Denn die Einwohner von Jerusalem und ihre Führer haben Jesus nicht erkannt, aber sie haben die Worte der Propheten, die jeden Sabbat vorgelesen werden, erfüllt und haben Ihn verurteilt.
(Apg 13,27, aus der heutigen Lesung)
Ich habe mich immer gewundert, warum Matthäus nach dem Ende des Judas (3 Verse) noch so viel über das Blutgeld (5 Verse) schreibt (Mt. 27,3-10). Die Verwunderung wird nicht unbedingt geringer dadurch, daß es auch eine — abweichende — lukanische Variante aus dem Munde Petri gibt (Apg 1,16-20). Auffällig ist aber an beiden Stellen, daß sie auf ein Schriftzitat zulaufen. Es geht also nicht so sehr um Judas als um eine theologische Aussage, die sich im Schriftzitat zuspitzt. Das ist bei der Apostelgeschichte recht einfach: Über „sein Gehöft soll veröden“ (Ps 69,26) kommt Petrus zu „sein Amt soll ein anderer erhalten“ (Ps 109,8).
Ok, das ist für heutige Zitierstandards etwas schwach begründet, mal eben 40 Psalmen weiterzuspringen. Allerdings war das damals etwas anders. Es handelt sich eben nicht um Steinbruchexegese, sondern es ist immer auch der ganze Psalm gemeint. Und dann paßt es in der Petrusrede doch halbwegs zusammen, wenn auch eher assoziativ: Beide Psalmen lassen sich auf das Verhältnis Judas — Jesus hin lesen, wobei Ps 69 eher die jesuanische Perspektive und Ps 109 die des Judas in den Vordergrund stellt.
Tja, und von dieser Erkenntnis ausgehend, habe ich mich dann mal dem Schriftzitat in Mt 27,9f. gewidmet. In der gedruckten Fassung sind die Schriftzitate ja convenient in kursiv hervorgehoben und die Quellen am Ende des Abschnitts angegeben.
Erste Überraschung: Was da von Matthäus etwas leichtfertig Jeremia zugeschrieben wird, entpuppt sich als „freie Verbindung von Stellen aus Sacharja, Jeremia und Exodus“ (Fn. zu 27,9), genauer: Sach 11,12f., Jer 18,2f., 32,8f. und Ex 9,12 in der griechischen Übersetzung der Septuaginta.
Zweite Überraschung: Das Zitat ist bei genauerer Betrachtung mit Hilfe der EÜ nirgendwo zu finden. Es handelt sich eher um Assoziationen (siehe die Petrusrede in Apg) als um Belegstellen:
Mt 27,9f. | Sach 11,12-13 | Jer 18,2f. | Jer 32,8f. | Ex 9,12 |
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9So erfüllte sich, was durch den Propheten Jeremia gesagt worden ist: Sie nahmen die dreißig Silberstücke — das ist der Preis, den Er den Israeliten wert war — 10und kauften für das Geld den Töpferacker, wie mir der HErr befohlen hatte. | 12Ich sagte zu ihnen: Wenn es euch recht scheint, so bringt mir meinen Lohn; wenn nicht, so laßt es! Doch sie wogen mir meinen Lohn ab, dreißig Silberstücke. 13Da sagte der HErr zu mir: Wirf ihn dem Schmelzer hin! Hoch ist der Preis, den Ich ihnen wert bin. Und ich nahm die dreißig Silberstücke und warf sie im Haus des HErrn dem Schmelzer [andere übersetzungsmöglichkeit: ins Schatzhaus] hin. | 2Mach dich auf und geh zum Haus des Töpfers hinab! Dort will Ich dir Meine Worte mitteilen. 