Cyberpunk

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Daniel Suarez: Darknet; Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2011. 474 Seiten.

Es ist eher selten, daß eine Fortsetzung besser ist, als der Vorgänger. Darknet, oder treffender: Freedom, wie der Originaltitel lautet, ist in meinen Augen ein solcher Fall. Maßgeblich dafür ist allerdings, daß Darknet ein völlig anderes Buch als Daemon ist. Hier geht es noch weniger ums Hacken, obwohl der Daemon bzw. das von ihm errichtete weltweite, verschlüsselte, drahtlose Darknet die Hauptrolle spielt.

Während Daemon eher aus der Perspektive von Individuen und ihrer Geschichte/Rolle mit/im Daemon/Darknet geschrieben ist, ist Darknet eher ein soziologisches Buch. Es geht um die Idee eines „besseren“, sozialeren Internets ohne die bösen Wirtschaftsgiganten, vor allem aber dessen befreiende Wirkung auf die Realität, die von raffgierigen „Corporations“, machtlosen Regierungen und ressourcenverbrauchendem, umweltzerstörendem Materialismus befreit werden muß.

So schwarz-weiß und platt, wie ein solcher Plot umgesetzt werden könnte, ist Darknet aber glücklicherweise nicht. Auch wenn Suarez zentrale Gedanken ganz offensichtlich der Globalisierungskritik und dem Kommunitarismus verdankt, arbeitet er auch die Ambivalenz menschlicher Freiheit und die Grenzen heraus. Der Superschurke auf Seiten der alten Ordnung hat ein ihm in Grausamkeit, Gewissenlosigkeit und Brutalität in nichts nachstehenden Gegner auf Seiten des Daemons. Doch genau auf diesen Schurken ist das Darknet aber zu seinem Schutz angewiesen. Durch die Art, wie dieser Schurke die Ressourcen des Darknets einsetzt, wird auch deutlich, daß die Technik selbst ambivalent ist und zu Gutem wie zu Bösem verwendet werden kann. Daher dreht sich ein Großteil des Buches um die Frage, ob die Menschheit überhaupt Freiheit verdient. Wäre es nicht besser, sie unter einem zwar gutwilligen, nicht kompromittierbaren Daemon — man könnte auch sagen: Leviathan — zu versklaven?

Die in der Grundkonstellation angelegte Positionierung des Autors bleibt dennoch erkennbar: Autarke regionale Wirtschaften, regenerative Energiequellen (koste es, was es wolle, das sei alles wirtschaftlich, wenn man denn die Kosten der Nicht-Nachhaltigkeit bisheriger Techniken einrechne), dezentrale (Selbst-)Steuerung der Communitys (Basisdemokratie) und ihrer Produktionskette über das Darknet statt großer Staaten und Firmen. Hier liegt auch die Schwäche des Ansatzes: Die meisten Menschen seien gut, bedeutet hier nicht (nur), sie seien prinzipiell guten Willens, aber korrumpierbar, sondern daß sie mit Hilfe des Daemons/Darknets auch tatsächlich gut handelten. So fällt auf, daß es keinerlei Konflikte innerhalb oder zwischen den Darknetcommunitys zu geben scheint. Wir haben uns einfach alle irgendwie halbwegs lieb — oder: Wer versucht, die Regeln zum eigenen Vorteil auszunutzen, wird über das Darknet bestraft werden. Insofern bleibt am Ende auch offen, ob sich die Menschheit Freiheit verdient hat oder doch unter die (durchaus ganz angenehm erscheindende) Diktatur des Daemons gerät, denn wer hier wen steuert, bleibt am Ende offen: Der Daemon die Menschen oder die Menschen den Daemon. Oder vielleicht die Menschen die Menschen mit Hilfe des Daemon?

Daniel Suarez: Daemon. Die Welt ist nur ein Spiel; Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2010. 622 Seiten.

