miterlöserin). Genau genommen wurden hier ja alle meine Vorbehalte gegen Marienfrömmigkeit (Mariolatrie, Verdrängung Christi) scheinbar bestätigt. Insofern kann ich alle Vorbehalte und Berührungsängste nachvollziehen, wenn auch nicht mehr pauschal teilen.

Zum anderen hat sich meine Ansicht hier nicht extrem geändert, so daß ich jetzt Propaganda für die „Frau aller Völker“ machte, sondern ich sehe mich in einer Art wohlwollenden Neutralität. D.h. einerseits entspricht die ganze Geschichte nicht so ganz meiner Spiritualität, auch wenn ich meine Berührungsängste und Vorbehalte weitgehend abgelegt habe. Andererseits hat sich mir noch ein zweiter Zugang zur „Frau aller Völker“ ergeben, nämlich jemand, der den Kreis, der sich um diese Privatoffenbarung gebildet hat, als seine „geistliche Heimat“ bezeichnet. Das Prinzip „an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ ergibt mein Wohlwollen.

Schließlich gilt weiterhin die „cum grano salis“-Warnung. Niemand braucht seine Kritik an der „Frau aller Völker“-Geschichte einzustellen. Aber auch muß niemand ein Problem aus etwas machen, was kein Problem ist. Ja, es gibt hier Schwierigkeiten, zu denen sich die Kirche durchaus geäußert hat, aber man muß ja nicht noch neue dazu ausdenken. Etwa, indem man insinuiert, der Diözesanbischof, der die Erscheinung als „übernatürlichen Ursprungs“ anerkannt hat, hätte seine Kompetenzen überschritten, weil er nicht die Glaubenskongregation gefragt hat (was er als zuständige kirchliche Autorität gar nicht mußte), oder gar nicht so genau wußte, was er da eigentlich tut, sondern nur dem „Druck der Straße“ nachgegeben habe (anderswo heißt es dafür, er sei ein Eiferer für die „Frau aller Völker“).

Damit sind wir auch gleich am casus cnaxus. Bei dem einen oder anderen Beitrag sind mir genau die Mechanismen aufgefallen, denen auch ich mich hingegeben habe. Was nicht sein darf, das nicht sein kann, will heißen: Weil mir die Sache suspekt war, habe ich sämtliche Argumente gesucht, die ich dagegen aufführen kann, aber nicht einen einzigen Versuch gestartet, das Phänomen zu verstehen (geschweigedenn mich mit konkreten Personen auseinandergesetzt).

Erst später (also vor drei, vier Jahren) habe ich versucht, die Sache mit der Corredemtrix positiv zu verstehen. Ja, das geht nicht leicht von der Hand, und es ist ziemlich advanced stuff. Aber tatsächlich steht die Miterlöserschaft Mariens in der Logik von Kreuz, Schrift und Tradition. (Das bestreitet auch nicht jeder, der ein Problem mit der „Frau aller Völker“ hat, unterstellt aber wohl, daß die „Frau aller Völker“ nicht in der Tradition zu verstehen sei. Mag sein, allein, mir fehlen dafür die klaren Argumente.)

Auszugehen ist davon, daß Marienfrömmigkeit, recht verstanden, immer zu Christus führt. Entsprechend gilt theologisch, daß Mariologie, wenn nicht sogar explizit, implizit christologisch ist und eschatologische und anthropologische Aussagen macht: In Maria ist vollendet, wozu wir noch nur berufen sind. Sie ist das unbestreitbare Vorbild, zu welcher Herrlichkeit der Mensch, jeder Mensch berufen ist. — Bei Jesus, der ja als wahrer Mensch unser eigentliches Vorbild sein sollte, könnte man immer relativieren, daß er ja zugleich wahrer Gott ist. Bei Maria bleibt uns gegenüber nur, daß sie auch vor der Konkupiszenz bewahrt wurde. Verglichen mit der Erbsünde (aus der das non posse non peccare, das Nicht-Nicht-Sündigen-Können folgt), von der wir in der Taufe befreit worden sind, ist das doch eher ein geringer Unterschied (nämlich der zwischen schon „posse non peccare“ [das nicht-sündigen Können, also die Möglichkeit, mit Hilfe der Gnade Gottes das Sündigen zu vermeiden] und noch nicht „non posse peccare“ [Nicht-Sündigenkönnen, also die Unmöglichkeit des Sündigens]).