3So ging ich zum Haus des Töpfers hinab. Er arbeitete gerade mit der Töpferscheibe. | 8Tatsächlich kam Hanamel, der Sohn meines Onkels, dem Wort des HErrn gemäß zu mir in den Wachhof und sagte zu mir: Kauf doch meinen Acker in Anatot [im Land Benjamin]; denn du hast das Erwerbs- und Einlösungsrecht. Kauf ihn dir! Da erkannte ich, daß es das Wort des HErrn war. 9So kaufte ich von Hanamel, dem Sohn meines Onkels, den Acker in Anatot und wog ihm das Geld ab; siebzehn Silberschekel betrug die Summe. | 12Aber der HErr verhärtete das Herz des Pharao, so daß er nicht auf sie hörte. So hatte es der HErr dem Mose vorausgesagt. |
Ich habe die Parallelen großzügig farblich hinterlegt, also nicht kleinkarriert leichte grammatikalische Abweichungen unberücksichtigt gelassen. Bei der Ex-Stelle ist Übereinstimmung im Griechischen allerdings tatsächlich 100%. Mit farbigem Text habe ich die weiteren Parallelen zu der Judas-Perikope markiert. |
Es wird sehr deutlich, daß die Bezüge zu Jeremia eher marginal sind, die zum Sacharja-Text aber sehr groß. Hat Matthäus also Jeremia und Sacharja verwechselt und den Rest dazufabuliert? Eher unwahrscheinlich. Denn der Sacharjatext liegt der ganzen Vorpassionsgeschichte zugrunde. Bis auf den Teil mit dem Kauf des Töpferackers findet man die gesamte Judas-Perikope bei Sacharja, und auf die dreißig Silberstücke legte Matthäus bereits im Kapitel zuvor großen Wert. Er wird also schon gewußt haben, daß er hier Sacharja zitiert und nicht Jeremia.
Wahrscheinlicher scheint mir, daß er wegen der eher marginalen Bezüge ausdrücklich auf Jeremia hingewiesen hat. Denn die Bezüge kann man leicht übersehen, handelt es sich doch im wesentlichen nur um den Namen „Töpferacker“. Die damit angesprochenen Stellen bei Jeremia sind aber wichtige prophetische Reden (Töpfergleichnis) bzw. Taten (prophetischer Ackerkauf)! Im Gegensatz zum Exodus-Bezug, der wirklich eher marginal (obgleich es sich um eine zentrale Stelle handelt) ist, können sie kein Zufall sein, denn der Name „Töpferacker“ spielt sonst nirgendwo eine Rolle.
Hinzu kommt noch, daß es sich hier — abgesehen von Ps 22, der als Subtext die gesamte Passion bestimmt — um das letzte Schriftzitat bei Matthäus handelt. Die Schriftzitate bei Matthäus sind bekanntlich zentral. Sie sollen Jesus als die Erfüllung der alttestamentlichen Prophetien erweisen, insbesondere in der Form des Reflexionszitats, das häufig mit „damit sich erfüllte“ oder wie hier „so erfüllte sich“ eingeleitet wird. Darauf verzichtet Matthäus in der Passion. Obwohl er dort auf Schritt und Tritt die Kreuzigung als Erfüllung des Psalms 22 deutet, überläßt er es Johannes (19,24), auf das Loswerfen um das Gewand als Schrifterfüllung hinzuweisen.
