Papst

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Seit rund dreißig Jahren geistert der Begriff der Postmoderne auch durch die Philosophie. Die hat ihn keineswegs erfunden (er stammt ursprünglich aus der Architektur) und auch nicht unbedingt begeistert übernommen. Lyotard hat ihn eher beiläufig verwendet, Habermas daraufhin die große Krise gekriegt: Es könne keine Postmoderne geben, denn die Moderne sei per se nicht abschließbar. Allenfalls könne Postmoderne als eine Phase der Moderne verstanden werden.

In letzterem Sinne wird mitunter von der Spätmoderne gesprochen. Das hat durchaus seine Berechtigung, insofern heute kaum noch „alte Zöpfe“ (die Absolutismen der Tradition) angegriffen werden, sondern die Absolutismen der Moderne selbst. Die Moderne ist sich also ihrer eigenen Grenzen bewußt geworden und radikalisiert sich selbst, indem sie ihre Prinzipien nun auch auf sich selbst anwendet. Ein Ergebnis davon ist der Relativismus. Alles muß kritisiert und hinterfragt werden, überall werden potentielle Totalitarismen gesehen.

Genau diese Entwicklung erweckt aber auch ein neues Interesse an der Tradition, ja selbst der Relativismus führt zu neuen, wenn auch partikulären Radikalismen (besser vielleicht: Überzeugtheiten – ganz bewußt im Plural!), und hierin liegt die Grenze der Rede von der „Spätmoderne“ als einer Phase der Moderne. Die Moderne war einfach nur „dagegen“, alles was alt war, mußte sich rechtfertigen, das Neue war per se das Bessere. In der Postmoderne ist nun zwar nicht per se alles Vormoderne das Bessere, aber ein nüchternerer Blick auf Tradition und Moderne ermöglicht beiden zu ihrem jeweiligen Recht zu kommen. Nicht alles, was überkommen ist (bzw. war: es gibt fast keine ungebrochene Kontinuität mehr), ist einfach schlecht, nicht alles Neue ist einfach gut, aber auch ist nicht alles Neue schlecht und alles überkommene einfach gut. Der Pendelausschlag tendiert gewissermaßen wieder zur Mitte. Dialektisch könnte man sagen: die Tradition war die These, die Moderne die Antithese und die Postmoderne versucht sich nun an der Synthese.

Soweit so gut. Ich frage mich jedoch mit jedem Tag mehr, ob die Postmoderne nicht nur die Moderne abgelöst hat, sondern auch die Neuzeit schlechthin. Auf den ersten Blick zeigt sich freilich nicht viel, was dafür spricht; eher ist man geneigt, das Ende der Neuzeit noch früher (oder gar nicht) anzusetzen, etwa mit der industriellen Revolution, die die abendländische Zivilisation stärker verändert hat als alles seit der Völkerwanderung. Zugleich zeigen sich aber genug Kontinuitäten, philosophiegeschichtlich etwa wird vom „langen 19. Jahrhundert“ gesprochen, das von 1789 bis 1918 angesetzt wird. Politisch war das ganze 19. Jahrhundert vom Freiheitspathos der französischen Revolution bzw. der entgegengesetzten Restauration geprägt. Andererseits ist auch ein philosophiegeschichtlicher Bruch um 1830 zu erkennen – nämlich nach Hegel.

Aber ich will nicht zu sehr ins Detail gehen. Epocheneinteilungen sind immer ein Stück weit willkürlich, wie ja auch das Mittelalter als Zeit zwischen Antike und Wiederentdeckung der Antike in der Renaissance und damit als „dunkel“ (was es aus anderer Perspektive keineswegs war) definiert ist. Mit Beginn der Postmoderne, der für gewöhnlich um 1970 angesetzt wird, zeigt sich jedoch ein ganz bemerkenswerter Bruch im menschlichen Selbstbewußtsein, der mit den Jahren immer deutlicher zu Tage tritt: Der Mensch hat den Zukunftsoptimismus verloren, er hält die technische und gesellschaftliche Entwicklung immer weniger für kontrollierbar, die Grenzen und Gefahren der bisherigen Entwicklung werden ihm immer klarer.

