Wenn die Diskussionen über die Ehe in den letzten Wochen, seien sie gesellschaftlich, seien sie innerkirchlich, eins gezeigt haben, dann das: Was die Ehe eigentlich ist, weiß kaum noch einer. Da wird die Ehe über die in ihr gelebten Werte definiert (hä? und was, wenn die Werte faktisch nicht gelebt werden, ist es dann keine Ehe?!) oder sie wird willkürlich auf alle möglichen Beziehungen ausgedehnt.
Ich will mich jetzt nicht auf die Grundsatzdiskussion einlassen, ob man legitim naturrechtlich argumentieren darf (ja, natürlich), weshalb ich mich auf das kirchliche Verständnis beschränke, das allerdings beansprucht, die Ehe so zu verstehen, wie sie eigentlich von vornherein gedacht war („Nur weil ihr so hartherzig seid, hat Mose euch erlaubt, eure Frauen aus der Ehe zu entlassen. Am Anfang war das nicht so.“ [Mt 19,8]; im AT gibt es auch Polygamie).
Ausgehen möchte ich von der Umschreibung der Ehe als „Bund fürs Leben“. Vielfach eher belanglos als poetisch erscheinendes Synonym verwendet (wobei selbst das nicht mehr in den letzten 10–15 Jahren) steckt dort eigentlich alles drin, was die Ehe ausmacht.
Wie gesagt, geht es in der Ehe nicht um Werte, sondern um jemanden, nämlich meinen Ehepartner. Die Ehe ist der Bund zwischen einem Mann und einer Frau, der eine Gemeinschaft des ganzen Lebens begründet. „Des ganzen Lebens“ ist dabei sowohl qualitativ als auch quantitativ gemeint: Die Ehepartner geben sich ganz einander hin und versprechen sich damit, daß der jeweils andere ihnen wichtiger ist und sein wird als sie selbst.
Das ist natürlich eine steile These und ein hoher Anspruch. Noch dazu handelt es sich um einen ungedeckten Wechsel auf die Zukunft. Niemand weiß, was die Zukunft bringen wird, wie sich der andere entwickelt, wie man sich selbst entwickelt und ob das in Einklang geschieht. Das muß aber notwendigerweise so sein. Denn Ganzhingabe bedeutet eben, daß ich nicht meinen Vorteil suche, sondern den des anderen.
Damit begebe ich mich aber in eine große Gefahr, nämlich ausgenutzt zu werden. (BTW: Genau deswegen werden alle, die von ihrem Partner die Erfüllung ihrer Wünsche erwarten, scheitern, denn kein Mensch kann das leisten; aber das nur am Rande.) Um in dieser Ganzhingabe, in der man sich de facto vorbehaltlos selbst aufgibt, gerade nicht ausgenutzt und zerstört zu werden, ja um die Menschen vor der Selbstzerstörung aus Liebe zu schützen, ist die Ehe auch kein beliebig aushandelbarer Vertrag mit x Klauseln, und wenn man vergessen hat, eine bestimmte Absicherung einzubauen, hat man halt im Falle des Falles Pech gehabt. Nein, die Ehe ist beiden Partnern objektiv vorgegeben, und sie kommt nur zustande, wenn beide zumindest einschlußweise wollen, was die Ehe ist.
Rechtlich bildet die Ehe bildet auf diese Weise den Rahmen, in dem eine verantwortete Ganzhingabe überhaupt möglich wird. Die Ehegatten binden sich in diesem Bund also auf Gedeih und Verderb aneinander. Oder wie es die Bibel ausdrück: Sie werden ein Fleisch. Weil aber auch das immer noch über die menschlichen Möglichkeiten hinausgeht, ist die Ehe zwischen zwei Getauften Sakrament (das sich übrigens die Ehegatten gegenseitig spenden!). Sakramente sind Hilfsmittel Gottes, die es einem möglich machen, zu tun (oder auch zu lassen), was dem Menschen eigentlich unmöglich ist.
Und weil es nicht möglich ist, die Ehe ohne dieses Hilfsmittel in ihrer Idealform zu leben, kennt die Kirche in ihrem Recht auch diverese (ich bin fast geneigt zu sagen: pastorale) Ausnahmeregelungen, die sich insbesondere auf Ungetaufte beziehen, z.B. wenn ein Ungetaufter sich taufen läßt und der ungetauft bleibende Partner nicht gewillt ist, die Ehe fortzusetzen. Sie besteht aber auf der Höchst- und Idealform, in der allein wirklich eine Gemeinschaft des ganzen Lebens gelebt werden kann. (So muß sich der polygam lebende Heide, der sich taufen lassen will, für eine Frau entscheiden; freilich ohne seine sozialen Verpflichtungen gegenüber den anderen zu verlieren.)