Man merkt wohl, worauf ich hinaus will: Die Perikope um das Ende des Judas und vor allem die Geschichte um das Blutgeld sind nach meinem Eindruck die matthäische (Voraus-)Deutung des Kreuzesopfers. Und die hat es in sich, wenn man die Bezugstellen des Reflexionszitats genauer und vor allem in ihrem Kontext unter die Lupe nimmt:
Sacharja 11
Hier ist die Rede von schlechten Hirten, deren prächtige Weiden zerstört sind, von Mächtigen, die vernichtet wurden. Von Käufern, die die gekauften Schafe ohne Strafe schlachten, und Verkäufern, die sich über ihren Reichtum freuen, aber keinerlei Mitleid mit den Schafen haben. So verkündet dann der HErr:
„Wahrhaftig, Ich habe kein Mitleid mehr mit den Bewohnern des Landes – Spruch des HErrn. Seht, jeden Menschen liefere ich seinem Nächsten aus und seinem König. Sie zerschlagen das Land und Ich rette es nicht aus ihrer Hand.“
Als ob das, angewandt auf Judas oder vielmehr die Hohenpriester, nicht schon kraß genug wäre — die Hohenpriester zerschlagen durch ihr Handeln das Land –, kommt das dicke Ende noch, nämlich in Sacharjas prophetischer Handlung. Er nimmt sich zwei Ruten, nennt sie „Freundlichkeit“ und „Verbindung“ und hütet damit die Herde. Die anderen Hirten werden seiner überdrüssig, was auf Gegenseitigkeit beruht, und er sagt:
Ich hüte euch nicht. Was im Sterben liegt, soll sterben; was sich verloren hat, sei verloren; und von den Übriggebliebenen soll einer des andern Fleisch fressen. Dann nahm ich meine Rute Noam [Freundlichkeit] und hieb sie in Stücke, um Meinen Bund zu zerbrechen, den Ich mit allen Völkern geschlossen hatte. So wurde er an diesem Tag zerbrochen.
Auf die fragliche Matthäusstelle angewendet kann das nichts andere bedeuten als: Im Kreuz beendet GOTT den Alten Bund!
Aber halt! Folgt nicht erst jetzt die Stelle mit dem Geld, die Matthäus tatsächlich zitiert? Oh ja, aber es wird nicht besser, im Gegenteil:
Danach hieb ich meine zweite Rute, Hobelim [Verbindung], in Stücke, um den brüderlichen Bund zwischen Juda und Israel zu zerbrechen. Der HErr sagte zu mir: Nimm nochmals das Gerät des nichtsnutzigen Hirten! Denn Ich lasse einen Hirten im Land auftreten. Um das Vermißte kümmert er sich nicht, das Verlorene sucht er nicht, das Gebrochene heilt er nicht, das Gesunde versorgt er nicht. Stattdessen ißt er das Fleisch der gemästeten Schafe und reißt ihnen die Klauen ab. Weh Meinem nichtsnutzigen Hirten, der die Herde im Stich läßt. Das Schwert über seinen Arm und über sein rechtes Auge! Sein Arm soll völlig verdorren, sein rechtes Auge soll gänzlich erblinden.
Hier ist nur noch von einem Hirten die Rede, und was hier zerbrochen wird, ist der Bund zwischen Israel (dem Gottesstreiter, also auf die Mt-Stelle bezogen wohl Jesus) und Judas.
Kraß, krasser, am krassesten. Aber noch lange nicht genug. Denn es geht weiter:
Töpfergleichnis
Jeremia beobachtet einen Töpfer:
Mißriet das Gefäß, das er in Arbeit hatte, wie es beim Ton in der Hand des Töpfers vorkommen kann, so machte der Töpfer daraus wieder ein anderes Gefäß, ganz wie es ihm gefiel. Da erging an mich das Wort des HErrn: Kann Ich nicht mit euch verfahren wie dieser Töpfer, Haus Israel? Spruch des HErrn. Seht, wie der Ton in der Hand des Töpfers, so seid ihr in Meiner Hand, Haus Israel.
Auch hier kündigt Gott dem Volk Israel an, daß Er jedes Volk oder Reich auch ausreißen und vernichten könne, darauf aber verzichtet, wenn es auf Seine Drohung hin umkehrt. Doch auch umgekehrt reue Ihn das Gute, das Er einem Volk getan habe, wenn es tut, was Ihm mißfällt.
