Ästhetik des Bösen

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Ich habe in letzter Zeit mehrere Anfragen zu „ist das und das im Metal tatsächlich so“ bzw. „wie geht man mit dem und dem im Metal um“ bekommen, insbesondere zum Satanismus und zum Rechtsextremismus (NSBM). Ich will das beides zusammen behandeln, da in beiden Fällen dasselbe Grundaxiom im Raum steht: Ein Christ darf keine Musik von Satanisten oder Nazis hören.

Grundsätzlich gibt es drei (und nur drei) Möglichkeiten, mit dieser Frage umzugehen:

  1. Ich blende das Thema aus und höre die Musik, ohne über die evtl. transportierten Inhalte und die religiösen oder politischen Einstellungen ihrer Produzenten nachzudenken.
  1. Ich lehne die Musik ab, weil in ihr (oder auch nur mit ihr) diese Themen transportiert werden.
  1. Ich greife die unhinterfragte Voraussetzung der Problemstellung an und differenziere zwischen Kunstwerk und Künstler; d.h. ich stelle die Frage, ob das Kunstwerk eine künstlerische Aussage darstellt oder reine Propaganda.

ad 1) Die erste Lösung ist eine bewußt unreflektierte. Ich verweigere das Nachdenken über Dinge, die keineswegs nebensächlich sind. Wären sie nebensächlich, müßte ich nicht bewußt diese Dinge ausblenden, sondern könnte sie als nebensächlich abtun.

ad 2) Die zweite Lösung ist streng genommen sogar noch unreflektierter als die erste. Während die erste immerhin noch die geistige Anstrengung unternimmt, bewußt nicht darüber nachzudenken, zieht dieser Umgang mit der Problemstellung voreilige Schlüsse: Wenn jemand „Hail Satan“ in ein Mikrofon brüllt, dann muß er damit exakt das meinen, was ich darunter verstehe. D.h. ich verweigere mich unbewußt dem Nachdenken darüber, was dieser Typ mir wohl sagen will, wenn er Worte in den Mund nimmt, die in meinem Denken als gefährlich gelten (und infolgedessen für mich auch sind). Insbesondere verweigere ich die geistige Anstrengung, darüber nachzudenken, ob der Typ wohl dasselbe denkt, wenn er den Begriff „Satan“ verwendet.[1]

ad 3) Die dritte Variante versucht zu verstehen, was in den problematisierten Thematiken zum Ausdruck gebracht werden soll und entscheidet von Fall zu Fall, wie sie das konkrete künstlerische Produkt beurteilt. So könnte als Kriterium für „Propaganda“ zum Beispiel geprüft werden, ob die Band diese Thematiken nur künstlerisch verarbeitet oder auch in „satanistischen Sekten“ oder rechtsextremen Netzwerken aktiv ist.

Das Problem des Metals ist nun, daß er aus seiner Eigenlogik heraus keine dieser drei möglichen Varianten vertreten kann (obwohl alle drei auch von Metallern im Metaldiskurs vertreten werden; aber der Metal-Gesamtdiskurs kann keiner der drei Varianten auch nur mehrheitlich zustimmen). Denn:

1) ist dumm und weiß auch noch, daß es dumm ist. Die meisten Metaller halten sich aber für zu reflektiert und klug, um diese Position einzunehmen. Vor allem sind sie sich bewußt, daß diese Lösung eigentlich nur hilflos ist. Sie funktioniet in der Praxis auch nur dann, wenn man so zwischen Musik der Band und der politischen Ausrichtung der Bandmitglieder unterscheidt, daß man ruhigen Gewissens sagen kann, in der Musik spiele die Politik keine Rolle. Das kommt 3) aber schon wieder recht nahe.

2) ist die Lösung der Spießer (nichts Grundsätzliches gegen Spießer, bin selbst manchmal einer). Dabei ist es auch egal, ob der Spießer jetzt meint a) „Hail Satan“ sei ein Anbeten des Teufels (weil das in seinem Denken anders nicht sein kann) oder b) an sich harmloser Ausdruck jugendlicher Rebellion (weil das in seinem Denken anders nicht sein kann). Natürlich ist das Ergebnis diametral entgegengesetzt: a) hält Metal für gefährlich, b) für harmlos.

Witzigerweise kann der Metal auf Dauer mit a) sogar besser leben als mit b), denn er hält sich sogar selbst für „gefährlich“, und selbst wenn der Metaller für sich selbst den Metal als reine Rebellion versteht, wäre es etwas witzlos, wenn diese Rebellion niemanden juckt, weil das ja nur eine vorübergehende Entwicklungsphase sei.

Problematisch wird Position a) jedoch, wenn mit politischen, wirtschaftlichen oder rechtlichen Machtmitteln gegen den Metal vorgegangen wird – das kann naturgemäß nicht mehr mit dem Selbstverständnis des Metals in Übereinstimmung gebracht werden. Insofern ist im Metal doch wieder eher eine Neigung zu b) zu spüren, getreu dem Motto „die lassen uns wenigstens machen“.

3) kommt immerhin als Lösung für den Einzelnen durchaus in Frage. Da es sich aber um Einzelfallentscheidungen mit Ermessensspielraum handelt, kann daraus keine allgemeingültige Antwort „des Metals“ abgeleitet werden. So gab es durchaus auch Nicht-Rechtsextreme, die den NSBM für einen legitimen Teil des Metals hielten.

