Jakobusbrief

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Einer der Gründe, warum ich am Ende des letzten Jahres plötzlich wieder aufgehört habe zu bloggen, war die Bibel. Genauer: Mein Vorsatz, im Jahr 2014 die Bibel einmal komplett durchgelesen zu haben. Das wurde am Ende ziemlich knapp (am 1.10. fehlten noch 45 Bücher, am 1.11. noch 31 und am 1.12. noch 13 Bücher, darunter fast das komplette Geschichtswerk), so daß ich klare Prioritäten gesetzt habe.

Ein paar frühe Resultate dieses Vorsatzes habe ich letztes Jahr schon verbloggt. Jetzt will ich der Frage nachgehen, ob sich das ganze gelohnt hat. Nicht nur Jürgen, sondern auch mein AT-Professor waren nach ihrem Komplettdurchgang diesbezüglich etwas skeptisch. Auch ich selbst habe, schon als Jugendlicher, den Versuch, die Bibel komplett zu lesen, nach anderthalb Büchern abgebrochen.

Dieser Versuch aus der Jugendzeit war auch der Grund, warum ich das Geschichtswerk so lange vor mir hergeschoben habe. Und tatsächlich: Ich halte das Buch Exodus für das am anstrengendsten zu lesende Buch der ganzen Bibel. Damals bin ich irgendwo im Bundesbuch (ca. Ex 22) hängengeblieben und konnte mich nicht mehr überwinden, weiterzulesen. Blöd halt, daß das Buch so weit vorne steht.

Im Buch Exodus kann man die Schichten, die in den Pentateuch eingeflossen sind, am deutlichsten erkennen, und sie sind zu allem Überfluß schlecht miteinander verknüpft. Es gibt zum Teil abrupte Wechsel mitten in einer Geschichte, infolgedessen zwei Beschreibungen desselben Ereignisses unvereinbar nebeneinander stehen (war das Wasser jetzt durch einen starken Wind weggetrieben worden oder stand es rechts und links wie eine Mauer?, um nur mal das bekannteste Beispiel anzuführen). Besonders anstrengend ist das in den Gesetzestexten, die keine klare Struktur erkennen lassen. Oder besser: die zwar scheinbar eine klare Grobstruktur haben, aber sich dann in komplexen Details verlieren.

Nicht besser wird es dadurch, daß die Geschichte des Auszugs aus Ägypten in geistlicher Lesung und der kirchlichen Tradition eine kaum zu überschätzende Rolle spielt als Vorbild des Auszugs des einzelnen und der Kirche aus der Welt der Sünde und des Todes.

Und dann folgt darauf auch noch das Buch Levitikus, das kaum noch Geschichte, sondern hauptsächlich Gesetzestexte präsentiert, ganz zu Schweigen von Numeri, das fast schon in einer Art Mantra beginnt (der und der Stamm brachte das und das, der und der Stamm brachtet dasselbe und nach 12 Stämmen geht’s wieder von vorne los)!

Aber schwer gefehlt! Ok, Numeri ist am Anfang tatsächlich etwas langweilig, wenn man nicht wie ich auf Statistiken abfährt, aber Levitikus haut pholl phätt rein! Zunächst einmal wirken beide Bücher im Gegensatz zu Exodus viel mehr wie aus einem Guß. Vor allem aber braucht es die richtige Hermeneutik, die richtige Brille, um einen Zugang zu den Büchern zu kriegen. Bei Levitikus drängte sich mir relativ schnell auf, das Buch im Hinblick auf die Verehrung der Eucharistie und den Aufbau katholischer Kirchen zu lesen; nicht zuletzt, weil ständig vom ungesäuerten Brot aus Feinmehl, das heilig ist, die Rede ist. Tabernakel, ewiges Licht (Lev 24), ja sogar die Elevation (Lev 7,14) und praktisch das gesamte Kirchenjahr von Erntedank bis Pfingsten (Lev 23) – alles schon drin! Ok, man muß ein paar Begrifflichkeiten kennen, z.B. daß tabernaculum das lateinische Wort für Zelt ist, aber dann ist Levitikus alles andere als vergangene Gesetzlichkeit, sondern pure Gegenwart (ein paar kleinere Ausnahmen in gesetzlichen Detailregelungen bestätigen die Regel).

