Liturgie

  • Sonntagfrühmesse in St. Peter: exakt 30 Minuten. NO ohne Offb-Lesung, ohne Predigt, dafür in „old school“-Casel und versus orientem (die ist doch geostet, oder?); liturgische Antworten und Lieder durch die Gemeinde eher geflüstert, dafür Kommunionspendung an Kommunionbank in allen Variationen: stehend, kniend, Hand, Mund… Ich hoffe, ich habe mich verhört, als ich meinte, zwei Bänke hinter mir jemanden sagen zu hören, das sei doch mal eine feierliche Messe gewesen.
  • Gespräch mit Generation 50+: Obwohl sie sogar von sich aus empört sagten, manchmal lügten „die Medien“ ja, daß sich die Balken biegen, waren sie nicht in der Lage, sich grundsätzlich von „den Medien“ zu distanzieren. Insbesondere der eigenen regionalen Tageszeitung wurde fast Unfehlbarkeit zugesprochen. Die Vorstellung, eine mögliche weltanschauliche Einstellung des Blattes, der Redaktion oder auch nur des einzelnen Journalisten zu berücksichtigen und weitere, weltanschaulich anders gelagerte Quellen heranzuziehen, war ihnen nicht zu vermitteln. Und die[tm] kritisieren die Medienkompetenz „der Jugend“, die angeblich alles glaube, was auf irgendwelchen obskuren Seiten im Netz steht. Vielleicht können sie ja auch gar nichts dafür. Früher[tm] funktionierte das halt so. Gott sei Dank ändert das Netz solche Machtmonopole!

Ja, der heutige Tag entwickelt sich besser als der gestrige, ja sogar überraschend gut. Prof. Dr. Dr. Sternberg MdL, immerhin Sprecher für kulturpolitische Grundfragen des ZdK, sponn bei der heutigen Podiumsdiskussion zu Vergemeinschaftungsformen im Internet ein wenig rum (im positiven Sinne) — und kam zu (mich) überraschenden Gedanken. Daß es im katholischen Glauben durchaus der Virtualität des Netzes vergleichbare Phänomene gibt, ist mittlerweile fast schon ein Allgemeinplatz. So war es durchaus noch gängig zu hören, daß die Communio Sanctorum und die Engel in der Liturgie „virtuell“ anwesend seien, d.h. die Grenzen von Zeit und Raum überschreitend. Ungewöhnlich ist der Verweis auf die himmlische Liturgie aber bei einem ZdK-Vertreter allemal, selbst wenn er Liturgiker ist. Viel interessanter war aber, daß eine Begründung folgte: Liturgie sei Kommunikation, aber Kommunikation auf anderer Ebene. Um genau das deutlich zu machen, trügen da einige besondere Kleidung und haben besondere Augaben und mache man bestimmte (rituelle) Gesten (wie etwa das Bekreuzigen mit Weihwasser). So wird deutlich: Ich rede mit Gott, und er hört mich. Aber er hört mich nicht so, wie ein anderer Mensch. Es ist eine andere Form von Kommunikation.

Zu Flashmobs fiel ihm ein: Das machen wir in der Liturgie dauernd, den Augenblick betonen. Wir nennen das Kirchenjahr. Besonders deutlich am Gründonnerstag: „Das ist heute.“ Aber auch Volkfrömmigkeit konnte er in diesem Kontext einiges abgewinnen: Wo ist der große Unterschied zwischen einem Flashmob, wo verschiedene, sich meist unbekannte Leute auf ein Kommando (SMS) hin dasselbe täten, und dem Angelusbeten, wo (wenn man es denn noch täte) auf ein Kommando hin (Glockenläuten) mitunter einander unbekannte Leute dasselbe tun (nämlich Angelus beten) — was in beiden Fällen eine neue Form von Vergemeinschaftung (huch, der gehört ja auch dazu!) ergäbe.

Auf eine Frage in der Diskussion nach der Nutzung des Internets für die Beichte antwortete er, das Beichtgespräch sei ein viel zu komplexes Geschehen, als daß es ins Internet verlagern könnte. Aber nach seiner Beobachtung funktionierte die Beichte wenn überhaupt noch da, wo ein Beichtstuhl verwendet wird. Daher sei es als Chance zu begreifen, daß das Internets eine ähnliche Erfahrung von Anonymität und Intimität kenne, mit deren Hilfe neues Verständnis für die Beichte zu wecken.

Das Internet ist also doch eher katholisch. Ich bin einigermaßen beeindruckt.

