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Bischof Feige hält in einem Interview mit der KNA die Frauenordination für möglich und das Argumentieren mit der Tradition für unzureichend.

ad traditionem

Wenn es in der katholischen Kirche 2019 nicht mehr ausreicht, mit der Tradition zu argumentieren, dann ist Polen bereits offen. Es gibt kein legitimes theologisches Argument, das nicht aus der Tradition stammt. Das hat einfach mit den loci theologici zu tun, also den Quellen theologischer Argumente. Ohne allzusehr ins Detail gehen zu wollen, kennt die Kirche nur zwei aufeinander verwiesene Offenbarungsquellen, aus denen theologische Argumente abgeleitet werden können: Schrift und Tradition. Diese sind insofern aufeinander verwiesen als die Heilige Schrift selbst Teil der Tradition ist und die Tradition in ihrem Kern Schriftauslegung. Dabei ist die Tradition als der eine große und ununterbrochene Prozeß der Glaubensweitergabe von Generation zu Generation zu verstehen (Werbeblock: Wer zuviel Geld hat, kann sich ja mal meine Diplomarbeit über den „Kanon“ von Vinzenz von Lerin reinziehen, womit auch geklärt wäre, wo mein Pseudonym seinen Ursprung hat :-).

Aber meint Bischof Feige hier nicht etwas anderes mit Tradition, nämlich Gewohnheit? Nein! Ganz klar nein! Denn die vom kirchlichen Lehramt in Ordinatio Sacerdotalis aufgeführten Gründe gegen die Frauenordination sind nicht aus mehr oder weniger langen Gewohnheiten abgeleitet, sondern aus der Schrift, die mit Hilfe der Glaubensüberlieferung, also dem Prozeß der Tradition, ausgelegt wird.

Hier zeigt sich ein unanimis consensus patrum, ja saeculi – kein katholischer Autor kennt die Weihe von Frauen, die vielmehr als Zeichen heidnischer oder häretischer Gruppen verstanden wird, z.B. bei Gnostikern, Katharern und Waldensern. Dabei wird nicht aus Gewohnheit oder patriachalischer Misogynie argumentiert (wenngleich solche Argumente gelegentlich als Angemessenheitsgründe angeführt werden), sondern lehrmäßig – aus dem in der Schrift vorgefundenen Willen Christi heraus. Die ungebrochene Gewohnheit, dass die Kirche noch nie Frauen zur Priesterweihe zugelassen hat, kommt dann in den Argumenten von Paul VI. und Johannes Paul II. nur als äußere Bestätigung der bereits belegten inneren Überzeugung ins Spiel.

Natürlich setzt Bischof Feige auf die Zweideutigkeit des Begriffs und die – nach 50 katechesefreien Jahren erwartbare – Unkenntnis der Gläubigen über den Begriff der Tradition. Dieser Begriff ist in der landläufigen Wahrnehmung negativ besetzt und zu einem Synonym für Gewohnheit geworden. Er erwartet, daß bei den mehr oder weniger unbedarften Lesern seines Interviews all die negativen Konnotationen des Begriffs aufgerufen werden und man ihm spontan recht gibt, man brauche bessere Argumente als die bloße Gewohnheit. Und wer wollte letzteres bestreiten!

Doch ist das theologische Argument mit der Tradition eben nicht diese bloße, am besten noch unreflektierte Gewohnheit, sondern das glatte Gegenteil: Die Tradition, der Prozeß der Glaubensweitergabe, ist nach über 5.000 Jahren doch recht ausgefeilt, und nach rund 2000 Jahren christlichen Durchdenkens und Theologie in einem Maße reflektiert, daß man als heutiger Theologe, um überhaupt noch irgendwas Neues „entdecken“ zu können, sich schlicht etwas ausdenken muß (oder irgendeine nicht ganz so bekannte Häresie aus dem Reservoir von 2.000 Jahren wieder aufwärmen).

ad sacerotalem ordinationem

Papst Johannes Paul II. hat in Ordinatio Sacertdotalis (der Text ist übrigens nicht lang, kann man mal eben nebenbei lesen, außerdem sollte man den wesenlichen Verweisen, insbesonderen zu Inter Insigniores folgen, es lohnt sich!) als endgültig festgestellt, dass die Priesterweihe von Frauen unmöglich ist, weil die Kirche keine Vollmacht hat, die Sakramente über den Willen Christi hinaus auszudehnen. Man kann es so zusammenfassen:

Weder Schrift noch Tradition in ihrer Gesamtheit lassen auch nur den leisesten Anhalt erkennen, daß Christus bei der Einrichtung des Sakraments des Ordo eine Weihe von Frauen eingeschlossen hätte. Wenn Christus aber keine Frauen weihen wollte, hat die Kirche schlicht keine Möglichkeit, daran etwas zu ändern.

Vielmehr ist es die beständige Lehre aller Päpste einschließlich Franziskus (Evangelium Gaudium Nr. 104), dass dieses Tor geschlossen ist. Zuletzt hatte sich der Präfekt der Glaubenskongregation erst im Mai 2018 genötigt gesehen, dies in Erinnerung zu rufen.

Alle Gegenargumente basieren auf rein konjunktivistischer Mutmaßerei: Wenn Christus heute gelebt hätte, würde er Frauen geweiht haben. Mal davon abgesehen, daß dies eine völlig uninteressante Hypothese ist – denn Christus hat nun einmal nicht heute gelebt, sondern sich entschieden, vor 2000 Jahren zu leben! –, gibt es durchaus einige Gründe, anzunehmen, daß, wenn Er Frauen als Priester gewollt hätte, Er dies ohne weiteres getan hätte.

Die Frauen im Gefolge Christi spielten eine damals geradezu skandalöse Rolle. Sie finanzierten seine Wanderpredigerschaft und waren – völlig unerhört für die damalige Zeit – mit Ihm und Seinen Jüngern unterwegs auf eben dieser Wanderschaft. Seine Beziehung zu ihnen war zum Teil so nah, daß Ihm bis heute nicht nur von Dan Brown Verhältnisse oder gar mehr mit Maria Magdalena angedichtet werden. Es wäre ein leichtes gewesen, sie auch zum Letzten Abendmahl mitzunehmen und zusammen mit dem Zwölferkreis zu Priestern zu weihen. Aber nicht einmal in den Zwölferkreis hat Er eine Frau aufgenommen, und niemanden außer dem Zwölferkreis hat Er zum Letzten Abendmahl zugelassen.

Im Gegensatz zu den Begriffen Apostel und Diakon, die an einigen Stellen der Heiligen Schrift durchaus in femininer Form auftauchen, ist dies für Presbyter (aus diesem Wort hat sich unser „Priester“ entwickelt) und Episkopoi (Bischöfe) nirgends der Fall.

Für die Diakonin hat die Liturgiewissenschaft inzwischen festgestellt, dass es sie durchaus gab, aber nicht im Sinne einer sakramentalen Weihe, sondern im reinen Wortsinn, also Helferinnen des Bischofs insbesondere bei Taufen von Frauen, die damals Ganzkörpertaufen waren.

Ähnlich wie bei Feiges o.g. Äquivokation zwischen der Tradition und den Traditionen setzt auch das „Apostolin“-Argument auf ein landläufiges Mißverständnis, die Gleichsetzung der Funktions“~ und der Amtsbezeichnung „Apostel“. Als Amtsbezeichnung bezieht sich „Apostel“ ausschließlich auf die Zwölf und Paulus, und ihr Amt wird nur von denen weitergetragen, die sie einsetzten. Die Wortbedeutung ist jedoch ähnlich wie die des Engels die Beschreibung der Tätigkeit des Bote-Seins. So werden etwa auch der heilige Bonifatius „Apostel der Deutschen“ und die heiligen Cyrill und Methodius „Slawen-Apostel“ genannt. In diesem Sinne bezeichnet auch die kirchliche Liturgie seit alters her Maria Magdalena als die Apostelin der Apostel – wohl wissend, daß dies ein Wortspiel und keine Identifikation ist.

Was mich an alledem am meisten erschreckt, ist das völlige Fehlen von belastbaren Argumenten. Bei Bischof Feige ist da nicht mehr als ein Blabla, daß man die Lehre nicht davon abhalten dürfe, sich zu ändern, wie Papst Franziskus sage (obwohl der die Unmöglichkeit der Frauenweihe ausdrücklich bestätigt hat, s.o.) und daß er sich selbst vor ein paar Jahren noch nicht hätte vorstellen können, die Möglichkeit der Frauenweihe zu denken.

Da geht es mir genau andersherum. Ich konnte mir die Möglichkeit der Frauenweihe immer vorstellen, so als rein praktische Möglichkeit, aber nie ein einziges, im letzten überzeugendes Argument dafür finden. Wie gesagt, alle Argumente dafür sind entweder untheologisch oder beziehen sich ausschließlich auf Diakoninen.

Die Argumente für die Frauenpriesterweihe sind in den letzten Jahren weder besser noch mehr geworden. Es ist vielmehr ein trotziges „jetzt erst recht“: Ich habe zwar nicht ein einziges Argument, ich will aber!!!!111111einself Kommt mir als Vater durchaus bekannt vor.

So ist das Beleidigendste an dem Text, der kürzlich auf Facebook die Runde machte, nicht etwa die Forderung nach dem Frauenpriestertum.

Am meisten stößt mir die strunzdoofe, nicht einmal die Ebene des rein Assoziativen erreichenden Logik hinter dem Text auf, die man schon geradezu böswillig nennen muß. Nur ein besonders deutliches Beispiel:

wenn eine frau
jesu sinneswandlung durch ein brotwort wirkte [Mt 15,27, Mk 7,28]
warum sollten frauen dann
bei der wandlung nicht das brotwort sprechen

Ich weiß nicht, ob dafür Triple-Facepalm oder 23 Bier überhaupt ausreichen. Ich bin ja eigentlich ganz gerne für fast jeden Schwachsinn zu haben. Aber dieser Schwachsinn da ist kein richtiger[tm] Schwachsinn. Er ist böswillig: Wohl wissend, daß es Schwachsinn ist, hat man sich hinter scheinbaren Bibelreferenzen versteckt, die man auch noch terminologisch vergewaltigen mußte, um überhaupt eine Strophe draus zu basteln.

Doch selbst, wenn ich die Terminologie noch für einen Moment beiseite lasse, besteht schlicht kein Zusammenhang zwischen den ersten und den letzten beiden Zeilen. Keiner. Überhaupt. Keiner. Nix Logik. Nicht mal falsche Logik:

aus „a“ folgt „b“
dann müsse aus „c“ auch „d“ folgen

Einziger Zusammenhang: der Terminus „Brotwort“. Als terminus technicus auf das erste der Wandlungsworte bezogen und so in der letzten Zeile verwendet.

Das vermeintliche „Brotwort“ aus der zweiten Zeile lautet hingegen (in der matthäischen Fassung):

Ja, Herr! Aber selbst die kleinen Hunde essen von den Brotkrumen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.

„Brotiger“ wird es nicht.

Während in den Wandlungsworten von tatsächlichem Brot die Rede ist, das Sein Leib wird, bleibt das Brot hier reine Metapher, die für den Glauben, die Gnade und das Wirken Christi steht. Was also Jesu „Sinneswandel“ verursacht, ist nicht das wirksame Wort, das aus dem bloßen Zeichen das macht, was es bezeichnet, sondern der Glaube der Frau, der sich im Bekenntnis zum Vorrang der Juden und im Vertrauen auf die überfließende Gnade und Güte ihres Gottes manifestiert:

Frau, dein Glaube ist groß. Es soll dir geschehen, wie du willst.

