Gesellschaft

In der heutigen Lesung findet sich ein Zitat, das ich für wunderbar passend für unsere gegenwärtigen Erfahrungen halte:

„Wenn dieses Vorhaben oder dieses Werk von Menschen stammt, wird es zerstört werden; stammt es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten.“ (Apg 5,38f)

Damit meine ich nicht, daß wir genau das den bösen Medienvertretern[tm] zurufen sollen (die lachen uns bloß aus, wenn sie hören „sonst werdet ihr noch als Kämpfer gegen Gott dastehen“), sondern daß uns das ganze eigentlich gar nicht so jucken sollte. Die Apostel freuten sich darüber, „für Seinen Namen Schmach zu erleiden“.

Wenn wir davon überzeugt sind, daß die Kirche Gottes Werk und nicht nur reines Menschenwerk ist, dann werden auch noch so viele „Kampagnen“ sie nicht zerstören können. Natürlich gibt es in der Kirche genug Menschliches, allzu Menschliches. Wenn wir das verlieren, können wir dabei doch nur gewinnen. Ansonsten: Was juckt es ’ne deutsche Eiche, wenn sich ’ne Wildsau dran schubbert? Oder will ich insgeheim doch von der „Welt“ geliebt werden?

Aber das setzte eine christliche Gesellschaft voraus, und daß wie nicht (mehr) in einer solchen lebe, weiß ich spätestens, seit ich in der sechsten Klasse auf einem katholischen Gymnasium von meinen Mitschülern dafür ausgelacht wurde, die zwei freien Stunden etwa an Allerseelen tatsächlich für den Meßbesuch genutzt zu haben…

Lange Rede kurzer Sinn: Eigentlich sollte uns die ganze Hetze voll am Arsch vorbei gehen.

Mich wundern weniger die Angriffe von außen, die vielen Nicht-Katholiken, die so genau wissen, was die Kirche ändern muß. Die lassen mich weitgehend kalt. Mich wundern auch nur bedingt Angriffe der üblichen innerkirchlichen Verdächtigen von IKVU, BDKJ und bestimmten Theologen. Da macht mich höchsten aggressiv, daß keiner was dagegen sagt. Mich wundert angesichts dessen auch nicht, wenn 08/15-Gemeindemitglieder der Meinung sind, die Kirche sei Scheiße. Das läßt mich zu Provokationen neigen, wobei das bei mir hier eher selten vorkommt. (Der einmaligen Aussage „Taufe hat doch heute mit Erbsünde nichts mehr zu tun“ steht die Beobachtung gegenüber, daß vermeintlich unzeitgemäße Frömmigkeitsformen wie Rosenkranz etc. völlig selbstverständlich sind, Mundkommunion kaum ein Kontroversthema ist und überhaupt etwas mehr Hermeneutik der Kontinuität verbreitet zu sein scheint. Jedenfalls scheinen mir einige ältere Gemeindemitglieder ab 60 aufwärts ihre „vorkonziliare“ Frömmigkeitsbildung nie völlig abgelegt zu haben.)

Was mich aber verwundert und traurig macht, sind plötzliche, quasi zusammenhangslose Spitzen gegen die Kirche und ihre Lehre von Leuten, die sonst eigentlich durchaus was für die Verbreitung des Glaubens tun (wollen) und (in einem Fall) sogar mal deutlich gesagt haben, gegen diese „Was aus Rom kommt, ist eh Scheiße“-Einstellung hätten sie schon immer was gehabt.

Kann es eventuell sein, daß es in kirchlichen Kreisen teilweise sowas von zum guten Ton gehört, über die Kirche herzuziehen, daß selbst solche, die eigentlich die Kirche lieben, meinen, sie müßten gelegentlich auch mal was gegen die Kirche sagen, weil sie sonst Außenseiter seien?

