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Ach, ja, was lese ich eigentlich CiG! Bin ich ja selbst schuld, wenn mir dann sowas wie die „A Serious Man“-Rezension über den Weg läuft (Michael Schromm: Geh nicht zum Rabbi? CiG Nr. 7/2010 vom 14.2.2010 – ja, ich gebe zu, das ist schon etwas älter *g*). Vielleicht bin ich ja Masochist oder ich brauche einfach was, um meinen Kreislauf anzuregen…

Während selbst in den Telepolis-Foren anhand der Filmrezension und des Hiob-Verweises ansatzweise gesittet (für TP-Verhältnisse halt) über religiöse Fragen diskutiert wurde (und seeehr interessante Einblicke in das ermöglichte, was viele Außenstehende offenbar für christlichen Glauben halten), weist Schromm den religiösen Gehalt des Filmes gleich ganz zurück, vielmehr sei er „auf eine zynische Weise atheistisch“.

Was ist denn bloß aus CiG geworden? Sonst wurde da doch selbst in den abstrusesten Werken noch irgendein „kritisches Potential“, „humanisierende Kraft“ oder sowas gefunden?! Jetzt wird zynischer Atheismus plötzlich kritisiert?

Das läßt mich doch schonmal reflexartig vermuten, daß der Film eben doch nicht (nur) zynisch atheistisch ist. Zynisch vielleicht, aber nicht mehr als das Buch Hiob. Atheistisch möglicherweise, jedenfalls versucht der Film nicht gerade den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. Aber zynisch atheistisch?!

Schromm verweist darauf, daß die Rabbis als Witzfiguren dargestellt werden – aber ist das nicht auch mit den Freunden Hiobs so? Da ist es sogar Gott selbst, der sie (indirekt) als Witzfiguren tadelt. Mit dem Prolog kann er auch nicht mehr anfangen, als ihn als zynischen Witz zu verurteilen.

Ist das so schwer zu erkennen, daß den Film und Hiob miteinander verbinden, daß hier auf eine zwar völlig überzeichnete, aber dafür um so durchschlagendere Weise gerade das einseitige Bild eine nur gütigen und allmächtigen Gottes, der es allen irgendwie rechtmachen soll, aber keinem weh tun darf, in Frage gestellt wird? Ein solches Gottesbild mag der Film tatsächlich zynisch bekämpfen. Aber ist das atheistisch? Oder müßten wir Christen das nicht gerade um unseres Glaubens willen eigentlich genauso machen?

Nicht daß ich falsch verstanden werde: Ich meine nicht, daß „A Serious Man“ oder Hiob tatsächlich Gott in Frage stellten, wie es Schromm interpretiert („Religion unter Sinnlosigkeitsverdacht“). Aber ich meine schon, daß die Welt, das Leben, das Universum und der ganze Rest einfach als von Gott gut geordnet darzustellen, völlig weltfremd und lächerlich ist. Aber klar, das wiederum kann einem CiG-Redakteur vermutlich nicht schmecken. Müßte er ja womöglich anfangen, über Erbsünde nachzudenken. Und daß die post-christlich postmodernen Menschen etwas sagen könnte? Μη γενοιτο!

Im Dezember hatte ich mich schonmal ausführlicher mit dem Jakobusbrief beschäftigt, jetzt habe ich mir auch den Judasbrief mal näher angeguckt. Der Brief ist noch abgefahrener als der Jakobusbrief, und die besten Stellen hat die erste Rezeption im 2. Petrusbrief (das ganze 2. Kapitel) praktisch rausgestrichen. Nirgendwo sonst wird so hemmungslos aus den Apokryphen zitiert wie im Judasbrief.

Nun kann man ja auch das durchaus kritisch sehen (was ja der 2. Petrusbrief offenbar tat). Gerade in Verbindung mit dem Jakobusbrief deutet sich mir aber ein anderer Grund an, warum der Judasbrief (wie eben auch der Jakobusbrief) heute konfessionsübergreifend ein Schattendasein fristet: Beide Briefe sind eine Korrektur jeden allzu enthusiastischen „Jesus liebt dich“-Glaubens! Nicht nur bringen sie sehr deutlich das zukünftige Gericht zum Ausdruck, sie betonen vielmehr die Eschatologie in einem Maße, daß es geradezu weh tut. Denn die letzten Dinge haben längst begonnen, die Frevler stehen bereits unter dem Gericht, und wir sind zwar wie das aus Ägypten befreite Volk ein für alle Mal gerettet, doch stehen wir immer noch in der Gefahr, wie die Murrenden in der Wüste durch Unglauben der Vernichtung anheim zu fallen.