Aber vielleicht ist alles noch viel schlimmer. Nicht nur in nämlichen Text fehlt jeglicher Bezug auf das Wesen des Priestertums, nämlich sich als Werkzeug Christus zur Verfügung zu stellen, so daß Er durch den Geweihten wirken kann. Oder aus der anderen Perspektive formuliert: daß der Priester geweiht wird, um in persona Christi zu leiten, zu lehren und zu heiligen. Wir haben nur einen Hirten, Jesus Christus selbst. Alle anderen, die wir als Hirten bezeichnen, sind nur insofern Hirten, als sie in persona Christi handeln, also Christus durch ihr Handeln wirken lassen.

Wer als Geweihter nicht Christus wirken läßt, sondern sich in Widerspruch zur katholischen Lehre setzt, der sammelt nicht, der zerstreut!

ad titulum

Thus ends the Fifth Battle
By the treachery of men the field is lost
The night falls
And great is the triumph of evil

In den letzten Wochen bin ich beim Verfassen meiner Posts immer wieder an eine Grenze gekommen, so daß die Posts nie fertig wurden und mein Vorrat an verwertbaren Entwürfen inzwischen so ziemlich gegen Null tendiert.

Die Grundidee, an der ich mich abgearbeitet habe, betrifft einige merkwürdige Phänomene, die ich in der Kirche beobachten konnte. In allen diesen Situationen und in, wie mir scheint, immer mehr weiteren (ja, ich bin paranoid), erreiche ich gedanklich einen Punkt, an dem ich merke: So kommst Du nicht weiter. Du kannst diese Phänomene zwar auf den Punkt bringen, das wird aber nichts ändern. Es läßt sich einfach nichts ändern, zumindest nicht, indem man die konkreten Probleme direkt angeht: Es handelt sich um einen „Catch 22“.

„Catch 22“ ist ursprünglich ein Anti-Kriegsroman des Amerikaners Joseph Heller. Das Buch ist, wie ich finde, ausgesprochen anstrengend zu lesen, was wohl daran liegt, daß es die Sinnlosigkeit der beschriebenen Ereignisse und Umstände auch in der literarischen Gestaltung der Erzählung zum Ausdruck bringt. Ich bin froh, das Buch gelesen zu haben, ob ich es empfehlen kann, bin ich mir nicht so sicher.

Von diesem Buch ausgehend hat sich der Begriff „Catch 22“ im Englischen für Situationen, wie sie im Buch beschrieben werden, eingebürgert. Die deutsche Wikipedia nennt diese Situationen „Dilemmata“, das ist mindestens ungenau. Ein Dilemma ist eine Situation, in der ich, egal wie ich mich entscheide, etwas falsch mache. Bei einem „Catch 22“ kann ich zwar nichts richtig machen, aber das liegt nicht daran, daß ich etwas falsch mache, sondern daß die Situation so konstruiert ist, daß unabhängig von meiner Entscheidung das angestrebte Ziel schlicht nicht erreicht werden kann.

Das erste und bekannteste Beispiel für einen „Catch 22“ aus dem Buch ist eine Regelung, nach der wahnsinnige Piloten keine Angriffe fliegen dürfen, sondern von der Front abgezogen werden müssen. Einzige Voraussetzung dafür ist, daß der Pilot eine psychologische Untersuchung beantragt. Der „Catch“ dabei ist, daß die Beantragung dieser Untersuchung zeigt, daß er völlig gesund ist, denn nur ein Wahnsinniger würde Angriffe fliegen wollen. Infolgedessen kann der Gesunde nicht vorspiegeln, geisteskrank zu sein, und der Wahnsinnige kann nicht nach hause geschickt werden, weil er sich selbst ja nicht für wahnsinnig hält und entsprechend keinen Antrag stellen wird, und selbst wenn sich ein Wahnsinniger selbst für wahnsinnig hielte und einen Antrag stellte, würde ihm das als eindeutiges Zeichen geistiger Gesundheit ausgelegt.

Ein Catch 22 drückt sich also in der Unmöglichkeit aus, systemkonform ein Ziel, das das System als mögliches vorspiegelt, erreichen zu können. Ein (moralisches) Dilemma hingegen ist eine Situation, in der zwei absolute Werte miteinander konkurrieren, in der also die Güterabwägung nicht mehr funktioniert, um zu einer klaren Entscheidung zu kommen. Am ehesten vergleichbar ist ein Catch 22 daher mit dem Passierschein A38 aus „Asterix erobert Rom“ oder dem „Was?! Ihr müßt mir doch eine Chance lassen da raus zu kommen! Also gut, ich bin der Messias!“ aus dem „Leben des Brian“.

Allerdings ist der Catch 22 deutlich brutaler. Asterix kommt an den Passierschein A38, indem er den Spieß umdreht und nach Passierschein A39 fragt. Ein Catch 22 kann zwar anfangs noch solche Lücken haben, sie werden aber geschlossen werden und sind nicht systemimmanent wie bei Asterix. So auch im Buch: Ein Soldat entdeckt, daß er den schützenden Rang eines Private First Class auch nach einer Beförderung durch unerlaubtes Entfernen von der Truppe, das eine Degradierung nach sich zieht, immer wieder erreichen kann – bis eben diese Lücke als solche erkannt und geschlossen wird. Brian kann sich verbergen, die Volksmenge hat keine direkte Macht über ihn, und daß er am Ende am Kreuz endet, hat nichts mit der Messiasfrage, sondern mit der Beteiligung an einem terroristischen Akt zu tun. Beide Varianten sind bei einem Catch 22 nicht möglich. Egal was Du machst, egal wie Du Dich entscheidest, die gestellte Aufgabe ist nicht lösbar, denn es gibt nicht nur keine Möglichkeit, die gestellte Bedingung zu erfüllen, die Bedingung selbst ist vielmehr völlig unsinnig: die Bedingung, um „Ziel“ erreichen zu können, besteht in „Nicht-Ziel“.

Und so gelingt es Hauptmann Yossarian, dem Antiheld von Catch 22, schließlich eher zufällig, weiteren Angriffsflügen zu entgehen, indem er zur Strafe zum Major mit Innendienstbeschreibung befördert wird. Denn jede andere Form von Bestrafung würde ihn von der Front abziehen, und dann könnten andere Piloten auch auf die Idee kommen, sich einfach zu weigern, Angriffe zu fliegen. Klingt unlogisch, ist es auch (wie der ganze Catch 22), denn es geht ausschließlich darum, den „Rebellen“ und „Abtrünnigen“ wieder ins System zu integrieren, indem man ihm gibt, was er will, ohne es explizit zu tun. Es wird also das individuelle Interesse ausnahmsweise erfüllt, um die Moral der Truppe im ganzen aufrecht zu erhalten. Und so zeigt sich der Catch 22 in einer Situation im Buch auch als das, was er tatsächlich ist: als blanke Ausübung von Macht.

Wie aber kommt man da raus? Die Antwort lautet: gar nicht. Es gibt aus einem echten „Catch 22“ keinen Ausweg, denn ein echter „Catch 22“ besteht gerade in seiner Alternativlosigkeit. Der Catch 22 ist zunächst eine reine Illusion, die die Ausübung der Macht gleichermaßen verschleiern wie absichern soll, und funktioniert selbst dann noch, wenn man ihn als solchen durchschaut hat, da er dann die Sinnlosigkeit des Versuchs offenbart, sich gegen den Catch 22 zu wehren.

Genau an diesem Punkt kam ich einfach nicht weiter. Es kann doch nicht sein, und es darf nicht sein, daß ich da wirklich nicht rauskomme, daß ich immer verliere. Und dann kam da der heutige Tagesheilige, Papst Johannes Paul II., ins Spiel. In der zweiten Lesung der Lesehore, die seiner Ansprache zu Beginn des Pontifikats entnommen ist, heißt es:

[Die Herrschaft des Herrn hat] ihre Ursprünge nicht in den Mächten dieser Welt, sondern im Geheimnis des Todes und der Auferstehung… Die uneingeschränkte und doch milde und sanfte Herrschaft des Herrn ist die Antwort auf das Tiefste im Menschen, auf die höchsten Erwartungen seines Verstandes, seines Willens und Herzens. Sie spricht nicht die Sprache der Gewalt, sondern äußert sich in Liebe und Wahrheit. […] Habt keine Angst, Christus aufzunehmen und Seine Herrschergewalt anzuerkennen! […] Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus! […] Habt keine Angst! Christus weiß, ‚was im Innern des Menschen ist‘. Er allein weiß es! Heute weiß der Mensch oft nicht, was er in seinem Innern, in der Tiefe seiner Seele, seines Herzens trägt. Er ist deshalb oft im Ungewissen über den Sinn seines Lebens auf dieser Erde. Er ist vom Zweifel befallen, der dann in Verzweiflung umschlägt. Erlaubt also … Christus, zum Menschen zu sprechen! Nur Er hat Worte des Lebens, ja des ewigen Lebens!

Da ging mir auf: Der Catch 22 basiert auf der erbsündlichen Verfaßtheit weltlichen Denkens, auf der Angst vor dem Tod, auf dem Streben nach Ehre, Anerkennung, dem Wunsch, etwas zu gelten – und nutzt diese brutal aus. Im Buch funktioniert der Catch 22 genau deshalb, weil die Soldaten Angst vor dem Tod haben (und jeder, der keine Angst vor dem Tod hat, wird als wahnsinnig dargestellt). Die Frage aber, ob der Krieg tatsächlich gerechtfertigt, ja vielleicht sogar notwendig ist (und wir reden hier immerhin vom Zweiten Weltkrieg), auch wenn es vielleicht nicht jeder einzelne Angriff ist, und ob das ständige Heraufsetzen der Flugzahl, bevor man auf Heimaturlaub darf, vielleicht aus Personalmangel tatsächlich notwendig ist, um den Krieg führen und gewinnen zu können – das alles spielt im Buch überhaupt keine Rolle. Es beginnt bereits mit dem Versuch, aus der (vorausgesetzten) Sinnlosigkeit des Sterbens auszubrechen.

Das Sterben in Christus aber ist nicht sinnlos. Die im Buch behandelte Sinnlosigkeit findet ihre Antwort tatsächlich in Christus, der dem nach weltlichen Maßstäben sinnlosen Leben einen Sinn geben kann. Nicht im Sinne einer Vertröstung auf das Jenseits, sondern in dem Sinn, daß er die Wahrheit und Gerechtigkeit als Maßstäbe erkennen läßt, für die es sich lohnt, Leib, Leben, Anerkennung, Würdigung, Bedeutung hin- und aufzugeben, weil Er selbst sie ist. Wer in Christus stirbt, dem wird das Leben nicht entrissen, er gibt es hin; wer in Christus stirbt, dem wird das Leben nicht genommen, sondern gewandelt.

Sicherlich ergibt das alles nur Sinn, wenn ich davon ausgehe, daß die Wahrheit und die Gerechtigkeit sich letztlich durchsetzen werden. Und der einzige Garant dafür ist Jesus Christus selbst. Sich gegen all die Catches 22 zu wehren, geht nur aus der Beziehung und Liebe zu Jesus Christus. Die Wahrheit wird euch frei machen: Wer (wirklich) in Christus lebt, ist für die weltliche Macht uneinnehmbar geworden, da er weder mit Drohungen noch mit Versprechungen korrumpierbar ist – zumindest solange er sich nicht wieder dieser Macht unterwirft.

Lebe ich mit Christus, springe ich nicht mehr über jedes Stöckchen, das mir hingehalten wird, ich kümmere mich um das, was (mir) wirklich wichtig ist, und ich entziehe mich dem Zugriff der Macht auf eine Weise, die die Logik der Macht schlicht nicht verstehen kann. Zugleich führt diese Freiheit aber notwendig in Verachtung, Ausgrenzung und vielleicht sogar Verfolgung; gerade weil ihr mit der Logik der Macht nicht beizukommen ist. Und die Verachtung, Ausgrenzung und Verfolgung erfolgt besonders da, wo es mir am meisten weh tut (wie ich im letzten halben Jahr mehrfach schmerzlich feststellen mußte). So ist das Leben mit Christus kein Zuckerschlecken. Es wird erst so richtig zum Kampf, zum Kampf aus der immer schlechteren Position, immer bergauf, aber es ist ein Leben in Freiheit, vor allem auch innerer Freiheit, in Identität mit sich selbst. Leiden tut immer weh, aber Leiden mit Christus kann die Welt verändern (aber eben nicht, indem die Probleme direkt angegangen werden), vor allem aber den mit Christus Leidenden befreien.

