Mittlerweile ist mein dreisemestriger Ausflug ins Priesterseminar schon seit einem Jahrzehnt vorbei. Viele haben damals den Eindruck gewonnen, ich hätte ihn wegen des Zölibats beendet. Durchaus nachvollziehbar aufgrund zeitlicher Koinzidenzien. Tatsächlich war aber eine ganz andere Ursache maßgeblich, die mich überhaupt erst für einen anderne Lebensentwurf wieder offenwerden ließ.
Kurz zusammengefaßt: Nach einem völlig idealistischen Start habe ich mir ein Semester lang zunehmend erstaunt die Verhältnisse angesehen (die, wie ich später erfahren habe, bei uns sogar noch relativ harmlos waren), ein weiteres Semester Material gesammelt und im dritten den — wie ich heute weiß: aussichtslosen — Versuch gestartet, was zu ändern (und bevor sich ein Conblogger beschwert: natürlich war ich nicht alleine :-).
Grundübel war, daß nach außen hin Heile Welt gespielt wurde, im stillen Kämmerlein aber ein Großteil der Seminaristen über den mehr oder weniger unsinnigen Alltag meckerte (und das nicht [nur] zu Unrecht; bis heute verstehe ich nicht, warum der einzige absolut indispensable tägliche Pflichtprogrammpunkt das Mittagessen war — wegen der Ankündigungen!). Solche Heuchelei hat mich damals aufgeregt, und sie tut es heute noch viel mehr.
Dummerweise wurden wir als die Überbringer der schlechten Nachricht von der Hausleitung als das eigentliche Problem angesehen. Im Grunde wäre es ja eine berechtigte und sogar notwendige Reaktion der Leitung, denjenigen, die damit provozieren, im Seminar fielen Anspruch und Wirklichkeit fundamental auseinander, die Ohren lang zu ziehen. Das ist aber nicht passiert. Die direkten Gespräche waren von einer recht sachlichen, fast freundlichen Atmosphäre geprägt, man hat nicht wirklich Konflikte angesprochen oder gar ausgetragen, sondern viel geredet und im Grunde nichts gesagt.
Irgendwann (nach der nächsten direkten Provokation) wurden wir dann ohne viel Federlesens zum Bischof geschickt. Wow, dachte zumindest ich mir, vielleicht nimmt uns jetzt endlich mal einer ernst. Pustekuchen. Der Bischof empfing uns demonstrativ zwischen Tür und Angel (er schien sich gerade zwischen zwei Terminen umzuziehen) und wies unsere Bitte ab, ein Gespräch ohne die Hausleitung zu führen. Danach kam ein bißchen belangloses Geplänkel, dann durften wir wieder abziehen. Was uns damals mächtig enttäuscht hat. Heute habe ich (nach mehr Erfahrungen mit kirchlichen Führungsstilen und nämlichem Bischof) eine andere Deutung: Nicht uns hat er abblitzen lassen, sondern die Hausleitung, die sich nicht selbst zu helfen wußte denn genau das hat er uns geantwortet auf die Frage, warum wir denn dann überhaupt dieses Gespräch hätten: „Weil mein Freund, der Regens, mich darum gebeten hat.“ Bei genauerer Betrachtung die schwächste aller möglichen Begründungen.
Das alles schreibe ich hier nicht so ausführlich, weil ich zehn Jahre alte Ereignisse öffentlich verarbeiten muß, sondern weil dies meine erste Konfrontation mit einem Schema war, das ich seitdem immer wieder in (nicht nur, aber vor allem) kirchlichen Kontexten erlebt habe: Leitungsversagen durch Mangel an Verantwortungsübernahme. Denn genau das ist Leitung im wesentlichen: Übernahme von Verantwortung für andere und ihr Handeln (woraus sich im Umkehrschluß Gehorsam bzw. Weisungsgebundenheit der „anderen“ ergibt). Was ich damals noch für eine ziemlich merkwürdige und eigentlich völlig unwahrscheinliche (drei von vier Angehörigen der Hausleitung waren, nunja, vorsichtig formuliert: nicht die optimalste[sic!] Besetzung), zufällige Ausahmesituation hielt, ist eher die Regel als die Ausnahme, insbesondere in der Kirche, da wir ja niemandem weh tun dürfen.