Das ist überhaupt das Problem: Man muß erstmal raffen, daß manche uns geläufige Begriffe eben lateinisch oder griechisch sind, die Einheitsübersetzung aber im Text meist die deutschen Worte verwendet (soweit vorhanden) und in den Anmerkungen allenfalls die hebräischen Ausdrücke erwähnt. So habe ich auch eine ganze Weile gebraucht zu merken, daß Josua nicht nur figurativ die Israeliten ins verheißene Land führt wie Jesus uns ins Himmelreich, sondern daß Josua „lediglich“ eine andere griechische Form von J(eh|o)schua als das neutestamentliche Jesus ist… Tja, nur weil man Texte auf Deutsch liest oder hört, heißt das eben noch lange nicht, daß man sie besser versteht, als wenn sie in einer mehr oder weniger unbekannten Fremdsprache formuliert sind.

Besonders angetan hat es mir aber die Weiheitsliteratur. Ja, auch hier gilt, nicht alles ist zum sofortigen Komplettverzehr geeignet (Psalmen, Sprüche). Aber die grundsätzliche Orientierung dieser Bücher ist so herrlich thomanisch „down to earth“ – sie wird weder spiritualistisch noch materialistisch, selbst wenn sie wie Kohelet die vermeintliche Bedeutungslosigkeit des Menschen bis ins Letzte auskostet.

Stellen wie: „Der Schlaf des Fröhlichen wirkt wie eine Mahlzeit, das Essen schlägt gut bei ihm an“, und: „Wie ein Lebenswasser ist der Wein für den Menschen, wenn er ihn mäßig trinkt. Was ist das für ein Leben, wenn man keinen Wein hat, der doch von Anfang an zur Freude geschafen wurde? Frohsinn, Wonne und Lust bringt Wein, zur rechten Zeit und genügsam getrunken. Kopfweh, Hohn und Schimpf bringt Wein, getrunken in Erregung und Zorn. Zu viel Wein ist eine Falle für den Toren, er schwächt die Kraft und schlägt viele Wunden“ (Sir 30,25;31,19–21), zeigen in aller Deutlichkeit, daß es bei allem Wechsel in den Verhältnissen manche Dinge einfach Grundkonstanten menschlichen Lebens sind: „Wer sich selbst nichts gönnt, wem kann der Gutes tun? Er wird seinem eigenen Glück nicht begegnen“ (Sir 14,5).

Das Hohelied hingegen scheint mir das geistlich tiefste Buch der ganzen Bibel zu sein. Beim ersten Lesen rauscht es irgendwie so vorbei. Beim zweiten Mal merkte ich an ein paar Stellen plötzlich auf, klingt das nicht wie ein Kirchenlied? Beim dritten Mal fielen mir auch die Lieder ein, z.B. „Mein schönste Zier und Kleinod bist“ (Hld 2,16 in der dritten Strophe) und „Sagt an, wer ist doch diese“ (Hld 6,10), und mir zeigte sich eine Tiefe, die ihresgleichen sucht und von mir noch entdeckt werden will.

Leid tun mir aber die Protestanten, die gerade in der Weisheit der schönsten Texte entbehren müssen. Nicht nur fehlt Sirach, so daß den Lutherjüngern ihr „Prediger“ irgendwie der Kontext fehlt, aus dem er verständlich(er) wird, sondern sie kennen auch so krasse prophetische Texte wie Weisheit 2 nicht. Kein Wunder, daß manche von ihnen das AT gleich ganz über Bord werfen wollen.

Da versteht man übrigens auch gleich, warum Luther mit Jakobus nicht viel anfangen konnte. Wer die Weisheit nicht gebührend schätzt, für den wird der Jakobusbrief ein Buch mit sieben Siegeln bleiben, denn der steht ganz, ganz deutlich in weisheitlicher Tradition, nicht zuletzt in seiner (keineswegs fehlenden!) Christologie. Nur kommt Christus hier nicht als vorösterlicher Jesus, sondern als erhöhter Herr vor, nämlich als die „Weisheit[!] von oben“, die den Christgläubigen zu neuem Leben gebiert, ihre Werke dabei schon immer mitbringt und den Christen dadurch befähigt, sie zu vollbringen. Oder anders gesagt, wer bei Jakobus nicht die Bergpredigt durchhört, kann kaum bemerken, wie nah Jakobus an den Synoptikern ist (27 Parallelstellen, davon die Hälfte aus der Bergpredigt).

