Theologie

In einem Leserbrief wurde letztens kritisiert, die Kirchenmusik hätte in der katholischen Kirche allenfalls den Rang einer Begleitung oder eines Lückenbüßers. So ganz stimmig war die Argumentation nicht, und ein paar Tage später gab es auch einen weiteren, widersprechenden Leserbrief. Dennoch steckt ein wahrer Kern steckt in der Kritik.

Seit einiger Zeit ging die Gabenbereitung irgendwie immer ein wenig an mir vorbei. Ich habe mich gefragt, woran das liegt, und habe daraufhin angefangen, mit Hilfe des Gotteslobs actuosa zu participieren. Das hieß: Das Lied zur Gabenbereitung links liegen lassen.

Und dann fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren, als dann ein richtiges[tm] Lied zur Gabenbereitung gesungen wurde: Häufig werden zur Gabenbereitung tatsächlich reine Lückenfüller gesungen, die die Gemeinde beschäftigen, bis die Gaben bereitet sind und die Messe weitergehen kann. Sie lenken also (zumindest mich) von der Gabenbereitung ab und erklären sie für nicht so wichtig. Anders die richtigen[tm] Gabenbereitungslieder. Die paraphrasieren oder zititeren die stillen Gebete des Priesters während der Gabenbereitung und/oder führen zum Opfer und seiner Bedeutung für mich hin.

Ich habe zwar nicht Buch geführt, wie oft so’ne oder solche Lieder zur Gabenbereitung gesungen wurden. Aber ein einfaches „Strophen 4 und 5 des Eingangslieds“ geht für mich zur Gabenbereitung überhaupt nicht mehr. Und wenn es noch so schön ist.[1]

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[1] Vergangenen Montag war es „O Haupt voll Blut und Wunden“. Da konnte ich mal eine Ausnahme machen 🙂

Es gibt sicher viele andere Themen, die in der Kirche überlegt und diskutiert werden müssen. Ich habe bewusst das Thema Beten für diesen Hirtenbrief gewählt. Denn für unsere derzeitige geistliche Not in der Kirche gibt es meiner Meinung nach keine bessere Therapie als das Gebet. Wir brauchen geistliches Grundwasser – dann kann vieles in der Kirche wieder neu zum Blühen kommen.

Als ich heute in den Dom kam, war ich einen kurzen Moment lang erschreckt, wie leer es war. Ah, ok, dritter Sonntag im Monat, also Latein (im novus ordo, wohlgemerkt :-), da ist öfter mal nicht ganz so voll. In der Statio wurde ich dann von Regens Karlson aufgeklärt, daß „im deutschsprachigen Raum“ schon seit langem der 2. Sonntag im Jahreskreis „Familiensonntag“ sei (und der Seminar-Spiritual fügte in der Predigt noch hinzu: in keinem der heutigen Meßtexte gehe es auch nur annähernd um Familie; er hat dann doch die Lesungstexte darauf abgeklopft, was sie für das Familienleben zu sagen hätten, durchaus erfolgreich übrigens, schien mir aber trotzdem etwas weit hergeholt). Anlaß für einen zweiten Blick, der mich noch mehr erstaunte: Das Durschnittsalter lag bestimmt deutlich unter 50, eher sogar unter 40. Und so hätten wir auch wie in früheren Zeiten wieder ein Kindermeßbuch (mit den lateinischen Texten und deutschen Übersetzungen), damit wir die Messe in der Sprache der weltweiten Familie der Kirche feiern können (die spätere Überleitung zu den Vermeldung auf Latein ist mir leider, vor allem der Intonation wegen, unreproduzierbar). Ja, so gedeutet kann ich dann auch mit einem „Familiensonntag“ leben 🙂

Seit ich regelmäßig in eine Messe gehe, in der man zum Gabengebet fast geschlossen sitzen bleibt, bin ich (wieder mal) auf der Suche nach einer nachvollziehbaren Begründung für diese Angewohnheit. Die einzige Erklärung, die ich dafür jemals bekommen habe, war: Um das nachfolgende Hochgebet hervorzuheben.

Die Begründung halte ich schlicht für Quatsch. Denn die Körperhaltungen in der Liturgie bringen nicht vornehmlich die Wichtigkeit eines liturgischen Elements zum Ausdruck (sonst dürften wir wohl kaum zu den Lesungen sitzen), sondern die körperliche ist Ausdruck einer inneren Haltung. Sitzen, so habe ich mal gelernt, drücke aufmerksames Zuhören aus. Entsprechend verstehe ich nicht, warum ich bei einem Gebet überhaupt aufmerksam zuhören anstatt mitbeten und speziell beim Gabengebet sitzen soll, wenn ich beim Tages- und Schlußgebet stehe.

