Wo ich gerade schon bei „ich habe gerade … gelesen“ bin: Anfang des Jahres habe ich mir endlich Müllers „Katholische Dogmatik“ gegönnt, nachdem sie schon lange im Regal stand.
Das Buch war nicht ganz so eine Qual wie der Psalter, obwohl ich noch länger gebraucht habe (viereinhalb Monate). Insbesondere die ersten 200 Seiten flutschen geradezu. Denn dort beschreibt Müller recht gut auf den Punkt gebracht die Schwierigkeiten, die der neuzeitlichen Philosophie innewohnen und ihre Wurzel im spätmittelalterlichen Nominalismus haben, der den Übergang von einem qualitativen in ein quantitatives Weltverständnis markiert. Hätte ich den Müller früher gelesen, hätte ich mir einige Dinge in meiner Diss leichter machen können, denn dann hätte ich einfach auf Müller verweisen können…
Ab ungefähr Seite 230 flutschte es allerdings nicht mehr ganz so gut. Das liegt möglicherweise daran, daß Müller des öfteren riesige Anläufe nimmt, in denen er nach meinem Verständnis das Pferd von hinten aufzäumt (YMMV). So habe ich mich bis etwa Seite 420 gefragt, ob er jetzt eigentlich in den suborditianistischen, modalistischen oder doketistischen Straßengraben fahren will. Erst nach Seite 400 macht er (von zwei beiläufigen, leicht zu überlesenden Bemerkungen auf Seite 228 und 313 abgesehen) deutlich, daß die „Funktionen“ bzw. „Erscheinungen“ Gottes dem Wesen Gottes entsprechen, daß der Vater, der Sohn und der Heilige Geist subsistente Relationen (= das Wesen Gottes begründende Ursprungsbeziehungen) sind, d.h. Vater, Sohn und Heiliger Geist ist die göttliche Natur.
Womit ich mir in diesem Zusammenhang besonders schwer getan habe (und nach wie vor tue), ist seine Identifikation JHWHs mit dem Vater. Ok, man kann das vielleicht so denken, auch wenn es meinem Denken fremd ist und mich entsprechend auf die suborditianistische Verdachts-Schiene brachte. Und ja, ich erkenne auch an, daß es Müller darum geht, infolge des Rahner’schen Diktums, daß die ökonomische (heilsgeschichtliche) Trinität die immanente (dem göttlichen Wesen innewohnende) Trinität sei, immer bei der heilgeschichtlichen Erfahrung ansetzt.
Was mich jedoch stört, sind Behauptungen, das alles müsse so sein, was ja impliziert, daß man es gar nicht anders sehen könne: „Nur wenn vom AT her gezeigt werden kann, daß JHWH die erste Person der Trinität ist, kann auch die innere Einheit von Schöpfung, Heilsgeschichte und eschatologischer Vollendung […] aufgewiesen werden.“ (228, eigene Hervorhebung)
Daran stören mich, neben der „Alternativlosigkeit“ und der faktisch fehlenden Begründung, zwei Dinge. Denn zum einen reichte es vollkommen aufzuzeigen, daß der dreieine Gott im AT und NT derselbe ist (was mir wesentlich leichter scheint als die Identifikation mit dem Vater – nicht zuletzt, weil die Propheten sich ja wohl unzweifelhaft von JHWH berufen fühlten, das Credo aber davon spricht, daß der Heilige Geist, also die dritte, nicht die erste Person, „durch die Propheten gesprochen hat“; ein Argument, das wohl erlaubt sein dürfte, wenn Müller selbst auf das Credo zurückgreift, um seine Identifikation JHWH=Gott=Vater zu begründen (227), wobei er außen vor läßt, daß „Dominum“ wohl als adonai und damit als JHWH verstanden werden darf).
Zum anderen kann aus logischen Gründen gar nicht vom AT her aufgezeigt werden, daß sich im AT der Vater als JHWH offenbart hat (allenfalls, daß sich JHWH als Vater offenbart hat, aber da läge bereits eine Äquivokation vor, nämlich Vater einerseits als Name eine göttlichen Person und Vater als analog auf Gott angewendeter menschlicher Begriff), da die Kategorien bzw. Namen „Vater“, „Sohn“ und „Heiliger Geist“ als im Neuen Testament wurzelnde und erst in der Tradition klar vorliegende Bezeichnungen für die drei Personen des einen Gottes sich gar nicht im AT finden lassen können. Natürlich kann man vom NT her guckend Spuren der Trinität im AT finden, aber das bedeutet eben gerade nicht, vom AT her aufzuweisen, daß sich JHWH als dieses/r oder jenes/r offenbart hat. Es ist mir ein Rätsel, wie man in und aus dem AT allein überhaupt etwas anderes über das Wesen Gottes aussagen können soll als seine Einheit und Einzigkeit (und alles, was sich daraus ergibt).