Klar, daß das der Moderne ganz und gar nicht gefiel und sie folglich mit diesen Briefen nicht viel anfangen konnte. Aber genau das ist ihr blinder Fleck, der durch die Herrenbrüder zu Recht in Frage gestellt und hoffentlich baldigst durch die Postmoderne korrigiert wird.

Vielleicht liegt den Schwächen der EÜ auch wieder ein spezifisches Problem der Moderne zugrunde, nämlich „es“ „wissenschaftlich“ exakt auf den Punkt bringen zu müssen. Zumindest fand ich es ausgesprochen irritierend, daß im Preuschen bei gefühlt jeder dritten Vokabel eine Sonderbedeutung nur für den Jakobusbrief angegeben war (wenn es nicht sowieso schon ein Hapaxlegomenon war…), zum Teil standen sogar ganze Halbsätze im Vokabelverzeichnis! Dabei ging es natürlich auch mit den eigentlichen Grundbedeutungen, man mußte halt nur etwas bildlicher denken. Dafür verstand man besser, was eigentlich dastand.

Am krassesten war ja Jak 4,5 („pros phthonon epipothei to pneuma ho katwkisen en hemin“), wozu es im Preuschen (Eintrag phthonos) heißt: „pros phthonon epipothein Ja 4,5 ist ganz dunkel“ und, wie immer, wenn ein Exeget mit einer Stelle nicht klarkommt: „wahrscheinlich verderbt“ (bloß daß der kritische Apparat bei Nestle-Aland nur eine einzige Quelle angeben kann, die „theon“ statt „phthonon“ liest…) Aber weil alle to pneuma hier als Akkusativ auffassen (Schlachter ausgenommen) brauchen sie halt noch ein Subjekt, und noch die revidierte Lutherbibel (1984) macht aus dem „er“ noch „Gott“ (übrigens auch das ach so wortgetreue Münchener NT), so daß es dort heißt: „Mit Eifer wacht Gott über den Geist, den er in uns hat wohnen lassen“; EÜ: „Eifersüchtig sehnt er sich nach dem Geist, den er in uns wohnen ließ“, wobei der Sache nach hier als „er“ nur „Er“ in Frage kommt… – Schlachter dagegen: „Ein eifersüchtiges Verlangen hat der Geist, der in uns wohnt“. Mein Übersetzungsvorschlag ginge jedoch noch einen Schritt weiter, nämlich auch das pros phthonon nicht einfach zu „eifersüchtig“ aufzulösen: „Der Geist, der in uns wohnt, sehnt sich nach Neid“ – und siehe da, Hieronymus teilt meine Meinung , wenn er ins Lateinische übersetzte: „ad invidiam concupiscit Spiritus qui inhabitat in nobis“ und ebenso wie ich den Anfang von 4,6 zum „Schriftzitat“ hinzurechnet: „maiorem autem dat gratiam“ (größere Gnade aber gibt Er).

Und genau das ist das Problem: Man will dem „gemeinen Leser“ (oder gar den „Hörer des Wortes“ im Gottesdienst) wohl nicht gleich schwierigen Interpretationsfragen zumuten. Mit dem möglicherweise beabsichtigten Nebeneffekt, daß er sich auch gar keine großen Gedanken über den Text macht. Nicht, daß nachher jemand bei „das Rat der Geburt in Brand setzen“ (Jak 3,6) auf die Idee kommt, hier an Erbsünde zu denken (selbst wenn der ganze Kontext sachlich [siehe auch oben zu Jak 4,5f] von der Folgen derselben spricht), denn wir wissen ja, daß sowas im NT nur solche Leute finden können, die (wie Augustinus) nicht gut genug Griechisch konnten…

Allerdings muß man zur Ehrenrettung der Exegeten einräumen, daß sie beim Jakobusbrief recht ausführlich auf die stark interpretierenden Übersetzungen hinweisen. Bliebe bloß die Frage, wer dann die Übersetzung verbrochen hat…

Natürlich hat sich kein Übersetzer etwas ausgedacht. Dennoch wurde mir erst bei meinen eigenen Übersetzungsversuchen klar, daß es Jakobus nicht in erster Linie darum ging, daß wir die Hungernden speisen, der Frierenden einkleiden und die Kranken besuchen. Vielmehr geht es ihm um Haltungen.

