Einer der emotionalen Höhepunkte (wenn auch nicht unbedingt der reinsten Freude) ist die Lesung der Johannespassion in der Karfreitagsliturgie. Sicherlich gehören die vorausgehenden Lesungen aus Jesaja und dem Hebräerbrief dazu, diesen Höhepunkt aufzubauen. Und nicht zuletzt gehört die Kreuzverehrung als unsere Antwort auf die Passion zu diesem Gesamtkunstwerk, aber ich will mich hier mal auf die Passion selbst beschränken.
Sie ist schon als solche hammermäßig genug, aber was noch viel krasser ist, man kann sie nie oft genug gehört haben, man kann immer noch Neues entdecken. In den letzten Jahren sind mir zwei Stellen besonders ins Herz gesunken, zum einen die Stelle ganz am Anfang, wo die Häscher vor Ihm zurückweichen und zu Boden stürzen, zum anderen die Stelle, in der die Hohenpriester(!) antworten: „Wir haben keinen König außer dem Kaiser.“
Jesus, der alles wusste, was mit Ihm geschehen sollte, ging hinaus und fragte sie: Wen sucht ihr? Sie antworteten Ihm: Jesus von Nazaret. Er sagte zu ihnen: Ich bin es. Auch Judas, der Verräter, stand bei ihnen. Als Er zu ihnen sagte: Ich bin es!, wichen sie zurück und stürzten zu Boden. (Joh 18,4–6)
Ich kann mich erinneren, daß mir schon als Kind klar war, daß es nur einen Grund geben kann, warum die Häscher zurückweichen und zu Boden stürzen: die Würde Jesu, letztlich also ihre Anerkenntnis Seiner Göttlichkeit. Warum aber an dieser Stelle – sie wußten doch, wen sie festzunehmen auszogen – und warum sehen sie dann von der Verhaftung nicht ab?
Die Lösung dieser Fragen lag dort, wo ich sie nie erwartet hätte; in den scheinbar unbedeutenden Worten: „Ich bin es.“ Es gibt noch eine zweite Stelle, bei Mk, in der (fast) dasselbe Phänomen auftritt, nur ein wenig abgemildert durch die vorangehende Frage des Hohenpriesters, ob Er „der Messias, der Sohn des Hochgelobten“ sei und die fortgesetzte Rede Jesu: „Ich bin es. Und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen.“ Dafür ist noch deutlicher, welchen Anspruch Er erhebt, insofern der Hohepriester Seine Antwort ausdrücklich als offensichtliche Blasphemie verurteilt.
Alles hängt tatsächlich am „Ich bin es“. Daß es bei mir Jahre gedauert hat zu verstehen, warum genau dieser Satz die Göttlichkeit Jesu zum Ausdruck bringt, liegt an der (in diesem Punkt „§%U/!) Einheitsübersetzung, die keinen Hinweis darauf gibt, was Jesus hier zitiert, nämlich Ex 3,14, nichts geringeres als den peinlichst in der Aussprache vermiedenen Gottesnamen!
Die Einheitsübersetzung übersetzt Ex 3,14 (schlicht falsch!): „Ich bin der Ich-bin-Da“; in einer Zeitschrift des Katholischen Bibelwerks habe ich gestern sogar „Ich bin der Ich-bin-da-für-euch“ gelesen. Das ist einfach nicht das, was dasteht, das ist insofern eine schlicht falsche Übersetzung, als sie den schillernden, vielfältig deutbaren Namen Gottes auf eine einfache, allzu klar verständliche Aussage reduziert. Eigentlich steht nämlich (ungefähr, das hebräische JHWH ist tatsächlich nicht leicht zu übersetzen) da: „Ich bin, der ich bin.“
Mir hat es sich tief eingebrannt, als mein AT-Professor in einer Nebenbemerkung mal rantete, das sei eigentlich genau das Gegenteil dessen, was die EÜ draus macht, nämlich die Verweigerung eines Namens. Noch heute sagten Juden, wenn sie auf eine Frage, z.B. wohin sie gerade gehen würden, de facto mit „das geht dich einen feuchten Kehricht an“ antworten wollten: „Ich gehe dahin, wo ich hingehe.“ Insofern sei der Name JHWH als Nicht-Name zu verstehen, als Verweigerung, einen Namen zu nennen; was sich auch klar daraus ergibt, daß im orientalischen Weltbild die Kenntnis des Namens eines Gottes Verfügungsgewalt über ihn beinhaltete, und genau dieser Verfügungsgewalt entziehe sich Gott hier durch die Nicht-Nennung Seines Namens.
Später fiel es mir nochmal wie Schuppen von den Augen, als ich die klassische Interpretation des Gottesnamens, die aber sowas von 100%ig anschlußfähig an die griechische Philosophie ist, kennenlernte. Griechisch lautet die Stelle mit dem Gottesnamen nämlich: ἐγώ εἰμι ὁ ὤν, Ich bin der Seiende. Gott identifiziert sich hier also mit dem, der allein sein Sein aus sich selbst heraus hat, und das bildet die Grundlage jeglicher christlicher Philosophie bis zur Reformation.
All diese Mit-Bedeutungen des Gottesnamen unterschlägt die Einheitsübersetzung (selbst die Anmerkung zu Ex 3,14 ist eher verschleiernd!). Entscheidend für die Passion ist jedoch, wie der griechische Originaltext von Jesu Antwort lautet: ἐγώ εἰμι. Deshalb fallen die Häscher bestürzt zu Boden. Was an sich eben nichts anderes bedeutet als „Ich bin’s“, ist im Munde Jesu eine klare Anspielung auf den Gottesnamen, den er für sich selbst in Anspruch nimmt. Übrigens an x anderen Stellen, insbesondere, aber (s.o.) nicht nur bei Johannes (bei Johannes baut bereits der Prolog ganz entscheidend hierauf auf!).