Kann mir jemand eine sinnvolle liturgische/theologische Begründung nennen?

(Lange dachte ich, es handle sich um unreflektierte Praxis durch das Weglassen der Einleitung „Lasset uns beten“, die zumindest für mich immer das Signal zum Aufstehen war [hier wird die Begründung, das hieße doch, daß vorher nicht gebetet worden sei, selbst dann nicht besser, wenn ich sie aus dem Mund des deutschen liturgiewissenschaftlichen Oberfuzzis höre]. Im konkreten Fall wird diese Einleitung aber gesprochen, „die“ Leute bleiben trotzdem sitzen.)

Im Lied „Luxus“ von Grönemeyer heißt es, der Osten sei ausgezählt. Und obwohl viel an dem Text mittlerweile (wieder?) aktuell ist (und die Frage aufwirft, ob das vielleicht eher eine Generationenfrage als eine der politischen Ausrichtung ist…), ausgezählt ist der Osten ganz sicher nicht, oder wie soll man das heutige Meßangebot im Umkreis von 10 Minuten zu Fuß nennen:

7:00 Waisenhaus
7:30 St. Severi
8:00 St. Lorenz
9:00 St. Martini
11:00 Dom
12:00 St. Ursula
18:00 St. Crucis
18:00 Dom

Ok, es ist ein gebotener Feiertag, das sollte sich auch ein bißchen im Meßangebot wiederspiegeln, allerdings ist heute in Thüringen weder staatlicher Feiertag noch sind das alles nur für Epiphanie angesetzte Gottesdienste — nur der Vormittagsgottesdienst im Dom ist eine Ausnahme (und daß die dortige Abendmesse ein Pontifikalamt ist). Ansonsten ist das der normale Freitags-Meß-Plan. Und das in der 8%-Diaspora. Wenn das kein Luxus ist!

(Und nein, die Messen sind nicht leer. Ganz im Gegenteil.)

Man merkt, daß der Vorweihnachtsstreß schon voll zugeschlagen hat. Als ich heute zwei Minuten vor Beginn der Messe in die Kirche kam, war ich der erste Gottesdienstteilnehmer ohne liturgischen Dienst (kurz nach Beginn der Messe kam immerhin noch ein weiterer). Das ist nicht nur eher unüblich für hiesige Verhältnisse, sondern auch sehr schade, da die Predigt (ja, Predigt an einem Werktag!) sehr hörenswert und sehr angemessen zwei Tage vor Weihnachten war:

Gott ist nicht so, wie wir ihn uns wünschen und vorstellen. Zacharias habe sich nicht vorstellen können, daß Gott tatsächlich das tut (tun kann), was Er ihm verkündigen ließ. Dabei hatte Gott noch viel Größeres vor, als was Er Zacharias bekannt gab. Was Zacharias gesagt hätte, wenn er die ganze Ungeheuerlichkeit der Menschwerdung mitgeteilt bekommen hätte? Womöglich noch mit dem Ziel der Erlösung — durch das Kreuz? Da versagt das menschliche Denken. Und die gleiche Ungeheuerlichkeit passiert in der Eucharistie. Der Schöpfer aller Ding, der alles in der Hand hält und ständig erhält — wir würden spurlos aufhören zu existieren, wenn er seine Hand zurückzöge! (kann mich nicht erinnern, jemals zuvor in irgendeiner Predigt was von creatio continua gehört zu haben, schon gar nicht als Selbstverständlichkeit mal so eben nebenbei in einem Nebensatz) –, Er kommt zu uns unter den unscheinbaren Gestalten von Brot und Wein. Das können wir uns nicht adäquat vorstellen — und doch ist es so! Gott ist anders als wir Ihn uns vorstellen können, nämlich größer, und die wahre Gottesfurcht besteht darin, gerade auch dann, wenn Gott anders handelt, als wir uns das wünschen oder vorstellen (können), Ihm zu glauben, auf Ihn zu vertrauen.

Ich bin baff und wünsche mir dieselbe Tiefe, denselben Rundumschlag von der Predigt in der Christmette vor 400 statt vor vier Gläubigen 🙂

Blind can see the sun,
cripples walk alone,
deaf can hear my words,
they believe,

Just believe,
Just believe in me
Look! The signs are near
to perform my task
to perform my way

to perform
the way I walked

The way of the crucifix

Meine Frau hat mich deshalb schon für bekloppt erklärt, also paßt es wohl wunderbar in die Blogözese. Seit dem ersten Advent verstärkt sich in mir das unbändige Gefühl, zu Advendsliedern zu headbangen. Angefangen hat es mit „Macht hoch die Tür“, wo mir nur noch die Double Bass Drum fehlte. Bei genauerer Betrachtung und weil es sich bei immer mehr Liedern einstellte, ist mir aufgegangen, daß es an den Harmonien liegen muß. (Im Gegensatz zu Stanislaus werde ich nicht schon seit drei Wochen mit romantischen Dur-Liedern malträtiert, sondern durfte sogar die Melodie von „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ singen :-).