Die Grundhaltung ist dabei der Glaube, der eben mehr ist als bloßes Für-Wahr-Halten (das täten eben auch die Dämonen). Genau deshalb ist Glaube ohne Werke tot, denn wer in der Grundhaltung des Glaubens verharrt, hat notwendigerweise Werke vorzuweisen. Wer sie nicht hat, muß schon zu den Frierenden und Hungernden gesagt haben: Geht in Frieden, wärmt und sättigt euch!, ohne ihnen aber zu geben, was sie brauchen (vgl. Jak 2,16).

Schon hier zeigt sich schon die Schwäche der EÜ: „ihr gebt ihnen aber nicht, was sie zum Leben brauchen – was nützt das?“ Das könnte man sozialromantisch verstehen, daß jeder genug zum Leben haben muß. Bei Jakobus steht aber eher: „aber ihr gebt ihnen nicht das für den Körper Notwendige, was nützt es?“ Hier geht es also um unmittelbare Not, konkret abzuwendende Lebensgefahr, um das, was sie unmittelbar, sofort und notwendig brauchen, um den nächsten Tag zu erleben!)

Der nächste Vers der EÜ lautet: „So ist auch der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat.“ Meines Erachtens steht aber etwas anderes da: „So auch der Glaube: Wenn er keine Werke hat, ist er ihm selbst gemäß (kath‘ heauton) tot.“ Oder wie Schlachter durchaus an heutige Begriffe anknüpfend treffend übersetzte: „So ist es auch mit dem Glauben: Wenn er keine Werke hat, so ist er an und für sich tot.“ Das heißt: Glaube ohne Werke ist deshalb tot, weil es Glaube ohne Werke nicht gibt, weil Glaube eine Grundhaltung ist, die nicht echt ist, wenn sie nicht praktische Konsequenzen hat. Glaube ohne Werke ist kein „toter Glaube“, er ist überhaupt kein Glaube, sondern irrender Weg, Irrtum, Irrlehre (wie Jakobus später schreibt).

Bisher hatte ich nichts gegen die Einheitsübersetzung. Klar, an manchen Stellen triumphiert auch mal die „gehobene Alltagssprache“ über die schwere Verständlichkeit des griechischen Originals, aber im großen und ganzen hatte ich nichts gegen sie einzuwenden. Insbesondere bei den Synoptikern finde ich sie doch ganz ordentlich gelungen.

Beim Jakobusbrief gingen mir allerdings die Augen über. Das ist schon mehr als nur die Interpretation, die ja jede Übersetzung notwendig darstellt. Offenbar wollte man den Lesern nicht allzu viel antikes Denken zumuten, so daß man kurzerhand eine moralisierende Vereinfachung vorgenommen hat. (Ob das überhaupt bewußt passierte, sei einmal dahingestellt.)

Leider geht so auch der ganze Charakter des Briefes verloren. Der Brief ist eine einzige „Höllenpredigt“, was man natürlich auch in der EÜ am Inhalt, nicht mehr aber am Stil bemerkt. Stellenweise hat man im Griechischen den Eindruck, Jakobus müsse den Brief diktiert und sich dabei gelegentlich verhaspelt, jedenfalls vergessen haben, wie er den Satz begonnen hat. Ganz deutlich spürt man auch die Rage, in der der Verfasser gewesen sein muß. Der deutsche Text der EÜ ist dagegen viel zu glatt!

Schade ist auch, daß die Unterscheidung in Hörer und Täter des Wortes nur in den Verben „hören“ und „tun“ aufgegriffen wird. So geht die ganze Gegenüberstellung ein wenig unter, zumindest bleiben die beiden gegenübergestellten Begriffe nicht im Ohr.

