Gesellschaft

Elsa wunderte sich vor einiger Zeit über die „Feier der Lebenswende“, einer Art katholische Alternative zur atheistischen Jugendweihe, und fragte sich

ob es jetzt um die atheistische Jugendweihe geht, oder eine Form der Jugendweihe, die als alternativer christlicher Ersatz – freilich ohne Sakramentenspendung, um selbstverständlich, da sei Gott vor, niemanden über Gebühr zu fordern: Vor allem natürlich nicht den Priester in der Strapaze, christliche Wahrheiten stringent zu vermitteln,- oder letztlich whatever gehen soll? Was wird das denn bitte? Ein achtes Sakrament?

Nachdem jetzt die Weihnachtspause vorbei ist, kann ich endlich was Substantielles beitragen. Eins jedoch noch vorneweg: Elsa war auf die „Lebenswende“ auf den Seiten des Bistums Magdeburg gestoßen, mein „Informant“ hat beim „Original“ in Erfurt als Ehrenamtlicher mitgemacht. Deshalb vorweg: Jeder „Veranstalter“ der „Lebenswende“ ist selbständig und greift nur die Grundidee auf. Es kann also sein, daß die Feier in Magdeburg anders abläuft und andere Hintergründe hat als die in Erfurt.

Die ursprüngliche Initiative ging nicht von kirchlicher Seite, sondern von ungetauften Jugendlichen aus, die die katholische Edith-Stein-Schule besuchten. Dort ist Religionsunterricht für alle Pflichtfach, die „Heidenkinder“ (ich zitiere!) bekommen jedoch in der fünften und sechsten Klasse einen Crash-Kurs „Religion“. Genau dieser Religionsunterricht, unter anderem vom damaligen Erfurter Dompfarrer (und heutigen Weihbischof) Dr. Reinhard Hauke gegeben, und obwohl (oder gerade weil?) er rein informativ und nicht (direkt) missionarisch ist (soll heißen: es geht um Faktenwissen, nicht um Bekehrung), führte dazu, daß einige der Schüler die atheistische Jugendweihe als hohl erkannten und, ohne freilich zur Taufe bereit zu sein, etwas Tieferes suchten. Als nun ihre getauften Mitschüler zur Firmung oder Konfirmation „anstanden“, gingen sie auf Dr. Hauke zu, der als kirchliche Antwort die „Feier der Lebenswende“ entwickelte.

Ziel dieser Lebenswendefeier war nicht, der Jugendweihe Konkurrenz zu machen, die ja ihrerseits als atheistische Konkurrenzveranstaltung zu Firmung/Konfirmation gedacht war, sondern das äußerst zarte Pflänzchen eines beginnenden Umdenkens bei den Schülern nicht zu zerstören. Natürlich konnte es dabei nicht um die „harten“ Glaubensfakten gehen – also „christliche Wahrheiten stringent zu vermitteln“. Dazu waren die Schüler noch lange nicht weit genug! In aller Regel hatten sie vor dem Besuch der Edith-Stein-Schule praktisch überhaupt keinen Kontakt mit Religion welcher Art auch immer, und im besten Fall hatten sie wenigstens keine Vorurteile a la „Mittelalterlichkeit der Kirche“ oder „Unwissenschaftlichkeit jeglicher Religion“. Implizites Ziel der längeren Vorbereitungszeit auf die Lebenswendfeier ist daher „lediglich“, überhaupt erstmal den Horizont zu eröffnen, in dem der christliche Glaube innerlich angenommen werden kann (denn darum muß es ja jetzt über das bloße Faktenwissen hinaus tatsächlich gehen).

Dieser besondere Entstehungshintergrund äußerte sich auch darin, daß für die „Feier der Lebenswende“ in Erfurt keine aktive Werbung betrieben wird (oder zumindest wurde, solange das ganze noch Dr. Hauke als Dompfarrer verantwortete; wie es jetzt ist, wußte mein „Informant“ nicht). Denn es soll ja durch diese „Feier der Lebenswende“ gerade nicht der Jugendweihe das Wasser abgegraben werden, sondern Ungetauften, die tatsächlich auf einem Weg sind, ein kleines bißchen der Weg gewiesen werden – was eben auch nur Sinn hat, wenn das ganze nicht punktuell bleibt, sondern auch eine Rückbindung im Alltag (Besuch einer katholischen Schule, Religionsunterricht etc.) hat.