Deutlich zeigt sich das im Umgang mit der Umweltverschmutzung. Während die verdreckte Luft im Ruhrpott der Sechziger noch technisch angegangen (und „in the long run“ auch gelöst wurde), bricht sich ab 1970 eine Naturschutzbewegung Bahn, die gewissermaßen zurück auf die Bäume will. Die negativen Nebeneffekte seien nicht in den Griff zu bekommen und schlimmer als der Nutzen. So ist dann auch der Anti-Atom-Lobby (oder etwas heutiger: den Klimaaposteln) nicht mit technischen und statistischen Argumenten zu kommen: Die Technik selbst bzw. der Glaube an die Kontrollierbarkeit der Technik werden als das Problem angesehen. Interessanterweise liegen genau hier auch die Übergänge zu einem „neo-mythischen“ Denken, das das stark rationalistische und empiristische Denken der Moderne ablöst.

Nun könnte man einwenden, daß es auch schon vor dem Ersten Weltkrieg eine Umweltschutz- und Lebensreformbewegung gegeben hat, die bei den germanischen Neuheiden durchaus auch Übergänge zu neo-mythischem Denken aufwies. Bei genauerer Betrachtung scheint mir das aber meine Überlegungen zum Ende der Neuzeit eher noch zu bestätigen. Denn die genannten Strömungen vor 1914 waren nicht nur bei weitem nicht so gesellschaftsprägend wie ihre Gegenstücke nach 1970, sondern verdoppelten in sich gerade die „Mythen der Neuzeit“ (und der Moderne) von der Machbarkeit und dem immerwährenden Fortschritt. Das Denken dieser Bewegungen damals war technisch und (pseudo-)wissenschaftlich geprägt und diente dem individuellen weltlichen Vorankommen allein. Eine nicht anthropozentrische Sicht der Natur war überhaupt nicht denkbar. Daß es etwas über den Menschen – in entsprechenden Kreisen: den Arier – hinaus geben könnte, also etwas, das ihm einfach vorgegeben ist (sei es ein Schöpfer, sei es auch nur die Natur als Lebensgrundlage), das er nicht kontrollieren kann, unvorstellbar.

Das alles hat sich ab etwa 1970 radikal gewandelt. Doch scheint die Kirche diese Entwicklung nicht mitgemacht zu haben. Vielleicht liegt das daran, daß das Konzil noch durch und durch modern war, und alle, die um 1970 in der Theologie (meist eher unbewußt) postmoderne Strömungen aufgriffen, mußten so als „Ewiggestrige“ erscheinen, denn Postmoderne bedeutet ja auch, der Tradition wieder ihren Eigenwert einzuräumen. Freilich ohne sie beziehungslos zur Gegenwart erstarren zu lassen. Meines Erachtens ist der herausragendste Vertreter dieser frühen Rezeption der Postmoderne heute Papst. (Fortsetzung folgt.)

Die Zeit „zwischen den Jahren“ ist ja immer auch die Zeit der Jahresrückblicke. Wenn ich auf das vergangene Jahr zurückblicke, dann sehe ich zwar viel, was passiert ist, aber eigentlich nur ein wirklich weltbewegendes Ereignis: Die Aufhebung der Exkommunikation der Pius-Bischöfe. Und „weltbewegend“ meine ich nicht im journalistischen Sinne, sondern daß (sofern im weiteren Verlauf hauptsächlich homines bonae voluntatis beteiligt sind) daraus viel Gutes hervorgehen kann.

Natürlich darf man nicht blauäugig erwarten, daß jetzt alles wie von selbst ins Lot kommt, aber zumindest ist nun wenigstens vorrübergehend die Gewöhnung an eine neue schismatische Gegenkirche mit apostolischer Sukzession aufgehalten. Offenbar fühlten sich aber viele in ihrer Gewöhnung gestört, in der sie sich so behaglich eingerichtet hatten – und das auf beiden Seiten! Denn während sich der publizistische Blätterwald auf Williamson stürzte (dem die Ausstrahlung seiner Holocaustleugnung auch nicht ganz unangenehm gewesen zu sein scheint), hörten „tines“ nicht auf, den Papst als Modernisten zu verunglimpfen, der schon als junger Professor und auch heute noch Häresien lehre. Da wird noch viel Gnade vom Himmel fließen müssen, bevor über allen Schützengräben Lilien blühen können!