Mathew Sobol, schwerreiches Computergenie und Chef einer erfolgreichen Online-Spiele-Firma, stirbt an einem Gehirntumor. Die Nachricht seines Todes löst über das Internet andere Ereignisse aus. Ein Daemon — in UNIX-Betriebssystemen ein im dauerhaft im Hintergrund laufendes Programm, das auf bestimmte Auslöser hin bestimmte Prozeduren auslöst — ist redundant im Internet verteilt und ganz offensichtlich von Sobol selbst dort plaziert worden. Die ersten Aktionen, die der Daemon nach Erfassen der Todesnachricht Sobols auslöst, sind Morde an Chefentwicklern von Sobols Unternehmen, die vermutlich zuviel von der Programmierung des Daemons wußten. Es beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, denn während die MMORPG-unerfahrenen Cops und Feds nicht den leisesten Schimmer haben, womit sie es hier zu tun haben, wirbt der Daemon über Sobols Computerspiele Hacker, die trotz hoher Computerkenntnisse auf der Verliererseite der Gesellschaft stehen, und andere Menschen, die nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen haben, an, verschafft sich Geldquellen, aus denen er seine teuren „Augen“, „Ohren“ und „Hände“ in der realen Welt finanzieren kann, und beginnt, ein riesiges Unternehmen zur Umstrukturierung der Gesellschaft aufzubauen — kurz: er wird mit jeder Sekunde mächtiger.

Ich bin an das Buch mit der Erwartung herangegangen, es sei ein Cyberpunk-Roman. Am Anfang wurde diese Erwartung auch im wesentlichen bestätigt, zumindest ist der erste Teil ein Hacker-Roman, in dem mit Wissen und Können die Technik auszutricksen ist. Dieser erste, knapp das halbe Buch umfassende Teil ist spannend, in sich geschlossen und endet mit einem würdigen Abschlußsatz, der die ganze vorherige Geschichte nochmal in einem anderen Licht erscheinen läßt.

In diesem ersten Teil wird auch die Grundidee des Buches entfaltet, für die es zurecht landauf, landab gelobt wird. Denn was dort beschrieben und entwickelt wird, ist eigentlich keine Science Fiction. Zwar bezieht das Buch viele Grundmotive aus dem Cyberpunk-Genre, Teile der Grundkonstellation ähnelen sogar so stark der Neuromancer-Trilogie (genauer: Count Zero; wesentlicher Unterschied: Joseph Virek vegetiert noch vor sich hin, Mathew Sobol ist schon tot), daß ich nach 200 Seiten schon fast keine Lust mehr hatte weiterzulesen. Der wesentliche Unterschied liegt aber darin: Als William Gibson von Cyberspace und Matrix schrieb, war das Internet noch eine technisch aufwendige Idee, und was in seinen Büchern dort geschieht, war tatsächlich Science Fiction (und ist es größtenteils bis heute). Was Suarez beschreibt, ist technisch keine große Schwierigkeit, es bräuchte tatsächlich nur jemanden, der es sich leisten kann, und auch dort bleibt Suarez durchaus im Rahmen des Möglichen. Und das ist das eigentlich Erschreckende des Buches: Daß es bewußt macht, was technisch bereits Realität sein könnte, ohne daß wir es merken.

Leider konnte Suarez nicht der Versuchung widerstehen, die Geschichte weiterzuschreiben — mit je etwa halbjährigen Sprüngen schließen sich zwei weitere Teile an, in denen es immer weniger um die Technik und ums Austricksen derselben durch Hacken geht, sondern um die klassische Action-Thriller-Konstellation: Die gute Seite versucht die böse Seite aufzuhalten. Dabei fehlt es nicht nur am Hacking, das (nur) noch am Rande vorkommt, weil es sich in der Anti-Daemon-Task-Force wohl nicht ganz vermeiden läßt, sondern Daemon gipfelt in einer gigantischen Materialschlacht, in der nur noch ein einziger Clou steckt, nämlich daß sich eine der beiden Parteien als in sich gespalten entpuppt und damit eine dritte Partei zwischen Daemon und Regierung auftaucht. Daran ist aber nichts mehr „tricky“, nur noch Action.

Hinzu kommen zu viele parallele Storylines, die mitunter zu lange nicht weitergeführt werden, so daß Figuren, wie Anji Anderson und Brian Gragg, die im ersten Teil eine zentrale Rolle spielten, in den weiteren Teilen nur noch am Rande vorkommen, aber keine eigenständige Entwicklung mehr durchschreiten, und ihre Funktion für die Geschichte übernehmen andere, neu eingeführte Figuren. Man könnte dies als die Austauschbarkeit der Personen für den Daemon interpretieren, aber wenn Brian Gragg, eine der zentralen Figuren für einen Handlungsstrang des ersten Teils, am Ende plötzlich als einer der mächtigsten Agenten des Daemons auftritt, ohne daß sein Weg dorthin eine Rolle gespielt hätte, dann funktioniert diese Interpretation nicht mehr.