Ich habe mich ja schon immer darüber gewundert, mit welcher Begeisterung manche Leute die Einschränkung der freien Religionsausübung und individueller Freiheitsrechte akzeptieren, wenn es „den bösen Nachbarn“, in letzter Zeit vor allem die Moslems, trifft. Als ob nicht klar wäre, daß die Christen die nächsten Opfer wären. Gegen Kirchtürme kann man (noch) nicht vorgehen, da sie schon seit Jahrhunderten üblich sind, gegen Minarette schon. Dabei sind bereits läutende Glocken vielerorts ein Streitpunkt, insbesondere wenn sie wie in meiner Heimatpfarrei nach einem Unfall wegen des folgenden Rechtsstreits mit der Wartungsfirma jahrlang geschwiegen hatten.

Nun hat Patrick Bahners anläßlich geplanter Burkaverbote meinen diffusen Eindruck in der FAZ in prägnanten Worten zum Ausdruck gebracht. Hinter entsprechenden Forderungen stehe nicht nur das Mißverständnis, daß Religionsfreiheit Freiheit von der Religion bedeute, das auch der Aufklärung selbst nicht gerecht werde; die habe nämlich die Trennung von Kirche und Staat angestrebt, ohne mit Atheismus den Glauben zu bekämpfen (wobei das dann die Französische Revolution tat). Dahinter stünde vielmehr ein Fundamentalismus der Aufklärung. Fundamentalismus bestehe nämlich nicht darin, von fundamentalen Werten überzeugt zu sein, sondern könne sich unter anderem in einem Mißverhältnis von angestrebtem Zweck und angewendeten Mitteln ausdrücken. Mit anderen Worten: Die „Aufklärung“ schießt mittlerweile mit Kanonen auf Spatzen, um sich nicht selbst in Frage stellen zu müssen — was die historischen Aufklärer aber immer getan hätten.

Bleibt nur die Frage, ob Bahners recht hat, wenn er meint, eine jährliche unverschleierte Meldepflicht für alle Frauen würde nicht mehr auf die Zustimmung hoffen können, auf die „Strafzettel gegen Falschgekleidete“ treffen. Ich bin da skeptisch…

Ins Leben geworfen
Mit einem tiefen Haßgefühl
Versuchte mich zu ändern,
Aber es blieb mein Schicksal
Supergau für die Welt
Ich werde dir Qualen bereiten!

Geschieden von den Strömen der Erlösung
Tödliche Dosis Mord per Impfung
Unordnung in Auslöschung
Dafür würde ich sterben

Das ist mein Leben
das sind meine Träume
Das meine Versuchung

All diese Sünden,
die ich nicht bereuen würde
Sie sind meine Versuchung

Süchtigmachende Emotionen,
die mich nie enttäuschen,
Sie sind meine Versuchung

Eure schwarzen Seelen
bis in ihren Kern zu erschüttern
Das ist meine Versuchung

Nie hätte ich gedacht,
Der Tag würde kommen
Nie hätte ich gedacht,
Dich sterben zu sehen,
wie du um die Gnade der Erlösung bettelst

Ins Leben geworfen
Mit einem tiefen Haßgefühl
Versuchte mich zu ändern,
Aber es blieb mein Schicksal
Supergau für die Gesellschaft
Ich werde ihr Qualen bereiten!

Brutstätte der Versuchung!
Vergiftet hinein
In die Brutstätte der Versuchung
Wir alle sterben
In der Brutstätte der Versuchung

Nach einer Vorlage von Maurizio Iacono, (P) 2006

Hütet euch vor dem Menschem,
denn er ist die Marionette des Teufels.
Als einziges von Gottes Geschöpfen
tötet er aus Spaß, Lust und Gier.

Die heiligen Schriften
enthüllen die Wahrheit…

Laß es sich nicht verbreiten,
denn es wird deine Heimat zur Wüste machen.
Meide es – treib es zurück in seine Brutstätte,
denn es ist ein Vorbote der Hölle.

Meide es – oder du wirst ihm ähnlich.
Meide es – das Tier Mensch.