Im großen und ganzen hatte ich heute einen angenehmen Tag. Das Pontifikalamt im Dom war gut besucht, kam ohne allzu große liturgische Verrenkungen aus, und selbst das lateinische Credo führte nicht zu offensichtlichen Protesten. Im Gegenteil, es sangen in meiner Umgebund sogar einige /auswedig/ mit. Vielleicht ist 8:30 für den homo affirmationis concilii einfach zu früh, oder er protestierte bereits durch sein demonstratives Fernbleiben. Das wäre dann allerdings nicht aufgefallen, denn es gab in der ganzen Kirche auch kaum noch Stehplätze. Soviel zu der Behauptung, die Domkirchen seien schon immer viel zu groß und nie wirklich gefüllt gewesen. Merkwürdig war aber, daß die Kommunion (auf die ich schließlich verzichtete, weil ich als Nicht-Händchen-Hinhalter einfach nicht wahrgenommen wurde) immer noch gespendet wurde, als der Zelebrant schon lange ausgezogen, die letzten Töne des Schlußliedes verklungen waren und die Massen bereits nach draußen strömten…

(BTW: Ist es in Bayern eigentlich üblich, nach einer Messe in der Kirche Brotzeit zu halten?! Ich war einigermaßen irritiert, als da gleich mehrere Brote, Kaffe und Kuche auspackten…)

Der weitere Tag war zwar nicht perfekt, aber doch ganz ordentlich. Keine Irrlehren, keine unnützen Konfessionskleinkriege, halbwegs sachliche Diskussionen mit Substanz (um kontroverse Themen habe ich vorsorglich einen großen Bogen gemacht), und von Käßmann habe ich erst aus den Nachrichten erfahren (und hey, der Papst hatte gut fünfmal soviele Zuhörer wie es überhaupt Kirchentagsbesucher gibt!).

Apropos Nachrichten: Junge, Junge, Junge! Käßmann und Mißbrauch, auf BRalpha auch noch WsK’lerinnnen, die den Gemeinden zeigen wollen, wie man Brot ohne Priester teilen kann (*kopfschüttel*). Da bin ich doch froh, selbst hier zu sein und zu sehen, daß das auf dem ÖKT völlig untergeht, wenn man nicht zufälligerweise dabei ist. Zum Glück kann das mein Bild der Massenmedien gar nicht mehr erschüttern, denn eigentlich habe ich nichts anderes erwartet.

(Ich frage mich allerdings, woran das liegt. An Böswilligkeit glaube ich ehrlichgesagt nicht, denn man sollte nie Böswilligkeit annehmen, wo „Dummheit“ als Erklärung völlig ausreicht. Können die das überhaupt besser wissen? Woher denn? Wenn schon innerkirchlich kaum was anderes Chance auf Gehör hat?)

Ich hatte das Glück, den Eröffnungsgottesdienst mit einem kleinen Lästermaul verbringen zu dürfen. Das hat einiges erträglicher gemacht, vor allem die Musik. Seit der evangelische Landesbischof Friedrich dann auf das Kirchentagsmotto anspielend davon sprach, daß er vermute, nicht alle Anwesenden teilten seine Hoffnung, nämlich die auf die Auferstehung und das ewige Leben, bin ich sogar bereit, der Ökumene wieder den Kredit zu geben, den sie für mich auf dem ÖKT 2003 in Berlin (endgültig) verspielt hatte. Da war ich mit der Hoffnung auf harte, aber faire Auseinandersetzung hingefahren, wie ich sie aus dem Internet kannte. Mehrere Veranstaltungen zu kontroversen Themen zeigten mir aber: Es ging „den anderen“ um Durchsetzung ihrer Interessen bei völligem Übergehen des katholischen (und orthodoxen!) Selbstverständnisses (die Orthodoxen gingen damit aber sehr viel entspannter um und gönnten sich die Arroganz des „wir sind wir, wer seid ihr denn schon?“, während die meisten Katholiken jeden Angriff mit Demutsgesten und Unterwürfigkeitsadressen beantworteten). Der Höhepunkt war damals beim Warten auf den Zug zurück auf dem Bahnhof Lichtenberg. Da steigerten sich zwei Protestanten dermaßen in ihre restrictio mentalis „Amtskirche ist doof und unterdrückt, was alle Katholiken doch eigentlich wollten“, daß mir der Kragen geplatzt ist. Daß ein Katholik tatsächlich gegen das gemeinsame „Abendmahl“, Frauenordination und Zölibatsaufhebung sein konnte, war für eine völlig neue Information für die beiden. Ja, zugegeben, jetzt wo ich das nochmal Revue passieren lasse, liegt das Problem wohl tatsächlich eher bei uns…

