Das Landgericht Köln hält also die Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen Gründen für Körperverletzung. Das finde ich schonmal einen ziemlichen Hammer, aber mit dem Recht ist das so eine Sache, und gerade bei der Religionsfreiheit muß die Religion ein bestimmtes Handeln schon zwingend vorschreiben, damit sich der Gläubige bei ihrer Ausführung auf sein Grundrecht berufen kann. Und selbst wenn ein Satanist daherkäme und Menschenopfer als von seiner Religion zwingend vorgeschrieben beweisen würde (was selbst bei den abstrusesten Satanismusformen eigentlich nicht der Fall ist, aber das nur am Rande), hätte wohl keiner ein Problem mit dem Verbot solcher Handlungen durch deutsche Gerichte.
Der eigentliche Hammer ist daher auch nicht das Urteil selbst. Denn soviel ich weiß, ist die Beschneidung im Islam im Gegensatz zum Judentum nicht ausdrücklich und zwingend vorgeschrieben, sondern stellt nur eine alte und wichtige Tradition dar. Ob mein Wissen da zutreffend ist oder nicht, soll bitte jemand entscheiden, der mehr Ahnung vom Islam hat als ich. Der genannte Hammer ist aber: Diese Frage scheint das Landgericht nach den mir vorliegenden Informationen überhaupt nicht umgetrieben zu haben!
Vielmehr hat es verschiedene Grundrechte, nämlich das auf körperliche Unversehrtheit einerseits und die Religionsfreiheit sowie das Erziehungsrecht der Eltern andererseits einfach gegeneinander abgewogen und kam dabei zu dem Ergebnis, Religionsfreiheit und Erziehungsrecht der Eltern hätten hinter das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes zurückzutreten.
Je mehr ich von der Argumentation des Gerichtes wahrnehme, umso wirrer kommt sie mir vor. Ok, es liegt mir nicht die Originalbegründung vor, so daß ich auf die in Rechtsfragen nicht selten verdrehte Berichterstattung der Medien angewiesen bin, und ich bin auch kein Jurist, so daß ich juristisch dazu sowieso nichts sagen kann.
Aber ein Minimum an nachvollziehbarer Logik sollten Begründungen doch eigentlich enthalten. Es fängt bereits damit an, daß ich nirgendwo eine Auseinandersetzung mit der Frage, was eigentlich körperliche Unversehrtheit bedeutet, finden kann. Nur den lapidaren Hinweis, daß körperliche Eingriffe bis zur Volljährigkeit ausgewachsen sein müßten, damit sie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht verletzten. Die körperliche Schädigung durch die Zirkumzision hält sich aber in Grenzen. Der Junge hat zwar keine Vorhaut mehr, aber auch keine bleibenden Schäden, vielmehr wächst sich das in der Regel recht schnell, jedenfalls lange vor der Volljährigkeit aus. Hier liegt auch ein gravierender Unterschied zur Beschneidung von Mädchen, der Entfernung der Klitoris. Diese ist zum einen wesentlich komplikationsreicher und weist eine hohe Todesrate auf. Zum anderen kommt es hier tatsächlich zu einer dauerhaften Schädigung. Beide Beschneidungen auf eine Stufe zu stellen, wie selbst in der FAZ (zumindest suggestiv) geschehen, verharmlost das schwere Unrecht der weiblichen Genitalverstümmelung. Eine Genitalverstümmelung ist die Beschneidung von Jungen nämlich nicht, und worin der bleibende Schaden, der sich bis zur Volljährigkeit nicht auswächst (worauf sich offenbar die Unwirksamkeit der elterlichen Zustimmung ableitet), bestehen soll, bleibt das grundlegende Rätsel dieses Urteils.