Insofern ist der „Mundpropaganda“-Erfolg des Projektes über den ursprünglichen Kreis der ungetauften Edith-Stein-Schüler sicherlich nicht unproblematisch, wie sich kürzlich gezeigt hat, als einem katholisch getaufter, aber der Kirche völlig fern stehender Jugendlichen die Teilnahme an der „Lebenswende“ mehr oder weniger demonstrativ verweigert worden sein soll. Allerdings soll sich Weihbischof Dr. Hauke mit dem Gedanken einer „Weg-Feier“ für solche Jugendliche tragen, die aber eben im Gegensatz zur Lebenswendefeier sehr viel konkreter zu Glaube und eben auch Kirche führen, also „christliche Wahrheiten stringent … vermitteln“ sollen würde.

Der springende Punkt der ganzen Idee der „Feier der Lebenswende“ ist also die spezifische Situation der genannten Schüler. Paulus spricht in 1 Kor 3 davon, den „unmündigen Kindern in Christus“ (also getauften Christen!) Milch anstatt wie Geisterfüllten feste Nahrung gegeben zu haben. Dieses Bild träfe eher auf die Idee der „Weg-Feier“ für fernstehende katholische Jugendliche zu als auf die „Feier der Lebenswende“, denn bei der Lebenswende geht es um Menschen, die noch nicht einmal die banalsten Voraussetzungen hatten, die Paulus überall voraussetzen konnte: Daß es überhaupt etwas über das Materielle hinaus gibt. Wenn man das paulinische Bild ein wenig überstrapaziert: Es muß hier überhaupt erstmal der Ei-Follikel heranreifen, damit irgendwann einmal ein Christ gezeugt werden könnte!

Für die anvisierte Zielgruppe scheint mir daher die Lebenswendefeier, zumindest nach dem, was ich aus Erfurt erfahren habe, völlig angemessen zu sein. Sie setzt aber eine ganz bestimmte Situation und eine ganz bestimmte Zielgruppe voraus, die es „bei uns im Westen“ kaum gibt: eine mehrheitlich ganz selbstverständlich ungetaufte Gesellschaft, in der ein ebenso selbstverständlicher praktischer Materialismus vorherrscht, und das schon in der dritten, vierten Generation.

Bleibt natürlich die Frage, wo es heut die feste Nahrung für in Christus Heranwachsende gibt. Aber das ist ein anderes Thema…

[Disclaimer: Was ich geschrieben habe, kann ich nicht selbst beurteilen, sondern habe es nur aus (glaubwürdiger!) zweiter Hand. Mir erscheint es freilich stimmig.]

Jeder Mensch sei schnell im Hören, langsam aber im Reden und langsam im Zorn. (Jak 1,19)

Natürlich heißt das nicht, man solle besser nur Zuhören und selbst dann nichts sagen, wenn das Gegenüber völligen Unfug verzapft. Aber wie im ganzen Brief geht es Jakobus auch hier um eine Einstellung: Die Position des Anderen als die Position des Anderen ernstnehmen und verstehen zu wollen, bevor man ihn kritisiert.

Andererseits kann der „Leidensdruck“ auch so stark werden, daß man gar nicht mehr anders kann, als ihn herauszuschreien. Und eine wenig „lashing-out“ ist mitunter auch psychohygienisch sehr hilfreich und wichtig. Doch wo kommt solcher Leidensdruck denn her? Nach meiner Erfahrung: Daß ich selbst nicht ernst genommen werde, daß mir keine Chance gelassen wird, mich zu rechtfertigen, daß Vorurteile und Stereotype ein Gespräch im Keim ersticken: „Meine Meinung steht fest, bitte verschonen Sie mich mit Tatsachen.“

Wo das nicht der Fall ist, kommt häufig ein recht fruchtbares Gespräch zustande, bei dem sich zwar keine grundlegenden Auffassungen verändern, aber Verständnis für den Anderen entsteht. In einer postmodern-pluralistischen Gesellschaft kann es eigentlich auch gar nicht anders auf Dauer gutgehen: Bei aller Ablehnung seiner Auffassung, muß ich den Anderen doch als Menschen und Geschöpf Gottes respektieren. Warum funktioniert das aber im Gespräch mit nicht-katholischen Christen, ja sogar mit Atheisten oder Neuheiden meist besser als mit ach so „modernen“ Katholiken? Oder nochmals mit Jakobus:

Wieso gibt es Kriege und wieso Streitereien bei euch? (Jak 4,1)

Am 1. Januar 2010 tritt eine Gesetzesänderung zu Spätabtreibungen in Kraft. Wesentlicher Kern des Gesetzes ist die Ausdehnung der Beratungsregelung auf die sogenannte medizinische Indikation. Solange nicht unmittelbarer Lebensgefahr abgeholfen werden muß, darf der diagnostizierende Arzt jetzt erst drei Tage nach der Diagnose das Voliegen der medizinischen Indikation nach § 218b, Absatz 1 StGB schriftlich beurkunden. Zudem muß die Schwangere dem Arzt bestätigen, daß er seiner Beratungspflicht nachgekommen ist. Diese Beratungspflicht umfaßt unter anderem die Erörterung der medizinischen und psychosozialen Aspekte, die sich aus der Diagnose ergeben, der möglichen medizinischen, psychischen und sozialen Fragen sowie der Möglichkeiten zur Unterstützung bei psychischen und physischen Belastungen. Schließlich soll der Arzt die Schwangere auch auf Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen aufmerksam machen und gegebenenfalls sogar Kontakt herstellen.

Soweit so gut. Damit wird einer Klage der Ärzte abgeholfen, die sich mit der Situation in rechtlicher Unsicherheit alleingelassen fühlten. Denn bisher war der diagnostizierende Arzt in der Praxis fast immer zugleich der einzige Berater der Schwangeren, setzte er sich aber für das Leben des ungeborenen Kindes ein, lief er Gefahr, später schadensersatzpflichtig zu werden („Kind-als-Schaden-Urteil“). Nun soll es also eine Bedenk- und Beratungszeit von drei Tagen geben, und an der Beratung sollen auch andere Berater, vor allem auch Fachärzte für die diagnostizierte Behinderung des Kindes beteiligt werden.

Natürlich hängt nach wie vor viel am Engagement des einzelnen Arztes, zumal die Beratung „ergebnisoffen“ erfolgen soll. Dennoch wird deutlich, daß die ursprüngliche Absicht des Gesetzentwurfes war, die „medizinische“ Indikation, die 1995 die aus guten Gründen abgeschaffte „eugenische“ bzw. „embryopathische“ Indikation indirekt mit aufnahm, einzuschränken: Der Schwangeren soll die Möglichkeit eines Lebens mit behindertem Kind aufgezeigt, die Heilungs- und Linderungsmöglichkeiten vorgestellt und die Folgen einer Abtreibung auch und gerade für die Mutter klargemacht werden.

Daher ist auch die eigentliche medizinische Indikation von der Beratungsregelung ausgenommen: Besteht Gefahr für das Leben der Mutter, kann nach wie vor abgetrieben werden. Der Tod des Kindes ist in dieser Situation ja auch gar nicht intendiert, vielmehr handelt es sich um eine unerwünschte Nebenfolge, die mit allen Mitteln zu verhindern gesucht wird. Anders aber bei der „medizinischen“ Indikation im weiteren Sinne, die der Bezeichnung absolut Hohn spricht: Denn hier handelt es sich um ein unerträgliches rechtliches Konstrukt, durch das krampfhaft versucht wurde, die Behinderung des Kindes zwar nicht mehr als Abtreibungsgrund (eugenische oder embryopathische Indikation) erscheinen zu lassen, faktisch aber durch die Hintertür der „psychischen Gesundheitsbeeinträchtigung der Mutter jetzt oder später“ diesen Abtreibungsgrund beizubehalten. Denn eine zukünftige Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit der Mutter ist sowas von vage, daß es letztlich allein an der Entscheidung der Mutter liegt, ob abgetrieben wird oder nicht.

Am deutlichsten aber wurde die Absicht, diese de facto eugenische Indikation einzuschränken, am 4. Absatz des Gesetzentwurfs. Dieser Absatz fand aber im Bundestag keine Mehrheit und wurde in den Medien auch immer nur beiläufig mit „ach, da ging’s ja nur um Statistisches“ abgehandelt. Zwar ging es tatsächlich „nur“ um die Regeln zur statistischen Erhebung, aber die drei zusätzlichen Erhebungpunkte hatten es in sich! Denn es handelte sich um:

– vorgeburtlich diagnostizierte Fehlbildung oder Genomauffälligkeiten,
– Tötung des Embryos im Mutterleib bei Mehrlingsschwangerschaften,
– Tötung des Embryos im Mutterleib in sonstigen Fällen.