Dieser eschatologische und anthropologische Aspekt der Mariologie kommt insbesondere im Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel zum Ausdruck. Im Gegensatz zur jahrhundertelang theologisch umstrittenen Bewahrung Mariens vor der Erbsünde, war dieses Dogma sachlich eigentlich mit dem Dogma von eben der Unbefleckten Empfängnis Mariens bereits gegeben, denn es hieß immer, wenn unbefleckt empfangen, dann auch mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen – weil unbefleckt empfangen. Daß es ausgerechnet wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und der Shoa formal dogmatisiert wurde, darf man wohl durchaus so, nämlich eschatologisch und anthropologisch verstehen: Trotz all des maschinellen, ja sogar industriellen Abschlachtens und Vernichtens von Menschen und der völligen Mißachtung jeglicher Menschwürde und jeglichen Respektes vor den sterblichen Überresten von Menschen ist im Glauben daran zu erinnern, daß wir dazu berufen sind, als Menschen, das heißt mit Leib und Seele, in die ewige Herrlichkeit einzugehen – was in Maria bereits vollendet ist. (Hier hätte man übrigens auch schon argumentieren können: Die Himmelfahrt Christi reicht doch eigentlich voll und ganz. Tut sie rein formal-theologisch betrachtet auch. Aber ach, die Menschen, sie sind nicht so…)

In dieser Linie wäre die Miterlöserschaft Mariens so zu verstehen: Der Mensch ist berufen zur Kreuzesnachfolge. Er soll in seinen Leiden vollenden, was an den Leiden Christi noch fehlt – nicht qualitativ oder quantiativ (in diesen beiden Hinsichten ist das Leiden Christi vollkommen und genug), sondern im, ich nenne es mal: extensiven Sinne, d.h. in der Realisierung, in der Wirksammachung des aus dem Leiden Christi folgenden Heiles in der konkreten Situation, das eben auch im Ertragen, Erdulden, Erleiden, ja Ausleiden des Bösen, dem der Christ in seinem Leben begegnet (oder vielleicht besser: das dem Christen in seinem Leben begegnet), indem er sich in seinem Leiden mit den Leiden Christi verbindet, so daß das Leid im geistlichen Sinne verklärt wird.

Auch wenn es eigentlich schon dasteht: Entscheidend ist und bleibt hier das Leiden Christi, vom Kreuz Christi geht alle Kraft aus, das Leid in der Welt zu verklären. Die Welt ist aber nicht einfach heil. Vielmehr sind die Gläubigen dazu aufgerufen, die Schöpfung wieder auf Gott auszurichten. Das ist der wesentliche Gehalt des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen, das ein Anteilhaben am Priestertum Christi ist, und die Besonderheit des Priestertums Christi ist nuneinmal, am Kreuz Hoherpriester und Opfergabe zugleich zu sein.

Insofern ergibt auch das Andachtsbild Sinn: Durch Maria (als Vorbild für alle Glaubenden) kommt das Kreuz zur Welt, durch sie und ihr Mitleiden mit Christus, symbolisch ausgedrückt durch die Wundmale Christi, die Maria trägt, kommt das Heil des Kreuzes konkret in die Welt, ausgedrückt in den Strahlen, die von den Wundmalen ausgehen.

Ebenso ergibt aus dieser Perspektive das Gebet Sinn, das gerade das „jetzt“ betont: „Herr Jesus Christus, Sohn des Vaters, sende jetzt Deinen Geist über die Erde.“

Ich weiß natürlich nicht, ob alle Anhänger der „Frau aller Völker“ die Sache so sehen. Überhaupt habe ich lediglich eine oberflächliche Kenntnis des ganzen und habe auch hier nur nochmal an dieser Oberfläche gekratzt. Ich sehe allerdings aufgrund der mir vorliegenden Informationen auch keinen fundamentalen Widerspruch zwischen der Botschaft von der „Frau aller Völker“ und meiner Einordnung.

Mir geht es aber auch gar nicht um die Übernatürlichkeit der Erscheinungen oder die Richtigkeit des Gebetes oder der Titel, sondern um das Muster. Alles, was ich im Netz dazu gefunden habe, fällt (wenn man mal von Originaldokumenten absieht) entweder unter „Propaganda“ oder weist dieses „was nicht sein darf, das nicht sein kann“-Prinzip auf (was sich dann schon an Wortwahl und Stil zeigt). Stattdessen halte ich es lieber mit Gamaliël.

