„Zwischen Ausverkauf und Rigorismus“ heißt ein Buch von Dieter Emeis zur Sakramentenpastoral, an das ich heute angesichts der beiden Tagesheiligen denken mußte. Soweit ich mich an das Buch erinnere (ist 12–13 Jahre her, daß ich es gelesen habe), bringt es das Problem ganz gut auf den Punkt, bietet aber (meiner Meinung nach) keine brauchbar anwendbare Lösung. Und das liegt wohl schon am Lösungsansatz, wie ich mir heute dachte.
Der Grund, warum ich an das Buch denken mußte, ist der Streit, den die beiden Tagesheiligen miteinander hatten, nämlich um den Umgang mit den Lapsi, den Christen, die aufgrund der Verfolgung gefallen und den heidnischen Göttern geopfert hatten. Während Papst Kornelius für eine milde Bußpraxis eintrat, war Cyprian ein Vertreter der „einmal raus, immer raus“-Fraktion, zumindest in dieser, doch sehr grundlegenden Frage. Heute wäre also Cyprian der Extremist, der Fundamentalist, der Unbarmherzige – der Rigorist. Kornelius hingegen der Barmherzige, der mit dem Blick für die Lebensrealität, der Mann der Zukunft – der Ausverkäufer.
Aber halt, so ganz stimmt das auch wieder nicht, denn in der Grundfrage waren sich beide ja durchaus einig: den heidnischen Göttern zu opfern ist eine schwere Sünde, die von Gott und der Kirche trennt, selbst wenn das Opfer „nur“ ein rein äußerlicher Akt bleibt. Und genau diese Einstellung führt beide ins Martyrium und verbindet sie. (Man lese nur mal den Brief von Cyprian an Kornelius, den die Lesehore heute anbietet: Wir sind eine verfolgte Kirche.) Sie unterschieden sich darin, wie sie mit den (wohlgemerkt:) reuigen Lapsi umgehen wollten.
Auf diesem Hintergrund zeigen die beiden Heiligen, derer wir heute gedenken, zweierlei:
- Bei allem Streit, den es um Fragen des konkreten Umgangs mit pastoralen Realiäten gibt, muß die grundsätzliche Lehre klar bleiben: Apostasie bleibt Apostasie, Sünde bleibt Sünde.
- Die Kirche braucht beide Stimmen, und zwar gerade als Extrempositionen.
Genau in 2. liegt meine Unzufriedenheit mit dem Buch von Emeis begründet: Es geht nicht darum, einen gangbaren Weg zwischen Ausverkauf und Rigorismus zu finden, sondern wir brauchen beide Stimmen, die sowohl den (vermeintlichen) Ausverkauf als auch den (vermeintlichen) Rigorismus in der Kirche zum Ausdruck bringen. Das gut-katholische „et…et“ (sowohl als auch) meint eben keinen Ausgleich zur Mitte hin, nicht irgendwas „Dazwischen“, sondern ein gleichzeitiges Verharren in den Extremen:
Nicht „ein bißchen Mensch, ein bißchen Gott“, sondern „wahrer Mensch und wahrer Gott“ zugleich, nicht „ein bißchen Leib Christi, ein bißchen Brot“, sondern „wahrer Leib Christi“ der Substanz nach und echtes Brot den Akzidenzien nach, nicht „ein bißchen Schrift, ein bißchen Tradition“, sondern „die ganze Schrift und die ganze kirchliche Tradition“ und auch nicht „ein bißchen Geist, ein bißchen Amt“, sondern das volle Geistwirken und die ganze Hierarchie – als Extreme, aber eben nicht als kontradiktorische Gegensätze (siehe auch Offb 3,15–16).
Entgegen allen Vorurteilen lehrt die Kirche kein bis in die letzten Winkel festgemauertes System, sondern einige sehr wesentliche Leitplanken, die verhindern sollen, gänzlich vom Weg abzukommen. So kann etwa die Frage, wie man sich das Zusammenwirken von menschlicher Freiheit und Gnade Gottes vorstellen kann, völlig unterschiedlich beantwortet werden (siehe Gnadenstreit), entscheidend ist, daß nicht „ein bißchen menschliche Freiheit und ein bißchen Gnade Gottes“ zusammenkommen und sich vermischen, sondern daß die „volle menschliche Freiheit“ mit der „Unfehlbarkeit der Gnade Gottes“ zusammenwirkt, quasi unvermischt und ungetrennt.
Entsprechend gibt es in der Kirche nicht nur Platz für einen Papst Benedikt und einen Papst Franziskus, einen Heiligen Franziskus und einen Heiligen Dominikus, für eine Hildegard von Bingen und einen Robert Bellarmin (um mal auf die Tagesheiligen von morgen vorzugreifen), sondern die Kirche braucht diese unterschiedlichen Stimmen, um die ganze ihr anvertraute Botschaft zu verkünden. Und das eben nicht, um zu einem Ausgleich, zu einem Kompromiß zu finden, sondern gerade in der Radikalität. Jeder verwirklicht einen anderen Aspekt des Glaubens (aber den bitteschön radikal!), denn niemand kann den ganzen Glauben in sich verwirklichen (dafür schwanken wir zu oft zwischen den Extremen Heiligkeit und Sünde) außer Gott selbst, in dem alle Gegensätze zusammenfallen.
Kluge Gedanken, nur der Zuschreibung der Positionen kann ich nicht zustimmen.
Cyprian war keineswegs ein Vertreter des „einmal raus, immer raus“ – ganz im Gegenteil, er war einer Meinung mit Cornelius.
Cyprians Dissenz mit Rom war in der Frage, ob außerhalb der Kirche gespendete Taufen gültig sind – Cyprian sagt nein und verlangt daher, dass man Häretiker, die katholisch werden, nochmals taufen muss.
Danke für die Richtigstellung. Ich habe mich schon gefragt, wie lange ich damit durchkomme 🙂
Hatte mich durch ungenaue Beschreibungen (u.a. im Stundenbuch) auf die falsche Fährte locken lassen und erst im Nachhinein festgestellt, daß ich da wohl was verwechselt habe. Zumindest was den Dissenz zwischen Cyprian und Cornelius angeht. Bei den Lapsi, die tatsächlich den heidnischen Göttern geopfert hatten, war er aber schon recht drastisch drauf.
Ein Novatianer jedoch, wie meine Formulierung nahelegt, war er nicht.