Nach einer Vorlage von Michael Amott, (P) 1998

Vor ein paar Tagen hat Elsa eine kathweb.at-Meldung aufgegriffen, nach der Pater von Gemmingen, 27 Jahre lang Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan, in einem Beitrag in der Herderkorrespondenz die vatikanische Medienarbeit kritisiere – was natürlich in dieser Form auf ihn selbst zurückfiele, wie Elsa zu Recht andeutet.

Der eigentliche Witz an dieser kathweb.at-Meldung ist, daß sie genau das tut, was Pater von Gemmingen in der HK kritisiert: Die Medien drehen jedem Katholiken das Wort im Munde um.

Als ich in einer Sendung des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) die Frage beantwortete hatte, ob der Papst nach dem Williamson-Debakel zurücktreten könnte, schrieb eine Agentur „Gemmingen spekuliert über Papstrücktritt.“ Diese Schlagzeile war völlig falsch, denn ich hatte eindeutig gesagt, der Papst werde wegen Williamson nicht zurücktreten.

Genau so funktioniert auch die kathweb.at-Meldung: Was die Nebenschauplätze angeht, kritisiert der Pater eigentlich die deutsche Öffentlichkeit, die sich an solchen Themen aufgeilt, was die „Unprofessionalität“ der vatikanischen Öffentlichkeitsarbeit angeht, kritisiert er die Gesetze der heutigen Medienwelt, die immer oberflächlicher werde und natürlich nur schlechte Nachrichten bringe. So schreibt er etwa über die Kondomgeschichte auf der Afrikareise, daß jeder halbwegs gebildete Afrikaner über die Europäer nur den Kopf schütteln konnte, daß sich die nicht für die wichtigeren Themen interessierten, die der Papst in Afrika sehr treffend benannt hätte. Des weiteren stellt er sich vor Benedikt, der es im Schatten des mediengewandten Johannes Paul II. nicht leicht habe:

Die Welt will Bilder und Events, will Oberflächlichkeiten und Schlagworte. Er [JoPa] hat dieses Bedürfnis auch bedient. […] Er war ein „Papst zum Sehen“. Benedikt ist ein „Papst zum Hören“. Aber wer kann heute schon zuhören?

Erst auf der letzten halben Seite kommt er zum vorher mehrfach schon angedeuteten Anliegen, an der vatikanischen Pressearbeit etwas zu ändern – weil das eher möglich sei, als die gesellschaftlichen Realitäten und die Funktionsweise der Medienwelt. In diesem Kontext steht dann auch erst die Forderung nach einer eigentlichen Medienpolitik. Das klingt allerdings sehr viel harmloser, sachlicher und differenzierter, als wenn man das aus dem Zusammenhang reißt und so indirekt dem Vatikan (und nicht der deutschen Öffentlichkeit) die Schuld an den „Nebenkriegsschauplätzen“ gibt.

Dabei schreibt er auch ganz deutlich, daß die Kirche sich keineswegs einfach anpassen dürfe, es gäbe nuneinmal eine Differenz zwischen Evangelium und Welt. (Und, das sei einmal von mir angemerkt, vielleicht will sich die Welt auch einfach bloß darum drücken, sich mit dieser Differenz auseinanderzusetzen.) In diesem Kontext beschreibt er auch den Relativismus als Grundproblem vatikanischer Öffentlichkeitsarbeit: Die Kirche muß verkündigen, muß ihre Wahrheit verkünden, aber die Welt ist skeptisch gegenüber jeglichem Wahrheitsanspruch. „Zwei Welten stoßen aufeinander“ lautet eine Zwischenüberschrift.

Er meint jedoch, daß der Vatikan durch ein paar kleine Änderungen und etwas mehr Koordination seiner vatikanischen Medienarbeit, die öffentliche Meinung durchaus stärker beeinflussen könnte als durch eigene Zeitungen, Radios und Internetseiten. Denn diese seien gerade wegen ihres Urheber kaum meinungsbildend, und daran könne der Vatikan auch nichts ändern (s. o.: Evangelium und Welt). Den größten Impact hätten vielmehr die Meldungen der Nachrichtenagenturen, und hier müßte der Vatikan mit seiner Beeinflussung anfangen.

