Apokalypse

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Cover Father ElijahMichael D. O’Brien: Father Elijah. Eine Apokalypse; Kislegg: fe-medienverlag ³2010, 544 Seiten, ISBN 978-3-939684-32-9, 19,95 €

Eine Apokalypse?! Eine Apokalypse. Dieser Untertitel machte mich erstmal mißtrauisch. Ob das wohl wirklich eine Apokalypse ist? Oder doch nur eine langatmige Klage über die schlechte Welt und wie sie von Gott zerstört werden muß, um der neuen, besseren Welt Platz zu machen? Ein solches Buch ließ der Klappentext der Übersetzerin Gabriele Kuby erwarten.

Derjenige, der mir das Buch empfohlen und ausgeliehen hat, findet darin vor allem die Erklärung und Aufdeckung von denkerisch-geistigen, religiös-geistlichen und politisch-praktischen Zusammenhängen, die unsere gegenwärtige Zeit prägen. (Wenn man bedenkt, daß das Buch von 1996 ist, könnte da durchaus was dran sein, jedenfalls hätte ich 1996 noch einiges von dem Beschriebenen für undenkbar gehalten; heute ist es praktisch schon Realität.) Ein verschwörungstheoretischer Roman ist jetzt auch nicht unbedingt das, was ich unbedingt lesen will, schon gar nicht unter der Überschrift „Apokalypse“.

Denn eine aus echter Apokalyptik hervorgegangene literarische Apokalypse ist viel mehr als eine Klage über die schlechte Welt oder ein Katastrophenroman über das Ende der Welt. Sie ist vielmehr ausgesprochen vielschichtig. Sie arbeitet mit Bildern, die nicht einfache Allegorien sind, die 1:1 übertragbar und durchschaubar sind, sondern „multicodiert“. D.h. ein Bild hat mehrere, sich zum Teil überschneidende Bedeutungen und somit einen immer bleibenden Bedeutungsüberschuß. So ist es z.B. keine sinnvolle Frage, ob die Frau der Apokalypse (Offb 12) Maria oder die Kirche ist, denn sie ist mit Sicherheit beides (und wahrscheinlich noch viel mehr).

Echte Apokalypsen werfen daher mehr Fragen als Antworten auf, sie regen das Denken des Lesers an, und er muß sich selbst einen Reim auf das Geschriebene machen. Ihre Aussage ist dabei nicht klar und deutlich im Text enthalten, die Apokalypse ist mehr als die bloße Summe ihrer Teile. Sie steht quasi zwischen den Zeilen bzw. ergibt sich in der Gesamtschau. Um zu dieser zu gelangen, muß der Leser gleichermaßen die Details wie die großen Zusammenhänge im Blick behalten. Denn in den Details liegt der eigentliche Schlüssel für die großen Zusammenhänge, die die Apokalypse aufdecken will, zugleich aber verbirgt und nur dem „Eingeweihten“ zugänglich macht. Denn es geht am Ende nicht um Fakten, Fakten, Fakten, sondern um deren Deutung – und die muß sich der Einzelne selbst zu eigen machen. Er soll gerade selbst denken und hinter die Offensichtlichkeiten blicken, statt neue Offensichtlichkeiten vorgesetzt zu bekommen.

So könnte man die Offenbarung des Johannes in einem Satz des Paulus zusammenfassen: „Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll.“ (Röm 8,18) Das steht aber an keiner Stelle der Offenbarung selbst. Sie ist vielmehr von der Realität und der Drastik der Leiden, denen die Gläubigen in dieser Welt ausgesetzt sind und immer sein werden, geprägt. Doch diese Beschreibung wird immer wieder von Szenen des Lobpreises Gottes unterbrochen, die zwar im Dunkel des Ganzen unterzugehen drohen, aber einen ganz anderen Schein auf dieses Dunkel werfen: Gott ist der Herr, Er ist der Herr der Geschichte, Er hat bereits in Jesus Christus den Sieg errungen; daß die bösen Mächte anrennen gegen die, die zu Jesus gehören, sind die Nachwehen, weil die Besiegten ihre Niederlage nicht akzeptieren wollen. So endet die Offenbarung auch mit dem Bild des neuen Himmels und der neuen Erde sowie des Himmlischen Jerusalems, aber nicht, weil das irgendwann einmal passieren wird, sondern weil das – siehe die Lobpreisszenen – in die Gegenwart ausstrahlt: „Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes.“ (Eph 2,19)

Infolge dieser Komplexität von Apokalypsen sagt jede Interpretation wohl mehr über den Leser, der diese Deutung gibt, als über die Apokalypse oder gar ihren Autor aus. Wenn es sich denn um eine echte Apokalypse handelt…

Trotz meiner oben beschriebenen Zweifel habe ich das Buch dann doch gelesen, weil eben die Interpretation auch der Übersetzerin mehr über jene als über das Buch aussagt. Und ich wurde nicht enttäuscht, denn der Verfasser selbst weist in einem kurzen Vorwort ungefähr auf das oben Beschriebene hin. Er versteht (s)eine Apokalypse als vielschichtiger als sie vordergründig daher kommt.

So ist schließlich auch nicht entscheidend, was in diesem Buch an politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen aufgezeigt wird. Auch die vordergründigen Botschaften – etwa daß auch der größte Gotteshasser und Sünder bekehrt werden kann, aber sich dieser Bekehrung ebenso in Freiheit verweigern kann – sind für die Gesamtaussage nicht so zentral. Viel gravierender ist ein massiver, biblischer Schnitzer, der dem Autor nicht zufällig unterlaufen sein kann.

Die Hauptfigur ist ein Pater Elijah, der im Kloster auf dem Berg Karmel lebte, das er zu Beginn des Romans verlassen muß, da er einen Sonderauftrag des Papstes ausführen soll. Elija(h) und der Karmel, das ist die biblische Parallelität, die sich durch das ganze Buch zieht, auf die immer wieder verwiesen wird. Am Ende gibt es sogar eine Szene, die praktisch aus der Geschichte des Propheten Elija abgeschrieben ist, nämlich was unmittelbar nach der Geschichte auf dem Karmel passierte – der Prophet, verfolgt von der den heidnischen Gott Baal verehrenden Königin Isebel, meint gescheitert zu sein, will sterben, doch Gott läßt ihn nicht. So auch Pater Elijah, dem es nicht gelungen ist, den Antichrist zu bekehren oder dessen großen Schlachtplan gegen Gott und die Kirche zu ergattern.