Auch fehlt mir die Ambivalenz sowohl der Technik als auch der Charaktere. Während bei Gibson & Co die Helden nur ein kleines bißchen weniger verrückt sind als die ihrerseits auch nicht eindeutig bösen „Schurken“ (die vielleicht einfach bloß eine kleine Dosis mehr des um sich greifenden Wahnsinns abbekommen haben), wird bei Suarez, je näher man dem Ende kommt, immer deutlicher, daß auch der Daemon selbst in ein Schwarz-Weiß-Schema gepreßt wird, das durch die Spaltung der einen Gruppe nur noch deutlicher statt ambivalent wird. Der Leser ist am Ende geradzu versucht, den verbliebenen Teil der einen Gruppe plötzlich ihrem ursprünglichen Gegner zuzuschlagen, was nicht nur an dem unumgänglichen Seitenwechsel einer Hauptfigur liegt.

Während der erste Teil also ein absoluter Brecher ist, wurde mir im zweiten und dritten Teil stellenweise sogar langweilig. Vielleicht ist meine Erwartungshaltung „Cyberpunk“ fehlerhaft gewesen (die zum Teil als Verneigungen vor dem Genre zu verstehenden Referenzen sind aber überdeutlich, etwa vor „Snow Crash“, wenn im letzten Kapitel des Buches völlig irrelevant für die Handlung Mythologie und Poetik als informatischer Code interpretiert werden). Das Augenöffnende des ersten Teils aber läßt auch den Rest des Buches flüssig lesen. Und wer nicht so sehr auf Hacking und Cyberpunk steht, wird vielleicht zum genau entgegengesetzen Urteil kommen.

Je länger ich über die Frage nach dem Ursprung der Nicknameverwendung im Internet nachgedacht habe, desto deutlicher wurde mir, wieviele verschiedene Aspekte zu dieser Frage gehören, daß es letztlich tatsächlich um die Frage geht, was das Internet eigentlich ist, und daß diejenigen, die hier klare Identität fordern, Pseudonymität als Anonymität verunglimpfen, Blogger für gefährlich halten und durch Enttarnung ruhig zu stellen versuchen, schlicht und ergreifend das Internet nicht verstanden haben. Das soll kein Vorwurf sein, denn wer damit nicht groß geworden ist, hat es mit Sicherheit schwerer, das Neue am Internet als neu zu begreifen. Vielmehr wird er versuchen, das neue Medium in sein bestehendes Wissen der existierenden Medien einzugliedern, so daß er nur das am Internet erkennen kann, was er von bestehenden Medien bereits kennt.

Aber ich will nicht vorgreifen, der Gedankengang setzt nochmal zwei Ebenen und zwei Jahrzehnte früher an, und zwar bei Theorien und Entwicklungen, die tatsächlich problematisch sind. In der Frühzeit des WWW (die nicht identisch ist mit der des Internets, sondern nur mit dem Beginn dessen massenhafter Verbreitung) gab es Vorstellungen, die aus theologischer Perspektive nur als Erlösungslehren verstanden werden können, nämlich als Erlösung vom eigenen Ich, von der eigenen Identität mit all ihren Diskrepanzen, biographischen Brüchen etc. Der Avatar im Internet hatte keine Geschichte und konnte sich daher seine Identität komplett selbst schaffen, der Nutzer sich virtuell neu schaffen. Anstatt sich der eigenen Schwäche zu stellen, war die Hoffnung, durch noch mehr „Selbermachen“ sich von dieser Schwäche zu befreien. Diese Theorien sind aus theologischer Perspektive mit Sicherheit nicht unproblematisch, um es mal vorsichtig auszudrücken. Eine Wiederentdeckung der Buße und die Anerkenntnis der eigenen Schwäche wäre zwar die unangenehmere, aber erfolgversprechendere Variante gewesen.