Die Reaktion der Häscher entspricht daher in etwa der Jesajas in seiner Berufungsvision, es ist also die Reaktion des sündigen Menschen angesichts der Herrlichkeit Gottes. Sie drückt aus, daß Jesus Sein Leben freiwillig hingibt, die Verhaftung problemlos hätte verhindern können, und daß Gott – auch wenn uns jetzt ein Name unter dem Himmel gegeben ist – sich nach wie vor unserer Verfügbarkeit entzieht.
Die andere Stelle steht damit in gewisser Weise in Beziehung:
Pilatus sagte zu den Juden: Da ist euer König! Sie aber schrien: Weg mit ihm, kreuzige ihn! Pilatus aber sagte zu ihnen: Euren König soll ich kreuzigen? Die Hohenpriester antworteten: Wir haben keinen König außer dem Kaiser. (Joh 19,14f.)
Diese Stelle ist noch viel krasser, andererseits auch unauffälliger, weil fast nichts auf die hintergründige Bedeutung der Aussage hindeutet. Hier brauchte es die Inszenierung von Mel Gibson, um mir das Krasse an dieser Aussage bewußt werden zu lassen: Die Hohenpriester verleugnen hier nichts anderes als ihre grundlegende Daseinsberechtigung, das Königtum Gottes über Sein Volk. Wie Gott es selbst sagt in 1 Sam 8,6:
Nicht Dich haben sie verworfen, sondern Mich haben sie verworfen: Ich soll nicht mehr ihr König sein.
Darüber bin ich bis heute noch nicht weg…
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Man kann die Einheitsübersetzung mE soweit verteidigen, als der Gottesname in der Tat auch Gottesname ist – Prof. Ratzinger sinngem.: „Gott gibt als Namen, was in normalen Umständen die Verweigerung einer Antwort wäre“. So wird aus „ich bin, der ich bin“ in der Tat rechtfertigbar ein „Ich bin der Ich-bin“.
Und nun verwendet die deutsche Sprache tatsächlich gern das stärkere „da sein“ einfach für „sein“ bzw für „es gibt“. Daher „Ich bin der, der ich da bin“ oder „ich bin der, der da ist“ oder „ich bin der Ich-bin-da“.
Das „Ich bin da für euch“ hat man dann freilich tatsächlich aus einem deutschen Beiklang von „Ich-bin-da“ gemacht, der im Original nicht dasteht.
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Mir fällt dazu übrigens die Stelle ein, bei der Theodor Fontanes ohnehin sehr allegorisches (und übrigens ziemlich metal-taugliches, coming to think of it) Gedicht nachgerade überdeutlich wird:
„Noch da, John Maynard?“ – „Ja, Herr! Ich bin!“ [seriously. I am not making this up.]
„Auf den Strand, in die Brandung!“ – „Ich halte drauf hin!“
Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,
jagt er die „Schwalbe“ mitten hinein:
soll Rettung kommen, so kommt sie nur so:
Rettung – der Strand von Buffalo.
Ja, ok, rein „technisch“ kann man diese Übersetzung wohl rechtfertigen. Daß ich diese Übersetzung „schlicht falsch“ nenne, liegt aber daran, daß sie eben die Auslegungsgeschichte und Übersetzungsgewohnheit unter den Tisch fallen läßt.
„Ich bin da“ läßt zwar noch die „philosophische“ Interpretation zu (wenngleich ich die nie mitgehört habe, ganz im Gegenteil zu „ich bin da für euch“; mir ging’s da voll wie dem „Thomasleser“), läßt aber nicht mehr erkennen, daß hier eigentlich die Namensnennung verweigert wird. Genau diese Verweigerungsdeutung setzt doch auch Ratzinger voraus, wenn er sagt, daß die Umstände entscheidend dafür seien, daß es eben keine Verweigerung ist. Ergo sollte diese Verweigerung in der Übersetzung sprachlich durchaus erkennbar bleiben.
Wie es der Zufall so will, bin ich jetzt über etwas gestolpert, was meine Ursprungsaussage, daß die EÜ das „Ich bin da für euch“-Fehlverständnis nicht nur möglich macht, sondern bewußt hervorruft, stützt. Otto Hermann Pesch schreibt in seinem Büchlein über „Die Zehn Gebote“ 1976 – also genau zu der Zeit, in der die EÜ entstanden ist – zum Gottesnamen (S. 12):
Die Hervorhebung steht als kursiv im Original. D.h. z.Zt. der Erstellung der EÜ scheint es tatsächlich herrschende Meinung gewesen zu sein, daß JHWH mit „Ich bin da für euch“ inhaltlich richtig übersetzt sei. Da spricht es ja sogar schon fast für die EÜ, daß sie das „für euch“ nicht übernommen hat.
Über diese herrschende Meinung scheint mir allerdings die Zeit einfach stillschweigend hinweggegangen zu sein.
Es sei noch hinterhergeschickt, daß Pesch nicht bei der möglichen Banalität dieser Interpretation stehen bleibt, sondern sehr wohl die Unverfügbarkeit Gottes betont, der sich vielmehr in voller Freiheit dazu entschieden hat, für die Menschen da zu sein; er interpretiert das Für-Sein also im Sinne der Pro-Existenz.