Aber ich schweife ab. Die Offenbarung des Johannes habe ich schon immer gemocht. Aber erst nach der kompletten Bibellektüre ist mir so richtig klargeworden, daß und warum sie das würdige Schlußbuch der Bibel ist. Sie greift quasi alle losen Enden auf, alle noch nicht (ganz) erfüllten Verheißungen und bündelt sie. So macht sie nicht nur deutlich, daß die Vollendung noch aussteht, sondern vor allem auch, daß die ganze Bibel zusammengehört und nicht nur die Stellen, die sich neutestamentlich als erfüllt herausstellen oder gar nur die, die uns heute in den Kram passen. Und dabei steht sie voll in der Tradition alttestamentlicher Prophetie. Sie weist sehr wohl darauf hin, daß die Verheißungen oder auch Drohungen Gottes in der Gegenwart relevant sind, auch eine nahe Folge haben werden, daß aber die Geduld Gottes soviel größer ist als wir sie uns vorstellen können, daß die vollständige Erfüllung der Verheißungen noch Jahrhunderte oder gar Jahrtausende ausstehen kann. Ihr kennt weder Zeit noch Stunde…

Um das ganze mal abzuschließen: Ja, die Komplettlektüre der Bibel hat mir viel gebracht. Viele Bezüge sind mir vorher nie klar gewesen, und ständig entdecke ich neue. Wichtig war aber, die Bibel nicht „instruktionstheoretisch“ zu lesen, d.h. als Buch, das mir Sachinformationen vermittelt, sondern „personal-kommunikativ“, oder einfacher formuliert: geistlich, auf meine Beziehung zum Herrn hin. So erschlossen sich viele Stellen, die sonst irgendwie alt, unbedeutend und „apokryph“ gewirkt hätten, als geistlich tief, Lebenszusammenhänge erschließend und den Glauben stärkend.

Nur zwei Tips seien potentiellen Nachahmern noch auf den Weg gegeben, wenn sie die Einheitsübersetzung nehmen, was für den Anfang vielleicht gar nicht mal die schlechteste Wahl ist: Überspringt im Zweifel die Einleitungen zu den Büchern, die zum Teil zwar ganz brauchbar, zum Teil aber auch absolut grottig sind und jegliche geistliche Lektüre auszutreiben zu versuchen scheinen. Gleiches gilt für die Anmerkungen. Manche sind hilfreich, manche, insbesondere an Stellen im AT, die eindeutig Jesus als den Messias vorausverkünden, sind einfach katastrophal, weil sie keine Erklärung bieten, sondern nur ausschließen wollen, was zwar offensichtlich ist, aber einfach nicht sein darf.

Inzwischen bin ich übrigens schon wieder zu zwei Dritteln durch. Was für mich etwas sehr Ungewöhnliches ist. Selbst die besten Romane (von Sachbüchern ganz zu schweigen) lese ich nur in absoluten Ausnahmen ein zweites Mal und dann bevorzugt in einer anderen Sprache, weil mir alles so bekannt vorkommt, daß meine Augen zwar weiterhin den Buchstaben folgen, mein Hirn aber gelangweilt sonstwohin abdriftet. Das ist bei der Bibel völlig anders. Hier scheint es mir von Mal zu Mal spannender zu werden. Je besser ich die Texte kenne, umso mehr Querverweise und -bezüge fallen mir auf, umso tiefere Deutungen werden mir möglich. (Die Kirchenväterauslegungen dazu zu lesen, schadet ganz offensichtlich auch nicht.) Wenn das mal nicht ein Zeichen ist, daß dort „is more to it than meets the eye“… 🙂

Jeder Mensch sei schnell im Hören, langsam aber im Reden und langsam im Zorn. (Jak 1,19)

Natürlich heißt das nicht, man solle besser nur Zuhören und selbst dann nichts sagen, wenn das Gegenüber völligen Unfug verzapft. Aber wie im ganzen Brief geht es Jakobus auch hier um eine Einstellung: Die Position des Anderen als die Position des Anderen ernstnehmen und verstehen zu wollen, bevor man ihn kritisiert.