Allerdings denke ich, daß eine Dogmatisierung auch innerkirchlich auf soviel Unverständnis und Widerstand stoßen würde, daß sie reichlich inopportun wäre. Andererseits wirft die immer weiter fortscheitende und inzwischen gar Todsünden rechtfertigen wollende Leidensvermeidungsstrategie der abendländischen Kultur (oder was davon übrig ist) die Frage auf, ob sich nicht hieraus Sinn und Zweck des ganzen verstehen läßt. Das aber muß die Zeit zeigen.

Cannibal Corpse müssen noch etwas warten, ich will erst noch was anderes aufgreifen. Seitdem ich mit Maria ins Reine gekommen bin, reagiere ich etwas allergisch auf das, was vorher auch meine Sorgen waren – obwohl rein sachlich betrachtet die Sorgen ja nicht völlig falsch waren (nur halt eher vorgeschoben). Wie das halt so ist: Nach einer Bekehrung fällt der Bekehrte mitunter ins gegenteilige Extrem. Drum diesen Post bitte cum grano salis genießen.

Zwei Dinge sind mir in den letzten Jahren in der Blogoezese dermaßen aufgestoßen, daß ich auch über meine „Schweigenszeit“ hinweg sie nicht vergessen habe. Heute will ich erstmal auf das Fatima-Gebet eingehen, d.h. den Einschub ins Rosenkranzgebet.

Dazu habe ich auf verschiedenen Blogs Aussagen gelesen wie: „wurde zum Glück in meiner Gemeinde nicht gebetet“ oder „finde ich schrecklich“.

Eins vorweg: Wenn damit einfach nur eine persönliche Abneigung ausgedrückt werden soll – kein Ding! Das wäre eine reine Frage der persönlichen Frömmigkeit. Mir schien es aber das eine oder andere Mal mehr zu sein. Nämlich eine grundsätzliche Ablehnung dieses Gebetes, so im Sinne von „wie kann man nur“.

Damit hätte ich tatsächlich ein Problem, und zwar, weil dieses Gebet, nüchtern betrachtet ja jetzt nicht so sonderlich problematisch ist (also selbst mein „Häresiefinder“ nicht angeschlagen hätte):

O mein Jesus, liebevolle Anrede
verzeih uns unsere Sünden! beten wir in jedem Vater unser
Bewahre uns vor dem Feuer der Hölle! Bitte, nicht verloren zu gehen
Führe alle Seelen in den Himmel, einzige mögliche Gefahr: Allversöhnung (ganz schön weit hergeholt, oder?)
besonders jene, die deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen. Fürbitte, für die, die sie am nötigsten haben, also geradezu Ausdruck von Feindesliebe

Ok, persönliche Vorbehalte von wegen „Feuer“, „Sünden“ und „Hölle“ – geschenkt. Hab vollstes Verständnis für jeden, der sich damit schwer tut, z.B. weil er dadurch Angst vor dem Scheitern bekommt (der Mensch ist leider nicht immer rational). Aber: Ich gehe in solcher Sprache geradezu auf (guckst Du Metal: Heaven and Hell, Fire in the Sky, Disciples of the Lie, „trapped in purgatory“ – um nur meine unmittelbarsten Assoziationen zu nennen), und ich hätte ein Problem damit, wenn mir das jemand verbieten wollen würde.

Wie gesagt: Das Gebet muß nicht jeder mögen und schon gar nicht zum Teil seiner persönlichen Frömmigkeit machen. Ich räume auch ein, daß manch einem dadurch der Rosenkranz sogar unzugänglich werden könnte. Aber ich denke – und das zuzugeben, da sollte keinem ein Zacken aus der Krone brechen -, das Problem ist eher subjektiv als objektiv begründet.

Leben und leben lassen – und nicht unnötigerweise ein Schibboleth draus machen.

Sehr zum Erstaunen meiner Frau hatte ich in dem Gotteslobliederpost davon gesprochen, daß „Segne Du Maria“ einen wesentlichen Anteil daran hatte, meine Vorbehalte gegen Marienfrömmigkeit einzuäschern. Das muß ich, glaube ich, nochmal näher erläutern.

Eine ganze Weile hatte ich ein Problem mit Maria. Oder besser: mit Marienfrömmigkeit. Vielleicht gilt hier: „Sie lästern über Dinge, die sie nicht verstehen“ (2 Petr 2,12), denn Maria gehörte bei uns zu hause zwar schon „dazu“, wie und weil sie auch zur Kirche gehörte. Aber mehr Marienfrömmigkeit als das Ave Maria habe ich nicht kennengelernt, weder zu hause, noch in der Pfarrei noch in der Schule.