Doch gerade in dieser Parallele fällt eine massive Abweichung auf, die ich hier nicht nennen kann, ohne dem Leser das Lesevergnügen zu verderben. Doch je mehr man das Buch mit der Brille liest, daß dieser Schnitzer kein Schnitzer, sondern Absicht ist, um so mehr erkennt man, daß genau dieser „Schnitzer“ für den Leser den Schlüssel für das Gesamtverständnis darstellt. Wer das Buch liest, sollte also dringend das 1. Buch der Könige zum Vergleich danebenliegen haben.

„Father Elijah“ ist eine echte Apokalypse. Ihr fehlen zwar gerade die apokalyptischen Bilder (wenngleich nicht die apokalyptischen Motive), sie ist aber dennoch im ganzen komplex und vielschichtig, regt zum Denken an und läßt den Leser sich selbst das Urteil bilden. Und wie in der Offenbarung des Johannes gilt auch hier: Der eigentliche Sieg ist bereits errungen, bevor das im Buch beschriebene Geschehen beginnt.

Fürchtet euch nicht!

¡Viva Cristo Rey!

P.S.: Daß eine Fortsetzung erscheinen soll, ist zwar ökonomisch verständlich, dem Genre Apokalypse aber völlig unangemessen. Ok, ich kann mir eine Möglichkeit vorstellen, wie das funktionieren könnte, aber ich sehe dem mit gemischten Gefühlen entgegen.

Einer der Gründe, warum ich am Ende des letzten Jahres plötzlich wieder aufgehört habe zu bloggen, war die Bibel. Genauer: Mein Vorsatz, im Jahr 2014 die Bibel einmal komplett durchgelesen zu haben. Das wurde am Ende ziemlich knapp (am 1.10. fehlten noch 45 Bücher, am 1.11. noch 31 und am 1.12. noch 13 Bücher, darunter fast das komplette Geschichtswerk), so daß ich klare Prioritäten gesetzt habe.

Ein paar frühe Resultate dieses Vorsatzes habe ich letztes Jahr schon verbloggt. Jetzt will ich der Frage nachgehen, ob sich das ganze gelohnt hat. Nicht nur Jürgen, sondern auch mein AT-Professor waren nach ihrem Komplettdurchgang diesbezüglich etwas skeptisch. Auch ich selbst habe, schon als Jugendlicher, den Versuch, die Bibel komplett zu lesen, nach anderthalb Büchern abgebrochen.

Dieser Versuch aus der Jugendzeit war auch der Grund, warum ich das Geschichtswerk so lange vor mir hergeschoben habe. Und tatsächlich: Ich halte das Buch Exodus für das am anstrengendsten zu lesende Buch der ganzen Bibel. Damals bin ich irgendwo im Bundesbuch (ca. Ex 22) hängengeblieben und konnte mich nicht mehr überwinden, weiterzulesen. Blöd halt, daß das Buch so weit vorne steht.

Im Buch Exodus kann man die Schichten, die in den Pentateuch eingeflossen sind, am deutlichsten erkennen, und sie sind zu allem Überfluß schlecht miteinander verknüpft. Es gibt zum Teil abrupte Wechsel mitten in einer Geschichte, infolgedessen zwei Beschreibungen desselben Ereignisses unvereinbar nebeneinander stehen (war das Wasser jetzt durch einen starken Wind weggetrieben worden oder stand es rechts und links wie eine Mauer?, um nur mal das bekannteste Beispiel anzuführen). Besonders anstrengend ist das in den Gesetzestexten, die keine klare Struktur erkennen lassen. Oder besser: die zwar scheinbar eine klare Grobstruktur haben, aber sich dann in komplexen Details verlieren.

Nicht besser wird es dadurch, daß die Geschichte des Auszugs aus Ägypten in geistlicher Lesung und der kirchlichen Tradition eine kaum zu überschätzende Rolle spielt als Vorbild des Auszugs des einzelnen und der Kirche aus der Welt der Sünde und des Todes.

Und dann folgt darauf auch noch das Buch Levitikus, das kaum noch Geschichte, sondern hauptsächlich Gesetzestexte präsentiert, ganz zu Schweigen von Numeri, das fast schon in einer Art Mantra beginnt (der und der Stamm brachte das und das, der und der Stamm brachtet dasselbe und nach 12 Stämmen geht’s wieder von vorne los)!

Aber schwer gefehlt! Ok, Numeri ist am Anfang tatsächlich etwas langweilig, wenn man nicht wie ich auf Statistiken abfährt, aber Levitikus haut pholl phätt rein! Zunächst einmal wirken beide Bücher im Gegensatz zu Exodus viel mehr wie aus einem Guß. Vor allem aber braucht es die richtige Hermeneutik, die richtige Brille, um einen Zugang zu den Büchern zu kriegen. Bei Levitikus drängte sich mir relativ schnell auf, das Buch im Hinblick auf die Verehrung der Eucharistie und den Aufbau katholischer Kirchen zu lesen; nicht zuletzt, weil ständig vom ungesäuerten Brot aus Feinmehl, das heilig ist, die Rede ist. Tabernakel, ewiges Licht (Lev 24), ja sogar die Elevation (Lev 7,14) und praktisch das gesamte Kirchenjahr von Erntedank bis Pfingsten (Lev 23) – alles schon drin! Ok, man muß ein paar Begrifflichkeiten kennen, z.B. daß tabernaculum das lateinische Wort für Zelt ist, aber dann ist Levitikus alles andere als vergangene Gesetzlichkeit, sondern pure Gegenwart (ein paar kleinere Ausnahmen in gesetzlichen Detailregelungen bestätigen die Regel).

Das ist überhaupt das Problem: Man muß erstmal raffen, daß manche uns geläufige Begriffe eben lateinisch oder griechisch sind, die Einheitsübersetzung aber im Text meist die deutschen Worte verwendet (soweit vorhanden) und in den Anmerkungen allenfalls die hebräischen Ausdrücke erwähnt. So habe ich auch eine ganze Weile gebraucht zu merken, daß Josua nicht nur figurativ die Israeliten ins verheißene Land führt wie Jesus uns ins Himmelreich, sondern daß Josua „lediglich“ eine andere griechische Form von J(eh|o)schua als das neutestamentliche Jesus ist… Tja, nur weil man Texte auf Deutsch liest oder hört, heißt das eben noch lange nicht, daß man sie besser versteht, als wenn sie in einer mehr oder weniger unbekannten Fremdsprache formuliert sind.