Und nicht nur an den Harmonien, auch an den Inhalten. Kreuz, Gericht, Wiederkunft, Warten auf das Heil, das sind auch Themen des Metals, wenn auch in meist mehr oder weniger säkularisierter Form. Heute paßte mal wieder alles wie die Faust aufs Auge. Als ob Johannes vom Kreuz allein nicht schon gereicht hätte! (Ich hatte mal überlegt, ob ich die Dunkle Nacht an den Beginn meines im engeren Sinne theologischen Teils meiner Diss stelle.) Ne, es kam auch noch das Evangelium, das Grundlage des Songs meiner „richtigen“[tm] Metal-Initiation war (s.o. und — fast genau vor einem Jahr). Das war doch mal ein schönes Crossover!

Da ich mich ja nicht mehr aufregen will, muß ich mir andere Themen zum Bloggen suchen. Zugleich fehlt mir aber (noch?) die Zeit, das ursprünglich hinter der Namenswahl des Blogs stehende Anliegen wieder auszugraben. Daher ziehe ich mich erstmal auf bereits Durchdachtes zurück, das ich mehr oder weniger aus dem Ärmel schütteln kann. In der nächsten Zeit wird es, soweit ich dazu komme, also eine kleine Serie über meine Metal-Leidenschaft geben.

Den Auftakt macht, zwangsläufig, mein persönlicher Zugang, denn das ist die Brille, durch die all das Folgende (vor allem auch kritisch!) zu lesen sein wird. Natürlich gibt es Abstoßendes, Blasphemisches, Satanistisches im Metal, das auch zuerst ins Auge springt. Aber wer beim ersten Blick stehen bleibt, sich nicht darüber hinausgehend mit der Musik und der sie deutenden sozialen Praxis auseinandersetzt und auf dieser Grundlage den Metal als bestenfalls belanglos, vielleicht sogar gefährlich abtut, bleibt auf der bewußt provozierenden und irritierenden Oberfläche stehen und wird dem Metal nicht gerecht. Ist natürlich jedermans gutes Recht, auch wenn man das als selbstverschuldete Unmündigkeit kritisieren könnte und eventuell daraus resultierende Äußerungen über den Metal aller Wahrscheinlichkeit nur die Vorurteile unter Metallern bestätigen, Christen seien oberflächlich und dumm, weil sie autoritätshörig anderen für sich das Denken überlassen. (Allerdings vertrete ich die Auffassung, daß der Metal solche Leute braucht, um „gefährlich“ zu wirken. Das Schlimmste wäre, wenn ihn alle gut und toll fänden, denn dann wäre er tatsächlich belanglos, aber das nur am Rande.)

Wie auch immer, ich bin nicht neutral gegenüber dem Metal eingestellt, ganz im Gegenteil, denn er hat nicht nur wesentliche Bedeutung für meinen Lebens-, sondern auch und vor allem für meinen Glaubensweg erlangt. Ein Bekannter äußerte letztens, in unserem Alter gäbe es doch keine Gläubigen, die keine grundstürzende Bekehrung hinter sich hätten, oder kennte ich denn einen, der durch die normale Pastoral gläubig geworden sei? Nunja, im ersten Moment mußte ich widersprechen, da ich selbst eigentlich kein besonderes Bekehrungserlebnis zum Glauben hatte, es war ein langer Prozeß, der zumindest nach außen hin doch recht geradlinig wirken dürfte; jedenfalls blieb er ohne einen echten Bruch.

Bei genauerer Betrachtung war aber mein Erstkontakt mit dem Metal eine Art Bekehrung. Vorher habe ich alle Vorurteile über den Metal, die man sich nur vorstellen kann, geteilt. Satanistischer Krach ohne jeden musikalischen Anspruch. Tja, die schärfsten Kritiker der Elche waren eben früher selber welche. Dummerweise spukten (vor allem Schlagzeug-) Riffs in meinem Kopf umher, die ich noch nirgendwo in der (Mainstream-) Musik wiedergefunden hatte. Insofern war ich also auf der Suche. Ich kann mich noch erinnern, wie während einer Messe, in der ich ministrierte, ausgerechnet während der Wandlung plötzlich ein solches Riff mein Hirn durchzuckte. Was ich damals mit schlechtem Gewissen als Unaufmerksamkeit deutete, erscheint mir heute eher als göttliche Eingebung in Vorbereitung späterer Ereignisse.