Habt keine Angst! Öffnet die Türen für Christus!

Es könnte jetzt jemand die Frage stellen: Wen interessiert’s, ob der Jurisdiktionsprimat von Anfang an bestand oder nicht, ist doch nur eine strukturelle und eine Machtfrage. Das sollte im christlichen Glauben doch nicht im Vordergrund stehen! Aber ist der Jurisdiktionsprimat damit richtig eingeordnet?

Wenn ich schon so frage, ist das natürlich nicht der Fall:

  1. Das 1. Vatikanische Konzil hat es für heilsnotwendig erklärt, den Jurisdiktionsprimat als von Gott eingesetzt und geoffenbart anzuerkennen.
    Das heißt: Wenn der Jurisdiktionsprimat nicht von Anfang an bestand, sondern erst später erfunden wurde, dann kann er nicht heilsnotwendig sein (wobei die Frage zu klären wäre, in welcher Form er von Anfang an existieren musste, damit die weitere Entwicklung eine legitime Entwicklung ist). Denn dann hätte es eine Zeit gegeben, in der er nicht wenigstens einschlussweise geglaubt wurde, und wäre es heilnotwendig, ihn zu glauben, dann hätten die ersten Christen nicht zum Heil gelangen können, was offenkundig unsinnig ist.
  2. Hat es den Jurisdiktionsprimat nicht von Anfang an gegeben (in welcher Form auch immer), hätte sich das 1. Vatikanische Konzil in einer den Glauben betreffenden Frage fundamental geirrt. Es hätte ein falsches Dogma verkündet. Hat sich das kirchliche Lehramt aber in dieser Frage geirrt, hat es sich notwendigerweise auch in der Lehre von der Unfehlbarkeit des höchsten Lehramtes geirrt und kann sich infolgedessen in jeder anderen Frage ebenso irren.
    Daraus folgte: Ich könnte dem kirchlichen Lehramt in Fragen des Glaubens nicht mehr trauen, es könnte sich ja in jeder Frage auch geirrt haben; folglich könnte ich nur das verantwortet glauben, was ich nach ausführlichem Studium selbst eingesehen habe, aber auf gar keinen Fall etwas, das mir zwar das Lehramt als zu glauben vorlegt, das ich aber nicht einsehe oder gar für falsch halte. Damit wäre der Glaube rein subjektiv geworden, und es könnte kein allgemein verbindliches Glaubensbekenntnis oder überhaupt überindividuellen Glauben geben. Infolgedessen könnte es auch keine Kirche geben, was wiederum offenkundig unsinnig ist.
  3. Nun könnte einer argumentieren, uns verbinde doch das gemeinsame Glaubensbekenntnis, und in diesem sei der Jurisdiktionsprimat nicht enthalten. Tatsächlich steht der Jursdiktionsprimat nicht explizit im Glaubensbekenntnis, er ist aber direkt aus ihm ableitbar, nämlich aus dem Bekenntnis zur „einen, heiligen katholischen und apostolischen Kirche“.

Um den letzten Punkt verständlich zu machen, komme ich um die Frage, was der Jurisdiktionsprimat eigentlich ist, nicht mehr rum:

Kurz gesagt bedeutet der Jurisdiktionsprimat, daß der Papst die oberste rechtliche Instanz in der Kirche ist, sowohl in der Gesetzgebung (Legislative), als auch der Gesetzesdurchführung (Exekutive) als auch der Rechtsprechung (Judikative). Er hat unmittelbare rechtliche Gewalt über die ganze Kirche und jeden einzelnen Gläubigen.

Ist es also doch eine Machtfrage? – Das erste und das zweite Vaticanum, das in dieser Frage überhaupt nicht vom ersten abweicht, sondern vielmehr das erste nur hinsichtlich der Apostolizität ergänzt, führen ganz andere Punkte an:

  1. Einheit: Der Papst als Nachfolger des Apostel Petrus ist Zeichen und Garant der Einheit (eine … Kirche).
  2. Apostolizität: Die eine, heilige, katholische Kirche muss zugleich apostolisch sein, das heißt zumindest dem Kern nach mit der frühen Kirche unter der Leitung der Apostel identisch sein (d.h. Wachstum, tiefere Erkenntnis usw. nicht ausgeschlossen, aber im Kern schon alles dagewesen und geglaubt). Alle Bischöfe sind Nachfolger der Apostel, es gibt eine ungebrochene Linie der Weitergabe der Apostolischen Sendung (= „apostolische Sukzession“). Wie das Apostelkollegium in Petrus seinen Vorsteher hatte, haben ihre Nachfolger, das Bischofskollegium, ihr Haupt im Petrusnachfolger, dem Papst (apostolische Kirche).
  3. Die Katholizität (= Allumfassenheit) der Kirche kann nur zugleich mit der Einheit gedacht werden, ohne Einheit keine Katholizität. Wer nicht in der Einheit mit dem Papst steht, mag zwar auf Christus hingeordnet sein, kann aber nicht Seinem Leib angehören (katholische … Kirche), was im Übrigen ebenso heilsnotwendig ist.
  4. Da der Papst die Sakramentenverwaltung und die Verkündigung des Evangeliums (Lehre) für die ganze Kirche verbindlich regelt, ist auch die Heiligkeit der Kirche (die nicht darin besteht, dass alle Gläubigen persönlich heilig sind, sondern darin, dass die Kirche alle Mittel zur Heiligung, d.h. eben Sakramente und Lehre, besitzt) vom Jurisdiktionsprimat abhängig; sonst könnte jeder Sakramente spenden, wie er lustig ist, aber der Empfänger hätte keine Garantie, dass die Sakramente auch gültig gespendet werden (heilige … Kirche).

Freilich besteht der Jurisdiktionsprimat nicht darin, dass „alle kirchliche Gewalt vom Papste ausgeht“. Vielmehr haben alle Bischöfe Teil an der Leitungsgewalt Christi. Christus ist die Quelle aller Leitungsgewalt. Jedoch hat der Papst die Fülle aller bischöflichen Leitungsgewalt. D.h., während „alle Gewalt von Christus ausgeht“ und jeder Bischof in seiner Diözese die höchste Leitungsgewalt innehat, hat für die ganze Kirche der Papst die höchste Leitungsgewalt, die sich nicht so sehr dem Grade nach unterscheidet (wie es bei den Priestern ist, die ebenfalls Anteil an der Leitungsgewalt haben, aber nicht an der vollen Leitungsgewalt partizipieren, sondern von ihrem Bischof abhängig sind), sondern vielmehr territorial. Erst in der päpstlichen Leitungsgewalt wird die kirchliche Leitungsgewalt wahrhaft katholisch, nämlich die ganze Kirche umfassend.

Wie gesagt, das bedeutet nicht, daß die Bischöfe reine Weisungsempfänger des Papstes sind und nur das ausführen könnten und dürften, was der Papst ihnen vorschreibt. Vielmehr haben sie, wie alle Apostel ihre je eigene Berufung erfuhren, eine eigene Würde und das Recht, für ihre Diözese verbindlich zu entscheiden. Wie aber Petrus eine besondere, zusätzliche Berufung erfuhr, kann der Papst zur Wahrung der Einheit der ganzen Kirche Entscheidungen von anderen Bischöfen aufheben und allgemeine Vorschriften für die ganze Kirche erlassen, und jeder Gläubige, der sich durch eine Entscheidung seines Bischofs beschwert fühlt, kann sich an den Papst wenden, während eine Entscheidung des Papstes nicht mehr anfechtbar ist. Das heißt, der besondere Dienst des Papstes besteht darin, die Einheit in der Vielfalt der regionalen Besonderheiten zu wahren.

Damit zeigt sich, wie unmittelbar der Jurisdiktionsprimat mit dem Verständnis der Kirche zusammenhängt. Im Dogma vom Jurisdiktionsprimat ist zugleich mitbesagt, daß die Kirche nicht nur geistlich verstanden eine ist, sondern real-realistisch, ausgedrückt in der durchaus auch rechtlich verstandenen Einheit mit dem Nachfolger Petri, und daß sie hierarchisch gegliedert ist und von oben, von Christus her gebildet ist.

Der Jurisdiktionsprimat ist daher alles andere als unwichtig. Er ist vielmehr ein ganz entscheidender Ausdruck des rechten Verständnisses von der Kirche. Und es kommt nicht von ungefähr, daß genau an dieser Stelle jeglicher ökumenischer Fortschritt zum Stillstand kommt. Ist der Papst der Stellvertreter Christi auf Erden oder nicht? Oder nochmal tiefer gefragt: Herrschen (zum Scheitern verdammte) menschliche Wunschträume oder herrscht Christus?

Es lebe Christus, der König!

Als ich mich über den Artikel vom letzten Post aufregte, fing ich erstmal am anderen geschichtlichen Ende zu suchen an. Vom Studium hatte ich im Hinterkopf, daß es vor 1871 keine Definition des Jurisdiktionsprimates gab. Ich erinnere mich sogar noch daran, wie unser Kirchengeschichtler einen Kommilitonen zurechtwies, der im Kontext des „Hexenhammers“ fragte, wie sich der Bischof von Innsbruck über eine päpstliche Vorschrift hinwegsetzen und Heinrich Institoris
aus seinem Bistum vertreiben konnte: Wann wurde der Jurisdiktionsprimat definiert?

Ich hatte das damals so verstanden, als wäre der Jurisdiktionsprimat mehr oder weniger eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Wenngleich er seine Grundlage sehr wohl schon im Neuen Testament habe, sei er über die Jahrhunderte entwickelt und erst im 19. Jahrhundert voll entfaltet worden.

Aber wie so üblich bewahrt Quellenstudium vor solchen Neuentdeckungen. Denn wenn man sich „Pastor Aeternus“, die dogmatische Konstitution des 1. Vaticanums, in der der Jurisdiktionsprimat als verbindliche Glaubenswahrheit vorgelegt wird, anguckt, stellt man plötzlich fest, daß dort sinngemäß steht: „Wir schreiben als verbindlich zu glauben vor, was bereits das Konzil von Florenz definiert hat.“

Das Konzil von Florenz aber fand aber im späten Mittelalter statt – und gut dreißig Jahre vor dem Erscheinen des Hexenhammers übrigens! Im „Dekret für die Griechen“ (DH 1307) heißt es:

Ebenso bestimmen wir, daß der heilige Apostolische Stuhl und der Römische Bischof den Primat über den gesamten Erdkreis innehat und der Römische Bischof selbst der Nachfolger des seligen Apostelfürsten Petrus und der wahre Stellvertreter Christi, das Haupt der ganzen Kirche und der Vater und Lehrer aller Christen ist; und ihm ist von unserem Herrn Jesus Christus im seligen Petrus die volle Gewalt übertragen worden, die gesamte Kirche zu weiden, zu leiten und zu lenken, wie es auch in den Akten der ökumenischen Konzilien und in den heiligen Kanones festgehalten wird.

Im Anschluß wird noch einmal die Rangordnung der Patriarchate bestätigt: Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien, Jerusalem. Datum dieses Dekrete: 6. Juli 1439! Das einzige, was da noch nicht so explizit steht wie in Pastor Aeternus, ist die Unfehlbarkeit des Papstes in Fragen des Glaubens und der Sitte. Der komplette Umfang des Jurisdiktionsprimates ist dort bereits enthalten, und das Konzil behauptet wiederum, nur die bereits bestehende und von vorangegangenen Konzilien bestätigte Lehre zu wiederholen.