Es ging also um nicht mehr und nicht weniger als die statistische Erhebung, wieviele der nach „medizinischer“ Indikation durchgeführten Spätabtreibungen faktisch embryopathische Gründe hatten, also um die Aufdeckung der Folgen der 1995 eingeführten Hintertür! Der abgelehnte Absatz wäre also eine Zeitbombe für die Abtreibung aufgrund einer Behinderung des Kindes geworden, denn dann wäre statistisch erhoben worden, was heute nur zu vermuten ist: Daß der allergrößte Teil der Spätabtreibungen nach medizinischer Indikation de facto embryopathisch „indiziert“ ist. Diese „Zeitbombe“ wollte die Mehrheit unserer Abgeordneten gar nicht erst zu ticken beginnen lassen. Die mit Jahresbeginn in Kraft tretende Neuregelung zeigt so die ganze Heuchelei der deutschen Abtreibungsgesetzgebung.

Kürzlich war ich auf einer Theologentagung, auf der auch mehrere Referenten auf die anthropozentrische Wende zu sprechen kamen. Überraschenderweise war darunter nur einer, der voll die alten Konsequenzen runterbetete.

Alle anderen waren da deutlich skeptischer, und eben jener verbliebene Einzelkämpfer der Moderne wurde massiv angegriffen, sogar von einem Fachkollegen, der in den Achtzigern denselben theologischen Ansatz vertrat. Nur hatte der nach eigener Auskunft bemerkt, daß der Gegenwind mittlerweile nicht mehr nur aus Rom kommt, sondern aus der Breite der nachchristlichen Gesellschaft, was ihn doch sehr zum Nachdenken gebracht hat, ob er sich nicht vielleicht schon damals geirrt habe.

Als dann am Ende noch eine Professorin aufstand und die Auffassung vertrat, wenn die Theologie wieder relevant werden wolle, müsse sie ihren Gegenstand auch im Gegenüber zur Gesellschaft bestimmen, es sei doch nicht zufällig sondern konstitutiv, daß außer in unseren Breiten fast überall das Bekenntnis zum Christentum lebensgefährlich sei, dachte ich mir: Mensch, es geht aufwärts!

Vielleicht ist die Theologie gerade dabei, sich doch noch erfolgreich für die Postmoderne aufzustellen.

Gestern war also der Tag der Menschenrechte. War mir nicht mal beim Zeitunglesen aufgefallen, und dabei gibt es ihn schon seit 1999. Erfahren habe ich am Ende auch nur davon, weil es auf dem (wohlgemerkt kirchlich-liturgischen) Abreißkalender stand.

Womit ich auch schon unmittelbar von der Frage der Nützlichkeit solcher Tage überhaupt zur Frage des Sinns solcher Tage im kirchlichen Kontext gekommen bin. Vom Welttag der sozialen Kommunikationsmittel etwa weiß ich auch nur, weil es Dokumente des Vatikans zum Thema Internet gibt, die – wie passend – genau an jenem Welttag veröffentlicht wurden.

Aber wozu solche Tage überhaupt?! Gut, früher hätte man vielleicht einen Heiligen zum Patron für die Menschenrechte erklärt und ihrer dann an seinem Gedenktag gedacht. Aber ist das nicht alles schrecklich moralisierend?

Am tollsten finde ich ja immer noch solche Tage, die auf Sonntage gelegt werden, wie den Weltmissionssonntag. Klar, Mission ist ein hehres Anliegen (vor allem in Deutschland :-/), aber muß man dafür einen Sonntag widmen, wo eines der uneingeschränkt zu begrüßenden Ziele der Kalenderreform war, den Sonntag in seiner Bedeutung als wöchentliches Ostern aufzuwerten?

Offenbar gibt es Leute, denen sowas gefällt. Allerdings sollte man ihnen das Handwerk legen, bevor der 25.12. zum Welttag der religiösen Toleranz erklärt wird; paßt doch wunderbar, verdrängt doch nur dieses komische säkulare Fest der Liebe. Oder war da noch was?