Lediglich an zwei Dinge kann ich mich noch erinnern. Als ich acht Jahre alt war, starb meine Oma. Ich erbte ihren Rosenkranz, den wollte ich auch unbedingt haben. Irgendjemand erklärte mir zwar das Prinzip, aber es kam zu keinerlei Praxis. Die zweite Erinnerung hängt auch am Tod meiner Oma. Mit einem Freund und seiner Mutter war ich in deren Pfarrkirche, und sie schlug mit vor, eine Kerze vor der Marienstatue für meine Oma anzuzünden. Auch wenn ich zugestimmt habe, fand ich das komisch. Wahrscheinlich, weil ich es nicht kannte. (Anmerkung: Bei genauerer Betrachtung muß es sowas auch bei uns in der Kirche gegeben haben, da ich eine ganz dunkle Erinnerung an den Kerzenständer habe.)

Als Jugendlicher hatte ich dann genug negativen Input, um Maria (bzw. Marienfrömmigkeit) für eine Gefahr zu halten. Wiederum nicht an und für sich, aber wenn sie Christus verdrängt, dann droht Mariolatrie. (Soll’s ja wirklich geben; daß Marienverehrung, richtig verstanden, das glatte Gegenteil davon ist, hätte ich damals nicht für möglich gehalten.) Entsprechend war ich auch in heller Aufregung, als ich ca. 2000 das erste Mal über die „Frau aller Völker“ gestolpert bin. Das war allerdings auch der Höhepunkt meiner Anti-Mariologie.

Denn mein Ausflug ins Priesterseminar hat in mir ein „Erbe“ hinterlassen, das während meiner Zeit dort noch gar nicht zum Tragen gekommen war: das Salve Regina. Wenn ich mich nicht irre, bin ich dort das erste Mal überhaupt mit halbwegs regelmäßiger Marienfrömmigkeit konfrontiert worden. (Ich weiß auch noch, wo ich das erste Mal das Salve Regina kennengelernt habe: angeleitet vom Spiritual in St. Servatius, Duderstadt; der Grund, warum mir das hängen geblieben ist, ist die Provenienz dieser Kirche…)

Das Salve Regina hatte den unglaublichen Vorteil, daß es in lateinischer Sprache abgefaßt ist und daher von meinem kritischen Geist (obwohl mich Latein neun Jahre lang in guten wie in schlechten Schultagen begleitet hatte) nicht sofort auf die kleinlichsten Anzeichen von Gefahr analysiert werden konnte, eine ernste Melodie hat, auf eine lange kirchliche Tradition zurückblicken kann und überhaupt ein schönes Lied ist (was mir so richtig erst klar wurde, als ich es als Schlußlied für unsere Hochzeit haben wollte…). So hat mir dieses Lied grundsätzlich das Herz für Maria geöffnet.

Intellektuell machte ich mir weiter Sorgen und hatte Vorbehalte – zumal sich die mariologische Dogmatik auch ziemlich zurückhält und auf vier Dogmen beschränkt, von denen mindestens zwei eigentlich christologischer Natur sind. Da einer Marienkirche zugehörig konnte ich aber viele weitere schöne Marienlieder kennenlernen (die ich jetzt, einer Elisabethgemeinde zugehörig, ziemlich vermisse). Nur eines verstörte mich immer noch ziemlich: „Segne Du, Maria“.

„Segne Du, Maria“ ist so ziemlich das Gegenteil vom Salve Regina. Die Melodie beißt sich im Hirn fest wie der schrecklichste Schlager, den man auch dann immer noch summen muß, wenn man ihn zum Überdruß (also so ungefähr zwei Mal) gehört hat. Der Text enthält sämtliche Warnzeichen von Mariolatrie – und überhaupt: KITSCHALARM bis zum Abwinken!!!!111111einself.

Und dann stand das Lied auch noch im neuen (inzwischen ja auch schon wieder überholten) Erfurter Diözesananhang! Wie konnte das denn angehen?! Welche Kontrollinstanz hatte denn da versagt – und warum?!

Tja, und dann, eines Tages, als „Segne Du, Maria“ mal wieder das Schlußlied war, kam mir in den Sinn, die Frage mal in Frage zu stellen: Wie kann ich eigentlich das Lied ablehnen, wenn es die Kirche offenbar für wertvoll hält?