Den Verweisen im Denzinger folgend landete ich erstmal beim Glaubensbekenntnis des [byzantinischen] Kaisers Michael Palaiologos auf dem 2. Konzil von Lyon (DH 861), dem Unionskonzil mit den Griechen im Jahre 1274 (das ist das Konzil, zu dem Thomas von Aquin unterwegs war, als er starb):

Eben diese heilige Römische Kirche hat auch den höchsten und vollen Primat und die Herrschaft über die gesamte katholische Kirche inne; sie ist sich in Wahrheit und Demut bewußt, daß sie diesen vom Herrn selbst im seligen Petrus, dem Fürst bzw. Haupt der Apostel, dessen Nachfolger der Römische Bischof ist, zusammen mit der Fülle der Macht empfangen hat.

Desweiteren bestätigt er bereits das, was im Konzil von Florenz noch zu fehlen scheint: Die definitive Letztentscheidung des Papstes in Fragen des Glaubens:

Und wie sie vor den anderen gehalten ist, die Wahrheit des Glaubens zu verteidigen, so müssen auch eventuell auftauchende Fragen bezüglich des Glaubens durch Urteil entschieden werden [definiri(!)].

Ausdrücklich bestätigt der griechische Kaiser den Papst als Appellationsinstanz in allen rechtlichen Fragen und seinen Vorrang gegenüber Konzilien.

Also: Im Hochmittelalter bestätigt ein hoher Vertreter der orthodoxer Christenheit den Vorrang Roms in jeglicher Hinsicht. Natürlich könnte man einwenden, daß das byzantinische Kaiserreich sich seit Jahrhunderten des vordringenden Islams erwehren mußte und im Hochmittelalter entsprechend schwach war, daß überhaupt die Unionsbemühungen hier ihren Ursprung hätten und der Papst dem Kaiser diktieren konnte, was er wollte. Und vor allem, daß die orthodoxen Gläubigen die Union schließlich ablehnten. Das alles relativiert aber nicht, daß bereits hier der Anspruch Roms auf den Jurisdiktionsprimat über die ganze Kirche inklusive der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubensfragen klar und deutlich formuliert ist. Im Jahre 1274!

Allerdings ist das keineswegs das Ende der Verweise. Ein weiterer führte zum 4. Konzil von Konstantinopel im Jahre 869. Dieser Verweis ist allerdings ohne Fundstelle im Denzinger-Hünermann. Der Grund dafür ist, daß nämlicher Beschluß eine Vorgeschichte von mehreren hundert Jahren hat und sich sein Wortlaut mit geringen Abweichungen bis ins Jahr 515 zurückverfolgen läßt, nämlich zum Glaubensbekenntnis „Libellus Fidei“ von Papst Hormisdas (DH 363–365) das zur Beendigung des Akazianischen Schismas führte. Dort heißt es unter anderem:

Der Anfang des Heiles ist, die Regel des rechten Glaubens zu beachten und keinesfalls von den Bestimmungen der Väter abzuweichen. Und weil der Spruch unseres Herrn Jesus Christus nicht übergangen werden kann, der sagt: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“, wird das, was gesagt wurde, durch die tatsächlichen Wirkungen erwiesen; denn beim Apostolischen Stuhl wurde stets die katholische Religion unversehrt bewahrt. […] Wie wir vorher sagten, folgen wir in allem dem Apostolischen Stuhl und verkünden alle seine Bestimmungen; deshalb hoffe ich, daß ich in der einen Gemeinschaft mit Euch, die der Apostolische Stuhl verkündet, zu sein verdiene, in der die unversehrte und wahre Festigkeit der christlichen Religion ist. Ich verspreche, daß die Namen derer, die von der Gemeinschaft mit der katholischen Kirche getrennt sind, das heißt, nicht mit dem Apostolischen Stuhl übereinstimmen, während der heiligen Geheimnisse nicht verlesen werden.

Diese Formel beendete das von Rom verkündete Schisma mit Konstantinopel, nachdem Konstantinopel die Beschlüsse des Konzils von Chalzedon relativieren wollte, um die Einheit mit den Monophysiten zu ermöglichen. Konstantinopel, vertreten durch den Patriarchen und den Kaiser, schlossen sich voll und ganz der römischen Position an! Hier ist auch keinerlei äußerer Druck durch den (noch nicht existierenden) Islam oder ähnliches zu erkennen. Allenfalls die Germanen, die allerdings noch dazu Arianer waren, könnte man hier anführen. Die haben allerdings mehr Druck auf Rom als auf Konstantinopel ausgeübt. Mit anderen Worten: Wir haben hier, im Jahre 515/19 (nochmals durch Patriarch und Kaiser bestätigt 535) eine eindeutige und freie Zustimmung Konstantinopels zum Jurisdiktionsprimats Roms!

Damit aber immer noch nicht genug. Bereits im Jahre 343 ging es auf der Synode von Serdika um jurisdiktionelle Zuständigkeiten und Appelationsrechte bei Rechtsverfahren gegen Bischöfe (DH 133–136). Serdika liegt bei Sofia, also im Patriarchatsgebiet von Konstantinopel. Hier beschloß man, daß zunächst die Bischöfe der Kirchenprovinz über ihren Mitbruder Gericht halten sollten. Die Appellationsinstanz gegen ihr Urteil ist aber nicht etwa der Patriarch von Konstantinopel, sondern – unter ausdrücklicher Berufung auf das „Haupt“, d.h. den „Stuhl des Apostels Petrus“ – Rom!

Kurz zuvor hatte Papst Julius I. diese Frage ebenfalls ins Spiel gebracht, als er den Antiochenern in einem Brief (DH 132) vorwarf, den Rechtsweg nicht eingehalten zu haben:

Weswegen aber wurde uns vor allem wegen der Kirche von Alexandrien nicht geschrieben? Oder wißt ihr nicht, daß dies Brauch war, daß zuerst uns geschrieben wird und so von hier aus entschieden wird, was gerecht ist? Wenn nun freilich ein derartiger Verdacht gegen den dortigen Bischof volag, hätte man an die hiesige Kirche schreiben müssen.

Papst Julius beansprucht also, der einzige Richter in Streitigkeiten zwischen Patriarchatssitzen zu sein – nichts anderes also als den Jurisdiktionsprimat!

Gehen wir zurück in die frühe Kirche, also vor die Legalisierung des Christentums durch Kaiser Konstantin, werden die Quellen zwar dünner, aber es gibt sie, und sie ziehen sich durch die Jahrhunderte. So hat sich z.B. Papst Stephan im Jahr 256 in einem nur fragmentarisch überlieferten Brief an die Bischöfe Kleinasiens ausdrücklich auf die Kathedra Petri berufen, und Polykrates von Ephesus scheint, wie aus seinem ebenfalls nur fragmentarisch erhaltenen Brief an die Kirche von Rom (ca. 185–195) hervorgeht, auf Aufforderung Roms eine kleinasiatische Bischofssynode einberufen zu haben. Wie gesagt, diese Quellen sind dünn, wie überhaupt die Gesamtquellenlage vor dem Konzil von Nicäa 325 recht dürftig ist.

Jedoch sind noch drei frühe Quellen zu nennen, die bereits im apologetischen Teil auftauchten, zu nennen, die deutlich und sehr früh den Jurisdiktionsprimat bezeugen:

  • Irenäus, Adv. Haeresis III, 3, n. 2 (ca. 175–185): „Weil es aber zu weitläufig wäre, in einem Werke wie dem vorliegenden die apostolische Nachfolge aller Kirchen aufzuzählen, so werden wir nur die apostolische Tradition und Glaubenspredigt der größten und ältesten und allbekannten Kirche, die von den beiden ruhmreichen Aposteln Petrus und Paulus zu Rom gegründet und gebaut ist, darlegen, wie sie durch die Nachfolge ihrer Bischöfe bis auf unsere Tage gekommen ist. So widerlegen wir alle, die wie auch immer aus Eigenliebe oder Ruhmsucht oder Blindheit oder Mißverstand Konventikel gründen. Mit der römischen Kirche nämlich muß wegen ihres besonderen Vorranges jede Kirche übereinstimmen, d. h. die Gläubigen von allerwärts, denn in ihr ist immer die apostolische Tradition bewahrt von denen, die von allen Seiten kommen.“
  • In seinem Brief an die Römer redet der heilige Ignatius von Antiochien die römische Kirche als „die den Vorrang führt in der Liebe“ an, was er im übrigen klar von „die den Vorsitz führt im Gebiet der Römer“ unterscheidet. Die Briefe des heiligen Ignatius (ca. 107) sind nach dem Ersten Clemensbrief das überhaupt erst zweite Zeugnis der frühen Kirche nach den biblischen Quellen. Es sei noch angemerkt, auch wenn das ein Argument e silentio ist, daß keiner der anderen Ignatiusbriefe solche Formulierungen auch nur im Ansatz kennt.
  • Der Jurisdiktionsprimat besagt ja im wesentlichen, daß der Papst unmittelbar in jede Ortskirche hineinregieren kann. Der Anlaß des aus Rom kommenden Ersten Clemensbriefes ist die (unrechtmäßige) Absetzung von Priestern in Korinth. Die römische Kirche beansprucht in diesem Brief, unmittelbar in die Kirche von Korinth hineinregieren zu können (vgl. insbes. 1 Clem 57–59). Der Erste Clemensbrief ist also als ganzes ein einziges Zeugnis für den Jurisdiktionsprimat.

Überraschenderweise ist der Jurisdiktionsprimat und seine Ausübung durch den römischen Bischof ausgesprochen gut und von frühester Zeit belegt. Man könnte sogar behaupten, daß abgesehen von der Göttlichkeit Jesu kein Abstraktum der kirchlichen Lehre so gut belegt ist wie der Jurisdiktionsprimat. Und so erklärt sich auch, warum die Protestanten auf so nebensächliche Dinge wie „war Petrus überhaupt in Rom“ abheben. Denn das ist das einzige Glied in der ganzen Lehre vom Jurisdiktionsprimat, das nicht überdeutlich belegt ist – was nicht ganz unnormal ist für Einzelereignisse im Leben eines von der Welt damals für nicht sonderlich bedeutsam gehaltenen Menschen…

Im Juni gab es in unserem Pfarrblatt einen Artikel über den Jurisdiktionsprimat. Wie kurzes Googlen ergabt, erschien dieser Artikel, der einer Zeitschrift entstammt, die als Hilfe bei der Erstellung von Pfarrbriefen erscheint, auch in vielen anderen Juniausgaben von Pfarrblättern. Ist ja auch naheliegend, zumindest wenn man noch nicht vergessen hat, daß am 29. Juni das Hochfest Peter und Paul gefeiert wird.

Der Artikel selbst ist jedoch einigermaßen schauerhaft. Ok, man muß einräumen, daß es aus Perspektive des Autors, der evangelischer Kirchengeschichtler ist, sicherlich ein gelungener Text ist, denn er steht voll und ganz in „guter“ protestantischer Tradition. Aus katholischer Perspektive ist dazu jedoch zu sagen, daß dieser Artikel selbst in der vorsichtigsten Interpretation „eine beharrliche Leugnung“ oder zumindest „einen beharrlichen Zweifel einer kraft göttlichen und katholischen Glaubens zu glaubenden Wahrheit“ (Can. 751 CIC i.V.m. Pastor Aeternus) darstellt, oder einfacher gesagt: Häresie. Wie dieser Text unkommentiert in die katholische Ausgabe nämlicher Zeitschrift kommen konnte… naja, wundert mich irgendwie nicht so wirklich, skandalös ist es (insbesondere im eigentlichen Sinne des Wortes) trotzdem.