Ein weitere gravierende logische Fehlleistung stellt die Argumentation mit der negativen Religionsfreiheit des Jungen dar. Kann sich das Gericht tatsächlich, wie in der FAZ dargestellt, entblödet haben, die Zirkumzision im Kindesalter in der syllogistischen Fehlleistung des unzulässigen Umkehrschlusses (aus a folgt b, aber aus b nicht a: selbst wenn jeder Muslim beschnitten ist, ist nicht jeder Beschnittene ist Muslim) als nicht revidierbarers Faktum einer Religionszugehörigkeit anzusehen? Dann wäre auch die Taufe ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit, weil diese in derselben Weise unumkehrbar ist (nach Ansicht der jeweiligen Religion nämlich), und dennoch kennt der Staat den Kirchenaustritt. Natürlich könnte man bei der Taufe nicht mit der körperlichen Unversehrtheit argumentieren, aber es gibt ja tatsächlich die Leute, die meinen, jede religiöse Erziehung sei eine Verletzung der körperlichen (hier: geistigen) Unversehrtheit. Naja, könnte man schulterzuckend abtun, denn wie sich ein Mensch als „tabula rasa“ frei entscheiden können soll, bleibt ebenfalls das Geheimnis derer, die so argumentieren. Sollte man aber nicht tun, vielmehr erscheint mir das Urteil als Menetekel: Bald wird die Religionsfreiheit, zumindest die positive – und die ist der ältere Gehalt dieses Rechts! – nicht mehr das Papier wert sein, auf dem das Grundgesetz steht. Denn in jedem Konfliktfall wird sich schon irgendein Grundrecht finden, das mit ihr kollidiert, und – patsch – ist sie wertlos.
Das alles hätte ich noch hinnehmen können, ist es doch im Grunde nichts Neues. Neu ist hingegen der dem Urteil zustimmende Kommentar in der FAZ. Der lautet in der entscheidenden Grundlage:
Das Credo des Rechtsstaates: Der Staat gewährt die Religionsfreiheit, nicht die Religion begründet die Staatlichkeit.
Weiter muß man eigentlich nicht mehr lesen. Der Satz selbst ist schon, sorry, gequirrlte Scheiße, und zwar aus folgenden Gründen:
- Historisch: Nicht der Staat ist Ursprung der Trennung von Kirche und Staat, sondern die Kirche, Stichwort: libertas ecclesiae. Religionen dienten immer (auch) der Stabilisierung der Gesellschaft und des Staates. Erst die christliche Kirche, obwohl sie von Konstantin und seinen Nachfolgern genau in dieser Funktion gesehen wurde, hat sich gegen den Primat des Staates über die Religion gewehrt und ihre Unabhängigkeit und Gleichrangigkeit dem Staat gegenüber behauptet und mal mehr, mal weniger erfolgreich durchgesetzt. Der Staat bekam erst gerechtfertigterweise die Krise, als die Kirche sich dann zum Herrn über den Staat aufschwingen wollte (insbesondere unter Bonifaz VIII., wobei auch hier wieder der staatliche Versuch, sich die Kirche unterzuordnen vorausging, naja, komplizierte Geschichte, die aber ohne das Christentum undenkbar gewesen wäre).
- Menschenrechtlich: Der Staat gewährt die Menschenrechte nicht, zu denen die Religionsfreiheit gehört, sondern sie sind ihm vorgegeben. Ja, es handelt sich sogar ursprünglich um Abwehrrechte des einzelnen Menschen gegenüber dem Staat, die nicht an einer Staatsgrenze enden, nicht an einen bestimmten (staatsbürgerlichen) Status des Menschen gebunden sind und auch dann gelten, wenn ein Staat sie mit Füßen tritt (sollte man in Deutschland eigentlich wissen).
Man kann das Urteil drehen und wenden, wie man will. Es ist – und zwar gerade unabhängig vom konkret entschiedenen Fall – ein Menetekel über den Zustand unserer Freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Über kurz oder lang werden wir uns wohl darauf einstellen müssen, daß Religion strafbar wird. Schöne neue Welt.
Blogoezsane Linkrutsche:
b-logos, JoBo I, JoBo II, JoBo III, Kaliopevorleserin
Bingo! Für meinen Teil der bisher beste Artikel zur Sache! Dank und Gruß, Jo
Da kann mich mich Johannes nur anschließen!
Soll natürlich heißen:
Da kann ich mich Johannes nur anschließen.