Internet

…buddelt irgendwer irgendwelche uralten Thesen aus und verkauft sie als Nachricht. Wer Lust hat auf Atheistenbekehrung, kann ja mal hier kommentieren: „Jesus starb vermutlich nicht am Kreuz“ — Witzigerweise ist das Ergebnis überhaupt keine Nachricht wert, denn es heißt lediglich, die Kruzifixdarstellungen dürften nicht die historische Realität wiedergeben: Das Kreuz war kein +, sondern ein T. Daran, daß Jesus am Kreuz gestorben ist, ändert doch die Form des Kreuzes und die Art der „Befestigung“ nichts…

Einen schönen Kommentar gibt es schon:

„Gefährliches Halbwissen im Zusammenhang mit selbst zusammengebasteltem Christentum führt unweigerlich zu einer Vielzahl von Problemen.“

Ja, der heutige Tag entwickelt sich besser als der gestrige, ja sogar überraschend gut. Prof. Dr. Dr. Sternberg MdL, immerhin Sprecher für kulturpolitische Grundfragen des ZdK, sponn bei der heutigen Podiumsdiskussion zu Vergemeinschaftungsformen im Internet ein wenig rum (im positiven Sinne) — und kam zu (mich) überraschenden Gedanken. Daß es im katholischen Glauben durchaus der Virtualität des Netzes vergleichbare Phänomene gibt, ist mittlerweile fast schon ein Allgemeinplatz. So war es durchaus noch gängig zu hören, daß die Communio Sanctorum und die Engel in der Liturgie „virtuell“ anwesend seien, d.h. die Grenzen von Zeit und Raum überschreitend. Ungewöhnlich ist der Verweis auf die himmlische Liturgie aber bei einem ZdK-Vertreter allemal, selbst wenn er Liturgiker ist. Viel interessanter war aber, daß eine Begründung folgte: Liturgie sei Kommunikation, aber Kommunikation auf anderer Ebene. Um genau das deutlich zu machen, trügen da einige besondere Kleidung und haben besondere Augaben und mache man bestimmte (rituelle) Gesten (wie etwa das Bekreuzigen mit Weihwasser). So wird deutlich: Ich rede mit Gott, und er hört mich. Aber er hört mich nicht so, wie ein anderer Mensch. Es ist eine andere Form von Kommunikation.

Zu Flashmobs fiel ihm ein: Das machen wir in der Liturgie dauernd, den Augenblick betonen. Wir nennen das Kirchenjahr. Besonders deutlich am Gründonnerstag: „Das ist heute.“ Aber auch Volkfrömmigkeit konnte er in diesem Kontext einiges abgewinnen: Wo ist der große Unterschied zwischen einem Flashmob, wo verschiedene, sich meist unbekannte Leute auf ein Kommando (SMS) hin dasselbe täten, und dem Angelusbeten, wo (wenn man es denn noch täte) auf ein Kommando hin (Glockenläuten) mitunter einander unbekannte Leute dasselbe tun (nämlich Angelus beten) — was in beiden Fällen eine neue Form von Vergemeinschaftung (huch, der gehört ja auch dazu!) ergäbe.

Auf eine Frage in der Diskussion nach der Nutzung des Internets für die Beichte antwortete er, das Beichtgespräch sei ein viel zu komplexes Geschehen, als daß es ins Internet verlagern könnte. Aber nach seiner Beobachtung funktionierte die Beichte wenn überhaupt noch da, wo ein Beichtstuhl verwendet wird. Daher sei es als Chance zu begreifen, daß das Internets eine ähnliche Erfahrung von Anonymität und Intimität kenne, mit deren Hilfe neues Verständnis für die Beichte zu wecken.

Das Internet ist also doch eher katholisch. Ich bin einigermaßen beeindruckt.

Bis jetzt war ich durchaus milde gestimmt und versuchte nach den anfänglich erfreulich wenig nervigen Erlebnissen einen positiven Blick auf den ÖKT zu entwickeln. Nun war ich aber gerade auf eine Veranstaltung über Mystik im Netz. Da ging es erstmal eine Dreiviertelstunde lang um Mystik ohne einen wirklich relevanten Bezug zum Netz. Dann kamen ein katholischer und ein „evangelische Kirchensteuer zahlender“ (Zitat) Professor aufs Podium und begannen tatsächlich mal übers Netz zu reden und Beispiele von „Mystik“ im Netz zu schildern.