Damit bin ich auch schon bei einer Einzelpersönlichkeit, die mir dieses Jahr mehrfach aufgestoßen ist: Peter Hünermann. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Hünermann ist ein netter Mensch und ganz sicher ernsthaft und aus aufrichtigem Glauben um die Kirche besorgt; auch will ich seine wissenschaftlichen Verdienste keineswegs in Abrede stellen. Aber mit seinem Artikel in der Herderkorrespondenz, in dem er die Aufhebung der Exkommunikation als „schweren Amtsfehler“ des Papstes bezeichnet, hat er nun wirklich einen Bock geschossen. Mich wundert eigentlich nur, daß das kaum einer bemerkt zu haben scheint!

Denn seine ganze Argumentation setzt voraus, daß die Exkommunikation 1988 nicht nur wegen der unerlaubten Bischofsweihe ausgesprochen wurde, sondern auch wegen Häresie. Nur deswegen kann er fordern, daß die Piusbrüder erst ihren Irrlehren abschwören müßten (um den „Mangel an Reue“, den Hünermann beklagt, mal frei in Klartext zu übersetzen), und behaupten, die dem zuvorkommende Entscheidung des Papstes verstoße gegen das Kirchenrecht und sei mithin ein schwerer Amtsfehler, weil kirchenrechtlich eben die Reue über die Ursache der Exkommunikation vorausgesetzt ist.

Diese Voraussetzung hat er aber zu Beginn seines Artikels erst selbst geschaffen! Dort argumentiert er nämlich mit dem Motu proprio „Ecclesia Dei“ Johannes Pauls II., dem Begleitschreiben zum Dekret der Bischofskongregation, das die Exkommunikation feststellte. In diesem Schreiben äußerte der damalige Papst die Vermutung(!), man könne(!) die Wurzel dieses schismatischen Aktes in einem theologischen Irrtum, näherhin einem unvollkommenen und widersprüchlichen Begriff von Tradition selbst erkennen. Diese Vermutung einer Möglichkeit wird im weiteren Artikel Hünermanns zu einer Begründung der Exkommunikation mit Häresie.

Hünermanns kirchenrechtliche Argumentation muß dem Dogmatiker so letztlich auf die Füße fallen. Nicht im Begleitschreiben, sondern im Exkommunikationsdekret selbst steht die kirchenrechtlich relevante Begründung der Exkommunikation und damit implizit auch die kirchenrechtlich nötige Reue für eine Aufhebung der Exkommunikation. Das hätte ihm spätestens daran auffallen müssen, daß eben nur die vier Bischöfe exkommuniziert waren, aber nicht die Priester der Bruderschaft. Das, sowie das Fortdauern der Suspension, diskutiert er aber allenfalls andeutungsweise am Rande.

Der Fehler, die zwingende Richtigkeit des späteren Schlusses bereits in die Prämissen einzubauen, ist eigentlich ein so simpler und altbekannter Logikverstoß, daß man sich wundern muß, wie er einem solch verdienten Mann unterlaufen kann – zumal er mit dem Artikel Hünermanns allein belegt werden kann, da Hünermann alle notwendigen Informationen mitliefertn (Anmerkung: In Herders „Theologie Kontrovers“-Band zu „Vatikan und Pius-Brüder“ wird auch im „Dokumentation“-Teil nur das Motu proprio „Ecclesia Dei“ aufgeführt, nicht aber das eigentlich Exkommunikationsdekret der Bischofskongregation. Honi soit qui mal y pense…)

Aber vielleicht hängt dieser schwere Denkfehler mit einem anderen Punkt zusammen, auf den ich morgen zu sprechen kommen will.