Daher schickt Er Jeremia zum Volk Juda und den Einwohnern Jerusalems mit einer Unheilsbotschaft, die Er nicht auszuführen gedenkt, wenn sie umkehrten. Doch Er weiß bereits, daß sie nicht umkehren werden. Und dann wird’s wieder kraß:
Deshalb spricht der HErr: Fragt unter den Völkern, wer je Ähnliches gehört hat. Ganz Abscheuliches hat die Jungfrau Israel getan. […] Mein Volk aber hat Mich vergessen; nichtigen Götzen bringt es Opfer dar. Doch Ich lasse sie straucheln auf ihren Wegen, den altgewohnten Bahnen, so daß sie auf ungebahnten Pfaden gehen müssen. Ich will ihr Land zu einem Ort des Entsetzens machen, zum Gespött für immer. Jeder, der dort vorbeikommt, wird sich entsetzen und den Kopf schütteln. Wie der Ostwind zerstreue Ich sie vor dem Feind. Ich zeige ihnen den Rücken und nicht das Gesicht am Tag ihres Verderbens.
Das Töpfergleichnis bestätigt die Interpretation des Sacharjabezuges: Auch hier kündigt Gott an, Seinen Bund mit dem Volk zu beenden. Und zwar nicht, weil Er untreu geworden wäre, sondern weil die Menschen Ihm untreu geworden sind. Weil das Volk den Bund gebrochen hat, ist auch Er nicht mehr an Seinen Bund gebunden. (Soviel zur Argumentation, der Alte Bund sei für die Juden immer noch Heilsweg, weil Gottes Treue gegen einen Bruch dieses Bundes stehe. Um es mit Luther [der in diesem Punkt, es ging um die Realpräsenz, ja tatsächlich recht hatte] zu sagen: Streicht mir die Stellen, die das Gegenteil belegen, aus der Bibel, und wir können über alles reden…)
Wie zu erwarten macht das für Jeremia bloß alles noch schlimmer, so daß er sich in seiner Verzweiflung mit einer Art Fluchpsalm an Gott wendet:
Gib du, HErr, Acht auf mich und höre das Gerede meiner Widersacher! Darf man denn Gutes mit Bösem vergelten? Denn sie haben (mir) eine Grube gegraben. Denk daran, wie ich vor Dir stand, um zu ihren Gunsten zu sprechen und Deinen Zorn von ihnen abzuwenden. Darum gib ihre Kinder dem Hunger preis und liefere sie der Gewalt des Schwertes aus! Ihre Frauen sollen der Kinder beraubt und zu Witwen werden, ihre Männer töte die Pest, ihre jungen Männer erschlage das Schwert in der Schlacht. Geschrei soll man hören aus ihren Häusern, wenn Du plötzlich plündernde Horden über sie kommen läßt. Denn sie haben (mir) eine Grube gegraben, um mich zu fangen; meinen Füßen haben sie Schlingen gelegt. Du aber, HErr, Du kennst all ihre Mordpläne gegen mich. Nimm für ihre Schuld keine Sühne an, lösch bei Dir ihre Sünde nicht aus! Laß sie zu Fall kommen vor Deinen Augen, handle an ihnen zur Zeit Deines Zorns!
Diese Stelle auch noch auf die Kreuzigung Jesu zu beziehen, machte zwar deren Gerichtscharakter deutlich, ließe aber keinerlei Hoffnung mehr auf ein gutes Ende. Dann bedeutete der Tod Jesu tatsächlich ein Scheitern Gottes im Werben um den Menschen. Dann wäre der Mensch unrettbar verdammt und dem Herrn dieser Welt ausgeliefert.
Vielleicht ist es diese Überlegung, die Matthäus dazu bewogen hat, vom Töpferacker zu reden, also nicht nur auf das unheilvolle Töpfergleichnis zu verweisen, sondern im selben Atemzug auch auf Jeremias prophetischen Ackerkauf. (Zumal ja auch die Apg von einem Ackerkauf weiß, wenn auch durch Judas selbst.)