Besonders angetan hat es mir aber die Weiheitsliteratur. Ja, auch hier gilt, nicht alles ist zum sofortigen Komplettverzehr geeignet (Psalmen, Sprüche). Aber die grundsätzliche Orientierung dieser Bücher ist so herrlich thomanisch „down to earth“ – sie wird weder spiritualistisch noch materialistisch, selbst wenn sie wie Kohelet die vermeintliche Bedeutungslosigkeit des Menschen bis ins Letzte auskostet.

Stellen wie: „Der Schlaf des Fröhlichen wirkt wie eine Mahlzeit, das Essen schlägt gut bei ihm an“, und: „Wie ein Lebenswasser ist der Wein für den Menschen, wenn er ihn mäßig trinkt. Was ist das für ein Leben, wenn man keinen Wein hat, der doch von Anfang an zur Freude geschafen wurde? Frohsinn, Wonne und Lust bringt Wein, zur rechten Zeit und genügsam getrunken. Kopfweh, Hohn und Schimpf bringt Wein, getrunken in Erregung und Zorn. Zu viel Wein ist eine Falle für den Toren, er schwächt die Kraft und schlägt viele Wunden“ (Sir 30,25;31,19–21), zeigen in aller Deutlichkeit, daß es bei allem Wechsel in den Verhältnissen manche Dinge einfach Grundkonstanten menschlichen Lebens sind: „Wer sich selbst nichts gönnt, wem kann der Gutes tun? Er wird seinem eigenen Glück nicht begegnen“ (Sir 14,5).

Das Hohelied hingegen scheint mir das geistlich tiefste Buch der ganzen Bibel zu sein. Beim ersten Lesen rauscht es irgendwie so vorbei. Beim zweiten Mal merkte ich an ein paar Stellen plötzlich auf, klingt das nicht wie ein Kirchenlied? Beim dritten Mal fielen mir auch die Lieder ein, z.B. „Mein schönste Zier und Kleinod bist“ (Hld 2,16 in der dritten Strophe) und „Sagt an, wer ist doch diese“ (Hld 6,10), und mir zeigte sich eine Tiefe, die ihresgleichen sucht und von mir noch entdeckt werden will.

Leid tun mir aber die Protestanten, die gerade in der Weisheit der schönsten Texte entbehren müssen. Nicht nur fehlt Sirach, so daß den Lutherjüngern ihr „Prediger“ irgendwie der Kontext fehlt, aus dem er verständlich(er) wird, sondern sie kennen auch so krasse prophetische Texte wie Weisheit 2 nicht. Kein Wunder, daß manche von ihnen das AT gleich ganz über Bord werfen wollen.

Da versteht man übrigens auch gleich, warum Luther mit Jakobus nicht viel anfangen konnte. Wer die Weisheit nicht gebührend schätzt, für den wird der Jakobusbrief ein Buch mit sieben Siegeln bleiben, denn der steht ganz, ganz deutlich in weisheitlicher Tradition, nicht zuletzt in seiner (keineswegs fehlenden!) Christologie. Nur kommt Christus hier nicht als vorösterlicher Jesus, sondern als erhöhter Herr vor, nämlich als die „Weisheit[!] von oben“, die den Christgläubigen zu neuem Leben gebiert, ihre Werke dabei schon immer mitbringt und den Christen dadurch befähigt, sie zu vollbringen. Oder anders gesagt, wer bei Jakobus nicht die Bergpredigt durchhört, kann kaum bemerken, wie nah Jakobus an den Synoptikern ist (27 Parallelstellen, davon die Hälfte aus der Bergpredigt).

Aber ich schweife ab. Die Offenbarung des Johannes habe ich schon immer gemocht. Aber erst nach der kompletten Bibellektüre ist mir so richtig klargeworden, daß und warum sie das würdige Schlußbuch der Bibel ist. Sie greift quasi alle losen Enden auf, alle noch nicht (ganz) erfüllten Verheißungen und bündelt sie. So macht sie nicht nur deutlich, daß die Vollendung noch aussteht, sondern vor allem auch, daß die ganze Bibel zusammengehört und nicht nur die Stellen, die sich neutestamentlich als erfüllt herausstellen oder gar nur die, die uns heute in den Kram passen. Und dabei steht sie voll in der Tradition alttestamentlicher Prophetie. Sie weist sehr wohl darauf hin, daß die Verheißungen oder auch Drohungen Gottes in der Gegenwart relevant sind, auch eine nahe Folge haben werden, daß aber die Geduld Gottes soviel größer ist als wir sie uns vorstellen können, daß die vollständige Erfüllung der Verheißungen noch Jahrhunderte oder gar Jahrtausende ausstehen kann. Ihr kennt weder Zeit noch Stunde…

Um das ganze mal abzuschließen: Ja, die Komplettlektüre der Bibel hat mir viel gebracht. Viele Bezüge sind mir vorher nie klar gewesen, und ständig entdecke ich neue. Wichtig war aber, die Bibel nicht „instruktionstheoretisch“ zu lesen, d.h. als Buch, das mir Sachinformationen vermittelt, sondern „personal-kommunikativ“, oder einfacher formuliert: geistlich, auf meine Beziehung zum Herrn hin. So erschlossen sich viele Stellen, die sonst irgendwie alt, unbedeutend und „apokryph“ gewirkt hätten, als geistlich tief, Lebenszusammenhänge erschließend und den Glauben stärkend.

Nur zwei Tips seien potentiellen Nachahmern noch auf den Weg gegeben, wenn sie die Einheitsübersetzung nehmen, was für den Anfang vielleicht gar nicht mal die schlechteste Wahl ist: Überspringt im Zweifel die Einleitungen zu den Büchern, die zum Teil zwar ganz brauchbar, zum Teil aber auch absolut grottig sind und jegliche geistliche Lektüre auszutreiben zu versuchen scheinen. Gleiches gilt für die Anmerkungen. Manche sind hilfreich, manche, insbesondere an Stellen im AT, die eindeutig Jesus als den Messias vorausverkünden, sind einfach katastrophal, weil sie keine Erklärung bieten, sondern nur ausschließen wollen, was zwar offensichtlich ist, aber einfach nicht sein darf.