Damit habe ich schon einen Begriff gebraucht, den der Pater nicht verwendet: Beeinflussung. Denn genau darauf laufen doch die genannten „Mediengesetze“ hinaus: Manipulation. Wollen wir das wirklich? Manipulation anstelle der Kraft des besseren Argumentes? Pater von Gemmingen deutet meiner Meinung nach die Antwort am Ende selbst an:

Die hoch interessante Auseinandersetzung zwischen Evangelium und moderner Welt muss ins Zentrum der Medienarbeit. Dafür wäre der Theologe Joseph Ratzinger auf dem Petrusstuhl eigentlich die richtige Person. Was er braucht, sind kreative Mitdenker.

In dieser Auseinandersetzung wird die Kirche keine Sonne sehen, wenn sie sich auf die Regeln der Welt einläßt. (Just my 2 Cents.)

Nachtrag zur Lebenswende:

Kernargument dafür, daß in der Lebenswendefeier recht wenig von christlichen Kernwahrheiten die Rede ist, war ja, daß der Zielgruppe überhaupt erstmal die Grundlagen für diese Wahrheiten, nämlich die Denkmöglichkeit von Transzendenz, nähergebracht werden muß. Jetzt bin ich über ein Interview mit Weihbischof Dr. Hauke in der Herder-Korrespondenz 12/2009 (610-615) gestolpert, das das indirekt aus seinem Munde bestätigt:

Wie soll man draußen erzählen, was einem selbst wichtig ist? Man weiß das zwar alles schon, rein theoretisch. Dies aber zu formulieren ist äußerst schwierig, erst recht gegenüber Menschen, die keinerlei oder kaum Kenntnis vom christlichen Glauben besitzen. In der öffentlichen Verkündigung müssen wir so immer wieder verinnerlichen, dass wir es mit Menschen zu tun haben können, die keinen religiösen Hintergrund haben. Wir können deshalb nicht ohne weiteres beispielsweise von Gnade, Sühne, Barmherzigkeit reden; das wird im außerkirchlichen Bereich kaum verstanden.

[…]

Vor allem im Umgang mit erwachsenen Taufbewerbern spüre ich immer wieder, wie ich um Worte ringe. In der gemeinsamen Bibellektüre mit den Taufbewerbern versuche ich dann zuerst den Horizont zu weiten auf ein geschichtliches Denken, auf dieses sinn-deutende Denken der Bibel hin.Wir dürfen dabei aber nicht nur die Schwierigkeiten sehen. Durch dieses Herausgefordertsein in einem nichtreligiösen Umfeld klärt sich auch vieles für uns Christen selbst, was den eigenen Glauben angeht.

[…]

Der Religionsunterricht ist eine große Chance, Menschen mit dem Glauben bekannt zu machen, freilich zunächst auf der Informationsebene. Wir müssen erklären, was Christen glauben, was ihr Leben sinnvoll macht. Wir sagen den Schülern zuallererst, dass es sinnvoll ist, sich mit dem Glauben zu beschäftigen, um in einer christlich geprägten Kultur zurechtzukommen. […] Natürlich aber müssen wir auch damit rechnen, dass viele das lediglich zur Kenntnis nehmen, es sie dann aber nicht weiter berührt. Bei manchen aber entsteht daraus die Frage nach dem Sinn des Ganzen.

[…]

Wenn ich diese [missionarischen] Projekte vorstelle, betone ich zunächst immer, dass sich, was in Erfurt beispielsweise möglich ist, nicht überall eins zu eins übersetzen lässt. Entscheidend ist, dass wir lernen, quasi von außen zu schauen, was Kirche tut. Das ist sehr heilsam.Wir müssen uns doch beispielsweise immer wieder fragen, mit welchen Worten wir formulieren, was uns wichtig ist. Oder gucken wir uns doch beispielsweise einmal die Schaukästen unserer Gemeinden an. Was findet dort jemand, der bislang keinen Kontakt zur Kirche hat und wissen möchte, was katholische Kirche eigentlich ist? Wir müssen uns viel öfter noch von außen anschauen und fragen, ob wir wirklich verständlich sind. Schreiben wir doch in Schaukästen und auf die Gemeinde-Homepage, was Fronleichnam oder Pfingsten für uns bedeutet!