Ackerkauf
Die Ausgangslage ist düster: Nebukadnezar belagert Jerusalem, das angekündigte Unheil ist also eingetreten, und Jeremia selbst ist Gefangener des Königs Zidkija. Entsprechend der Vorhersage Gottes kommt in genau dieser düsteren Situation, in der sich alles Unheil verwirklicht, das Jeremia angekündigt hat, ein Cousin Jeremias namens Hanamel und will seinen Acker verkaufen. Hintergrund ist, wie durch den Bezug auf das „Einlösungsrecht“ deutlich wird, daß Hanamel in einer Notlage war (was auf dem Hintergrund des Krieges mit den Babyloniern wohl nicht nur bei ihm so war). Gerade in dieser Situation, in der eigentlich weder für das Land im allgemeinen noch für Jeremia im besonderen eine realistische Hoffnung auf Besserung bestand, kaufte Jeremia dennoch den Acker auf das Wort des HErrn hin — und zwar in aller Öffentlichkeit. Er läßt die Kaufurkunden in Tonkrüge stecken, damit sie lange Zeit erhalten blieben, mit der Begründung:
Denn so spricht der HErr der Heere, der Gott Israels: Man wird wieder Häuser, Äcker und Weinberge kaufen in diesem Land.
Dieser Ackerkauf steht zudem an einer Scharnierstelle im Buch Jeremia: Es ist der Übergang von den unzähligen Unheilsprophetien Jeremias zu den (vergleichsweise wenigen, aber kräftigen) Heilsworten Gottes. Der Ackerkauf bringt als prophetische Handlung zum Ausdruck, was in den folgenden Texten ausdrücklich gesagt wird: Es wird eine Zukunft für das Land und seine Bewohner im allgemeinen sowie Jeremia im besonderen geben.
Siehe, Ich bin der HErr, der Gott aller Sterblichen. Ist Mir denn irgendetwas unmöglich? Darum – so spricht der HErr: Ich gebe diese Stadt in die Hand der Chaldäer und in die Hand Nebukadnezzars, des Königs von Babel, und er wird sie einnehmen. Die Chaldäer, die gegen diese Stadt ankämpfen, werden eindringen, die Stadt in Brand stecken und einäschern samt den Häusern, auf deren Dächern man dem Baal Rauchopfer und fremden Göttern Trankopfer dargebracht hat, um Mich zu erzürnen. Denn die Leute von Israel und Juda haben von Jugend an immer nur das getan, was Mir mißfiel, ja, die Leute von Israel haben Mich durch ihr Verhalten stets nur erzürnt – Spruch des HErrn. In der Tat, diese Stadt hat seit ihrer Gründung bis zum heutigen Tag Meinen Zorn und Grimm erregt, so daß Ich sie von Meinem Angesicht verstoßen muß wegen all des Bösen, das die Leute von Israel und Juda verübt haben, um Mich zu erzürnen, sie, ihre Könige, ihre Beamten, ihre Priester und ihre Propheten, die Leute von Juda und die Einwohner Jerusalems. Sie haben Mir den Rücken zugewandt und nicht das Gesicht. […] Jetzt aber – so spricht der HErr, der Gott Israels, über diese Stadt, von der ihr sagt, sie sei durch Schwert, Hunger und Pest dem König von Babel preisgegeben: Seht, ich sammle sie aus allen Ländern, wohin ich sie in Meinem Zorn und Grimm und in großem Groll versprengt habe. Ich bringe sie wieder zurück an diesen Ort und lasse sie in Sicherheit wohnen. Sie werden Mein Volk sein und Ich werde ihr Gott sein. Ich bringe sie dazu, nur eines im Sinn zu haben und nur eines zu erstreben: Mich alle Tage zu fürchten, ihnen und ihren Nachkommen zum Heil. Ich schließe mit ihnen einen ewigen Bund, daß Ich Mich nicht von ihnen abwenden will, sondern ihnen Gutes erweise. Ich lege ihnen die Furcht vor Mir ins Herz, damit sie nicht von Mir