Das war der entscheidende Perspektivwechsel. Auch, wenn ich nicht alles verstehe(n muß), kann ich doch der Kirche und ihrem Urteil vertrauen, die die Verheißung hat, daß die Pforten der Unterwelt sie nicht überwinden werden. Im Vertrauen auf die Kirche habe ich also mal alle meine Vorbehalte beiseite geschoben und mich auf dieses Lied eingelassen, das quasi alles repräsentierte, was mir an Marienfrömmigkeit quer lag – and boy, ‚t was nice! Mal einfach nicht ständig den „Häresiefinder“ im Kopf laufen zu lassen…

Heute kann ich das Lied mit Inbrunst singen, auch wenn ich die Melodie immer noch ziemlich kitschig finde. Alles weitere mit der Marienfrömmigkeit ergab sich dann übrigens fast von selbst. Aber das ist eine andere Geschichte.

(Außerdem brauche ich doch einen neuen Cliffhanger, um meine Leser bei der Stange zu halten! – Demnächst in diesem Theater: „Wie Cannibal Corpse mir den Rosenkranz erschlossen“.)

„Zwischen Ausverkauf und Rigorismus“ heißt ein Buch von Dieter Emeis zur Sakramentenpastoral, an das ich heute angesichts der beiden Tagesheiligen denken mußte. Soweit ich mich an das Buch erinnere (ist 12–13 Jahre her, daß ich es gelesen habe), bringt es das Problem ganz gut auf den Punkt, bietet aber (meiner Meinung nach) keine brauchbar anwendbare Lösung. Und das liegt wohl schon am Lösungsansatz, wie ich mir heute dachte.

Der Grund, warum ich an das Buch denken mußte, ist der Streit, den die beiden Tagesheiligen miteinander hatten, nämlich um den Umgang mit den Lapsi, den Christen, die aufgrund der Verfolgung gefallen und den heidnischen Göttern geopfert hatten. Während Papst Kornelius für eine milde Bußpraxis eintrat, war Cyprian ein Vertreter der „einmal raus, immer raus“-Fraktion, zumindest in dieser, doch sehr grundlegenden Frage. Heute wäre also Cyprian der Extremist, der Fundamentalist, der Unbarmherzige – der Rigorist. Kornelius hingegen der Barmherzige, der mit dem Blick für die Lebensrealität, der Mann der Zukunft – der Ausverkäufer.

Aber halt, so ganz stimmt das auch wieder nicht, denn in der Grundfrage waren sich beide ja durchaus einig: den heidnischen Göttern zu opfern ist eine schwere Sünde, die von Gott und der Kirche trennt, selbst wenn das Opfer „nur“ ein rein äußerlicher Akt bleibt. Und genau diese Einstellung führt beide ins Martyrium und verbindet sie. (Man lese nur mal den Brief von Cyprian an Kornelius, den die Lesehore heute anbietet: Wir sind eine verfolgte Kirche.) Sie unterschieden sich darin, wie sie mit den (wohlgemerkt:) reuigen Lapsi umgehen wollten.

Auf diesem Hintergrund zeigen die beiden Heiligen, derer wir heute gedenken, zweierlei:

  1. Bei allem Streit, den es um Fragen des konkreten Umgangs mit pastoralen Realiäten gibt, muß die grundsätzliche Lehre klar bleiben: Apostasie bleibt Apostasie, Sünde bleibt Sünde.
  2. Die Kirche braucht beide Stimmen, und zwar gerade als Extrempositionen.

Genau in 2. liegt meine Unzufriedenheit mit dem Buch von Emeis begründet: Es geht nicht darum, einen gangbaren Weg zwischen Ausverkauf und Rigorismus zu finden, sondern wir brauchen beide Stimmen, die sowohl den (vermeintlichen) Ausverkauf als auch den (vermeintlichen) Rigorismus in der Kirche zum Ausdruck bringen. Das gut-katholische „et…et“ (sowohl als auch) meint eben keinen Ausgleich zur Mitte hin, nicht irgendwas „Dazwischen“, sondern ein gleichzeitiges Verharren in den Extremen:

Nicht „ein bißchen Mensch, ein bißchen Gott“, sondern „wahrer Mensch und wahrer Gott“ zugleich, nicht „ein bißchen Leib Christi, ein bißchen Brot“, sondern „wahrer Leib Christi“ der Substanz nach und echtes Brot den Akzidenzien nach, nicht „ein bißchen Schrift, ein bißchen Tradition“, sondern „die ganze Schrift und die ganze kirchliche Tradition“ und auch nicht „ein bißchen Geist, ein bißchen Amt“, sondern das volle Geistwirken und die ganze Hierarchie – als Extreme, aber eben nicht als kontradiktorische Gegensätze (siehe auch Offb 3,15–16).