Das Schlimmste an dem Artikel ist, daß die dargestellten Fakten gar nicht so falsch sind, aber sehr wohl fehlerhaft eingeordnet werden:

  • Behauptung: „Erst der erste Clemensbrief deutet um die Jahrhundertwende 90/100 n.Chr. einen Märtyrertod des Paulus und Petrus in Rom an…“
    Richtig ist: Der Erste Clemensbrief ist unbestritten die älteste halbwegs sicher datierbare nachbiblische Quelle.[1] Wie man es dreht und wendet, das „erst“ ergibt keinen Sinn. Geht man von Frühdatierungen der biblischen Schriften aus, sind die meisten vor 64-67 (den vermuteten Jahren des Martyriums Petri) entstanden, dann ist der etwa 90-100 entstandende Erste Clemensbrief die erste Quelle, in der man ernsthaft etwas vom Martyrium Petri zu erfahren erwarten darf. Geht man hingegen von Spätdatierungen aus, dann ist das „erst“ geradezu lachhaft, denn dann wäre ein Großteil der biblischen Schriften sogar noch jünger als der Erste Clemensbrief.
  • Behauptung: „…später berichtet Irenäus von Lyon (gest. 202), dass Petrus der erste Bischof der Gemeinde in Rom gewesen sei.“
    Richtig ist: 1. Irenäus von Lyon ist zwar um 202 gestorben. Seine hier maßgeblichen Schriften lassen sich jedoch recht sicher auf die 170er Jahre datieren, als sein Lehrer Polykarp gerade mal zwanzig Jahre tot war. Polykarp aber war ein direkter Schüler des Apostel Johannes. Irenäus selbst, geboren um 120, gehört also erst zur Generation der „Apostelenkel“. Er ist daher als Quelle keineswegs als „spät“ einzustufen.
    2. Irenäus berichtet nicht etwa beiläufig über Petrus als Bischof von Rom, sondern er ist der Systematiker der Apostolischen Sukzession als Kriterium der Rechtgläubigkeit! M.a.W.: Er erfindet nicht mal eben aus lauter Jux und Dollerei die Apostolische Sukzession, sondern auf der Suche nach einem Kriterium, wo die rechte Lehre zu finden ist, greift er auf die apostolische Sukzession, d.h. die Weitergabe der apostolischen Sendung von Bischof zu Bischof zurück. Infolgedessen muß der Gedanke der apostolischen Sukzession (von der Praxis ganz zu schweigen) bereits klar und deutlich vorgelegen haben, als er ihn aufgegriffen hat. Und das ist auch alles andere als unwahrscheinlich, findet sich doch die Einsetzung von Gemeindeleitern durch die Apostel (z.T. mit Handauflegung) bereits in den biblischen Quellen.
  • Behauptung: Mt 16,18 sei das „Wort auf das die katholische Tradition die Vorrangstellung des Apostels zurückführt“.
    Richtig ist: 1. Die katholische Tradition führt darauf keineswegs die Vorrangstellung des Apostels Petrus zurück, sondern den Jurisdiktionsprimat des Papstes!
    2. Die katholische Tradition führt darauf den Jurisdiktionsprimat nicht zurück, sondern verwendet Mt 16,18 als Schriftbeweis für ihn. D.h. in einer bestimmten theologischen Methodik wird die deutlichste Stelle als biblische Grundlage einer kirchlichen Lehre angeführt – als pars pro toto!, d.h. in dieser Stelle kommt am deutlichsten die klare Überlieferung der Heiligen Schrift zum Ausdruck. Die Stelle ist aber sehr wohl im Kontext aller Schriften zu betrachten, und da fällt doch deutlich der Vorrang Petri ins Auge. Obwohl er nicht annähernd so charismatisch wie Johannes und Paulus ist, die ungefähr genauso häufig erwähnt werden wie Petrus (alle anderen Apostel sind weit, weit, weit abgeschlagen), hat er sowohl vorösterlich als auch nachösterlich die Rolle der entscheidenden Autorität im Apostelkollegium inne. Das zeigt sich auch darin, daß sowohl Johannes als auch Paulus den Vorrang des Petrus ausdrücklich bestätigen.

Zwei Aussagen sind allerdings nur schlicht und ergreifend falsch zu nennen:

  • Falsch ist: Die „biblischen Quellen […] wissen […] von einem Romaufenthalt des Petrus nichts“.
    Richtig ist vielmehr: Die biblischen Quellen geben als Abfassungsort des Ersten Petrusbriefes Rom an.[2]
  • Falsch ist: „Aus diesen Notizen ist erst Jahrhunderte später eine Vorrangstellung des römischen Bischofs abgeleitet worden…“
    Richtig ist vielmehr: 1. Sowohl der Erste Clemensbrief als auch die Schriften von Irenäus sind zentrale, maßgebliche und noch dazu gut überlieferte Quellen über die frühe Kirche. Sie trotz ihrer breiten Bezeugung des Jurisdiktionsprimates als „Notizen“ zu bezeichnen, ist, als würde man behaupten, die Evangelien und die Paulusbriefe enthielten einige Notizen über einen Handwerker aus Galiläa, aus denen Jahrhunderte später die Vorrangstellung Jesu Christi in der Kirche abgeleitet wurde![3]
    2. Diese und weitere, unterschlagene Quellen sind nicht Ursprung, sondern bereits Zeugnis des Jurisdiktionsprimats.[4]
  • Falsch ist: „…anfangs gab es neben Rom weitere Patriarchate in Alexandria, Antiochia, Jerusalem und Konstantinopel.“
    Richtig ist vielmehr: 1. Jerusalem als Patriarchatssitz gibt es erst seit 451 (Konzil von Chalkedon), und auch Konstantinopel wird erst 325 (Konzil von Nicäa) den „von alters her“ bestehenden Patriarchaten Rom, Antiochien und Alexandrien hinzugefügt. Soviel zum Thema „Jahrhunderte später“… Zudem stehen die Patriarchate überhaupt nicht in Konkurrenz zum Jurisdiktionsprimat, wie es auch alles andere als zufällig oder willkürlich ist, daß Rom hier als erstes genannt wird.
    2. Am Jurisdiktionsprimat hat der Verfasser (man ist fast geneigt zu sagen: nur) zu bemängeln, daß es keine biblische Quelle für Petri Aufenthalt in Rom gebe.[5] Für die Patriarchate als einheitsstifendes Moment oder gar Inhaber der höchsten kirchlichen Gewalt gibt es in der Bibel nicht den leisesten Anhalt. Ihr Ursprung liegt auch weitgehend im Dunkeln. Selbst die Konzilien haben mehr biblische Grundlage als die Patriarchate, vom Jurisdiktionsprimat ganz zu schweigen.

Soviel (reine Apologetik) für heute. Nächste Woche soll es nochmal von der anderen Seite aus weitergehen. Denn die Deutlichkeit, mit der der Jurisdiktionsprimat sich durch die Jahrhunderte zieht, hat mich selbst überrascht.

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[1] Je nach Datierung könnten die Didache und der Barnabasbrief älter sein. Sie weisen jedoch Datierungsabweichungen von einem halben bis dreiviertel Jahrhundert auf, können also auch deutlich jünger als der Erste Clemensbrief sein. (hoch)

[2] 1 Petr 5,13 lautet: „Es grüßt euch aus Babylon die Gemeinde, die mit euch auserwählt ist, und mein Sohn Markus.“ Babylon ist eine frühchristliche Chiffre für Rom (siehe z.B. in der Offb). Man könnte zwar argumentieren, der 1 Petr sei pseudepigraphisch, wobei man sich dabei gegen den gegenwärtigen Trend der Forschung stellte, jedoch ändert das nichts daran, daß 1 Petr als biblische Quelle sehr wohl die Anwesenheit Petri in Rom voraussetzt. (hoch)

[3] Ja, auch diese Auffassung gibt es tatsächlich. Aber man muß ja nicht jeden Schwachsinn diskutieren. Die Evangelien zu lesen, sollte ausreichen, um zu merken, daß in ihnen nichts so deutlich ist wie der Anspruch Jesu Christi, Gott zu sein. (hoch)

[4] Ok, ich gestehe zu, daß wir hier bereits in der Quelleninterpretation sind. Man kann natürlich jede einzelne Quelle für sich wegdiskutieren, und das ist eine beliebte Methode. Dennoch kann die Breite und die Vielzahl der Zeugnisse für den Jurisdiktionsprimat, die man da jeweils einzeln wegdiskutieren muß, nur erstaunen. (hoch)

[5] „Nur“ deshalb, weil dieser Einwand nicht die Lehre vom Jurisdiktionsprimat als solche angreift, sondern lediglich den Anspruch des Papstes, ihn als Nachfolger Petri ausüben zu können. Selbst wenn nachgewiesen werden könnte, daß Petrus nie in Rom war, folgte daraus also nicht, daß der Jurisdiktionsprimat falsch ist, sondern die Frage, wer ihn stattdessen ausüben müßte. Dafür gibt es aber überhaupt keine Kandidaten, wie eben auch der Aufenthalt und das Martyrium Petri in Rom bis zur Neuzeit niemals und von niemandem bestritten wurde. (hoch)

Und noch so ein Post, der seit drei Jahren in der Warteschleife lag, aber es verdient, ans Licht zu kommen.

In Etzelsbach ist der Papst am deutlichsten auf das Verhältnis von Kirche und Welt eingegangen. Ja, in Etzelsbach, nicht in der Konzerthausrede, denn da ging es um die Verweltlichung der Kirche.

Damals habe ich das nicht so mitbekommen, weil die Vorbereitungen auch der Helfer für die Papstmesse auf dem Domplatz auf Hochtouren liefen, und habe immer nur „Maria, Maria, Maria“ gehört. Das ist auch nicht falsch gewesen, denn anhand von Maria stellt er die christliche Seite der Alternativen dar.

Es ist wohl auch nicht zufällig, daß er dies gerade im Eichsfeld getan hat. Nirgendwo sonst hatte er ein so durchgekirchlichtes Publikum vor sich, das sich in größeren Teilen zudem noch lebhaft an die Konfrontation mit den Kräften der Welt erinnern konnte. Und so trennen die erste Nennung Mariens und die erste Erwähnung gottloser Diktaturen ganze 25 Worte.

Die zwei gottlosen Diktaturen sind eigentlich nur ein kurzer, dunkler Schatten auf einem sehr lichtreichen Abschnitt der Predigt, der im gesprochenen Wort schnell untergeht. Aber sie ist doch mehr, als nur die Erwähnung des besonderen „Charisma“ des Ortes, nämlich über 56 Jahre hinweg weitgehend geschlossen antichristlichen Diktaturen getrotzt zu haben. Beim Lesen dachte ich mir bereits an dieser Stelle: Und heute? Was über ein halbes Jahrhundert Diktatur nicht geschafft haben, scheint sich jetzt selbst im Eichsfeld durchzusetzen. Und ist es bei diesem Papst so weit hergeholt, im Hintergrund gleich noch eine dritte, heutige Diktatur, die des Relativismus mitschwingen zu hören?

Ich denke nicht. Denn etwas nach der Mitte der Predigt legt sich ein erneuter dunkler Schatten auf das Licht, das die Worte des Papstes ausstrahlen. Auch hier nur kurz, aber drastisch, zwar nur als die dunkle Gegenfolie, aber so auf den Punkt gebracht, daß man das Beschriebene theologisch nur als Satanismus bezeichnen kann (zumindest entspricht es bis in den Wortlaut hinein dem, was ich in meiner Diss als theologischen Gehalt des Begriffes Satanismus herausgearbeitet zu haben meine):

Nicht die Selbstverwirklichung, das Sich-selber-haben-und-machen-wollen schafft die wahre Entfaltung des Menschen, wie es heute als Leitbild modernen Lebens propagiert wird, das leicht zu einem verfeinerten Egoismus umschlägt.