Die Ursache ist mittlerweile aber wohl weniger eine irrige ekklesiologische und/oder moraltheologische Ansicht als vielmehr das häufige Fehlen positiver Vorbilder. Selbst (oder vielleicht sogar gerade) die, die als Untergebene den Führungsstil ihrer Vorgesetzen kritisieren, reproduzieren genau diesen Stil, wenn sie in Amt und Würden kommen. Nun heißt das Peterprinzip ja nicht deshalb so, weil es ausgerechnet am Beispiel der Kirche entwickelt wurde, aber die Kirche wäre ein guter Untersuchungsgegenstand, um es empirisch zu belegen. Denn während etwa die Bundeswehr auch nicht gerade ein Hort lauter aufrechter und herausragender Führungspersönlichkeiten ist, geht die Kirche nicht gleich(!) im Gefecht unter, wenn die Unterführer taktisch ihr eigenes Ding machen, statt die Strategie des Stabes umzusetzen. Meine Pastoralprofessorin pflegte zu sagen, jedes Wirtschaftsunternehmen wäre schon lange pleitegegangen, wenn in ihm (wie in der deutschen Kirche) ersteinmal alles als völliger Bockmist abqualifiziert würde, was von der Zentrale kommt. Natürlich hinkt der Vergleich, gerade auf theologischer Ebene, aber er bringt einen Aspekt gut auf den Punkt: Kein normaler Angestellter könnte sich leisten, was im kirchlichen Dienst häufig die Regel ist.
Damit sind wir auch schon beim eigentlichen, das Problem reproduzierenden Kern, der wie dieser Post im Seminar beginnt: Woher sollen die späteren Führungskräfte wissen, wie man leitet, wenn sie nicht zu den wenigen gehören, denen es quasi angeboren ist, die Führung zu übernehmen. Wer schon im Seminar lernt, Klappe halten, nicht aufmucken, Formalia erfüllen und ansonsten das eigene Ding durchziehen, und das dann als Kaplan verinnerlicht, woher soll der dann wissen, wenn er als Pfarrer das erste Mal wirklich Leitungsverantwortung übernehmen muß, wie das gehen soll. (Ersetze wahlweise „Seminar“, „Kaplan“ und „Pfarrer“ durch „Pastroalassistentenzeit“, „Pastoralreferent“ und „Abteilungsleiter“.) Der Fisch stinkt, wenn nicht vom Kopf, so doch von der (ausgesprochen breiten) mittleren Führungsebene her.
Daß das auch in Rom nicht unbemerkt geblieben ist, zeigt sich nach meinem Eindruck übrigens in der relativ geräuschlosen Verlängerung der Dienstzeit deutscher Bischöfe zum Teil auch trotz schwerer Erkrankungen über den 75. Geburtstag hinaus (Passau, Mainz, Dresden-Meißen…), die sich weniger mit der überragenden Leistung der entsprechenden Bischöfe als mit der Herkulesaufgabe der Nachfolgeregelung erklären läßt…
Das ist alles richtig bemerkt!
Volltreffer!
"da wir ja niemandem weh tun dürfen"
Ja, das kenne ich leider nur zu gut.
Stimmt. Alles. Wörtlich.
Punkt.
und das Furchtbare: das war vor 25 Jahren nicht anders ….(ich weiß wovon ich rede)
So, jetzt muss ich doch noch mal:
1. ich beschwere mich nicht, Du hast schon den Hauptanteil an diesem, unseren Werk geleistet.
2. "ein Conblogger" ist ja gar nicht wahr: gibt (neben Dir) mindestens zwei, die Mitglieder der Kampagne waren/sind…
3. der Hauptpunkt: Rufst du hiermit zur Neugründung/Wiederbelebung unserer "KpP7" auf?
icke bin dabei. und der Nachtbriefträger bestimmt auch.
Zitat: "sie haben Brian entführt!" – "das erfordert eine sofortige Diskussion!" – "Neuer TOP?" – "föllig neuer TOP!"
schmunzel, Grüße
Behauptete ja nicht, daß "ein und nur ein Conblogger" sich beschweren könne, sondern wollte vermeiden, daß sich überhaupt ein Conblogger beschwert 🙂
Wiederbelebung: Auch ja! Laßt uns einen Diskussionszirkel gründen, damit wir genau wissen, was falsch läuft und dann ein Musikfestival durchführen, um die Welt zu ändern!!!111einself (zur Langfassung)
Hast Du unser altes Logo noch irgendwo (in möglichst digitaler Form)?