Entgegen allen Vorurteilen lehrt die Kirche kein bis in die letzten Winkel festgemauertes System, sondern einige sehr wesentliche Leitplanken, die verhindern sollen, gänzlich vom Weg abzukommen. So kann etwa die Frage, wie man sich das Zusammenwirken von menschlicher Freiheit und Gnade Gottes vorstellen kann, völlig unterschiedlich beantwortet werden (siehe Gnadenstreit), entscheidend ist, daß nicht „ein bißchen menschliche Freiheit und ein bißchen Gnade Gottes“ zusammenkommen und sich vermischen, sondern daß die „volle menschliche Freiheit“ mit der „Unfehlbarkeit der Gnade Gottes“ zusammenwirkt, quasi unvermischt und ungetrennt.

Entsprechend gibt es in der Kirche nicht nur Platz für einen Papst Benedikt und einen Papst Franziskus, einen Heiligen Franziskus und einen Heiligen Dominikus, für eine Hildegard von Bingen und einen Robert Bellarmin (um mal auf die Tagesheiligen von morgen vorzugreifen), sondern die Kirche braucht diese unterschiedlichen Stimmen, um die ganze ihr anvertraute Botschaft zu verkünden. Und das eben nicht, um zu einem Ausgleich, zu einem Kompromiß zu finden, sondern gerade in der Radikalität. Jeder verwirklicht einen anderen Aspekt des Glaubens (aber den bitteschön radikal!), denn niemand kann den ganzen Glauben in sich verwirklichen (dafür schwanken wir zu oft zwischen den Extremen Heiligkeit und Sünde) außer Gott selbst, in dem alle Gegensätze zusammenfallen.

Ist das ein Text! Kurz und knackig (21 Verse), genau der Struktur alttestamentlicher Heilsprophetie enstprechend: Die Trennung zwischen ursprünglichen Text und Nachsatz, wie sie die Einführung der Einheitsübersetzung macht, ergibt inhaltlich überhaupt keinen Sinn. Vorausgesetzt natürlich, man betrachtet den Text tatsächlich als prophetisch und nicht nur als rein historisch. Eines ist jedenfalls sicher: Wenn der Text nicht zufälligerweise den heutigen Staat Israel voraussagt (und das ergäbe nicht mal in rein alttestamentlicher Prespektive Sinn, d.h. unter Ausblendung der Menschwerdung), dann enthält er einen massiven Verheißungsüberschuß.

Genauso erweist sich die Textumstellung (V1) in der EÜ als irreführend:

Einheitübersetzung:
„Als ein Bote zu den Völkern gesandt wurde mit dem Ruf: Auf zum Kampf gegen Edom!, da haben wir vom Herrn eine Kunde gehört.
So spricht Gott der Herr zu Edom: […]“

Luther:
„So spricht Gott, der HERR, über Edom: – Wir haben vom HERRN eine Botschaft gehört, ein Bote ist unter die Heiden gesandt: Wohlauf, laßt uns wider Edom streiten! – „

Elberfelder
„So spricht der Herr, HERR, über Edom: – Eine Kunde haben wir vom HERRN gehört, und ein Bote ist unter die Nationen gesandt worden: ‚Macht euch auf, laßt uns gegen Edom aufstehen zum Krieg! – „

Der Unterschied ist: Handelt erst Gott – oder handeln erst die Menschen, die einen Boten zu möglichen Verbündeten schicken, woraufhin dann der Prophet ein Gerichtswort über Edom spricht – das historisch offensichtlich nicht eingetreten ist, was Obadja als Falschpropheten entlavte?

Bei Luther klingt zudem „Wir haben vom HERRN eine Botschaft gehört, ein Bote ist unter die Heiden gesandt“ nach einem Parallelismus membrorum, nicht nach einer Abfolge zweier unabhängiger Ereignisse. Mit anderen Worten: Die EÜ geht quasi apriori von einer historischen Situation aus und schreibt diese – gegen den Wortlaut – in den Bibeltext!