Der Kern des Problems an Müllers Vorgehen ist m.E., daß er zwar bei der Heilsgeschichte ansetzt, daraus aber direkt die metaphysische Seinsordnung ableiten will, also das Rahner’sche Diktum zu weit treibt bzw. überinterpretiert im Sinne einer Identität, nicht im Sinne eines „für sich“ und „für uns“, die außerhalb unserer Erfahrung aber zusammenfallen.
Keine Frage, man kann Theologie immer „von unten“ oder „von oben“, d.h. von der Erfahrung der Menschen mit Gott in der Heilsgeschichte oder von der fiktiven Position Gottes her konstruieren, also beim brennenden Dornbusch oder dem Traktat De Deo Uno beginnen. Beide Ansätze haben ihre Vorteile und Schwächen. Müllers Ansatz kombiniert aber jeweils die Schwächen.
Die Theologie „von oben“ hat den Vorteil klarer, zunächst definierter Begrifflichkeiten, riecht dafür aber immer nach menschlicher Hybris, Gott in den Griff zu bekommen und zu sezieren (wie dereinst im Biounterricht den Frosch). Der Ansatz bei der Heilsgeschichte hat demgegenüber den Vorteil, immer gleich den Überschuß mit im Blick zu haben, die Unbegreiflichkeit dessen, der sich da offenbart, birgt aber die Schwierigkeit, die theologiegeschichtlich spekulativ entwickelten Begrifflichkeiten nachträglich auf das aus der Offenbarung gewonnene Gottesbild übertragen zu müssen. Müller vermittelt mir den Eindruck, daß wir aus der Offenbarung heraus Gott in den Griff bekommen können, muß aber trotzdem die klaren Begrifflichkeiten nachträglich in einer Art dogmengeschichtlichen Anhang einführen.
Nochmal konkreter: Wenn Müller zeigt, wie sich Israel altestamentlich als Sohn Gottes verstanden hat, dann lassen sich daraus durchaus gewichtige christologische Einsichten ableiten. Doch wenn diese Kategorie nicht dahingehend verstanden wird, daß sich hier ein Ansatz zum Verständnis des unbegreiflich anderen Verhältnisses Jesu zu Seinem himmlischen Vater bietet, sondern gerade diese Unbegreiflichkeit und der fundamentale Unterschied zwischen „Meinem“ und „eurem Vater“ unter den Tisch fällt, dann kann man das in so vielen verschiedenen Weisen mißverstehen, daß die angestrebte Aussage eigentlich kaum richtig verstanden werden kann:
„Gott ist vielmehr der Eigenname für die völlig voraussetzungslose Selbstmitteilung und Heilwirksamkeit JHWHs, die im Sprachgebrauch Israels und besonders Jesu als Vater angesprochen wird.“ (309)
All diese Schwierigkeiten, die ich da über knapp 200 Seiten hatte und die auch später immer mal wieder durchkamen, verhinderten jedoch nicht, daß ich das Buch im ganzen mit großem Gewinn gelesen habe. Insbesondere, da die Alternativen nun auch nicht gerade überragend sind. Im Gegensatz zu Müller, der einen Gesamtentwurf vorgelegt hat, sind die anderen Dogmatiklehrbücher, die ich kenne, allesamt bunte Zusammenstellungen ganz unterschiedlicher Autoren, so daß es kaum Bezüge über die Kapitelgrenzen hinweg gibt. Falls jemand noch ein andere dogmatische Gesamtdarstellung aus einer Hand kennt, die sich nicht in breiteste Dogmengeschichte mit kurzen systematischen Einschübe ergeht: immer her damit!
Hervorzuheben wäre bei Müller noch eine klare katholische Positionierung in kontroverstheologischen Fragen wie Maria und die Heiligen, der Analogia Entis, der Eucharistie und der Notwendigkeit von guten Werken. Auch wenn man bei der Eucharistie bedauern muß, daß er zwar lang und breit deutlich macht, daß die neuzeitlichen Philosophien aufgrund ihres quantitativen Weltverständnisses ungeeignet sind, um das Geschehen in der Eucharistie zu erläutern, dann aber genau mit neuzeitlichen Kategorien die Eucharistie zu beschreiben versucht.
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