Nunja, zurück zu heute, zurück zur Musik. Das Motto lautet ja „Damit ihr Hoffnung habt“. Den Ansatz, die Hoffnung in Kontrast zur erfahrenen Realität zu stellen, finde ich durchaus gut, die Umsetzung aber war katastrophal. Ganz davon abgesehen, daß mich das gesprochene „Krieg“, „Hunger“, „Durst“ an den Diener von König Pumponell in der Augsburger Puppenkistenversion von Urmel aus dem Eis erinnerte, und für mich die musikalische Umsetzung viel zu harmlos war, stand die „Hoffnung“ vor allem musikalisch in einem völlig unvermittelten Kontrast zum Bösen. Als ob das Böse durch den Glauben einfach verschwinden würde! Als ob die ganze Realität einfach bloß hell und licht würde, nur weil ich glaube! Nein, der Auferstandene trägt die Wundmale, das Böse wird nicht einach vernichtet, sondern es hinterläßt auch im Glauben, auch nach der Auferstehung seine Spuren — aber es wird nicht mehr als hoffnungslos, als nur Böses erfahren. Das ließe sich aber auch musikalisch umsetzen! Warum aber spielt man lieber nach einer klassisch gesungenen Strophe eine verswingte Big Band-Version von „Wer nur den lieben Gott läßt walten“ als die herausfordernde Spannung zwischen melancholischer (aber nicht hoffnungsloser!) Melodie und hoffnungsvollem Inhalt auszuhalten?! Vielleicht liegt hier ja eines der Grundprobleme: Der Wunsch nach Heil ohne Anstrengung, nach billiger Gnade, danach, aufopfernde Mutterliebe zu erfahren, ohne sie selbst leben zu müssen.

Der Pfarrer trug weiß. Das war aber auch schon fast alles, was gerstern noch an Ostern erinnerte (gut, die Lesung aus der Offenbarung des Johannes indirekt ja auch). Ansonsten war schon Pfingsten angesagt, während in der Nachbarkirche Erstkommunion gefeiert wurde — und das nur, weil im Evangelium was vom anderen Beistand gesagt wird? Irgendwie ist mir das zu historisierend. Wenn wir in der Osterzeit, also nach Ostern, einen Text hören, der natürlich auf Pfingsten verweist, aber aus den Abschiedsreden stammt, dann will der Text doch wohl etwas komplexer interpretiert werden als nur auf Pfingsten, zumal ja auch die erste Lesung aus der Apostelgeschichte (wurde uns vorenthalten) über das Apostelkonzil nochmal einen ganz bestimmten Aspekt des Heiligen Geistes in den Vordergrund stellt.

GL Nr. 642 paßte natürlich auch irgendwie ganz gut zu der Lesung (die Apg wurde uns vorenthalten, ging ja „nur“ ums Apostelkonzil…), und ich singe dieses Lied auch unheimlich gerne. Wobei das Lied ja unter „Kirche“ einsortiert ist. Wenn die Kirche mit dem himmlischen Jerusalem identisch sein sollte, würde ich in der gegewnärtigen Situation wohl auch stehenden Fußes vom Glauben abfallen. Wer weiß, in wievielen Köpfen diese Identifikation noch besteht…

Aber Nr. 642 und Nr. 225 waren die einzigen beiden Lieder mit wenigstens indirektem Osterbezug (soviele singt man selbst im durchschnittlichen Requiem). Der Pfarrer ließ zudem das doppelte Halleluja bei der Entlassung weg, und das marianische Schlußlied war auch nicht gerade Regina Caeli. Dagegen war ja der Dienstag nach dem Weißen Sonntag geradezu von überschwänglicher Osterfreude geprägt. Wir sind offenbar schon wieder im Alltag angekommen. Hält Ostern nur so kurz vor?

Daß es nach der Osteroktav etwas weniger festlich zugeht, ist ja nun keine Überraschung. Aber selbst ohne Gloria kann man doch noch genug Osterfreude in der Messe zum Ausdruck bringen, oder? Was ich heute früh erleben durfte, hat mich fast in die Verzweiflung getrieben, weil ich mich schon bremsen mußte und trotzdem immer noch einen halben Takt voraus war. Mit jeder Strophe wurde es langsamer, wurden neue Stellen gefunden, Pausen zu machen! Schließlich sogar an einfachen Taktstrichen…