Aus dieser qualitativ wie quantitativ zu verstehenden Ganzhingabe ergeben sich auch die vom CIC definierten Wesenseigenschaften der Ehe. Nämlich die Einheit (qualitativ) und die Unauflöslichkeit (quantitativ), die die Möglichkeitsbedingungen der Ganzhingabe darstellen. Wenn ich mir vorbehalte, mich auch anderen Menschen in der ehelichen Weise ganz hinzugeben, kann ich mich niemandem ganz hingeben (reine Logik), so daß der Bund der Ganzhingabe nur mit einem Menschen zugleich eingegangen werden kann. Aber auch, wenn ich diesen Bund der Ganzhingabe zeitlich begrenzen will, ist die Hingabe nicht mehr ganz, da immer der Vorbehalt der Beendigung im Raum steht. Beides würde also auf die eine oder andere Weise die Ganzhingabe unmöglich machen.
Wenn man nun noch eine Ebene „drunter“ guckt, stellt man fest, daß auch die Wesenselemente der Ehe sich aus dem Gedanken der Ganzhingabe ergeben. Wie schon gesagt, besteht die Ganzhingabe vor allem darin, des anderen Wohl zu suchen, so daß das eine Wesenselement der Ehe eben das Wohl der Ehegatten ist – und zwar beider gleichzeitig, was nur funktioniert, wenn ich immer das Wohl des anderen suche und dieser meines, und nicht andersrum, als ob ich einen Anspruch darauf hätte. Genau das meint nämlich Ganzhingabe: Ich gebe meine Ansprüche auf, um die des anderen zu erfüllen. Im besten Fall dient das auch meinem Wohl, aber darauf darf es mir nicht ankommen, weil dieser Ansatz genau meinem Wohl im Wege steht.
Das andere Wesenselement ist die Zeugung von Nachkommenschaft. Das scheint auf den ersten Blick vielleicht nicht unmittelbar aus der Ganzhingabe zu folgen, tut es aber. Denn wenn ich die Zeugung von Nachkommenschaft verhindere – und sei es im gegenseitigen Einvernehmen – mache ich Vorbehalte, ich schenke mich nicht ganz dem anderen hin. Das schließt natürlich nicht aus, daß es Zeiten und Umstände gibt, in denen der menschlichen Schwäche selbst in einer sakramentalen Ehe Zugeständnisse gemacht werden müssen. Allerdings ist eine Ehe, die nicht von Anfang an zumindest prinzipiell für Kinder offen ist, eben keine Ehe.
Wie drastisch der Gedanke der Ganzhingabe auch im Eherecht umgesetzt ist, zeigt sich nicht nur an den Ehehindernissen (Impotenz im Sinne von Beischlafunfähigkeit, auch und gerade wenn sie nur auf den Partner bezogen ist, macht zur Ehe unfähig, nicht aber die bloße Zeugungsunfähigkeit), sondern auch am Verständnis, wie die Ehe zustandekommt. Sowohl das Eheversprechen als auch der „Vollzug“, d.h. die sexuelle Vereinigung in wahrhaft menschlicher Weise (also z.B. nicht durch Vergewaltigung, sondern nur als Akt der zumindest versuchten Ganzhingabe), sind für das Zustandekommen einer unauflöslichen Ehe notwendig.
Abschließend noch ein Wort zur Sakramentalität der Ehe, die mir auch etwas verkürzt verstanden zu werden scheint. Das Sakrament der Ehe ist nicht punktuell. Zwar ist theologisch der Punkt der Eheschließung insofern relevant, als das Zustandekommen des Ehekonsenses den Zeitpunkt definiert, zu dem das Sakrament zustande kommt. Aber wie schon an der doppelten Bedingung für die Unauflöslichkeit der Ehe zu erkennen ist, wirkt das Sakrament nicht einmalig, sondern – ein bißchen ähnlich zu Taufe, Firmung und Weihe – fortdauernd in dem Sinne, daß die in dem einmaligen Akt vermittelten Gnaden dadurch vertieft werden können, daß ich sie mehr zu wirken zulasse, oder auch wieder aufleben, etwa indem ich meine Sünden beichte. Wie die ganze Ehe, so auch ihre Sakramentalität: Ganzhingabe. Sie ist ein Geschenk, das mich durch den Partner erreicht, wenn ich mich ihm ganz hingebe.