Wenn ich schon sonst nicht zum Bloggen komme, dann muß ich mich wenigstens an der „Blogparade“ beteiligen. Dabei ist das Thema etwas kompliziert. Was ist eigentlich ein Lieblingslied? Da kriege ich schon die Krise, wenn’s um Metal gibt (ich kann mich nicht mal auf ein Lieblingsalbum einschießen, erst recht nicht auf ein bestimmtes Lied), um wieviel mehr dann beim Gotteslob, das nun mal naturgemäß Lieder für jede Gelegenheit enthält (und ich belasse es beim Gotteslob, sonst werde ich nie fertig [bin ich eigentlich unentschlossen? Ja, nein, äh, vielleicht]).
Vor 25 Jahren hätte ich spontan die 258 genannt (Lobe den Herren), vor 20 Jahren war es 472 (O Jesu, all mein Leben bist Du), vor 15 Jahren 642 (Eine große Stadt ersteht), vor 10 Jahren BBK-Anhang 823 (Triumph der Tod ist überwunden) und dann kamen so viele Lieder (z.B. 111 „Die Nacht ist vorgedrungen“, 114 „Es kommt ein Schiff geladen“, 553 „Du König auf dem Kreuzesthron“, 815 [BBK] „Heilges Kreuz, sei hochverehret“, 160 „Bekehre uns, vergib die Sünde“, 584 „Christi Mutter stand mit Schmerzen“) dazu, daß ich heute nicht mehr sagen könnte, daß davon eines mein Lieblingslied wäre. Zumal alle Lieder im „Lieblingsliederrepertoire“ (wenn ich mich mal so widersprüchlich ausdrücken darf) blieben.
Welche Kriterien müßte mein Lieblingslied eigentlich erfüllen? Zum einen muß es einen Text haben, der mich anspricht (das ist ein KO-Kriterium z.B. für „Wenn das Rote Meer Grüne Welle hat“, das zurecht nicht im GL steht). Weiterhin muß der Inhalt eine besondere Bedeutung für mein Glaubensleben gewonnen haben (so z.B. das Neue Jerusalem => 642) und das Lied mindestens einen Textabschnitt haben, der für mich geistlich bedeutsam geworden ist oder mich besonders getroffen hat (z.B. „Drücke deines Sohnes Wunden, wie du selber sie empfunden, heilge Muter in mein Herz“ in 584 – sowas von tremendum et fascinosum…). Zum anderen muß aber die Vertonung wenigstens zum Text passen (als Negativbeispiel – nicht aus dem GL – „Wir erheben uns im Glauben“, das mich durch seinen triumphalistisch-kämpferischen Text anspricht, aber in der Interpretation des Texters und Komponisten ein Wischi-Waschi-Wir-ham-uns-alle-lieb-Lied geworden ist; ein Glück, daß man die Grundkomposition auch nach Art des True Metal interpretieren kann), am besten aber eine Nuance des Textes betont, die sonst leicht untergehen könnte oder im Text gar nicht ausgedrückt wird, wohl aber drinsteckt (was die Vertonung mit einem Text machen kann, zeigen die Vertonungen von „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ – Wohlfühl- oder Vertrauen-im-Kampf-Lied). Geradezu kongenial finde ich z.B. die Vertonung von „Die Nacht ist vorgedrungen“ (111). Der Text setzt praktisch durchgehend den ersten und den zweiten Advent zueinander in Beziehung – und die Vertonung setzt noch den Aspekt des Verlangens, der Sehnsucht nach dieser Ankunft darauf. Boah, ist das ein Hammer!
Da ich mich jetzt immer noch nicht entscheiden kann, habe ich noch ein weiteres Kriterium hinzugefügt: das Lied steht nicht im neuen Gotteslob, Das Lied, das nicht im neuen Gotteslob zu finden ist und dessen Fehlen mir den bisher größten Schmerz versetzt hat, ist die gegenwärtige Nummer 572 „Salve! Maria Königin“.
Zunächst einmal zum Text: Es handelt sich um eine Paraphrasierung des Salve Regina und erfüllt damit für mich alle Kriterien. Das Salve Regina hat im Grunde im Alleingang alle meine Schwierigkeiten und Vorbehalte gegen Marienfrömmigkeit zertrümmert (und wenn ich jetzt noch dazu schreibe, daß einen kleinen Anteil am „Durchbruch“ noch „Segne Du Maria“ hatte, erschlägt mich wahrscheinlich meine Frau :-)). Also, an Bedeutung für mich nicht zu überschätzen.
Viel entscheidender, und das ist der Grund, warum ich es so schade finde, daß gerade diese Salve-Regina-Vertonung aus dem Gotteslob geflogen ist, ist die Musik. Ich glaube, ich habe es nur zwei oder dreimal im Gottesdienst erlebt. Und ich schreibe bewußt „erlebt“, nicht „gesungen“, denn ein Erlebnis, das war es! Daß ich mitgesungen habe, hatte den kleinsten Anteil. Hätte ich geschwiegen, so hätten die Steine gesungen!
Ich hatte das Glück, einen Pfarrer zu haben, der ohne Verstärker mit seinem Gesang den Erfurter Dom füllen konnte. Da sang also tatsächlich ein einziger ohne jegliche Unterstützung das „Salve!“ des Vorsängers, und es hallte von den Wänden wieder. Dicht gefolgt von einer geradezu brachial einsetzenden Orgel, die sich nicht mit einer Überleitung aufhielt. Man sollte nicht vergessen, daß das „Salve!“ mit einem Quartsprung nach unten endet, das „Maria, Königin“ aber eine Oktave höher weitergeht. Alleine das hat mich schon fast in den siebten Himmel entrückt. Ich will mich jetzt hier nicht an einer stümperhaften Analyse versuchen, warum dieses Lied diese Wirkung auf mich hat, aber für mich bringt die ganze Vertonung alles zum Ausdruck, was man im Salve Regina überhaupt finden kann. Das Lied ist geprägt von einer himmlisch-königlichen Herrlichkeit, in der alles drinsteckt: Ehrfurcht, Sehnsucht, Majestät, Verehrung, Gewalt, Zärtlichkeit und vor allem – Freude, unbändige, innerlich geradezu zerreißende, fast nicht auszuhaltende Freude.
Vielleicht ist es gut, daß ich dieses Lied nicht dreimal die Woche singen darf, daß ich es in einer besonderen Umgebung in besonderer Konstellation, wo vielleicht alles einfach paßte, kennenlernen durfte, und es so etwas ganz Besonderes blieb. Und ganz sicher ist seine seltene Verwendung auch der Grund, warum es nicht im neuen Gotteslob steht.
Schade ist es trotzdem.