Inzwischen bin ich übrigens schon wieder zu zwei Dritteln durch. Was für mich etwas sehr Ungewöhnliches ist. Selbst die besten Romane (von Sachbüchern ganz zu schweigen) lese ich nur in absoluten Ausnahmen ein zweites Mal und dann bevorzugt in einer anderen Sprache, weil mir alles so bekannt vorkommt, daß meine Augen zwar weiterhin den Buchstaben folgen, mein Hirn aber gelangweilt sonstwohin abdriftet. Das ist bei der Bibel völlig anders. Hier scheint es mir von Mal zu Mal spannender zu werden. Je besser ich die Texte kenne, umso mehr Querverweise und -bezüge fallen mir auf, umso tiefere Deutungen werden mir möglich. (Die Kirchenväterauslegungen dazu zu lesen, schadet ganz offensichtlich auch nicht.) Wenn das mal nicht ein Zeichen ist, daß dort „is more to it than meets the eye“… 🙂

Ist das ein Text! Kurz und knackig (21 Verse), genau der Struktur alttestamentlicher Heilsprophetie enstprechend: Die Trennung zwischen ursprünglichen Text und Nachsatz, wie sie die Einführung der Einheitsübersetzung macht, ergibt inhaltlich überhaupt keinen Sinn. Vorausgesetzt natürlich, man betrachtet den Text tatsächlich als prophetisch und nicht nur als rein historisch. Eines ist jedenfalls sicher: Wenn der Text nicht zufälligerweise den heutigen Staat Israel voraussagt (und das ergäbe nicht mal in rein alttestamentlicher Prespektive Sinn, d.h. unter Ausblendung der Menschwerdung), dann enthält er einen massiven Verheißungsüberschuß.

Genauso erweist sich die Textumstellung (V1) in der EÜ als irreführend:

Einheitübersetzung:
„Als ein Bote zu den Völkern gesandt wurde mit dem Ruf: Auf zum Kampf gegen Edom!, da haben wir vom Herrn eine Kunde gehört.
So spricht Gott der Herr zu Edom: […]“

Luther:
„So spricht Gott, der HERR, über Edom: – Wir haben vom HERRN eine Botschaft gehört, ein Bote ist unter die Heiden gesandt: Wohlauf, laßt uns wider Edom streiten! – „

Elberfelder
„So spricht der Herr, HERR, über Edom: – Eine Kunde haben wir vom HERRN gehört, und ein Bote ist unter die Nationen gesandt worden: ‚Macht euch auf, laßt uns gegen Edom aufstehen zum Krieg! – „

Der Unterschied ist: Handelt erst Gott – oder handeln erst die Menschen, die einen Boten zu möglichen Verbündeten schicken, woraufhin dann der Prophet ein Gerichtswort über Edom spricht – das historisch offensichtlich nicht eingetreten ist, was Obadja als Falschpropheten entlavte?

Bei Luther klingt zudem „Wir haben vom HERRN eine Botschaft gehört, ein Bote ist unter die Heiden gesandt“ nach einem Parallelismus membrorum, nicht nach einer Abfolge zweier unabhängiger Ereignisse. Mit anderen Worten: Die EÜ geht quasi apriori von einer historischen Situation aus und schreibt diese – gegen den Wortlaut – in den Bibeltext!

Der Text ist im ganzen apokalyptisch: Er zeigt auf, daß „Edom“ bereits dem Untergang geweiht ist, sein Lebensstil kann nicht von Dauer sein. Wobei hier „Edom“ bereits als „Typus der Feinde Israels“ zu verstehen ist, und in einer christlichen Interpretation steht Israel für die Kirche. In dieser Persprektive ergibt auch der Bote an die Heiden (die Völker) Sinn, gerade als Parallelismus membrorum: Wir (=Israel) haben vom Herrn gehört, die Heiden hören es von einem Boten. (Wobei in der Septuaginta nicht mal was von einem Boten steht, sondern: „Er hat zu den Heiden einen Inhalt ausgesandt“ – was m.E. noch näher an der Menschwerdung als an einer historischen Zeitangabe ist -, der Handelnde ist also Gott selbst!)

Die ganze Prophetie dieses kurzen Buches ist eine Stärkung, in der Zwischenzeit die Drangsale der Not, die Unterdrückung , die Verfolgung und den Spott zu ertragen. Denn wisse: Das alles ist nichtig, bedeutungslos, im Kreuz schon längst gerichtet. Selbst wenn „Edom“ meint, auf dem hohen Berg (Roß?) sicher zu sein (3), es wird herabgestürzt werden (4), all seine Macht ist letztlich nutzlos, gegen die es ausplündernden Diebe und Räuber hat es kein Mittel – ja selbst die Bundesgenossen (7) betrügen und verraten es (ein Reich, das in sich gespalten ist…?); seine ganze Daseinsweise zerstört sich selbst, kann einfach keinen Bestand haben, weil sie auf Ungerechtigkeit und Schandtat gründet. Gerade weil es Jakob, „deinem Bruder“, Gewalt antat – also Christen verfolgte -, „wirst Du ausgerottet für immer“ (10).

Freu dich nicht über das Unglück der Kirche, der Christen (12f.), mach die Fliehenden nicht nieder (14) – denn was du tust, fällt auf dich zurück (15). Egal aus welchem Volk du stammst, wenn du Israel (die Kirche) nicht unterstützt und verteidigst, indem du (siehe V1!) mit ihm gegen „Edom“ ausziehst, wird dich Edoms Schicksal treffen. Am Ende gibt es nur noch Zion und Israel – Gott und die Kirche (egal aus welchem Volk du stammst), Christus und Seinen Leib (22). Der Herr, ihr Gott, wird über ihnen leuchten uns sie werden herrschen in alle Ewigkeit (Offb. 22,5).

(Apropos Offenbarung des Johannes: Die 12 „kleinen“ Propheten klingen zu weiten Teilen so, als seien seien sie geradezu die Vorlage für die Offenbarung gewesen, bzw. umgekehrt: als wäre es Ziel der Offenbarung alle noch nicht erfüllten Prophetien zu sammeln und als noch zu verwirklichende uns vor Augen zu stellen. Siehe oben: Verheißungsüberschuß!)

hjerSie glänzte wie ein kostbarer Edelstein, wie ein kristallklarer Jaspis. Die Stadt hat eine große und hohe Mauer mit zwölf Toren und zwölf Engeln darauf. Die Mauer der Stadt hat zwölf Grundsteine. Die Stadt war viereckig angelegt und ebenso lang wie breit. Ihre Länge, Breite und Höhe sind gleich: zwölftausend Stadien [gut 2100 km]. Und er maß ihre Mauer; sie ist hundertvierundvierzig Ellen [gut 68 m] hoch. Ihre Mauer ist aus Jaspis gebaut und die Stadt ist aus reinem Gold, wie aus reinem Glas. Die Grundsteine der Stadtmauer sind mit edlen Steinen aller Art geschmückt; der erste Grundstein ist ein Jaspis, der zweite ein Saphir, der dritte ein Chalzedon, der vierte ein Smaragd, der fünfte ein Sardonyx, der sechste ein Sardion, der siebte ein Chrysolith, der achte ein Beryll, der neunte ein Topas, der zehnte ein Chrysopras, der elfte ein Hyazinth, der zwölfte ein Amethyst. Die zwölf Tore sind zwölf Perlen; jedes der Tore besteht aus einer einzigen Perle. Die Straße der Stadt ist aus reinem Gold, wie aus klarem Glas. Und die Könige der Erde werden ihre Pracht in die Stadt bringen. Und man wird die Pracht und die Kostbarkeiten der Völker in die Stadt bringen.