Das Interview ist übrigens auch darüber hinaus durchaus lesenswert, da geht’s auch um andere missionarische Projekte (übrigens sogar das Kolumbarium! – deshalb geht es allerdings gerade nicht um die Frage der Feuerbestattung) und deren Hintergründe. Nett war etwa:

In dem „Buch der Anliegen“ im Dom stand jüngst: „Gott ich glaube nicht an Dich, aber pass’ auf meine Oma auf, die jetzt im Himmel bei Dir ist.“ Natürlich lässt sich sagen, dass das widersprüchlich ist: Ich habe die Sehnsucht nach Geborgenheit, aber ich habe auch Angst vor der Konsequenz, dass, wenn ich mich öffne und sage, es gibt einen Gott, ich mich ja auch ein bisschen um diesen Gott kümmern muss. Wir als Kirche sollten uns aber immer fragen, wie hoch unsere Schwellen sind, und ob es uns gelingt, den Menschen zu zeigen, dass sie etwas gewinnen können und nicht nur, dass sie etwas verloren haben.

Und dann gibt’s noch zwei volle Breitseiten:

Ich erlebe derzeit viel zu viel Verlustangst in der Kirche und die Angst, sich auf Neues einzustellen. Es herrscht ein Geist der Besitzstandswahrung. Dabei merkt man, dass es nicht weiter geht wie bisher, Gesellschaft und Kirche verändern sich so schnell. Die Kirche in Deutschland erlebt einen echten Umbruch und vielleicht sind wir in den neuen Ländern in diesem Prozess schon etwas weiter. Wir Christen sind herausgefordert, neu zu denken und das Wertvolle unseres Glaubens neu zu sehen. Es ist keine Katastrophe, man kann auch in der Diaspora als Christ leben. Kirche kann auch in dieser Situation existieren, uns droht nicht der Super-GAU. Das zu akzeptieren und zu verstehen ist entscheidend, damit wir uns nicht lähmen lassen. Die Anfrage eines Menschen von außen, der mich ganz unvorbelastet nach der Kernaussage des Christentums fragt, darf mich nicht in Empörung verstummen lassen. Ich brauche keine Angst zu haben vor den Fragen der Menschen.

[…]

In zehn oder zwölf Jahren werden wir keine Pfarrer mehr an jedem Ort haben, auch dort nicht mehr, wo heute noch welche sind. Wir müssen also die Gemeinden langsam wieder damit konfrontieren, dass der Hirt der Gemeinde Christus selbst ist. Christus leitet die Gemeinde. Ich wage zu sagen: Dass Christus das Zentrum der Gemeinde ist und nicht der Pfarrer, das haben die Gemeinden und auch viele Pfarrer selbst viel zu sehr verdrängt.

„Toleranz hilft da nur wenig. […] Die konfessionellen und religiösen Grenzen haben sich eher vertieft als vermindert, obwohl die religiöse Vielfalt in den Gesellschaften hoch ist“,

sagt der evangelische Theologe Hans-Peter Großhans, Direktor des evangelischen Instituts für Ökumenische Theologie an der WWU Münster. Das klang im ersten Moment zukunftsweisend. Im weiteren Text aber fanden sich so merkwürdige Formulierungen wie:

„Im neuzeitlichen Bewusstsein kann man über alles offen reden. Nur im Bereich der Religionen geht gar nichts. Man tauscht sich nicht aus. Das ist unbefriedigend.“

und:

„Der Experte betonte, die wachsende Distanz zwischen den Religionen lasse sich generell nur auf Basis echter gegenseitiger „Anerkennung“ überwinden. „Du kannst nicht mit anderen Religionen reden, wenn Du ihre Wahrheit nicht ernst nimmst“, so der Theologe. Es gehe eben nicht nur um Toleranz, sondern darum, abweichende Einstellungen und Lebensweisen anzuerkennen.“