weichen. Ich werde Mich über sie freuen, wenn Ich ihnen Gutes erweise. In Meiner Treue pflanze Ich sie ein in diesem Land, aus ganzem Herzen und aus ganzer Seele. Denn so spricht der HErr: Wie Ich über dieses Volk all das große Unheil gebracht habe, so bringe Ich über sie all das Gute, das Ich ihnen verspreche. Man wird wieder Felder kaufen in diesem Land, von dem ihr sagt: Es ist eine Wüste, ohne Mensch und Vieh, der Hand der Chaldäer preisgegeben. Äcker wird man wieder kaufen für Geld, Kaufurkunden ausstellen und versiegeln und Zeugen hinzunehmen im Land Benjamin, in der Umgebung Jerusalems, in den Städten Judas und des Gebirges, in den Städten der Schefela und des Negeb. Denn Ich wende ihr Geschick – Spruch des HErrn. (Jer 32, 27-33.36-44)
Gott kündigt also an, daß er das Unheil vollstrecken, den Bund als beendet ansehen wird, wie im Töpfergleichnis und anderswo angekündigt (man beachte den Verweis auf Rücken und Gesicht — ius talionis…). Aber Er kündigt zugleich einen neuen, ewigen Bund an, den Er schließen wird und in dem Er die Menschen mit allen Mitteln ausstatten wird, die sie brauchen, um gottesfürchtig zu sein und zu bleiben.
Der knappe Jeremiabezug in der Perikope vom Ende des Judas bei Matthäus deutet also in großer Tiefe die bevorstehende Passion, und es sind gerade diejenigen, die die Schuld an Jesu Kreuzestod haben, die in ihren Handlungen unwissentlich prophetisch deuten, was im folgenden auf einer tieferen, geistigen und metaphysischen Ebene passieren wird.
In dieser Interpretation erscheint dann der Bezug auf die Exodusstelle auch nicht mehr allein als zufällig. Es könnte durchaus sein, daß Matthäus auch an die Plagen in Ägypten dachte, an das Unheil, das der verstockte Pharao als Führer über sein Volk brachte (wie die Hohenpriester über ihr Volk), die zugleich die Voraussetzung für die Befreiung des Volkes Israel aus der Knechtschaft waren. Nicht umsonst ist der Durchzug durchs Rote Meer die einzige Lesung der Osternacht, die niemals und unter keinen Umständen entfallen darf. (Was leider nicht heißt, daß man sich auch daran hielte. Mir erklärte ein emeritierter Theologieprofessor mal, angesichts des Nahostkonflikts könne er diese Lesung gerade in der Osternacht nicht ertragen und habe daher in seiner Gemeinde durchgesetzt, daß sie nicht gelesen werde. *facepalm*)
Diese unscheinbare und in ihrer Ausführlichkeit geradezu irritierende, störende Stelle hat es theologisch also in sich.
Und, wie Dorothea es so treffend auf den Punkt brachte, „da man schließlich so etwas heute einzeln erklären muß„: Matthäus ist selbst Jude und er schreibt, so der weitgehende Konsens der Exegeten, für eine judenchristliche Gemeinde. Es geht hier also nicht darum, antijüdische Gefühle zu wecken und sie pauschal zu Gottesmördern zu erklären. Nein, es geht um viel mehr, wie schon die Rede von Völkern und Reichen bei Jeremia und vom „Bund, den ich mit allen Völkern geschlossen hatte“ bei Sacharja zum Ausdruck bringen. Es geht darum, daß der Mensch von sich aus selbst im Alten Bund nicht in der Lage war, Gott (dauerhaft) zu fürchten und seinen Gesetzen entsprechend zu leben. Der Alte Bund, das Gesetz konnte nur die Sünde als Sünde offenbar machen, wie Paulus schreibt (Röm 2-8, v.a. Röm 7). Das jüdische Volk steht also erkennbar pars pro toto für die Menschheit.