Jetzt komme ich nach längerer Pause mal wieder dazu, einen Blick in Metalzeitschriften zu werfen. Da schlage ich also die Legacy #78 auf (ab morgen ist schon die nächste Ausgabe am Kiosk…). Wenig überraschend geht es in der Kreator-Titelstory mit Religionskritik los. Mille:

Grauenhaft, daß es im Jahr 2012 noch Religion gibt. …wenn gesagt wird: Du hast eine andere Religion, wir müssen jetzt gegeneinander Krieg führen. Ohne Religion wäre nicht alles besser, aber auch politisch auf einer anderen Funktionsebene, man könnte woanders ansetzen. Stattdessen rennt man weiter Hirngespinnsten hinterher, die gute Geschichten für Hollywood abgeben.

So weit, so gut, so mainstreamig. Aber es geht weiter, und für den Außenstehenden wohl durchaus überraschend:

Die Jesus-Geschichte ist großartig und eine wichtige Inspirationsquelle. Ich habe in der Bibel schon viele Textideen gefunden und mag auch die Metaphorik. Aber das Buch für bare Münze zu nehmen, danach zu leben und es als Anstoßr für Krieg, Mord und Totschlag zu nehmen, ist überholt. Der Untergang der Welt bedeutet für mich ein Umdenken: Das Denken, welches die jetzigen Probleme erzeugt, muß weg.

Für den Außenstehenden mag das vielleicht sogar wirr klingen. Einerseits findet er die Bibel total toll, andererseits lehnt er sie als Lebenshilfe völlig ab. Nicht sonderlich nachvollziehbar. Und dann interpretiert er die Apokalyptik auch noch genau so, wie sie die Apokalyptik selbst versteht, sieht darin aber einen Widerspruch zum christlichen Verständnis der biblischen Apokalyptik. Ein Wirrkopf? Ne, ganz im Gegenteil, wirr ist das, was er kritisiert. Und da bin ich ganz auf seiner Seite: Politischer Mißbrauch der Religion, der sie pervertiert. Schönen Gruß von Slayer. Dann hat er offenbar ein Problem mit einem einseitigen Biblizismus, der selbst die metaphernreiche Bildsprache der Apokalyptik als Drehbuch für den Weltuntergang mißversteht. Bin ich ebenfalls voll auf seiner Wellenlänge. Und daß das Denken, das die jetzigen Probleme erzeugt, weg muß, schreibe ich ja schon lange. Nur daß ich die Ursache nicht in der Religion an sich sehe, sondern in ihrer Perversion, während er die Perversion gerade nicht als Perversion, sondern als Normalzustand der Religion ansieht. Und wie sehr sich seine Interpretation von Religion (und Politik) von meiner unterscheidet, wird in der folgenden Passage deutlich, die wieder völlig wirr wirkt, wenn man die unterschiedliche Begriffsverwendung nicht berücksichtigt:

Es geht immer um Angst, auch bei den ganzen Antichristen, die in letzter Zeit von den Regierungen und Medien propagiert wurden. Wie Osama bin Laden. Wenn man ihn gefangen genommen und dazu befragt hätte, wie er den 11. September 2001 geplant hat, hätte man mehr Einblick in die Struktur des Terrorismus als solchen gehabt, als wenn man ihm einen Kopfschuß verpaßt und ihn aus angeblich religiösen Gründen im Meer versenkt. Obwohl es in der muslimischen Kultur meines Wissens nach keine Seebestattung gibt. Man fragt sich: Kannte man den Typen wirklich? Dadurch bin ich auf den Titel [Phantom Antichrist] gekommen, Religion benutzt Angst und Schrecken, um Menschen zu manipulieren, egal, in welche Richtung.

Wie gesagt, wenn man hier streng zwischen Religion an sich und Politik scheiden würde, dann ergäbe die ganze Passage keinen Sinn. Setzt man hingegen voraus, daß Religion nur der Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen dient, mithin selbst Politik ist, ergibt die Passage plötzlich Sinn (auch wenn immer noch das „aus angeblich religiösen Gründen“ bleibt und die ganze Interpretation von Religion in Frage stellt, aber für Mille ergibt das so Sinn, und man kann ihn nachvollziehen, auch wenn man ihn nicht teilt.) Auch in weiteren Passagen wird der vorausgesetzte Biblizismus deutlich, etwa wenn da was von „man darf sich als Christ kein Bild von Gott machen“ (Hä? Schonmal ’n Kruzifix gesehen?) „aber die Ängste auf den Antichristen projizieren“ (Angst ist nicht sonderlich christlich) steht. Trotzdem hat Mille „Respekt vor Leuten, die glauben, und es soll jeder für sich damit glücklich werden, was er für richtig empfindet“ – naja, so kann man dann aber auch nicht mehr über richtig und falsch diskutieren. Und dann fängt er wieder übergangslos mit Politik und Machttechniken an:

Wer meint, an Gott oder Allah glauben zu müssen, soll das tun. Für micht ist das überholt, ebenso dieses Formen von Feindbildern. Wie heißt dieser Typ, der jetzt per Internet gejagt wird – Kony? Das war auch so aufgemacht, mit einem Vater, der seinem Sohn ständig Bilder von Kony zeigt. Das ist ein Werkzeug, welches von Christen oft genutzt wird, dieses Einteilen in Gut und Böse. Es gibt nichts dazwischen, alles ist nur schwarz oder weiß.

Also, wenn er das für Christentum hält, dann kann ich die Ablehnung durchaus verstehen. Was er beschreibt, lehne ich auch ab, und ich müßte schon einen sehr abstrusen Ausschnitt der Blogoezese konsumieren, wenn ich damit alleine dastehen sollte. Allerdings ist das Schwarz-Weiß-Denken keineswegs ein besonders auf Christen beschränktes Phänomen. Das können die Atheisten mindestens genauso gut.