Fordert Großhans nun also die endültige Vergleichgültigung aller Religion? Weit gefehlt! Die Kreise in denen sich Großhans theologisch verorten läßt und auch seine Veröffentlichungen weisen darauf hin, daß es sich hier um einen Denker handelt, der sich der Postmoderne sehr genau bewußt ist. Darauf bin ich allerdings erst gestoßen, nachdem sich meine anfängliche Aufregung wieder gelegt hatte, denn die obigen Formulierungen lesen sich wie eine völlige Auflösung des Wahrheitsanspruchs in seinem grundlegenden Inhalt – nämlich den Wahrheitsanspruch sich logisch ausschließender Positionen zu bestreiten.

Unter der Voraussetzung eines postmodernen Autors legt sich plötzlich eine alternative Lesart nahe: Es geht nicht darum, die Wahrheit des anderen auch als die eigene Wahrheit anzuerkennen, sondern als Wahrheit(sanspruch) des anderen ernst zunehmen, ihn gerade in seiner Andersheit wahrzunehmen und so mit ihm ins Gespräch zu kommen – ohne dabei den Wahrheitsanspruch der eigenen Perspektive aufzugeben. Perspektive ist das postmoderne Schlüsselwort hier – das eben in der Meldung nicht fällt! Denn die Anerkenntnis der Perspektivität jeglicher Position ermöglicht es, selbst einen Wahrheitsanspruch zu formulieren, ohne den Andersgläubigen vernichten zu müssen – getreu dem Motto: Natürlich bin ich von der alleinigen Wahrheit des Christentums überzeugt, aber ich weiß auch, daß meine Erkenntnis und Verwirklichung des ganzen ist notwendigerweise defizitär ist (sonst bräuchten wir ja keine Beichte).

Gerade so aber kommt die postmoderne Form des Wahrheitsanspruchs der (ur-)christlichen relativ nahe. Der Wahrheitsanspruch des anderen wird zwar bestritten, aber das, was aus christlicher Perspektive anschlußfähig ist, auch aus dieser also als wahr anerkannt werden kann oder sogar muß, kann auf die natürliche Gotteserkenntnis zurückgeführt werden, die prinzipiell (wenn auch ohne Offenbarung nur sehr unvollkommen) jedem Menschen als Geschöpf Gottes möglich ist. Die frühchristlichen Apologeten sprachen hier von den logoi spermatikoi, den Samen des Wortes (Logos). Freilich kann es auch sein, daß der Austausch mit Nicht-Christen über ihre Perspektive mich aus ihrer spezifischen Sensibilität heraus tatsächliche Defizite des „real-existierenden“ Christentums erkennen läßt, die ich im Alltagstrott gefangen nie selbst hätte erkennen können. Gerade das dürfte Großhans mit „in ihrer Wahrheit anerkennen“ meinen.

Nur warum sagt er das nicht? Vielleicht hat da ein unverständiger Presseheini Mist draus gemacht, was allerdings unwahrscheinlich ist, da es sich um die Mitteilung eines Exzellenzclusters handelt, also dürfte eher ein (ausgebeuteter) Student oder Mittelbauer die Meldung verfaßt haben, der den Professor besser hätte verstehen können müssen. Vielleicht kommt das bei den politischen Geldgebern des Exzellenzclusters einfach besser an, wenn man nicht allzu deutlich sagt, woher der Wind weht – aber nein, das geht auch nicht, denn die Wissenschaft ist ja grundgesetzlich geschützt frei. Bleibt also nur die Möglichkeit: Hier soll einer als weniger postmodern eingeschätzten Öffentlichkeit ganz langsam die Postmoderne erklärt und schmackhaft gemacht werden – und mir fällt da nur eine Öffentlichkeit als Zielgruppe ein, nämlich die kirchliche. Bedauerlich nur, daß potentielle Verbündete so bereits persönlich bekannt sein müssen…

In der heutigen FAZ erschien ein bemerkenswerter, ganzseitiger Artikel (Joachim Klose und Werner J. Patzelt: Christliche Werte und Politik) über das „C“ in CDU. Zwar könnte man über einige Aussagen im Detail streiten, auf der anderen Seite finden sich Aussagen und Forderungen, für deren öffentliche Äußerung man vor 20 Jahren sowieso und in der Merkel-CDU noch heute gesteinigt würde.