Daß mir diese Dunkelheit als erstes auffällt, kann ich wohl mittlerweile als Berufskrankheit anerkennen lassen. Doch auch im „lichten“ Rest der Predigt scheint bei genauerer Betrachtung immer wieder auch die Dunkelheit durch. Wie sollte das auch anders sein, ist das Gnadenbild von Etzelsbach doch eine Pietà:

Eine Frau mittleren Alters mit schweren Augenlidern vom vielen Weinen, den Blick zugleich versonnen in die Ferne gerichtet, als bewegte sie alles, was geschehen war, in ihrem Herzen. Auf ihrem Schoß liegt der Leichnam des Sohnes, sie faßt ihn behutsam und liebevoll, wie eine kostbare Gabe. Wir sehen die Spuren der Kreuzigung auf seinem entblößten Leib.

Maria kennt wie wir das Leid, ja, sie kennt „das größte aller Leiden“ und kann daher alle unsere Nöte mitempfinden. So gehen von der Schmerzensreichen Trost und Stärkung aus.

Entscheidend dafür ist aber die Beziehung zwischen Mutter und Sohn und ihre Betrachtung durch den trostsuchenden Gäubigen. Der Papst weist dabei auf eine Besonderheit der Etzelsbacher Darstellung hin. Der tote Jesus liegt hier nicht, wie sonst meist üblich, mit dem Kopf nach links, so daß der Betrachter seine Seitenwunde sehen könnte, sondern mit dem Kopf nach rechts, so daß seine linke Seite, die Herzseite, der Mutter zugewandt ist. Beide Herzen kommen einander nahe. „Sie tauschen einander ihre Liebe aus.“ Cor ad cor loquitur.

Genau das ist die christliche Gegenkonzeption zum „Selber-machen“,

die Haltung der Hingabe, des sich Weggebens, die auf das Herz Marias und damit auf das Herz Christi ausgerichtet ist und auf den Nächsten ausgerichtet ist und so uns erst uns selber finden läßt.

Gott läßt uns nicht im Leid versinken. Auch (gerade) bei Maria hat Er alles zum Guten gewendet. Und Maria ist sozusagen unser Vor-Bild, das Bild, an dem wir erkennen können, was Gott an uns tun will und wird, wenn wir Ihn denn nur ließen. Doch sie ist nicht nur das Bild des Heils, das uns erwartet, sondern Christus hat sie uns auch zur Mutter gegeben, durch die Er uns Seine Gnade schenken will:

Im Moment Seiner Aufopferung für die Menschheit macht Er Maria gleichsam zur Vermittlerin des Gnadenstroms, der vom Kreuz ausgeht. Unter dem Kreuz wird Maria zur Gefährtin und Beschützerin der Menschheit auf ihrem Lebensweg.

Das sollte man nicht dogmatisch mißverstehen. Der Papst meint nicht, daß es ohne die Vermittlung Mariens kein Heil gäbe. Vielmehr ist das ein pastoraler Gedanke Gottes: Es fällt vielen Menschen leichter, zu einem anderen Menschen eine Beziehung aufzubauen und von ihm Hilfe anzunehmen als direkt zu/von Gott. So ist die Mutterschaft Mariens eine Form der Fortsetzung der Inkarnation. Gott wird Mensch, um es den Menschen einfacher zu machen, Seine Gnade anzunehmen, und Er setzt Menschen ein, um diese Gnade zu vermitteln, zuallererst Seine menschliche Mutter, Maria.

Ja, wir gehen durch Höhen und Tiefen, aber Maria tritt für uns ein bei ihrem Sohn und hilft uns, die Kraft Seiner göttlichen Liebe zu finden und sich ihr zu öffnen.

Es ist schwer für den Menschen, sich seine Schwäche einzugestehen, Hilfe von anderen anzunehmen. Umwieviel schwerer ist es noch, sich einzugestehen, auf die Hilfe Gottes angewiesen zu sein!

[Maria] will uns in mütterlicher Behutsamkeit verstehen lassen, daß unser ganzes Leben Antwort sein soll auf die erbarmungsreiche Liebe unseres Gottes. Begreife – so scheint sie uns zu sagen -, daß Gott, der die Quelle alles Guten ist und der nie etwas anderes will als dein wahres Glück, das Recht hat, von dir dein Leben zu fordern, das sich ganz und freudig seinem Willen überantwortet und danach trachtet, daß auch die anderen ein Gleiches tun.

Das setzt Demut, Selbsterniedrigung voraus, so daß aus rein menschlicher Perspektive das „Selber-machen“ sehr viel verlockender und hilfreicher erscheinen mag. „Better to reign in hell, than to serve in heaven“, wie es in John Miltons Paradise Lost heißt. Und so schließt sich der Kreis. Dem weltlichen Weg der gottlosen Diktaturen, des „Selber-Machens“, der Selbstverwirklichung, ja, des Satanismus in der Selbstvergöttlichung steht der himmlische Weg Mariens zu Christus entgegen, ein Weg der Demut, der Liebe, der Zuwendung und des Friedens, der Vergöttlichung des Menschen durch den einzigen, der diese Vergöttlichung schenken kann, weil Er selbst wahrer Gott und wahrer Mensch ist (Theosis). Und ist es wohl zu weit hergeholt, Absicht darin zu sehen, daß die gegenwärtige Diktatur des Relativismus nur ansatzweise angedeutet wird? Will der Papst nicht sagen: Diese gottlosen Diktaturen, das „Selber-Machen“, das ist ein Weg der Vergangenheit (selbst wenn er vielleicht gegenwärtig beschritten wird), die Zukunft aber gehört dem himmlischen Weg, denn „wo Gott ist, da ist Zukunft“?

Dieser Post liegt schon seit über drei Jahren im Entwurfsordner. Am Anfang sollte es eine komplette Papst-Predigten-und-Ansprachen-Reihe werden. Irgendwann fehlte mir erst die Zeit, dann geriet das Projekt in Vergessenheit. Als ich wieder drüber stolperte, hatte sich meine Situation so weit verändert, daß ich mir nicht mehr sicher war, den Post noch so verantworten zu können. Tatsächlich würde ich ihn heute nicht mehr so schreiben. In der Sache hat sich meine Auffassung nicht geändert. Nur ist es nicht mehr so existentiell.

Mit der Papstpredigt im Olympiastadion (Video, Predigt ab 48:30) bin ich persönlich sehr verbunden. Es waren genau die richtigen Worte zur richtigen Zeit, die Antwort auf eine zuvor meditierte Frage.

Ich habe die Kirche immer geliebt. Auch jahrelange „Indoktrination“ (durch wen kann ich gar nicht sagen) hat das nicht ändern können, mir aber doch ein schlechtes Gewissen gemacht: Wenn ich die Kirche liebe, bin ich dann ein schlechter Christ, weil ich Christus nicht liebe? Ja, dieser Gedanke ist so bekloppt, wie er aussieht, aber das hat mich lange beschäftigt. Erst als ein Professor (noch dazu ein Freiburger!) die alte Tradition zitierte, daß man die Kirche nicht lieben könne, ohne Christus zu lieben, daß also die Liebe zur Kirche Liebe zu Christus ist, löste sich diese Hemmung auf. Ha, ich darf also nicht nur die Kirche lieben, wenn ich Christus lieben (möchte), ich muß es sogar.

Doch bald darauf hatte ich das nächste Problem: Wenn ich die Kirche lieben muß, wenn und weil ich Christus liebe – woher kommt dann all das abfällige Gerede über die Kirche in der Kirche?! Nie hatte ich ein Problem mit Kirchenkritik von außen, aber die (destruktive[1]) Kritik an der Kirche von innen, die Häme, teilweise der Haß gegenüber ihren Repräsentanten sogar durch einfache Gläubige, die innere Zerstrittenheit der Hierarchie selbst, all das habe ich nie begreifen können.

Ok, ich muß einräumen, daß ich das Glück hatte, nur periphär und erst spät mit solchen Erfahrungen konfrontiert zu werden, obgleich meine Heimatpfarrei auch nicht immer ein Herz und eine Seele war – aber Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. 🙂 So bin ich auch nie mit der inneren Logik dieser Kirchenkritik konfrontiert worden und habe sie auf Unverständnis und mangelndes Glaubenswissen zurückgeführt. Also: Wenn man den ganzen Kritikern mal in Ruhe alles erklären würde, könnten sie gar nicht anders, als die Kirche ebenfalls zu lieben und konstruktiv zu kritisieren. (Daß es unter den destruktiven Kritikern auch Theologieprofessoren gab, habe ich geflissentlich ausgeblendet.) Jedenfalls wollte ich nie einem Katholiken in seiner Kirchenkritik einen bösen Willen unterstellen. Gerade aus Liebe zur Kirche kann ich das doch eigentlich auch gar nicht. Auch der destruktive Kritiker ist doch als getaufter Katholik Teil der Kirche und damit des Leibes Christi. Ich verstehe zwar nicht, wie er tickt, aber daß er aus seiner Lebensgeschichte heraus konsequent und im Glauben so tickt, habe ich immer vorausgesetzt.

Mir ist zwar über die Jahre immer deutlicher geworden, daß gerade das Verständnis der Kirche als Leib Christi praktisch verdunstet ist, daß das Glaubenswissen nicht nur im Argen liegt, sondern vielfach bei Null. Aber eine Möglichkeit habe ich nie in Betracht gezogen: Daß sogar die Mehrheit der aktiven Katholiken in Deutschland leben könnte, als ob sie nicht glaubte, daß tatsächlich ein Großteil der Kirche de facto vom Glauben abgefallen ist. Bis ich einen längeren Blick in den Maschinenraum der deutschen Kirche werfen konnte. Da kamen mir dann langsam Zweifel an meinem Optimismus. Klar, man kann nie wirklich beurteilen, ob und was der andere glaubt (auch sehr überraschende Zeugnisse habe ich schon erlebt, die mir meinen eigenen Hochmut vor Augen geführt haben). Aber von einem Gedanken mußte ich mich langsam aber sicher verabschieden: Daß es reicht, einfach mal alles ordentlich zu erklären. Viel zu viele sind dermaßen in einer gut geölten Maschinerie aktiv, daß sie gar nicht merken, daß die Maschine gleichermaßen heiß wie leer läuft. Sie machen tolle Aktionen, sind in der Gesellschaft präsent – bringen aber Christus nicht nur nicht zu den Menschen, sondern sind auf dieser Ebene sogar gar nicht ansprechbar. Da redet man einfach an ihnen vorbei. Sie verstehen einen überhaupt nicht. So wird das nichts mit der missionarischen Kirche. Es gibt keine Kommunikationsmöglichkeit. Über die praktische Umsetzung unseres Glaubens. Es fehlt die gemeinsame Grundlage. Und was kann die gemeinsame Grundlage sein, wenn nicht Christus?! Also fehlt ihnen Christus?

Μὴ γένοιτο! Das sei ferne! Es kann nicht sein, was nicht sein darf! Und natürlich, ich habe auch andere Menschen im kirchlichen Dienst erlebt, die sich wirklich gemüht haben, Christus zu verkündigen und dabei sogar ähnliche Aktionen gemacht haben, wie diejenigen, die auf dieser Ebene überhaupt nicht ansprechbar waren. Es kommt nicht darauf an, was jemand macht, sondern auf welcher Grundlage er es tut. Aber es waren nur ein paar wenige. Und so nagte der Verdacht weiter in mir.

Tja, und dann kam der Papst. Ich hatte schon wieder etwas Abstand zu meinen irritierenden Erfahrungen und kam bei der Reflexion über sie immer wieder zu dem Punkt: Kann es denn sein, daß ein Großteil der Kirche in Deutschland vom Glauben abgefallen ist? So auch am Abend des 22. September 2011. Während der Papst in Berlin predigte, stand ich unter der Dusche und meditierte dabei (auch unter dem Eindruck der absolut schäbigen Begrüßung des Papstes durch unseren damaligen Bundes-Wulff) diese Frage, brachte sie im Gebet vor Gott. Aber den Eindruck, der sich in mir immer mehr verstärkte, wollte ich immer noch nicht wahrhaben. Ich habe kein Problem, mit apokalyptischen Höllenpredigten und der massa damnata zu provozieren, aber doch immer nur, um aufzurütteln, um die Gefahr vor Augen zu führen, aber ihr Eintreten letztlich zu verhindern. Daß das tatsächlich das Ende einer großen Zahl von Menschen sei, vielleicht sogar der größten Zahl der Menschen und gerade meiner Zeitgenossen, noch dazu solcher, die neben mir in der Kirchenbank gesessen haben? Ich will das nicht, aber ich kann es nicht verhindern, wenn es so sein sollte, also darf es so nicht sein!