Gestern wurde ich um die Wiederkunft gebracht. Dabei ist der erste Advent praktisch ausschließlich dem zweiten Advent gewidmet. Schon der Eröffnungsvers ist dermaßen auf Gericht ausgerichtet:

Zu Dir, Herr, erhebe ich meine Seele. Mein Gott, Dir vertraue ich. Laß mich nicht scheitern, laß meine Feinde nicht triumphieren! Denn niemand, der auf Dich hofft, wird zuschanden. (Ps 25, 1-3)

Der fiel – natürlich – aus, stattdessen wurde immerhin „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ gesungen. Das Tagesgebet konnte der Pfarrer natürlich nicht umgehen (und ihm persönlich würde ich auch überhaupt keine Böswilligkeit unterstellen; aber offenbar wollte er „die armen Kleinen“ nicht erschrecken; vielleicht sollte ich nicht mehr in „Familiengottesdienste“ gehen, aber das kann man sich ja leider nicht immer aussuchen). Trotzdem spielte das Thema im weiteren kaum eine Rolle. Der vermaledeiten Lesungsauswahl fiel daher diesmal auch nicht die alttestamentliche Lesung aus dem Buch Jeremia zum Opfer, denn die kann man ja auch auf den ersten Advent Christi beziehen, sondern die eindeutig eschatologische zweite Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher:

Brüder!
Der Herr lasse Euch wachsen und reich werden in der Liebe zueinander und zu allen, wie auch wir Euch lieben, damit euer Herz gefestigt wird und ihr ohne Tadel seid, geheiligt vor Gott, unserem Vater, wenn Jesus, unser Herr, mit allen Seinen Heiligen kommt.

Im übrigen, Brüder, bitten und ermahnen wir Euch im Namen Jesu, des Herr: Ihr habt von uns gelernt, wie ihr leben müßt, um Gott zu gefallen, und ihr lebt auch so; werdet darin noch vollkommener! Ihr wißt ja, welche Ermahnungen wir euch im Auftrag Jesu, des Herrn gegeben haben.

Da das Evangelium obligatorisch ist, durfte ich wenigstens hören: „Wenn all das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung ist nahe.“

Da wäre ja noch einiges zu retten gewesen. Aber die Predigt – oder besser: die Kinderkatechese – war ja dermaßen flach! Einziger Bezugspunkt zu den Texten der Lesungen waren „die Sterne“, die er auf den Stern von Bethlehem bezog. Und, flupps, war der Bogen vom eschatologisch-apokalyptischen Evangelium zu Weihnachten geschlagen: Der Stern von Bethlehem. Fazit: Gott ist der Stern, der uns Orientierung gibt. Ist ja nicht falsch – aber am ersten Adventssonntag doch etwas zu flach.

Aber damit nicht genug. Am Abend wollte ich diesen Mangel aus der Messe in der kleinen Adventsfeier in der Familie ausgleichen. Aber habe ich in den ganzen Kinderbibeln überhaupt irgendwas eschatologisches oder gar apokalyptisches gefunden? Selbst bei der Sintflutgeschichte wird der Grund für die Sintflut, der Ärger Gottes über das Böse der Menschen und die Absicht, den Menschen zu vernichten, unterschlagen. Stattdessen ist viel von „Gottes schwimmendem Zoo“ die Rede. So verlieren Sintflut und Regenbogen natürlich völlig ihre typologische Kraft auf Taufe und den Neuen Bund hin… Letztlich fand ich nur in einer einzigen Kinderbibel, die mir aus freikirchlichem Kontext zu stammen scheint, wenigstens ein wenig aus der Offenbarung des Johannes: Die 24 Ältesten, die 4 apokalyptischen Reiter und die Vision vom Himmlischen Jerusalem. Allerdings fehlt auch in dieser etwa Daniels Vision vom Menschensohn.

Meine Güte! Was ist denn so schlimm an der Wiederkunft, daß man sie anscheinend keinem zumuten kann?! Ich, als Apokalyptiker, fühle mich jedenfalls diskriminiert. Und jetzt seid ihr bitte alle ganz betroffen!