„Haaaaleeeeeeeluuuuuuujaaaa *lufthol* Jeeeesus leeeeeebt *lufthol* Jeeeeesus leeeeeeeeeeeeebt *lufthol* Jeeeeeeeeeeeeeeesusssss leeeeeeeeeeeeeeeeeeeeebt *lufthol* Haaaaaaaleeeeeeeluuuuuuhuuuujaaaaahaaaa *lufthol* Jeeeeeeeeeeeeeeeeesusssssssssss leeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeebt.“ Hätte sich ein Heide zu uns verirrt, der hätte wohl gedacht: „Aha, so sieht also ein Requiem aus.“ Wenn ich bedenke, daß der Pfarrer gerade noch davon sprach, daß die Werktagsmeßgänger der fromme Kern der Gemeinde seien…

Für mich ist das Sacrum Triduum, insbesondere seine liturgische Feier, der Höhepunkt des ganzen Jahres. Und die letzten zwei Wochen zeigten mir auch, daß ich damit nicht alleine in der Blogoezese stehe. Die Intensität dieser drei Tage kann natürlich nicht in einer halbstündigen Werktagsmesse untergebracht werden, obwohl sie ja genau das gleiche feiert; es ist gerade die Verlangsamung des Geschehens, seine Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven, die die Intensität des Sacrum Triduum hervorbringt. Aber wenigstens eine Ahnung dessen sollte es doch sein!

Vielleicht liegt es ja auch an den ganzen Mißbrauchsgeschichten, daß vielen dieses Jahr nicht nach Osterfreude zu Mute ist. Aber wann, wenn nicht jetzt, bräuchten wir die Osterfreude dringender? Wann, wenn nicht jetzt, müssen wir Zeugnis ablegen, von der Hoffnung, die uns erfüllt? Kann denn das weltliche und das geistliche Geschehen so getrennt bleiben?

Die Apostel haben sich damals aus Furcht vor der Welt(?) auch zunächst zurückgezogen und eingeschlossen. Vielleicht brauchen wir auch die Zeit, um zu verarbeiten, was wir erfahren. Aber dann müssen wir raus, und zwar nicht nur, indem wir dem Geschehen hinterherrennen, sondern indem wir wieder unsere Themen setzen. Was wir jetzt also noch viel dringender brauchen als Ostern, ist — Pfingsten.

Am Wochenende durfte ich einem protestantischen Gottesdienst beiwohnen. Die Kirche selbst war erstaunlich hübsch. Sie besaß einen barocken Hochaltar (den man nur am Fehlen des Tabernakels als evangelisch erkannte) und eine Art Lettner mit großer Kreuzigungsgruppe (freilich ohne Kreuzaltar). Wie ich später erfahren habe, wurde die Kirche keine hundert Jahre nach der Reformation und unter ästhetischem Einfluß der Gegenreformation gebaut. Etwas böser Kommentar meiner Frau: „Hey, das wär doch ’ne gute Kirche für die außerordentliche Form.“

Was dann aber folgte, war aus katholischer Perspektive nicht einmal Liturgie, Gottesdienst gerade noch so in Ansätzen. Die Pfarrerin (da wird der Dominus zur Domina, wie ein Pfarrer mal nach einem Meßvorbereitungstreffen, bei dem eine Frau aus der Gemeinde partout das Evangelium lesen wollte, sagte) zog eine dreiviertelstündige One-Woman-Show ab! Ganz nette, aber total ausufernde Gebete, die ganz offensichtlich mehr an die Gemeinde als an Gott gerichtet waren, wurden lediglich von kurzen Gemeindeliedern unterbrochen (die dafür aber ziemlich klassisch und somit an Gott gerichtet waren), daß es Fürbitten gegeben haben sollte, erfuhr ich auch erst hinterher, als ich einen Ablaufzettel in die Hand bekam, und von Aufstehen zum Gebet hatten die da offensichtlich noch nie was gehört. Lediglich zum Einzug stand man auf (setzte sich aber wieder, nachdem die Pfarrerin im Altarraum angekommen war) und zum Vater unser.

Bei allem Mißbrauch und -verständnis in unserer Kirche: Da habe ich die participatio actuosa richtig schätzen gelernt. Wenigstens „Amen“ möchte ich doch noch selbst sagen dürfen. Das hatte eher was von schulischem Frontalunterricht (wozu ja auch die Länge paßte). Über die Möglichkeit der inneren Teilnahme bei völlig unberechenbaren Gebetstexten schweige ich mich mal lieber aus…

Das Beste waren dann aber die Reaktionen der anderen (ganz gewöhnlichen Durchschnitts-) Katholiken, die mit waren: „Wir Katholiken können einfach besser feiern. Da fehlte doch alles, was so einen Gottesdienst ein bißchen feierlich macht.“ Recht hamse: Da fehlte einfach Liturgie.

