Josef Bordat hat gestern einen kurzen Aphorismus zur Theodizeefrage gepostet, den er von Odo Marquard abgeleitet hat. Darum hier nun den meines Erachtens treffendsten Ausspruch Marquards zur Theodizee:
„Theodizee gelungen, Gott tot.“
Odo Marquard: Schwierigkeiten beim Ja-Sagen; in: Willi Oelmüller (Hg.): Theodizee – Gott vor Gericht?; München 1990, 87–102, hier 98.
Ganz davon abgesehen, daß dieser Spruch schon völlig kontextlos ziemlich treffend wirkt (auf mich jedenfalls), da der menschliche Versuch, Gott angesichts der Übel der Welt zu rechtfertigen, immer schon einem Gottesmord gleichkommen muß, spielt sich dabei doch der Mensch als Anwalt eines ihm überlegenen Wesens auf (uarghs, allein bei dieser Formulierung kräuseln sich mir die Fußnägel auf), bekommt er bei genauerer Betrachtung noch dazu einen ziemlichen philosophiegeschichtlichen Tiefgang.
Das Erdbeben von Lissabon 1755 hatte die Leibniz’sche Theodizee (beste aller möglichen Welten) auf praktische Weise als unglaubbar ad absurdum geführt. Zwar war sie nach wie vor denkbar, hatte aber praktisch keine Überzeugungskraft mehr. Die Philosophie reagierte im großen und ganzen damit, die schon von Leibniz unterschiedenen Sphären von malum physicum und malum morale dergestalt zu trennen, daß für das malum morale nur noch der Mensch, fürs malum physicum aber die Naturgesetze, mithin also keine Person und damit keiner verantwortlich ist. Die Natur funktioniere eben so. (Das malum metaphysicum scheint dabei irgendwie klammheimlich auf der Strecke geblieben zu sein.)
Dieses Denken setzt natürlich ein deistisches Gottesbild voraus, nach dem Gott nicht mehr in seine Welt eingreift, nachdem er ihr einen Schöpfungsimpuls gegeben hat, ihre Entwicklung quasi „angestupst“ hat (nur so ist Gott auch nicht für die Gesetze, nach denen seine Schöpfung funktioniert, verantwortlich). Damit reduziert sich die Frage nach dem Bösen in der Welt auf das malum morale, für das eben allein der Mensch verantwortlich ist (im Zweifel aus geistiger Trägheit, weshalb er aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit befreit werden muß).
Angesichts des Bösen in der Welt zu rechtfertigen ist damit nicht mehr Gott, sondern der Mensch. Eigentlich ist die Theodizee damit zur Anthropodizee geworden, und in ihrer „Lösung“ kommt Gott im eigentlichen Sinne nicht mehr vor. Die „Lösung“ der Theodizee wird mit einem dermaßen schwachen Gottesbild erkauft, daß man mit Fug und Recht sagen kann, das hat nicht nur nichts mehr mit dem sich offenbarenden Gott der Bibel zu tun, sondern erinnert auch nur noch vage an den Gott, wie ihn frühere Philosophen mit Ihrer Vernunft erkannt hatten. Eben: „Theodizee gelungen, Gott tot.“