Was sie tatsächlich beschrieben hatte relativ wenig mit echter Mystik zu tun, ja nicht einmal „Spiritualität“, sondern es ging um religiös aufgemotzte, tw. auch überhöhte Internetseiten, -communitys und -foren. Auch ein interessantes Thema, aber nicht das, was ich erwartet hatte. Ich hatte die Frage erwartet, wie Mystik im Netz präsentiert werden kann und ob es möglich ist, über das Netz (als Medium) mystische Erfahrungen zu vermitteln. Die Ansätze, die es dazu gab, gingen jedoch sofot dazu über, das Medium als die Message zu betrachten: Das Netz ist mystisch, denn es ermöglicht eine vom Körper und der materiellen Realität gelöste Erfahrung. Holy Moses!

Klar kann man auch darüber diskutieren, und wenn man das auf vernünftigem Niveau täte, wäre das auch sicher interessant. Aber von den technischen Hintergründen, dem Stellenwert der als Beleg angeführten Internetphilosophen und den seit mindestens 9/11 deutlich ins Dunkel getauchten frühen Internetutopien (die, wie Florian Rötzer, Chefredakteur von Telepolis, auf einer gestrigen Veranstaltung feststellte, zwar nicht völlig obsolet sind, aber doch einen ganz anderen Schwung gefunden haben, nämlich statt das Real Life ins Netz aufzulösen, das Netz per augmented reality ins Real Life zu integrieren) hatten die offenbar keinen blassen Schimmer. Daß kein einziges Beispiel aus dem Web 2.0 auftauchte, daß jegliche Multimedialität unter den Tisch viel (der Evangele: „Fernsehen ist katholisch, das Internet evangelisch, denn katholisch = Bilder und Angst vor dem Wort, evangelisch = Wortzentriert“) paßt da super ins Bild.

Als der Katholik ganz vorsichtig darauf hinwies, daß in der Literatur auch die entgegengesetzte Auffassung vertreten wird (Vielfalst, ja Heterogenität des Netzes => Vielfalt der Frömmigkeit, gerade auch der Volksfrömmigkeit, d.h. Vielfalt der Gotteszugänge im katholischen Glauben) wurde der Kirchensteuerprotestant plötzlich polemisch und zog über die hierarchische Kirchenstruktur her, die man ins Netz nie reinkriegen könnte. Was ist denn bitte noch hierarchischer als das Internet? Jede URL ist hierarchisch aufgebaut, die Verwaltungsstruktur ist hierarchisch (wahrscheinlich hätte der Kerl die ICANN für einen Treinkgefäßeproduzenten gehalten), selbst mit der DENIC ist (mit Ausnahme der paar Privilegierten) nur über Zwischenhändler Kommunikation möglich. Das einzige, was im Netz tatsächlich „anarchisch“ ist, das ist die Vielfalt der Seiten, jeder Hansel kann seine eigene Seite ins Netz stellen, seine eigene Religion gründen (ob er damit aber auch wahrgenommen wird, ist aber eine andere Frage, die der Typ auch nicht thematisierte).

Er selbst spach von einem Individualisierungsschub, was ja zweifellos nicht ganz falsch ist. Die aber einseitig mit dem Protestantismus in Verbindung zu bringen, implizit der katholischen Kirche Vermassung vorzuwerfen, ist doch hahnebüchener Unsinn (auch wenn das Heike Schmoll in der FAZ auf etwas höherem Niveau auch regelmäßig tut). Der soll mal das eine oder andere Buch unseres Papstes lesen: Nichts ist für ihn schlimmer als die Vermassung. Aber er sieht eben auch das andere Extrem: die Vereinzeilung. Was nutzt dem Individuum seine Individualität, wenn sie zu totaler Einsamkeit führt? Jeder Mensch sucht (auch) die Gemeinschaft, sei es in der Blogoeszese, Facebook oder auf dem ÖKT (jedem wie’s beliebt). Da spiegelt das Netz tatsächlich eher Katholizität: Die (hierarchische) Struktur ist das eine, und sie ist notwendig. Aber sie ist nichts, wenn sie nicht gefüllt wird! Und gefüllt wird sie nicht durch lauter prästabilierte Monaden, sondern durch Gemeinschaft! Wollen wir hoffen, daß „Communio und Community“ morgen besser wird!

Bin gerade über einen, wie ich finde, spannenden Blog gestolpert:

Netzinkulturation

Der Autor ist ein Theologe, der schon vor fünf Jahren seine Diplomarbeit über Kirche im Netz geschrieben hat. Ich find’s unheimlich spannend (auch wenn die Beiträge recht sporadisch zu kommen scheinen), da der Autor sowohl vom Netz als auch von der Postmoderne (mein Thema, wie der geneigte Leser vielleicht schon bemerkt hat 🙂 Ahnung zu haben scheint.

Aber da mir meine erste Begeisterung vielleicht die Sicht einschränkt: Kommt und seht selbst!