Der Text ist im ganzen apokalyptisch: Er zeigt auf, daß „Edom“ bereits dem Untergang geweiht ist, sein Lebensstil kann nicht von Dauer sein. Wobei hier „Edom“ bereits als „Typus der Feinde Israels“ zu verstehen ist, und in einer christlichen Interpretation steht Israel für die Kirche. In dieser Persprektive ergibt auch der Bote an die Heiden (die Völker) Sinn, gerade als Parallelismus membrorum: Wir (=Israel) haben vom Herrn gehört, die Heiden hören es von einem Boten. (Wobei in der Septuaginta nicht mal was von einem Boten steht, sondern: „Er hat zu den Heiden einen Inhalt ausgesandt“ – was m.E. noch näher an der Menschwerdung als an einer historischen Zeitangabe ist -, der Handelnde ist also Gott selbst!)

Die ganze Prophetie dieses kurzen Buches ist eine Stärkung, in der Zwischenzeit die Drangsale der Not, die Unterdrückung , die Verfolgung und den Spott zu ertragen. Denn wisse: Das alles ist nichtig, bedeutungslos, im Kreuz schon längst gerichtet. Selbst wenn „Edom“ meint, auf dem hohen Berg (Roß?) sicher zu sein (3), es wird herabgestürzt werden (4), all seine Macht ist letztlich nutzlos, gegen die es ausplündernden Diebe und Räuber hat es kein Mittel – ja selbst die Bundesgenossen (7) betrügen und verraten es (ein Reich, das in sich gespalten ist…?); seine ganze Daseinsweise zerstört sich selbst, kann einfach keinen Bestand haben, weil sie auf Ungerechtigkeit und Schandtat gründet. Gerade weil es Jakob, „deinem Bruder“, Gewalt antat – also Christen verfolgte -, „wirst Du ausgerottet für immer“ (10).

Freu dich nicht über das Unglück der Kirche, der Christen (12f.), mach die Fliehenden nicht nieder (14) – denn was du tust, fällt auf dich zurück (15). Egal aus welchem Volk du stammst, wenn du Israel (die Kirche) nicht unterstützt und verteidigst, indem du (siehe V1!) mit ihm gegen „Edom“ ausziehst, wird dich Edoms Schicksal treffen. Am Ende gibt es nur noch Zion und Israel – Gott und die Kirche (egal aus welchem Volk du stammst), Christus und Seinen Leib (22). Der Herr, ihr Gott, wird über ihnen leuchten uns sie werden herrschen in alle Ewigkeit (Offb. 22,5).

(Apropos Offenbarung des Johannes: Die 12 „kleinen“ Propheten klingen zu weiten Teilen so, als seien seien sie geradezu die Vorlage für die Offenbarung gewesen, bzw. umgekehrt: als wäre es Ziel der Offenbarung alle noch nicht erfüllten Prophetien zu sammeln und als noch zu verwirklichende uns vor Augen zu stellen. Siehe oben: Verheißungsüberschuß!)

In zwei Karmetten und einer Ostersonntagvesper hatte ich Gelegenheit, das neue Gotteslob einem Praxistest zu unterziehen (in den Messen waren die Lieder alle aus dem alten bereits bekannt). Um das Ergebnis vorwegzunehmen: das Urteil fällt gemischt aus.

Auf den ersten Blick war ich begeistert, denn als erstes fiel mir auf, daß die Karmetten drinstehen und einige Abweichungen des alten Gotteslobs von den Texten des Stundenbuchs korrigiert wurden (so z.B. das Sonntagscanticum aus der Offb mit den vielen Hallelujas, und vor allem die Sache mit dem „Ehre sei dem Vater…“). Auf den zweiten Blick bemerkte ich auch höchst erfreut, daß offenbar viele „krasse“ Hymnen aus dem Stundenbuch nun vertont im Gotteslob zu finden sind (z.B. Nr. 338 und 642). Und überhaupt ließ sich mit dem neuen Gotteslob sehr viel besser arbeiten, weil das Verzeichnes der enthaltenen Psalmen sehr viel übersichtlicher geworden ist.