Das waren also die Voraussetzungen, unter denen ich dann unmittelbar nach dem Duschen die Aufzeichnung der Predigt aus dem Olympiastadion gehört habe. Und sie traf mich wie ein gut plazierter rechter Haken. Mit der grandiosen Vorlage des wahren Weinstocks (Joh 15,1-8) predigte der Papst genau die Kirche als Leib Christi:

Und dieses Zueinander- und Zu-Ihm-Gehören ist nicht irgendein ideales, gedachtes, symbolisches Verhältnis, sondern – fast möchte ich sagen – ein biologisches, ein lebensvolles Zu-Jesus-Christus-Gehören. Das ist die Kirche, diese Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus und füreinander, die durch die Taufe begründet und in der Eucharistie von Mal zu Mal vertieft und verlebendigt wird. „Ich bin der wahre Weinstock“, das heißt doch eigentlich: „Ich bin ihr und ihr seid ich“ – eine unerhörte Identifikation des Herrn mit uns, mit seiner Kirche.

Das Gleichnis vom Weinstock bleibt aber nicht dabei stehen, diese Identifikation einfach freudig zu verkünden, sondern seine eigentliche Spitze hat es in der Verwandlung der Rebe durch den Winzer, der den Weinstock pflegt und hegt, „die dürren Reben abschneidet und die fruchttragenden reinigt, damit sie mehr Frucht bringen“. Der Papst fährt fort mit einem anderen, der Realität noch näheren Bild des Propheten Ezechiel (für mich eines der schönste Bücher des Alten Testamentes): „Gott will […] das tote, steinerne Herz aus unserer Brust nehmen, und uns ein lebendiges Herz aus Fleisch geben (vgl. Ez 36,26), ein Herz der Liebe, der Güte und des Friedens. Er will uns neues, kraftvolles Leben schenken.“ Und diese Dynamik wird vermittelt durch die Kirche, die der Leib Christi ist und Gottes Heilswerkzeug für die Menschen, die Sünder, „um uns den Weg der Umkehr, der Heilung und des Lebens zu eröffnen“. Was für eine froh machende Botschaft diese Reinigung doch ist!

Doch dann kam der Abschnitt, der mich tatsächlich „ausknockte“. Der Papst selbst spielt auf die Zustände in der deutschen Kirche an, die ziemlich genau meine Erfahrungen im „Maschinenraum“ trafen:

Manche bleiben mit ihrem Blick auf die Kirche an ihrer äußeren Gestalt hängen. Dann erscheint die Kirche nurmehr als eine der vielen Organisationen innerhalb einer demokratischen Gesellschaft, nach deren Maßstäben und Gesetzen dann auch die so sperrige Größe „Kirche“ zu beurteilen und zu behandeln ist. Wenn dann auch noch die leidvollle Erfahrung dazukommt, daß es in der Kirche gute und schlechte Früchte, Weizen und Unkraut gibt, und der Blick auf das Negative fixiert bleibt, dann erschließt sich das große und schöne Mysterium der Kirche nicht mehr.

Dann kommt auch keine Freude mehr auf über die Zugehörigkeit zu diesem Weinstock „Kirche“. Es verbreiten sich Unzufriedenheit und Mißvergnügen, wenn man die eigenen oberflächlichen und fehlerhaften Vorstellungen von „Kirche“, die eigenen „Kirchenträume“ nicht verwirklicht sieht! Da verstummt dann auch das frohe „Dank sei dem Herrn, der mich aus Gnad‘ in seine Kirch‘ berufen hat“, das Generationen von Katholiken mit Überzeugung gesungen haben.

Dieser kurze Absatz traf und deutete die „Maschinenraum“-Erfahrungen dermaßen deutlich und stimmig, daß mir seit diesem Moment völlig klar ist: Es ist nicht nur möglich, es ist sogar der Fall, daß ein großer Teil der deutschen Kirche vom Glauben abgefallen ist. Und daß ausgerechnet diese für jeden, der Christus anhängen will, wirklich frohe Botschaft, dieser kurze Abschnitt über die Reinigung der Reben als „Drohbotschaft“ die öffentliche Wahrnehmung der Predigt bestimmte, sagt doch eigentlich schon alles. Damit ergab sich eigentlich auch gleich noch, daß es keine Rückkehr in den „Maschinenraum“ geben kann, daß der Eindruck in ebenjenem „neutralisiert“, wirkungslos zu sein, weil bereits die Grundlage dessen, was ich dort erreichen wollte, nicht gegeben ist und die entsprechenden Anstrengungen, sie zu schaffen, mich nur zeitlich davon abhalten, tatsächlich missionarisch tätig zu sein, nicht aus der Luft gegriffen war. Und wer die Hand an den Pflug legt und noch einmal zurückschaut, ist des Himmelreiches nicht würdig…

Wo ich die Predigt gerade noch einmal lese, fällt mir auf, wie deutlich der Papst auch im Folgenden immer und immer wieder nichts anderes tut als seine Zuhörer zur Umkehr aufzurufen. Mit frohen und ermutigenden Worten, aber nichtsdestoweniger deutlich: Immer und immer wieder steht Christus als Wurzelgrund im Mittelpunkt, fordert der Papst uns auf, in Christus zu bleiben, der uns im Umkehrschluß eine Bleibe in schwieriger, geradezu dunkler Zeit schenkt, „einen Ort des Lichtes, der Hoffnung und der Zuversicht, der Ruhe und der Geborgenheit. Wo den Rebzweigen Dürre und Tod drohen, da ist in Christus Zukunft, Leben und Freude.“ In Christus zu bleiben, und das ist der nächste Hieb auf die deutsch-katholische Kirche, bedeutet, in der Kirche zu bleiben: „Wir glauben nicht allein, wir glauben mit der ganzen Kirche aller Orten und Zeiten, mit der Kirche im Himmel und auf der Erde.“ Boah, da kann ich mich als „Vincentius Lerinensis“ nur persönlich angesprochen fühlen. Und als ob das nicht schon reichte, legt er einen halben Absatz später noch einmal nach, so daß ich mich auch als Sebastian Berndt durch diese Predigt nur persönlich und gerade in der ganzen Komplexität der oben dargelegten Fragestellung angesprochen fühlen kann:

Daher konnte Augustinus sagen: „In dem Maß, wie einer die Kirche liebt, hat er den Heiligen Geist“ (In Ioan. Ev. tract. 32,8 [PL 35,1646]).

Und so maße ich mir an, den folgenden Abschnitt:

Wer an Christus glaubt, hat Zukunft. Denn Gott will nicht das Dürre, das Tote, das Gemachte, das am Ende weggeworfen wird, sondern das Fruchtbare und das Lebendige, das Leben in Fülle, und Er gibt uns Leben in Fülle.

umzukehren: Wer nicht von Christus her lebt und durch alles, was er tut, Seine Liebe zu den Menschen zu verkünden versucht, hat keine Zukunft.

Laßt die Toten ihre Toten begraben.


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[1] Es gibt natürlich auch eine legitime Kirchenkritik, die sich gerade aus der Liebe zur Kirche speist. Aber die ist nicht destruktiv, nicht Rechte von anderen einfordernd, sondern konstruktiv und fängt beim Kritiker selbst an. Sie ist eine Kritik in Demut, die sich vom Kern des Glaubens, von Christus her versteht, und nicht aus Hochmut. (hoch)

Der Aufruf „Ökumene jetzt“ ist eine Totgeburt. Theologischer Dünnpfiff. Eigentlich nicht der Rede wert. Wenn man nicht davon ausgehen müßte, daß es viele gibt, die gar nicht merken, daß dem ganzen ein unrühmlicher Trick zugrundeliegt.

Der Trick besteht aus zwei Schritten. Der erste ist, das für die Trennung theologisch Entscheidende, nämlich die wesentliche Differenz im Kirchenverständnis, zu leugnen:

Weil uns Gott in der Taufe Gemeinschaft mit Jesus Christus geschenkt hat, sind Getaufte als Geschwister miteinander verbunden. Sie bilden als Volk Gottes und Leib Christi die eine Kirche, die wir in unserem Credo bekennen.

Nein, wir bekennen die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche, die in der katholischen Kirche subsistiert. Wie so häufig verhindert Quellenstudium Neuentdeckungen, denn „die eine Kirche, die wir in unserem Credo bekennen“ ist eine fast wörtliche Anspielung auf Lumen Gentium 8, das aber die einzige Kirche Christi ganz anders als rein über die Taufe definiert:

Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfaßt und trägt sie als solches unablässig; so gießt er durch sie Wahrheit und Gnade auf alle aus. Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst. Deshalb ist sie in einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes ähnlich. Wie nämlich die angenommene Natur dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf eine ganz ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der es belebt, zum Wachstum seines Leibes (vgl. Eph 4,16).

Dies ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen. Sie zu weiden, hat unser Erlöser nach seiner Auferstehung dem Petrus übertragen (Joh 21,17), ihm und den übrigen Aposteln hat er ihre Ausbreitung und Leitung anvertraut (vgl. Mt 28,18 ff), für immer hat er sie als „Säule und Feste der Wahrheit“ errichtet (1 Tim 3,15). Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfaßt und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird. Das schließt nicht aus, daß außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen. (LG 8, eigene Hervorhebungen)

Das heißt, bereits der Ausgangspunkt des Aufrufs ist katholischerseits nichts anderes als – Häresie! Denn er leugnet die hierarchische Ordnung der Kirche, die aus ihrem Wesen als Fortsetzung der „Mission“ Christi, seiner Fleischwerdung resultiert, die sich in der Kirche fortsetzt. (Daß wir der „Leib Christi“ sind, ist mehr als nur ein Bild, keine bloße Metapher!) Die Kirche bildet sich nicht aus den Getauften, ist quasi die Summe aller Getauften, wie die Jetzigen-Ökumeniker (übrigens auch im Unterschied zu Luther) meinen, sondern sie existiert streng theologisch gesehen vor und unabhängig von allen Getauften, die allerdings durch die Taufe in die Gemeinschaft der einen Kirche aufgenommen werden – so sie denn in der Katholischen Kirche getauft werden. Katholischerseits definiert sich folglich die Kirche von oben, von dem einen HErrn her, der das Haupt der Kirche ist und den Bischöfen als den Nachfolgern der Apostel mit dem Papst als ihrem Haupt die Leitung der Kirche anvertraut hat. Wir können da überhaupt nichts machen, wenn nicht der HErr selbst es tut.

(Natürlich ist die Taufe in den nicht-katholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften nicht nichts, denn Christus ist es, der tauft. Und natürlich resultieren aus der einen Taufe auch diverse Möglichkeiten ökumenischen Miteinanders – nicht, daß einer meint, ich hätte was gegen Ökumene. Aber wer nicht in Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri steht, ist nicht Teil der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche, wie auch die echten kirchlichen Gaben außerhalb der katholischen Kirche zur katholischen Einheit hindrängen.)

Mit diesem unkatholischen Verständnis von Kirche ist bereits der zweite Teil des argumentativen Tricks vorbereitet:

Heute ist die Kirchenspaltung politisch weder gewollt noch begründet. Reichen theologische Gründe, institutionelle Gewohnheiten, kirchliche und kulturelle Traditionen aus, um die Kirchenspaltung fortzusetzen?