Doch dann wird die Differenzierung plötzlich deutlicher, offenbar unterscheidet er zwischen Religion (und ihren Organisationsformen) und dem Glauben des einzelnen:

Da muß man ganz vorsichtig sein, denn der Glaube ist grundsätzlich nicht schlecht. Das Götzentum zerstört ihn. [Boah ey! Was würde ich dafür geben, diesen Satz aus einem Theologenmunde zu hören!] Ich glaube auch an die Kraft der Musik. Wenn man eine positive Grundeinstellung hat, kommt man viel weiter als mit einer negativen. Das würde den christlichen Glauben ausmachen, wenn er denn mal richtig gelbt würde. [Aber hallo! Wie wäre es denn mal mit einer Podiumsdiskussion: Papst und Mille gegen ZdK und Memorandisten?] Gerade der [vom Interviewer] angesprochene Text [„Your Heaven My Hell“] ist eine Fiktion, der eine Mißbrauchsthematuik zugrundeliegt.

Das einzige, was mir wirklich nicht in den Kopf will, steht ein paar Zeilen danach:

Am unglaubwürdigsten ist für mich die Androhung des jüngsten Gerichts. Wenn man dessen Grundlage als Hirngespinnst abtut, kann man diskutieren. Sonst dreht man sich im Kreis, wie seit Jahrhunderten.

Ok, ich verstehe, daß er Religion und Politik zumindest strukturell gleichsetzt und damit die Botschaft vom Jüngsten Gericht eine „Drohbotschaft“ ist, die Furcht und infolgedessen Gehorsam verbreiten soll. Daß er daher damit nicht viel anfangen kann, ok. Warum man aber dessen Grundlage, also den Gottesglauben, den Glauben an die Wiederkunft Christi und damit auch die Hoffnung auf das Jüngste Gericht gerade für die Opfer, gerade für die Mißbrauchten wie eben den Protagonisten von „Your Heaven My Hell“ aufgeben sollen muß, nur um überhaupt mit ihm diskutieren zu können, bleibt mir ein Rätsel. (Update: Ich beginne zu verstehen. Möglicherweise meint er: Solange der Gegenüber noch mit dem Jüngsten Gericht droht, kann er mich jederzeit aus der Diskussion kicken. Ok, könnte ich nachvollziehen. Den Eindruck bekommt man nämlich auch, wenn man sich in nicht nur rein apologetischer Absicht mit Satanismus beschäftigt, denn dann heißt es, man sei wohl schon selbst „okkult belastet“ und ist raus aus der Diskussion…)

Danach geht es zur Abwechslung mal um die Musik, erst am Ende kommt der Artikel auf Politik zurück. Nachdem Mille zu demokratischem Engagement, zu konstruktiver Mitarbeit, um etwas zu ändern, zur Teilnahme an Demonstrationen (Yo, mach ich: 22. September! Berlin!) aufgerufen hat, fragt der Interviewer danach, was er denn von Gaucks „Freiheitsjargon“ halten würde. Und nach nur wenigen Zeilen sind sie wieder bei Religion:

So gesehen müßte Mille der neue Bundespräsident Gauck mit seinem Freiheitsjargon gefallen. „Ich vertraue Politikern nicht unbedingt. Politiker muß es geben, aber ich habe noch keinen Supersympathen gefunden. Ich weiß, daß es Menschen sind und sie Fehler machen, das sind keine Supermenschen. Ihnen den Schlüssel zur Rettung zu übergeben, ist naiv.“ Jülle hat sein erstes Drumkit größtenteils durch sein Konfirmationsgeld finanziert. Milles Kooperation mit dem heutigen „Feind“ war sogar noch intensiver. „Ich war jahrelang Meßdiener, ich kenne den Quatsch. Religionskritik ist immer super einfach und sehr Metal, fast jeder Metaller kann sich damit identifizieren. Ich kenne diese Strukturen und weiß, was in der Kirche passiert. Für mich war es auch ein Lernprozeß, Meßdiener zu sein und zu erfahren, was organisierte Religion eigentlich ist. Das ist Götzentum, wie ein Schauspiel. Der Pfarrer ist der Leadsänger, und die Meßdiener stehen daneben. Der Name sagt alles, man ist Diener. Das zeigt die hierarchische Sturktur der katholischen Kirche. Es gibt einen da oben, den beten alle an. Dann gibt es den Priester als Vermittler, und der Rest sind Diener. Das ist für mich falsch.

So ganz verstanden haben kann er das ja nicht, denn dann wüßte er, daß der Priester auch nur Diener ist, und eigentlich sogar mehr Diener als „das Volk“, nämlich der Diener der Diener Gottes. Aber interessant finde ich ja die Bezeichnung des Priesters als Leadsänger. Setze stattdessen Animateur oder Alleinunterhalter, und willkommen, Mille, bei kath.net.

Kann denn aus Freiburg etwas Gutes kommen? Es kann. Über die Freiburgbärin bin ich auf das 33tägige Gebet für die Ungeborenen gestoßen — und infolgedessen auf den „Babyrosenkranz„.

An und für sich stehe ich solchen „Umnutzungen“ des Rosenkranzes etwas skeptisch gegenüber, aber das ist vielleicht mein persönliches Problem. In diesem Fall war das anders — nachdem mein Blick auf die Texte gefallen ist. Wer nur ein kleines bißchen apokalyptisches Blut in seinen Adern zu fließen hat, der kann gar nicht anders, als den „Babyrosenkranz“ sofort loszubeten. Die am meisten ins Auge stechende Stelle habe ich bereits in den Titel gepackt. Mt 27,25 ist m.E. eine der unterschätztesten und fälschlich schlecht beleumundesten Stellen des NTs, denn hier steckt eine unglaubliche Tiefe drin, die hier ins Gebet gegossen wird. Aber auch die anderen Stellen haben’s in sich: „Weint nicht über mich, sondern über euch und eure Kinder.“ (Lk 23,28) „Die Rettung kommt von unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und vom Lamm.“ (Offb 7,10).

Also: Jeder, der (wie ich) einen kleinen Apokalyptiker in sich beherbergt, schnell mal rüber.

Die Braut des Lammes hatte recht. Das Omen ist um einiges besser als der Exorzist, zumindest der erste Teil. Mir ging es so, daß ich mich die ganze Zeit des Filmes in der Sicherheit wiegte, daß Damien der Antichrist ist und der Vater Thorn doch endlich mal die Augen für die Realität öffnen solle.

