In den vergangenen Wochen fühlte sich dieses Blog dem Prinzip der „Intertextualität“ a la Helene Hegemann verbunden. Mit anderen Worten: Ich habe mein Blog in der Fastenzeit mit „geklautem“ Material gefüllt. Zu meiner Ehrenrettung möchte ich jedoch anführen, daß ich die Texte immerhin übersetzt und teilweise auch gekürzt, umgestellt, neu kombiniert oder ihnen wenigstens durch den neuen Kontext eine neue Bedeutung gegeben habe. Und als guter Hegemannist habe ich ja meine Quellen mittlerweile offen gelegt (und das, obwohl mir noch kein anderer Blogger was nachgewiesen hat; aber ich habe ja auch nicht aus Blogs abgeschrieben…).
Aber warum habe ich das überhaupt gemacht? — Gute Frage. Nachdem ich ursprünglich solche Texte aufgenommen hatte, weil sie in meinem Kopf umherschwirrten und einfach raus wollten (warum fühle ich mich da bloß ans „Denkarium“ erinnert?), kam mir Anfang Januar die wilde Idee, die ganze Fastenzeit mit diesen Texten zu füllen, und ich fand die Idee spontan toll. Aus der wilden Idee wurde dann eine konkrete, ohne daß ich einen konkreten Hintergedanken gehabt hätte. Erst als mir dann allmählich doch die Texte ausgingen, fragte ich mich langsam, warum ich das eigentlich mache.
Für mich haben die Texte einen Sinnüberschuß, den man ihnen in ihrem Ursprungskontext zumindest nicht auf den ersten Blick zutrauen würde. Und wie kraß die Texte tatsächlich sind, habe ich auch erst gemerkt, als ich mir mal vorgestellt habe, wie sie im Kontext meines Blogs ohne Kenntnis des Ursprungs wirken könnten (und da habe ich mich dann erstmals über sie erschreckt…).
Ein wenig gewundert habe ich mich, daß ich die einzige Reaktion (positiv) auf einen Text bekam, an dem ich mich selbst lange gerieben hatte, da er selbst mir in seinem Ursprungskontext doch reichlich antichristlich vorkam (zumindest war es der antichristlichste Text, den ich während der Fastenzeit verarbeitet habe). Offenbar verliert der Text diese Konnotation im Kontext meines Blogs. Oder hat er sie schon im Original nicht, und ich habe mich nur von Vorurteilen leiten lassen?
Im Laufe meines Studiums bin ich immer wieder auf Michel Foucault und seine Wunschvorstellung vom „Tod des Autors“ gestoßen. Es solle um die Sache gehen, den Text, nicht den Autor, da der für den Inhalt des Textes keine Rolle spiele. Davon fühlte ich mich als jemand, der den Deutschunterricht für die Maxime „Was wollte uns der Autor damit sagen?“ gehaßt hat, weil das verunmöglichte, Texte auf die eigene Situation bezogen lesen zu können, spontan angesprochen.
In meinem Leben habe ich mehrfach die Erfahrung gemacht, daß gute Argumente nicht als Argumente ernst genommen werden, wenn sie von den falschen Personen vertreten werden. Stattdessen wird mit argumenta ad hominem gearbeitet; die Sache bleibt völlig auf der Strecke, und es spielen die Vorurteile gegenüber der Person eine größere Rolle für das Verständnis der Argumente als die Argumente selbst (diese Aussage darf auch gerne auf Institutionen wie die „Titanic“ bezogen werden). Aber je länger ich von der Bedeutung „der Sache“ geträumt habe, desto klarer ist mir geworden, daß das ganze nicht nur von der bei Foucault zugrundeliegenden strukturalistischen Idee der Selbstproduktion der Texte her nicht funktioniert. Der Kontext, in dem eine Aussage getätigt wird, bestimmt notwendigerweise ihre Wahrnehmung, folglich auch die Person und der Hintergrund des Autors.
Es kommt zwar nicht darauf an, was der Autor mit einem Text sagen wollte, aber für dessen Verständnis kommt es sehr wohl darauf an, welche Auffassung der Rezipient vom Autor und dessen Umfeld vertritt. Indirekt verändert also der Kontext die Aussage eines Textes, und das läßt sich überhaupt nicht vermeiden (oder wie es Martin Mosebach sinngemäß formuliert hat: wer 1000 Jahre auf den Knien lag, steht nicht im Bewußtsein auf, das Stehen sei die urchristliche Form der Gottesverehrung).
Warum ich das ganze gemacht habe, weiß ich jetzt immer noch nicht so genau. Vielleicht träume ich ja immer noch vom Tod des Autors und cyberpunkmäßig vom anonymen Internet, in dem man gefahrlos und spielerisch verschiedene Identitäten annehmen kann (und das nicht so bürokratisch wie bei Pen&Paper- oder rein virtuell wie bei Computer-Rollenspielen). Dann sollte ich aber schleunigst damit aufhören, denn persönlicher als in den letzten 6 Wochen geht’s ja kaum noch. Das Web 2.0 ist das absolute Gegenteil des ursprünglichen Traumes von Virtualität geworden. Es zwingt einen geradezu zur eigenen Identität und Authentizität. Aber was, wenn’s der böse Nachbar nicht will?