Nach dem sehr lesenswerten Interview mit Weihbischof Dr. Hauke vom Dezember schockierte mich die Herderkorrespondenz in der Februarausgabe nun mit einem Artikel von Prof. Dr. Hubert Frankemölle. Da steht doch allen Ernstes drin:

Konkreter Anlass war die neugefasste Karfreitagsfürbitte „Für die Juden“ für den außerordentlichen Ritus, eigenhändig verfasst von Benedikt XVI., veröffentlicht am 4. Februar 2008. Darauf erhob sich bei Juden und Christen, Katholiken nicht ausgenommen, internationale Kritik, die im Februar/März in Empörung umschlug. Man gewann den Eindruck, dass nach dieser Textform Juden nur durch Jesus Christus zum Heil gelangen könnten. Jedenfalls war es für Juden schwer, die Fürbitte anders zu interpretieren, selbst wenn sie eschatologisch, das heißt auf die Zeit am Ende der Welt hin gelesen werde.

Nun kann ich das sehr gut nachvollziehen, daß man diese Textform gar nicht anders verstehen kann, denn an Christus vorbei kann keiner gerettet werden. Was mich daran schockiert, ist weniger die Auffassung an sich, es gebe einen Extraheilsweg für die Juden, als vielmehr daß ein katholischer Neutestamentler in der Herderkorrespondenz etwas schreiben kann, das mehr als nur suggeriert, daß er diese Auffassung teilt – und das, nachdem die deutschen Bischöfe in seltener Deutlichkeit genau diese Auffassung zurückgewiesen haben.

Wie soll das ausgerechnet bei den Juden denn funktionieren? Selbst wenn man voraussetzte, daß es auch Heil an Christus vorbei geben könnte – was bliebe denn vom Christentum übrig, wenn ausgerechnet diejenigen, zu denen Christus gesandt war, ohne Ihn gerettet werden können?! Warum hätte sich Paulus vor Damaskus bekehren sollen?! Warum hätte er zuvor überhaupt die Christen verfolgen sollen, wenn Christus und das Christentum für ihn als Juden völlig irrelevant gewesen wäre?!

Und mal ’ne ganz blöde Frage nebenbei: Selbst wenn es wohl nicht ausdrücklich dogmatisiert ist – ist „ohne Christus kein Heil“ nicht de fide? …propter nos homines et propter nostram salutem descendit de caelis… Ich mein ja nur.

Da ist es mir doch tatsächlich passiert, in eine Messe zu geraten, in der der Priester glatt die Statio „vergessen“ hat. Ob er sie jetzt wirklich vergessen oder bewußt weggelassen hat, sei mal dahingestellt, ich tendiere eher zu tatsächlich vergessen, da er anfangs etwas verwirrt wirkte.

„Der Herr sei mit euch.“
„Und mit deinem Geiste.“
„Laßt uns bekennen, daß wir gesündigt haben.“

Rummmmmms! Wer (wie ich) bis dahin noch nicht ganz angekommen war (bin erst kurz vor knapp gekommen), bekam gleich die volle Breitseite ab. In der Erwartung einer irgendwie frommen, mehr oder weniger geistreichen tagesaktuellen Einlullung fühlte sich das echt an wie eine gut gezielte Rechte. Paff! Erst zur Lesung hatte ich mich wieder halbwegs gefangen.

So ist mir schmerzhaft bewußt geworden, wie wichtig es ist, rechtzeitig vor der Messe dazusein und anzukommen, erst die alltäglichen Sorgen und Belastungen loszuwerden, bevor die Messe beginnt. Die forma ordinaria kennt halt keinen Psalm „Judica“.

Allerdings weiß ich gar nicht mehr so richtig, ob ich mir den jetzt noch wirklich wiederhaben will. Sicher, die Kombination aus „Schaffe mir Recht…“ und „Ich bekenne…“, dieser Ausdruck der doppelten Erfahrung des Bösen, nämlich als Opfer und als Täter, hat was, und die einseitige Betonung nur des Täterseins, die man auch so schnell wie möglich hinter sich bringen will (es gibt Liturgiewissenschaftler, die den Bußakt viel zu lang und unpassend finden, ihn am liebsten ganz streichen würden), habe ich immer für etwas scheinheilig gehalten. Ohne Statio aber hat das Confiteor (bzw. schon die Aufforderung dazu) eine unheimlich Eindringlichkeit.

Wenn ich dadurch eins gelernt habe: Bloß nicht kurz vor knapp kommen.