Und dann versucht er am Ende tatsächlich, seinen Sohn zu töten und wird bei diesem Versuch von der Polizei erschossen. Hat das Böse also gewonnen. Hat es das? Die nächsten vier, fünf Sätze stellen alles in Frage, was ich in den vorangehenden anderthalb Stunden für „die Wahrheit[tm]“ gehalten hatte. Vielleicht waren die ganzen Todesfälle ja tatsächlich bloß Unglücksfälle. Jeder für sich war es jedenfalls, auch wenn sie stellenweise ziemlich kuriose Umstände hatten (siehe Video, aber bitte erst ab 16 Jahren).

Vielleicht war Robert Thorn über diese ganzen Todesfälle tatsächlich wahnsinnig geworden? Wer kann „der Welt[tm]“ verdenken, daß sie genau das meint? Das einzige harte Faktum ist das Muttermal in Form der drei Sechsen, und wie genau kann man das denn auf dem Hinterkopf unter den Haaren erkennen? Vielleicht doch alles nur Täuschung? Aber dann die Schlußszene: Damien ist genau dort gelandet, wo er laut Prophezeiung herkommen soll: im Zentrum der Macht. Der US-Präsident hat sich des Kindes seines ehemaligen Botschafters angenommen.

Hier kann man wirklich etwas über das Wesen des Bösen lernen: Es versteckt sich hinter scheinbaren Zufällen, hinter Ereignissen, die jedes für sich alles andere als eindeutig sind, bedient sich vieler unwissender Handlanger, und die wissenden Handlanger sind kaum von den unwissenden oder gar den Unbeteiligten zu unterscheiden, ja, die Polizisten, die Robert Thorn in Nothilfe erschießen, sind sogar der Meinung, dadurch dem Guten zu dienen. Der Film zeigt, wie das Böse in eine scheinbare Idylle einbricht, zugleich aber fast nie unter seinem eigenen Namen erscheint und sogar den täuschen kann, der es als das erkannt zu haben meint, was es ist – in diesem Fall den Zuschauer. Eine grandiose Geschichte, die man gesehen haben muß! (Und, wo ich mir gerade das Video nochmal angeguckt habe, grandiose Bilder! Der Film braucht eigentlich kaum Text!)

Dagegen ist der zweite Teil eigentlich nicht der Rede wert. Er ist ein Splatterfilm, noch dazu ein schlechter (insbesondere, wenn man die Bilder mit dem ersten vergleicht). Ok, man kann einem Film von 1978 nicht vorwerfen, daß er nicht über die technischen Möglichkeiten von heute verfügt und die Splatterszenen heute eher ein amüsiertes Lächeln hervorrufen. Sehr wohl kann man ihm aber vorwerfen, die Szenen nur lose verbunden aneinandergereiht zu haben, ohne eine Geschichte zu erzählen, und auf der einen Seite voyeuristisch Splatter und Gore zeigen zu wollen (und dafür auf Spannung und Dramatik zu verzichten), es dann aber nicht durchzuziehen. Das eigentliche Thema des Filmes hätte das „Coming of Age“ des Antichrist sein müssen. Das spielt er aber nicht einmal ansatzweise in der psychischen Dynamik aus, die nötig gewesen wäre, um den Film fesselnd zu machen: Damien liest Offb 13, entdeckt sein Muttermal, rennt an den See, brüllt: „Why me?!“ und ist ab da der seiner selbst bewußte Antichrist, der sich als Serienkiller betätigt. Na super. Das einzig Übernatürliche an diesem Film ist, daß Damien nie Hand anlegen muß.

Was mich an beiden Filmen stört, ist die Ängstlichkeit, ja geradezu Panik, mit der diejenigen handeln, die Damien als den Antichrist erkannt haben (mit Ausnahme von Vater und Onkel Thorn sowie der Nebenrolle des Exorzisten Carl Bugenhagen). Während das im ersten Teil noch halbwegs stimmig ist, handelt es sich doch in einem Fall um einen Priester, der jahrelang dem Teufel gedient hat und sich nicht vorstellen kann, daß Christus ihm das vergeben könne, und im anderen um einen Journalisten, der christliche Symbole dann in einem magischen-abergläubigen Mißverständnis wenig erfolgreich zu seinem Schutz verwendet, aber nicht wirklich glaubt, ist das ganze im zweiten Film nur noch Klischee, dem man allenfalls zugute halten kann, daß auf diese Weise diejenigen, die Damien als den Antichristen erkannt haben, von vorne bis hinten als durchgeknallte religiöse Fanatiker erscheinen. Oh, wo ich’s jetzt genauer betrachte, ist dieses Klischee also tatsächlich die einzige Komplexität des Filmes…

Nunja, im Netz habe ich gelesen, der dritte solle noch schwächer, und der vierte eigentlich nichts mehr mit dem Original zu tun haben. Lohnt es sich wohl, sich die anzutun?

Da ich mich ja nicht mehr aufregen will, muß ich mir andere Themen zum Bloggen suchen. Zugleich fehlt mir aber (noch?) die Zeit, das ursprünglich hinter der Namenswahl des Blogs stehende Anliegen wieder auszugraben. Daher ziehe ich mich erstmal auf bereits Durchdachtes zurück, das ich mehr oder weniger aus dem Ärmel schütteln kann. In der nächsten Zeit wird es, soweit ich dazu komme, also eine kleine Serie über meine Metal-Leidenschaft geben.

Den Auftakt macht, zwangsläufig, mein persönlicher Zugang, denn das ist die Brille, durch die all das Folgende (vor allem auch kritisch!) zu lesen sein wird. Natürlich gibt es Abstoßendes, Blasphemisches, Satanistisches im Metal, das auch zuerst ins Auge springt. Aber wer beim ersten Blick stehen bleibt, sich nicht darüber hinausgehend mit der Musik und der sie deutenden sozialen Praxis auseinandersetzt und auf dieser Grundlage den Metal als bestenfalls belanglos, vielleicht sogar gefährlich abtut, bleibt auf der bewußt provozierenden und irritierenden Oberfläche stehen und wird dem Metal nicht gerecht. Ist natürlich jedermans gutes Recht, auch wenn man das als selbstverschuldete Unmündigkeit kritisieren könnte und eventuell daraus resultierende Äußerungen über den Metal aller Wahrscheinlichkeit nur die Vorurteile unter Metallern bestätigen, Christen seien oberflächlich und dumm, weil sie autoritätshörig anderen für sich das Denken überlassen. (Allerdings vertrete ich die Auffassung, daß der Metal solche Leute braucht, um „gefährlich“ zu wirken. Das Schlimmste wäre, wenn ihn alle gut und toll fänden, denn dann wäre er tatsächlich belanglos, aber das nur am Rande.)