Aber hallo! Welche anderen als theologischen Gründe konnten denn jemals die Kirchentrennung begründen? Wäre die reformatorische Erkenntnis eine der politischen Kompromißbereitschaft gewesen, dann hätte es doch vor lauter kompromißbereiter Irenik nie zur Kirchentrennung kommen können. Nein, die Kirchentrennung ist nicht etwas, was Politiker mit Kompromissen oder Aufrufen überwinden könnten, sondern sie besteht aus sich selbst heraus, wenn die irdische Ordnung der Kirche nicht der göttlichen Ordnung ihrer Einsetzung entspricht.

Und mit diesen beiden Stellen hat sich der Aufruf bereits von selbst erledigt. Er ist einfach argumentativ unaufrichtig, indem er die fundamental kirchentrennende Differenz in der Lehre von der Kirche einfach einebnet. So geht ein berechtigtes Anliegen leider in einer Vielzahl von Halb- und Unwahrheiten unter, nämlich daß es tatsächlich einer äußeren Einheit bedarf, die nicht bei versöhnter Verschiedenheit bei Fortbestehen der Kirchentrennung stehen bleiben darf.

An und für sich neige ich nicht zu Verschwörungstheorien. Normalerweise bin ich auch immer noch dazu geneigt, Menschen, insbesondere Bischöfen, weder Dummheit noch Böswilligkeit zu unterstellen. Auch bemühe ich mich seit dem Papstbesuch, mich weder von der Empörungsmaschinerie der Blogoezese noch von den Niederungen des realexistierenden Katholizismus aufregen zu lassen. Es ist es ja eigentlich alles nicht wert und kostet nur Energie, die besser in die Neuevangelisierung gesteckt würde.

Jetzt hat mich aber doch wieder der Zorn gepackt. Und zwar nicht, weil andere Blogger sich aufregen oder die Kommentare bei kath.net zur Äußerung Kardinal Lehmanns auf dem Katholikentag zu den Kelchworten so qualitativ hochwertig wären, sondern weil ich mir den Originalmitschnitt angetan habe. Eigentlich hatte ich mich schon aufgeregt, was da dem Kardinal wieder alles unterstellt wird, denn in der offiziellen Berichterstattung war eigentlich nichts zu finden, was dem Papst direkt widersprochen hätte. Johannes hat aber freundlicherweise das Originaldokument ausgebuddelt:

Dieses Originaldokument macht bei genauerer Betrachtung nämlich das „johanneische“ Emotionsprotokoll überflüssig, wenn man sich den Wortlaut genauer anguckt und Behauptungen überprüft.

Lehmann behauptet, der Papst habe in seinem Brief die Übersetzung „für alle“ wörtlich mit „ist und bleibt sehr gut“ (18:05) gewürdigt. Nachdem ich schon über das falsche Datum gestolpert war (Lehmann datiert kurz vorher bei 17:55 den Brief auf den 10.04., der Brief sich selbst aber auf den 14.), habe ich dann doch mal dieses „wörtliche“ Zitat versucht zu finden. Fehlanzeige. Im Brief kommt nicht einmal das Wort „gut“ vor. Was der Papst aber tatsächlich sagt, ist:

„Die Wiedergabe von „pro multis“ mit „für alle“ war keine reine Übersetzung, sondern eine Interpretation, die sehr wohl begründet war und bleibt, aber doch schon Auslegung und mehr als Übersetzung ist.“

Also, zum Mitmeißeln: Der Papst hat die Übersetzung nicht als „ist und bleibt sehr gut“ gewürdigt, sondern die Interpretation als „sehr wohl begründet“ bezeichnet, gleich aber hinterhergeschoben, daß sie eben eine Interpretation und keine Übersetzung ist.

Mit diesem Originalzitat wäre es jedoch nicht möglich gewesen hinterherzuschieben, wie es Lehmann tut: „Natürlich hat man dann etwas Schwierigkeiten zu verstehen, warum es geändert werden muß.“ Dabei hat Lehmann durchaus verstanden, daß es um die Frage von Übersetzung oder Interpretation geht, auch wenn er nur „ein Stück weit Interpretation“ in dem „für alle“ sieht (16:29).

Nunja, die Lektüre des Briefes offenbart auch noch eine zweite Schwäche der Argumentation des Kardinals. Denn er meint, man hätte Mißverständnisse vermeiden können, wenn man vorangestellt hätte, daß das Fundament der ganzen Debatte natürlich sei, daß Christus für alle gestorben ist (14:36, 16:00 u.ö.). Der Papst verwendet in seinem Brief 15x „für alle“, dabei 4x als Benennung der Übersetzung, einmal in ganz anderem Kontext („in alle Hochgebete übernommen“), aber 10x (ZEHN MAL) im Sinne von „Christus IST FÜR ALLE gestorben“. Ganz davon abgesehen, daß der Papst ja schon 2007 dazu aufgefordert hatte, die „Aufregung“ mit Hilfe von Katechesen zu verhindern, gibt es im Papstbrief sogar einen Absatz, der im wesentlichen Schriftstellen mit „für alle“ zusammenstellt.

Ohne jetzt die Frage nach „für alle“ oder „für viele“ überhaupt diskutieren zu wollen (eigentlich wäre mir das egal, wenn nicht schon 2007 selbst in der Tagespost unzählige Leserbriefe erschienen wäre, die eindeutig die Apokatastasis vertraten): Was Kardinal Lehmann hier macht, ist mindestens ein sinnentstellendes Zitieren des Papstbriefes.

Es gab eine ganze Menge Leute, die die Predigt des Papstes in Erfurt für schwach hielten. Im wesentlichen hätte er geschichtliche Fakten aufgezählt. Das ist zwar nicht falsch, und es gibt tatsächlich einige Passagen der Predigt, die man wohl getrost überspringen kann, wenn man nicht gerade wissen will, wie die Jugendhäuser der Bistums Erfurt heißen. Dennoch war ich schon damals der Meinung und bin es, nachdem ich die Predigt nochmal gelesen habe, heute umso mehr, daß der Papst in diesen geschichtlichen Fakten und vor allem in der Auswahl der Fakten eine deutlich aufs Hier und Heute gerichtete Botschaft vermitteln wollte.

Papst Benedikt hat eine ernstgemeint freundliche, werbende Sprache und versucht die Situation ausgewogen zu würdigen, auf einer tieferen Ebene aber gibt er sehr wohl deutlich zu erkennen, in welche Richtung es seiner Meinung nach gehen müßte. Schon im September habe ich geschrieben: „Nicht nur sind [seine Predigten und Botschaften] punktgenau auf den jeweiligen Ort und Anlaß geschrieben, sondern sie haben auch jeweils eine klare Kernaussage.“ Der Impuls in und für Erfurt paßte wie die Faust aufs Auge.

Der Einstieg erfolgt über die zwei Diktaturen, die über die thüringer Lande hinweggerollt sind und bis heute Spätfolgen zeitigen. 1989 war zwar ein großer Aufbruch in neue Freiheit, aber hat er uns mehr an Glauben gebracht? Ich erlaube mir, die rhetorische Frage mit Blick auf die hiesige Situation zu beantworten: Nein, und daran leiden hier gerade die Älteren, denen das Festhalten am Glauben zu DDR-Zeiten zum Teil große Opfer abverlangt hat, wie der Papst hervorhebt.

Dagegen ermutigt er: Gott ist Zukunft, und diese Zukunft beschreibt er anhand der Vergangenheit. Die heilige Elisabeth

„führte ein intensives Leben des Gebets, verbunden mit dem Geist der Buße und der Armut des Evangeliums. […] Ihr Leben auf dieser Erde war nur kurz – sie wurde nur vierundzwanzig Jahre alt –, aber die Frucht ihrer Heiligkeit reicht über die Jahrhunderte hin.“

Damit verweist er noch einmal auf den einleitenden Abschnitt: Wer hätte im Elisabethjahr 1981 ahnen können, daß die Mauer acht Jahre später fällt? Wer 1941, daß vier Jahre später das „Tausendjährige Reich“ in Schutt und Asche versinken würde? Wir wissen nicht, was sich in vier oder acht Jahren an Rahmenbedingungen geändert haben wird, wir wissen nicht, wer in dieser Zeit vielleicht den Unterschied machen wird. Und ich erlaube mir, meinen eigenen Eindruck hinzuzufügen: Wir haben hier in Erfurt alle Voraussetzungen für einen großen Aufbruch, wenn wir nicht sogar schon mittendrin sind.

Und noch einen weiteren Verweis hat er bei Elisabeth eingebaut, indem er die Fülle des Glaubens, seine Schönheit, seine Tiefe und seine verwandelnde und reinigende Kraft erwähnt. Später nämlich sagt er:

„Wenn wir uns dem ganzen Glauben in der ganzen Geschichte und dessen Bezeugung in der ganzen Kirche öffnen, dann hat der katholische Glaube auch als öffentliche Kraft in Deutschland Zukunft.“

Quod semper, quod ubique, quod ab omnibus creditum est. 🙂

Dafür steht auch Bonifatius, der

„in wesentlicher Einheit und in enger Einheit mit dem Bischof von Rom, dem Nachfolger des heiligen Pertrus wirkte; er wußte, daß die Kirche eins sein muß um Petrus herum.“

Damit hat der Papst nicht nur das wesentliche Charisma von Bonifatius auf den Punkt gebracht, sondern wiederum auf Späteres in der Predigt verwiesen, wo es heißt, niemand könne alleine für sich glauben, und „das große Miteinander der Glaubenden aller Zeiten, […] ohne das es keinen persönlichen Glauben geben kann, ist die Kirche“. Auch hier, denke ich, haben wir in Erfurt die besten Voraussetzungen, zumindest wesentlich bessere als „drüben“. Bei allen kleingeistigen Querelen, die es auch hier gibt, erstaunt mich die Einheit der Kirche im Bistum (zumindest im Vergleich), die mit Sicherheit auch mit der Überschaubarkeit des Bistums zu tun hat.

Am Ende kommt er noch einmal auf die Ausgangsfrage nach der gewonnenen Freiheit und dem Mehr an Glauben zurück. Die Motivation, zu DDR-Zeiten am Glauben festzuhalten und dafür Nachteile auf sich zu nehmen, verortet er in der Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit. Dieses Zeugnis mache uns zusammen mit dem Zeugnis der Heiligen Mut, die neue Situation zu nuten und die gewonnene Freiheit verantwortlich zu nutzen:

„Wir wollen, wie die Heiligen Kilian, Bonifatius, Adelar, Eoban und Elisabeth von Thüringen als Christen auf unsere Mitbürger zugehen und sie einladen, mit uns die Fülle der Frohen Botschaft, ihre Gegenwart und ihre Lebenskraft und Schönheit zu entdecken.“

Betrachtet man, wo sich die aufeinander bezogenen Stellen finden, ergibt sich, daß sie keinesfalls zufällig sind, sondern daß sie in einer Art Chiasmus in der Mitte der Predigt gespiegelt sind:

Geschichte Gegenwart
Einstieg: Kirche in der DDR heutige Gefahr: Glaube als Privatsache
Elisabeth: aus der Fülle des Glaubens viel bewirkt in kurzer Zeit ganzer Glauben, ganze Geschichte, ganze Kirche; dann haben Glaube und Kirche Zukunft
Bonifatius: Einheit mit dem Papst Glauben ist wesentlich Mitglauben (der einzelne ist von Gott gerufen durch und in der Kirche)
Zur Radikalität der Heiligen ist jeder einzelne direkt von Gott her berufen
In der Radikalität der Heiligen die Fülle des Evangeliums verkünden und einladen, ihre Gegenwart und ihre Lebenskraft und Schönheit für den einzelnen in der Gemeinschaft der Kirche zu entdecken.

Es handelte sich also mitnichten um eine langweilige Predigt, die historische Fakten aufzählte und nur sagte, was an diesem Ort unbedingt zu erwarten war. Das war sie auch, aber sie war eben viel mehr. Selbst die drögen historischen Fakten hat der Papst kunstvoll strukturiert zu einer klaren und geistlich tiefen Aussage aufgepimpt.