Da werde ich mal wieder aufgefordet, etwas nachzuweisen, was nicht existiert, nämlich eine bestimmte Form von Einkommen. Nun ist es naturgemäß etwas schwierig, Belege für nicht-existente Einkünfte vorzuweisen, aber daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Ist halt so, wenn man nicht ins 08/15-Schema der Behörden paßt.
Der kleine Unterschied ist diesmal aber: Nicht nur die Behörden erwarten, daß beide Elternteile Einkünfte (wohlgemerkt fast immer: aus nichselbständiger Erwerbsarbeit; egal wie hoch die Einkünfte aus anderen Einkunftsarten sind) haben, auch eine ganze Menge Bekannte gehen wie selbstverständlich davon aus, wenn der Vater längerfristig Elternzeit nimmt, geht natürlich die Mutter arbeiten. Unabhängig davon, ob das wirtschaftlich nötig ist oder nicht, ob ein Säugling zu stillen ist oder nicht.
Mich irritieren solche Selbstverständlichkeiten. Auch wenn wir während meiner Elternzeit zu zweit zu hause sind, ist es ja nicht so, daß wir faul auf der Haut lägen. Eine Handvoll Kinder versorgt sich ja nicht gerade von selbst oder mal eben nebenbei. Sicherlich könnte auch einer alleine den Haushalt und die Kinder managen, aber ob das den Kingern gerecht wird, wenn es an der Flexibilität fehlt, auf ihre Bedürfnisse ad hoc einzugehen.
Keiner, der weiß, wovon er redet, wird wohl bestreiten, daß Kinder und Haushalt auch ohne Bezahlung als Arbeit durchgehen. Oder doch? In der FAZ war vor einiger Zeit ein Beitrag über einen Selbstversorgerbauern, der zwar nichts über seinen Eigenbedarf hinaus produzierte, aber auch keinem anderen auf der Tasche lag. Ihm wurde (explizit in einem Leserbrief) vorgeworfen, nicht zu arbeiten, mit der Begründung, er produziere ja nichts. Arbeit scheint heute gleichbedeutend mit Erwerbsarbeit zu sein, was sogar noch hinter Marx zurückbleibt.
Arbeit kann, wenn sie sinnvoll ist, erfüllend sein — wer wollte das leugnen. Kriterium der Erfülltheit ist doch aber kaum die Gehaltszahlung. Oder doch? In der Sonntagspredigt — eine Betrachtung über das Thema „Urlaub“ — hieß es zum Einstieg, wir wären jedes Jahr aufs Neue urlaubsreif, bräuchten eine Auszeit aus dem Streß, seien überarbeitet durch die ständige Forderung, vielleicht sogar Überforderung. Und da sei es gut, eine Unterbrechung des Alltags zu haben, im Urlaub uns Gott zuzuwenden und von ihm stärken zu lassen.
Warum lassen wir sowas mit uns machen? Ich denke, das sind alles Beispiele dafür, daß das ganze Koordinatensystem nicht stimmt. Wenn ich vom Alltag gestreßt bin, ist dann keine Zeit für Gott die Folge oder vielleicht eher sogar die Ursache? Daß ich unbedingt etwas machen oder erreichen will, wozu ich nicht befähigt und berufen bin, sondern was ich mir um meines Egos willen in den Kopf gesetzt habe? Daß Produktion von Geldwert wichtiger ist als Gott?
Update: Noch ein Indiz.
Die Frage, ob deine Frau arbeiten geht, wenn du Elternzeit hast, bezieht sich ja nicht nur unbedingt aufs wirtschaftlich nötige. Könnte ja auch sein, dass sie auch an anderen Dingen Spaß hat und ihr euch dann eben anders aufteilt.
Ja, klar hat sie an anderen Dingen Spaß, und klar teilen wir uns entsprechend auf. Aber warum hat das immer gleich was mit (Erwerbs-)Arbeit zu tun?! Wie gesagt, mich irritieren solche Selbstverständlichkeiten.
Nun, dass jemand (erwerbsmäßig) arbeitet ist halt so normal, wie die Tatsache, dass wir schlafen und essen. Und dass es eine Erwerbsarbeit ist, scheint doch dann der Tatsache geschuldet, dass wir eben schlafen und irgendwohin unser Haupt betten wollen und dass wir essen und dazu Brot, Schweinebraten, Kirschen und ich weiß nicht was kaufen müssen
Für sich und seine Familie zu sorgen ist doch nur selbstverständlich.
Das macht ihr ja, keine Frage. Aber vielleicht ist es unverständlich, dass dazu auch wenig reicht.
Wenig?! Wenig ist wohl sehr relativ. Aber vielleicht ist das genau der Punkt: Nicht zufrieden sein mit dem, was man hat. Jedenfalls ist es mir ein Rätsel, wie jemand tagein, tagaus über seinen Job schimpfen kann, aber sich nichts anderes sucht. Ich werde jedenfalls keinen Alltag akzeptieren, der keine Zeit für Gott läßt.
Und noch ein Nachtrag: Gemeint ist nicht der Einzelne, sondern die große Zahl der fast gleichlautenden Fragen. Und daß offenbar Arbeitengehen so wichtig ist, daß man das schon eine Mutter von fünf Kindern im Wochenbett fragt.
Nicht wichtig, nur normal, sozusagen common sense.
Und wenig wird es wohl sein, jedenfalls im Verhältnis. Kenne eure finanzielle Situation nicht, aber wahrscheinlich liegt ihr unter dem Durchschnitt… Aber du schreibst ja, es kommt immer darauf an, ob man denn zufrieden ist. 🙂
Common sense, das ist doch genau meine Argumentationsgrundlage: selbstverständlich. Und was ist in Sachen Handlungsleitung wichtiger als das, was selbstverständlich ist?
Unter dem Durchschnitt liegen übrigens 50% der Bevölkerung und per Definition so gut wie alle kinderreichen Familien (da die Kinder in aller Regel nichts wesentliches zum Familieneinkommen beitragen). Deswegen kann ich mit der Definition auch nicht viel anfangen, da selbst in einer Gesellschaft, in der der Ärmste nicht weiß, wie er sein Geld überhaupt jemals ausgeben soll, der Ärmste als (relativ) arm angesehen wird.
Ich möchte hier aber eigentlich nicht darüber diskutieren, ob wir arm sind oder nicht (kann Dich aber beruhigen: sind wir im Sinne des Äquivalenzeinkommens auch in der Elternzeit nicht), sondern darüber, daß keiner mehr eine andere Vorstellung vom Leben zu haben scheint als (Erwerbs-)Arbeit.