Wie auch immer, ich bin nicht neutral gegenüber dem Metal eingestellt, ganz im Gegenteil, denn er hat nicht nur wesentliche Bedeutung für meinen Lebens-, sondern auch und vor allem für meinen Glaubensweg erlangt. Ein Bekannter äußerte letztens, in unserem Alter gäbe es doch keine Gläubigen, die keine grundstürzende Bekehrung hinter sich hätten, oder kennte ich denn einen, der durch die normale Pastoral gläubig geworden sei? Nunja, im ersten Moment mußte ich widersprechen, da ich selbst eigentlich kein besonderes Bekehrungserlebnis zum Glauben hatte, es war ein langer Prozeß, der zumindest nach außen hin doch recht geradlinig wirken dürfte; jedenfalls blieb er ohne einen echten Bruch.

Bei genauerer Betrachtung war aber mein Erstkontakt mit dem Metal eine Art Bekehrung. Vorher habe ich alle Vorurteile über den Metal, die man sich nur vorstellen kann, geteilt. Satanistischer Krach ohne jeden musikalischen Anspruch. Tja, die schärfsten Kritiker der Elche waren eben früher selber welche. Dummerweise spukten (vor allem Schlagzeug-) Riffs in meinem Kopf umher, die ich noch nirgendwo in der (Mainstream-) Musik wiedergefunden hatte. Insofern war ich also auf der Suche. Ich kann mich noch erinnern, wie während einer Messe, in der ich ministrierte, ausgerechnet während der Wandlung plötzlich ein solches Riff mein Hirn durchzuckte. Was ich damals mit schlechtem Gewissen als Unaufmerksamkeit deutete, erscheint mir heute eher als göttliche Eingebung in Vorbereitung späterer Ereignisse.

Jedenfalls stieß ich dann (noch dazu ausgerechnet im schulischen Musikunterricht 🙂 völlig unvorbereitet auf Metal ohne zu wissen, daß es sich um selbigen handelte, namentlich auf „Enter Sandman“ von Metallica. Und war völlig weggeblasen. Damals kannte ich zwar den Begriff noch nicht, aber das war ein Kairos. Das war die Musik, die mir schon immer im Kopf rumspukte, ohne daß ich sie jemals (bewußt) gehört hätte (keine Ahnung, ob da meine älteren Geschwister unbewußte Grundlagen gelegt haben; ist nicht auszuschließen, und es kam mir noch Jahre später so vor, als ob ich manche Musik nicht zum ersten Mal hörte, obwohl ich sie mir gerade erst gekauft hatte). Die Schöhnheit und Erhabenheit dieser Musik war so endg**l, daß das Verlangen nach ihr stärker war als die Vorbehalte. Selbige zerstreuten sich auch zunehmend, denn wer bei Metallica oder Blind Guardian (die ich als zweites ins Herz schloß) antichristliche oder blasphemische Texte findet, sage mir bitte Bescheid. (Ok, und dann unterhalten wir uns über James Hetfields Hintergrund, nämlich daß seine Eltern Christian Scientists waren, die durch ihre Ablehnung medizinischer Behandlung qualvolle Tode starben und entsprechende Eindrücke bei Hetfield hinterließen, deren Verarbeitung Songtexte wie „The God that Failed“ hervorbrachten. Und ja, Blind Guardian hießen mal Lucifer’s Heritage, aber das war’s auch schon. Keinerlei Einfluß auf das weitere Wirken, und — kleiner Vorgriff — einen solchen Bandnamen kann man ja auch so oder so verstehen… Jedenfalls sind sich Metaller der conditio humana in der Regel sehr bewußt.)

Aber ich schweife ab. Ohne dieses „Bekehrungserlebnis“ stünde ich heute nicht dort, wo ich stehe. Was ich nun definitiv vom Metal gelernt habe, ist für die eigenen Ansichten auch einzustehen, selbst wenn sie noch so unpopulär sind. Ich habe zwar nie die Anliegen des Kirchenvolksbegehrens geteilt, war aber von entsprechender Denke zumindest so weit infiziert, als ich lieber die Klappe gehalten oder gar mit den Wölfen geheult habe, als anzuecken. Zudem ging mein immer tieferer Einstieg in den Metal mit einem ziemlichen Wachstum im Glauben einher (und das nicht nur wegen des parallelen Theologiestudiums). Metal und Glaube warfen Fragen auf, die eine Lösung brauchten, sich gegenseitig verstärken und so zu einem tieferen Eindringen in beides führten. Auch weiß ich nicht, wie ich den Kontakt mit Hardcore-Freikirchlern verkraftet hätte, die ganz offen den Papst für den Antichristen hielten, Katholiken für Teufelsanbeter usw. Dort für eine klare Position einzustehen, war jedenfalls von Vorteil.

Schließlich kamen noch eine erkleckliche Anzahl Priesteramtskandidaten hinzu, die ebenfalls Metal hörten. Und das waren nicht gerade die liberalsten. Einer davon ist inzwischen Kartäuser. Lange Rede, kurzer Sinn: Bei all den bleibenden Schwierigkeiten mit gewissen Erscheinungsformen, insbesondere in den extremeren Subgenres, verdichtete sich in mir der Eindruck, daß es ein verbindendes Band zwischen Metal und Christentum gibt, und zwar gerade mit dem eher konservativen, aus dem die größten Kritiker des Metals stammen.

Dieser Frage nachzugehen ergab sich dann die Möglichkeit nach meinem Diplom in Form einer Doktorarbeit (die, so Gott will, nächstes Jahr auch endlich gedruckt vorliegt). Die weiteren Beiträge werden im wesentlichen auf selbiger beruhen und infolgedessen auch etwas objektiver daherkommen. Ein kleiner Vorgriff (weil ich mich erstmal der Musik widmen will und nicht weiß, wie weit ich komme): Die Verbindung liegt in der Frage nach dem Bösen, genauer in der Frage nach dem praktischen Umgang mit Erfahrungen des Bösen, sowohl aus Täter als auch aus Opfersicht. Und die Antwort(tendenz) des Metals geht nicht gerade in Richtung „wir müssen uns nur einfach alle lieb haben, und Gott leidet ja mit uns“…