So lala finde ich allerdings die Verwendbarkeit in der Tagzeitenliturgie selbst. Da muß man nämlich wie bekloppt durch das ganze Gotteslob blättern, weil die Psalmen an drei verschiedenen Stellen zu finden sind: zunächst im „Psalmenteil“ selbst (Nr. 30-80), dann im Teil der Tagzeitenliturgie (Nr. 613-667) und schließlich noch ein Psalm in der Karsamstagsmette (Nr. 310). Das führte unter den Mitfeiernden zu einigermaßen Hektik, und zwar umso mehr, je weniger sie mit dem Stundengebet vertraut waren (es gibt bei uns eine kleine Gruppe von ungefähr 10 Leuten, die regelmäßig zu den Laudes an Montagen und Mittwochen kommen, zu den erstmalig hier angebotenen Karmetten waren 25 bis 30 Leute da). Die zweite Kritik, die von einigen Mitfeiernden geäußert wurde, war gegen die neuen Psalmtöne gerichtet. Die sollen zwar einfacher sein (einer nannte sie treffend: langweiliger), das hilft aber nicht, wenn die halbe Gemeinde immer wieder in den alten Psalmton rutschen will, weil sie den rauf und runter kennt (YMMV). Was mich aber noch mehr gewundert hat: derselbe Psalmton ist mal in geänderter, mal in altbekannter Fassung drin, vgl. z.B. der IV. in Nr. 639,2 und Nr. 651,4. Wenn mir das mal jemand erklären könnte…

Der Teufel jedoch steckt (wieder mal) im Detail. Und dieses Detail lautet: Man kann nicht einfach das nehmen, was im Gotteslob steht, wenn einem das Stundengebet wichtig ist. Nur die Karmette am Karsamstag könnte man fast so nehmen, wenn man mal davon absieht, daß ausgerechnet dieses Jahr bei den Lesungen eigentlich die II. Jahresreihe dran war.

Bei der Karfreitagsmette frage ich mich allerdings, warum man bei fünf Psalmen, die in Lesehore und Laudes vorgesehen sind (2; 22; 38; 51; 147) und von denen vier im Gotteslob stehen (2; 22; 51; 147), bei der Reduktion auf drei Psalemen einen völlig anderen Psalm reinpacken muß (142) und dabei auch noch die Reihenfolge umstellt. Monastisches Stundenbuch? Keine Ahnung.

Bei der Ostervesper hätte man ja auch mal für fünf Pfennig nachdenken können. Oder bin ich der einzige, der es für am wahrscheinlichsten hält, daß die Vesper am Ostersonntag gebetet wird? Und mit dieser hätte man die komplette Osteroktav erschlagen gehabt! Und wenn man schon das unliturgische „one size fits all“-Prinzip nimmt, hätte man doch wenigstens einen Verweis auf GL 335 (durch diese Antiphon wird in der Osteroktav das Responsorium ersetzt) aufnehmen können! Also haben wir die Antiphonen abgetippt und gesprochen. Kannte die Gemeinde schon von den Karmetten. Da paßten die im Gotteslob vorgesehenen am Karfreitag auch überhaupt nicht. Aber warum? Da nimmt man eine Liturgie ins Gotteslob auf, die nur einmal im Jahr gebetet wird, und dann kriegt man es nicht gebacken, die vorgesehenen Antiphonen vertonen zu lassen?

Bis hierhin dachte ich ja noch, vielleicht liegt’s an mir. Aber ich zerbreche mir jetzt seit drei Wochen den Kopf, unter welchen Umständen es überhaupt Sinn ergeben könnte, wie in den Karmetten vorgesehen das Invitatorium mit „Oh Gott komm mir zu Hilfe“ zu beginnen („Herr, öffne meine Lippen“ ist Nr. 614,1, da hätte man sich dann auch den Hinweis „ohne Ehre sei dem Vater sparen können“). Das würde doch bedeuten, daß ich schon eine Hore vor Laudes und Lesehore gebetet habe, aber ohne das Invitatorium?!

Ok, ja, ich gebe es zu, das ist Jammern auf hohem Niveau. Aber was wäre z.B. so schwer daran gewesen, die Psalmen am Stück aufzunehmen und in der Tagzeitenliturgie den Ablauf mit Verweisen unterzubringen (wie in den Karmetten), selbige in die Nähe des Psalmteils zu packen und zudem noch einen Teil mit Antiphonen zur Auswahl oder wenigstens die wichtigsten Antiphonen (insbesondere die vom Sacrum Triduum) zu den entsprechenden Psalmen zu packen?

Und über die Steilvorlage für die völlig Abgefahrenen unter unseren freikirchlichen Freunden, die marianischen Antiphonen allesamt mit der Nummer 666 zu versehen, lasse ich mich jetzt lieber nicht aus…