Andererseits kann der „Leidensdruck“ auch so stark werden, daß man gar nicht mehr anders kann, als ihn herauszuschreien. Und eine wenig „lashing-out“ ist mitunter auch psychohygienisch sehr hilfreich und wichtig. Doch wo kommt solcher Leidensdruck denn her? Nach meiner Erfahrung: Daß ich selbst nicht ernst genommen werde, daß mir keine Chance gelassen wird, mich zu rechtfertigen, daß Vorurteile und Stereotype ein Gespräch im Keim ersticken: „Meine Meinung steht fest, bitte verschonen Sie mich mit Tatsachen.“

Wo das nicht der Fall ist, kommt häufig ein recht fruchtbares Gespräch zustande, bei dem sich zwar keine grundlegenden Auffassungen verändern, aber Verständnis für den Anderen entsteht. In einer postmodern-pluralistischen Gesellschaft kann es eigentlich auch gar nicht anders auf Dauer gutgehen: Bei aller Ablehnung seiner Auffassung, muß ich den Anderen doch als Menschen und Geschöpf Gottes respektieren. Warum funktioniert das aber im Gespräch mit nicht-katholischen Christen, ja sogar mit Atheisten oder Neuheiden meist besser als mit ach so „modernen“ Katholiken? Oder nochmals mit Jakobus:

Wieso gibt es Kriege und wieso Streitereien bei euch? (Jak 4,1)

Vielleicht liegt den Schwächen der EÜ auch wieder ein spezifisches Problem der Moderne zugrunde, nämlich „es“ „wissenschaftlich“ exakt auf den Punkt bringen zu müssen. Zumindest fand ich es ausgesprochen irritierend, daß im Preuschen bei gefühlt jeder dritten Vokabel eine Sonderbedeutung nur für den Jakobusbrief angegeben war (wenn es nicht sowieso schon ein Hapaxlegomenon war…), zum Teil standen sogar ganze Halbsätze im Vokabelverzeichnis! Dabei ging es natürlich auch mit den eigentlichen Grundbedeutungen, man mußte halt nur etwas bildlicher denken. Dafür verstand man besser, was eigentlich dastand.

Am krassesten war ja Jak 4,5 („pros phthonon epipothei to pneuma ho katwkisen en hemin“), wozu es im Preuschen (Eintrag phthonos) heißt: „pros phthonon epipothein Ja 4,5 ist ganz dunkel“ und, wie immer, wenn ein Exeget mit einer Stelle nicht klarkommt: „wahrscheinlich verderbt“ (bloß daß der kritische Apparat bei Nestle-Aland nur eine einzige Quelle angeben kann, die „theon“ statt „phthonon“ liest…) Aber weil alle to pneuma hier als Akkusativ auffassen (Schlachter ausgenommen) brauchen sie halt noch ein Subjekt, und noch die revidierte Lutherbibel (1984) macht aus dem „er“ noch „Gott“ (übrigens auch das ach so wortgetreue Münchener NT), so daß es dort heißt: „Mit Eifer wacht Gott über den Geist, den er in uns hat wohnen lassen“; EÜ: „Eifersüchtig sehnt er sich nach dem Geist, den er in uns wohnen ließ“, wobei der Sache nach hier als „er“ nur „Er“ in Frage kommt… – Schlachter dagegen: „Ein eifersüchtiges Verlangen hat der Geist, der in uns wohnt“. Mein Übersetzungsvorschlag ginge jedoch noch einen Schritt weiter, nämlich auch das pros phthonon nicht einfach zu „eifersüchtig“ aufzulösen: „Der Geist, der in uns wohnt, sehnt sich nach Neid“ – und siehe da, Hieronymus teilt meine Meinung , wenn er ins Lateinische übersetzte: „ad invidiam concupiscit Spiritus qui inhabitat in nobis“ und ebenso wie ich den Anfang von 4,6 zum „Schriftzitat“ hinzurechnet: „maiorem autem dat gratiam“ (größere Gnade aber gibt Er).

Und genau das ist das Problem: Man will dem „gemeinen Leser“ (oder gar den „Hörer des Wortes“ im Gottesdienst) wohl nicht gleich schwierigen Interpretationsfragen zumuten. Mit dem möglicherweise beabsichtigten Nebeneffekt, daß er sich auch gar keine großen Gedanken über den Text macht. Nicht, daß nachher jemand bei „das Rat der Geburt in Brand setzen“ (Jak 3,6) auf die Idee kommt, hier an Erbsünde zu denken (selbst wenn der ganze Kontext sachlich [siehe auch oben zu Jak 4,5f] von der Folgen derselben spricht), denn wir wissen ja, daß sowas im NT nur solche Leute finden können, die (wie Augustinus) nicht gut genug Griechisch konnten…