Jedenfalls stieß ich dann (noch dazu ausgerechnet im schulischen Musikunterricht 🙂 völlig unvorbereitet auf Metal ohne zu wissen, daß es sich um selbigen handelte, namentlich auf „Enter Sandman“ von Metallica. Und war völlig weggeblasen. Damals kannte ich zwar den Begriff noch nicht, aber das war ein Kairos. Das war die Musik, die mir schon immer im Kopf rumspukte, ohne daß ich sie jemals (bewußt) gehört hätte (keine Ahnung, ob da meine älteren Geschwister unbewußte Grundlagen gelegt haben; ist nicht auszuschließen, und es kam mir noch Jahre später so vor, als ob ich manche Musik nicht zum ersten Mal hörte, obwohl ich sie mir gerade erst gekauft hatte). Die Schöhnheit und Erhabenheit dieser Musik war so endg**l, daß das Verlangen nach ihr stärker war als die Vorbehalte. Selbige zerstreuten sich auch zunehmend, denn wer bei Metallica oder Blind Guardian (die ich als zweites ins Herz schloß) antichristliche oder blasphemische Texte findet, sage mir bitte Bescheid. (Ok, und dann unterhalten wir uns über James Hetfields Hintergrund, nämlich daß seine Eltern Christian Scientists waren, die durch ihre Ablehnung medizinischer Behandlung qualvolle Tode starben und entsprechende Eindrücke bei Hetfield hinterließen, deren Verarbeitung Songtexte wie „The God that Failed“ hervorbrachten. Und ja, Blind Guardian hießen mal Lucifer’s Heritage, aber das war’s auch schon. Keinerlei Einfluß auf das weitere Wirken, und — kleiner Vorgriff — einen solchen Bandnamen kann man ja auch so oder so verstehen… Jedenfalls sind sich Metaller der conditio humana in der Regel sehr bewußt.)

Aber ich schweife ab. Ohne dieses „Bekehrungserlebnis“ stünde ich heute nicht dort, wo ich stehe. Was ich nun definitiv vom Metal gelernt habe, ist für die eigenen Ansichten auch einzustehen, selbst wenn sie noch so unpopulär sind. Ich habe zwar nie die Anliegen des Kirchenvolksbegehrens geteilt, war aber von entsprechender Denke zumindest so weit infiziert, als ich lieber die Klappe gehalten oder gar mit den Wölfen geheult habe, als anzuecken. Zudem ging mein immer tieferer Einstieg in den Metal mit einem ziemlichen Wachstum im Glauben einher (und das nicht nur wegen des parallelen Theologiestudiums). Metal und Glaube warfen Fragen auf, die eine Lösung brauchten, sich gegenseitig verstärken und so zu einem tieferen Eindringen in beides führten. Auch weiß ich nicht, wie ich den Kontakt mit Hardcore-Freikirchlern verkraftet hätte, die ganz offen den Papst für den Antichristen hielten, Katholiken für Teufelsanbeter usw. Dort für eine klare Position einzustehen, war jedenfalls von Vorteil.

Schließlich kamen noch eine erkleckliche Anzahl Priesteramtskandidaten hinzu, die ebenfalls Metal hörten. Und das waren nicht gerade die liberalsten. Einer davon ist inzwischen Kartäuser. Lange Rede, kurzer Sinn: Bei all den bleibenden Schwierigkeiten mit gewissen Erscheinungsformen, insbesondere in den extremeren Subgenres, verdichtete sich in mir der Eindruck, daß es ein verbindendes Band zwischen Metal und Christentum gibt, und zwar gerade mit dem eher konservativen, aus dem die größten Kritiker des Metals stammen.

Dieser Frage nachzugehen ergab sich dann die Möglichkeit nach meinem Diplom in Form einer Doktorarbeit (die, so Gott will, nächstes Jahr auch endlich gedruckt vorliegt). Die weiteren Beiträge werden im wesentlichen auf selbiger beruhen und infolgedessen auch etwas objektiver daherkommen. Ein kleiner Vorgriff (weil ich mich erstmal der Musik widmen will und nicht weiß, wie weit ich komme): Die Verbindung liegt in der Frage nach dem Bösen, genauer in der Frage nach dem praktischen Umgang mit Erfahrungen des Bösen, sowohl aus Täter als auch aus Opfersicht. Und die Antwort(tendenz) des Metals geht nicht gerade in Richtung „wir müssen uns nur einfach alle lieb haben, und Gott leidet ja mit uns“…