Die zuletzt genannte Position ist tatsächlich aus der Eigenlogik des Metals ableitbar: Metal soll gefährlich sein, sich mit den dunklen Elementen menschlichen Daseins beschäftigen und sie gerade in ihrer Bosheit darstellen – was nur geht, wenn man im künstlerischen Ausdruck konsequent auf moralische Urteile verzichtet. Dann kann aber das Thema, das in der heutigen Wahrnehmung über den Teufel weit hinaus das schlimmste ist, das es gibt, der Nationalsozialismus, nicht außen vor bleiben. Dann muß es neben „Hail Satan“ auch „Heil Hitler“ geben. Das ist reine Logik.

Doch hört hier selbst für die meisten Metaller der „Spaß“ auf. Lieder wie „Angel of Death“ von Slayer, das das Grauen des Dr. Mengele (fast) unkommentiert darstellt, geht gerade noch so durch, ecken aber auch schon bei einigen Metallern an. Glorifizierungen des Nationalsozialismus wie im bekennenden NSBM hingegen, sind für die meisten Metaller ein „No-go“. Das ist dann doch zu gefährlich.

Nur steht das eigentlich in einem Widerspruch zum Metal-Selbstverständnis, was in ein Dilemma führt, das jeder nur für sich selbst beantworten kann: Wieso ist der Nationalsozialismus zu gefährlich, der Satanismus hingegen nicht? Die naheligende Antwort scheint mir: Wei wir den Satanismus eigentlich nicht ernstnehmen. Das gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, daß Satanismus im Metal, wenn mehr als bloß künstlerisches Ausdrucksmittel, meist philosophischer Satanismus ist, der vielleicht nicht sozial gefährlich ist, aber aus christlicher Perspektive zu geistlicher Selbstzerstörung führt, da er auf der Ursünde des „Selbermachens“ basiert. Diese Gefahr wird dann aber nicht ernstgenommen.

Worin liegt dann aber die Berechtigung des Metals an sich? – In der künstlerischen Verarbeitung des Bösen, das eber gerade nicht rational angemessen erfaßt werden kann. Das Böse ist wesenhaft irrational und entzieht sich dem rationalen Verständnis. Das mit ihm dem Menschen gestellte Problem ist rational letztlich nicht lösbar. Die Kunst hingegen hat Möglichkeiten, menschliche Erfahrungen auszudrücken und zu vermitteln, die über das rein Rationale hinausgehen. Doch selbst in der Kunst wird das Böse häufig moralisch verarbeitet, d.h. mit negativen Urteilen belegt, die die durch das Böse verursachte Verunsicherung sofort durch die Selbstvergewisserung „wir sind ja die Guten“ suspendieren. Das Böse aber ästhetisch als das darzustellen, was es ist, nämlich als Böses, gelingt m.E. nur wenigen – und das hauptsächlich in mehr oder weniger abseitigen Teilen der populären Kultur. In diese Kategorie gehört auch der Metal.

Daraus folgt für die eingangs gestellte Fragestellung: Die dritte Möglichkeit ist tatsächlich die einzige Möglichkeit. Wer über die Fragestellung nachdenkt, wird merken, daß es ein Tanz auf Messers Schneide ist und bleibt. Aber die Alternativen überzeugen m.E. noch weniger, denn sie reproduzieren die Varianten 1) und 2): sich der Auseinandersetzung mit dem Bösen ganz entziehen, seine Existenz auszublenden und in eine scheinbar „heile Welt“ flüchten – oder sich mit dem Bösen unzureichend, insbesondere rationalistisch verengt, auseinanderzusetzen.[2]

Abschließend sei doch noch eine vierte Variante genannt, eine Kombination aus 3) und 1): Sich der Gefährlichkeit bewußt zu sein, sie aber bewußt auszublenden. Das dürfte praktisch der häufigste Umgang sein. Dann könnte man aber keinen Blogpost drüber schreiben, weil man dann schon die Frage nicht stellen könnte…

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[1] Um das dem Theologen etwas verständlicher zu machen: Die Dogmengeschichte ist zu einem nicht unwesentlichen Teil ein Ringen um Begriffe. Nicht wenige Häresien gründeten darauf, daß sie zwar dieselben Begriffe wie die Großkirche verwendeten, damit aber etwas anderes meinten.

Mal ein Beispiel aus der Neuzeit: Die katholische Kirche differenziert zwischen der Erbsünde und der Konkupiszenz, der ungeordneten Begierlichkeit; Luther hingegen identifiziert die Erbsünde mit der Konkupiszenz. D.h. Luther meint etwas ganz anderes, wenn er von „Erbsünde“ spricht, als die katholische Kirche. Wenn ich also im ökumenischen Gespräch von der Erbsünde rede und dabei voraussetze, daß die Protestanten dasselbe damit meinen wie ich, ist das Gespräch von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Zweites Beispiel: In den letzten 50 Jahren hat auch die katholische Theologie große Anstrengungen unternommen, klassische Begriffe der katholischen Lehre neu zu deuten. Dabei ist aber das entscheidende gar nicht der Begriff, sondern das von ihm Bezeichnete. Den Begriff wollte man behalten, aber das Bezeichnete ändern. Tatsächlich wäre es aber besser, den Begriff zu ändern und das Bezeichnete zu behalten.

Und so könnte es ja sein, daß der „Hail Satan“-Sänger hier überhaupt keinen gefallenen Engel grüßt, sondern Satan als ein künstlerisches Symbol des Bösen versteht, und mit dem Gruß des Bösen ausdrücken will, daß der Mensch ihm ausgeliefert ist. Muß nicht so sein, könnte aber. Oder anders. Dafür müßte man halt darüber reflektieren, was der Typ aus seiner Perspektive damit wohl meinen könnte. (hoch)

[2] Wie sollte etwas, das wesentlich irrational ist, rational erfaßbar werden?! (hoch)