Nun habe ich mich damals für Metatheorien des Internets noch nicht interessiert, ich habe es einfach genutzt. Insofern ist mein Urteil aus der Rückschau auf das Scheitern dieser Hoffnungen natürlich wohlfeil, dennoch kann ich mich angesichts des ganzen Cyberpunkgenres und der starken Prägung der Hacker-, Nerds- und Geeksszene durch dieses Genre (massenkompatibel in der Matrixtrilogie verarbeitet) nicht des Eindrucks erwehren, daß schon damals diese Hoffnungen nicht von der Masse der Internetnutzer (damals eben noch die Hacker, Geeks und Nerds, der Rest war dünn gesäht) geteilt wurde. Denn Cyberpunk ist (post-)apokalyptisch und fortschrittsskeptisch. Sicherlich besteht auch ein starkes Interesse an den technischen Möglichkeiten, jedoch immer vor dem Hintergrund, daß mißbraucht werden wird, was mißbraucht werden kann. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, daß die gescheiterten Figuren, die als Helden die Cyberpunkromane bevölkern, die Hoffnung auf ein besseres Leben durch das Internet und die Trennung des Menschen von seiner körperlichen „Wetware“ stützen können. Im Gegenteil.

Und damit sind wir bei der anderen, mitunter paranoiden, aber nichtsdestoweniger realitätsrelevanten und meines Erachtens gewichtigeren Quelle für die Nutzung von Nickname-Pseudonymen im Internet, nämlich dem Schutz der Privatsphäre vor dem Datenmißbrauch durch weniger freundlich gesinnte Zeitgenossen. Daß diese Befürchtungen nicht völlig aus der Luft gegriffen sind, zeigen die unzähligen Phishing-Seiten, Keylogger und Trojaner. Heute kennt man sich damit ja leidlich aus, aber immer noch gibt es immer wieder neue Tricks zum (teilweisen) Identitätsdiebstahls. Daß hier die Gefahr vor allem von wirtschaftlichen und weniger staatlichen Interessen ausgeht, ist auf dem Hintergrund des Cyberpunks im Gegensatz zur klassischen (und durchaus immer noch gegebenen) Gefahr durch den Überwachungsstaat durchaus ein spannendes Detail, denn ein wesentliches Element des Cyberpunks ist die Macht der großen Wirtschaftsunternehmen, die letztlich die Weltgeschichte lenken.

In diesem Kontext sollte vielleicht auch bedacht werden, daß im Augenblick im Internet ein Kampf zwischen Facebook und Google tobt, wer die besser verwertbaren Daten seiner Nutzer generieren kann. Wer diesen Kampf gewinnt, ist noch offen, nichtsdestoweniger geht die größte Gefahr für die eigenen privaten Daten und damit die Privatsphäre nicht vom Staat, sondern von den größten Playern in der Internetwirtschaft aus. Ohne bestreiten zu wollen, daß es wie im Fall der „site which should not be named“ auch das gegenteilige Interesse gibt, steht vermutlich in den meisten Fällen nicht die Absicht, sich vor dem eigenen Arbeitgeber, schon gar nicht der Kirche, zu schützen im Vordergrund, sondern der Schutz vor den Datenkraken des Internets.

Wenn ich als Nutzer von Blogger, Google Reader, Google-Suchmaschine, Google Maps, Google Places und Google Analytics bedenke, was Google bereits an Daten von mir hat, dann müssen die beim besten Willen nicht auch noch meinen Klarnamen wissen, der in Null-Komma-Nichts zu Adreßdaten führt, womit Google im Grunde nicht nur ein komplettes Internetnutzungsprofil von mir erstellt hätte, sondern zugleich noch mit meinen personenbezogenen Daten verknüpft hätte. Wunderbare Vorstellung. Absurd? Keineswegs: Habt ihr euch schonmal gefragt, warum Facebook in seinen AGB auf echten Namen besteht und sich vorbehält, Sockenpuppen ohne Ankündigung zu löschen…???

Wer sein Internetleben tagtäglich mit dem Login bei Facebook beginnt, hat genau dieses personenbezogene Profil an Facebook verkauft, und das ist der große Vorteil von Facebook im Kampf gegen Google (ganz davon abgesehen, daß Facebook mit dem Like-Button den genialen Schachzug getan hat, ganz offen fremde Seitenbetreiber zu ihren Erfüllungsgehilfen zu machen — ohne daß Facebook das ganze einen Cent kosten würde!). Also halten wir fest: Privatsphäre ist zumindest meiner Meinung nach der wichtigste Grund für die Nutzung von Pseudonymen und Nicknames als Vorsichtsmaßname im Internet: Wichtiger als jeder Schut gespeicherter Daten ist die Verhinderung, daß Daten überhaupt erst gespeichert werden.

(to be continued)