Allerdings muß man zur Ehrenrettung der Exegeten einräumen, daß sie beim Jakobusbrief recht ausführlich auf die stark interpretierenden Übersetzungen hinweisen. Bliebe bloß die Frage, wer dann die Übersetzung verbrochen hat…

Natürlich hat sich kein Übersetzer etwas ausgedacht. Dennoch wurde mir erst bei meinen eigenen Übersetzungsversuchen klar, daß es Jakobus nicht in erster Linie darum ging, daß wir die Hungernden speisen, der Frierenden einkleiden und die Kranken besuchen. Vielmehr geht es ihm um Haltungen.

Die Grundhaltung ist dabei der Glaube, der eben mehr ist als bloßes Für-Wahr-Halten (das täten eben auch die Dämonen). Genau deshalb ist Glaube ohne Werke tot, denn wer in der Grundhaltung des Glaubens verharrt, hat notwendigerweise Werke vorzuweisen. Wer sie nicht hat, muß schon zu den Frierenden und Hungernden gesagt haben: Geht in Frieden, wärmt und sättigt euch!, ohne ihnen aber zu geben, was sie brauchen (vgl. Jak 2,16).

Schon hier zeigt sich schon die Schwäche der EÜ: „ihr gebt ihnen aber nicht, was sie zum Leben brauchen – was nützt das?“ Das könnte man sozialromantisch verstehen, daß jeder genug zum Leben haben muß. Bei Jakobus steht aber eher: „aber ihr gebt ihnen nicht das für den Körper Notwendige, was nützt es?“ Hier geht es also um unmittelbare Not, konkret abzuwendende Lebensgefahr, um das, was sie unmittelbar, sofort und notwendig brauchen, um den nächsten Tag zu erleben!)

Der nächste Vers der EÜ lautet: „So ist auch der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat.“ Meines Erachtens steht aber etwas anderes da: „So auch der Glaube: Wenn er keine Werke hat, ist er ihm selbst gemäß (kath‘ heauton) tot.“ Oder wie Schlachter durchaus an heutige Begriffe anknüpfend treffend übersetzte: „So ist es auch mit dem Glauben: Wenn er keine Werke hat, so ist er an und für sich tot.“ Das heißt: Glaube ohne Werke ist deshalb tot, weil es Glaube ohne Werke nicht gibt, weil Glaube eine Grundhaltung ist, die nicht echt ist, wenn sie nicht praktische Konsequenzen hat. Glaube ohne Werke ist kein „toter Glaube“, er ist überhaupt kein Glaube, sondern irrender Weg, Irrtum, Irrlehre (wie Jakobus später schreibt).

Bisher hatte ich nichts gegen die Einheitsübersetzung. Klar, an manchen Stellen triumphiert auch mal die „gehobene Alltagssprache“ über die schwere Verständlichkeit des griechischen Originals, aber im großen und ganzen hatte ich nichts gegen sie einzuwenden. Insbesondere bei den Synoptikern finde ich sie doch ganz ordentlich gelungen.

Beim Jakobusbrief gingen mir allerdings die Augen über. Das ist schon mehr als nur die Interpretation, die ja jede Übersetzung notwendig darstellt. Offenbar wollte man den Lesern nicht allzu viel antikes Denken zumuten, so daß man kurzerhand eine moralisierende Vereinfachung vorgenommen hat. (Ob das überhaupt bewußt passierte, sei einmal dahingestellt.)

Leider geht so auch der ganze Charakter des Briefes verloren. Der Brief ist eine einzige „Höllenpredigt“, was man natürlich auch in der EÜ am Inhalt, nicht mehr aber am Stil bemerkt. Stellenweise hat man im Griechischen den Eindruck, Jakobus müsse den Brief diktiert und sich dabei gelegentlich verhaspelt, jedenfalls vergessen haben, wie er den Satz begonnen hat. Ganz deutlich spürt man auch die Rage, in der der Verfasser gewesen sein muß. Der deutsche Text der EÜ ist dagegen viel zu glatt!

Schade ist auch, daß die Unterscheidung in Hörer und Täter des Wortes nur in den Verben „hören“ und „tun“ aufgegriffen wird. So geht die ganze Gegenüberstellung ein wenig unter, zumindest bleiben die beiden gegenübergestellten Begriffe nicht im Ohr.