Grundforderung des Artikels ist, daß die CDU – unterstellt, sie wolle das „C“ und damit sich selbst überhaupt noch ernst nehmen – zeigen müsse, daß auch und gerade unter den heutigen pluralistischen Gegebenheiten noch politisches Handeln auf der Grundlage des christlichen Glaubens begründet möglich ist. Um es nochmal deutlicher zu formulieren: Die Autoren fordern nicht, die CDU müsse eine solche Möglichkeit ausprobieren. Vielmehr setzten sie diese Möglichkeit schlicht voraus, und fordern von der CDU, sie umzusetzen. Zwar würden sicher nicht alle Dimensionen christlichen Glaubens auch Nicht-Christen einleuchten, fast alle seien aber „Anders- und Nichtglaubenden verständlich und einsehbar zu machen“.

Und damit meinen die Autoren nicht ein weichgespültes „modernes“ Christentum, auch wenn ihr Ansatz bei der grundsätzlich guten Schöpfung im ersten Moment so erscheinen könnte. Doch dient dieser Ansatz nur zur Einführung der Frage nach dem Bösen. Ihre Antwort, es komme durch menschliches Handeln in die Welt, „das falschen Zielen folgt oder falsche Mittel anwendet“, erklären sie zur Basis der Grundstrukturen politischen Handelns. Denn:

Um auf der Grundlage menschlicher Freiheit individuelles Leben und die Schöpfung gelingen zu lassen, hat Gott Regeln geoffenbart, deren Befolgung ein gutes Leben von Einzlnen und Gesellschaften ermöglicht […] Jeder Einzelne wird eines Tages vor Gott Rechenschaft darüber abzulegen haben, was er an Bösem getan und an Gutem unterlassen hat und wie er in Ausübung seiner Freiheit in Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik tätig war.

Bei aller Berechtigung der Autonomie der innerweltlichen Sachbereiche dürfe sich der Politiker nicht auf die Funktionslogik des Bösen einlassen, müsse vielmehr an ihrer Überwindung arbeiten. Das ermögliche gerade der Glaube daran, daß sich das Leben nicht bis zum Tod erfüllen muß, sondern seine Erfüllung sogar erst nach dem Tod finden kann. Auf dieser Grundlage könne der christliche Politiker in ganz anderen Zeiträumen denken und sich selbst weniger wichtig nehmen.

Doch sei auch der Mensch, der das Gute erkannt habe, fähig, das Falsche zu tun. Im Rechtstaat könne das Justizwesen zwar eine gewisse Entlastung angesichts des Falschen und Bösen leisten, doch Christen helfe hier viel besser „das Denken in Begriffen von Gewissen und Reue, von Buße und Vergebung, desgleichen das Hoffen auf göttliche Gerechtigkeit“:

Alles menschliche Handeln steht im Horizont der Verantwortung für Gottes Schöpfung. […] Aus diesem Zusammenhang gerissen, verleitet menschliche Gestaltungsmacht leicht zu Zerstörung und Ausbeutung. Christen jedenfalls streben danach, die Wirklichkeit als Gottes Schöpfung anzusehen. Beim Blick auf sie und ihr eigenes Tun und Lassen in ihr erkennen sie Gott als Grund der Welt und als Richter.

(Hierauf folgt übrigens ein Seitenhieb auf den unzureichenden Einsatz für den Lebensschutz vor allem zu Beginn und am Ende des Lebens.)

Christen, die aus solchen Einsichten schöpfen, können sich mit besonderer Zuversicht daranmachen, Natur und Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft zu gestalten. Sie besitzen zwar nicht schon die richtigen Konzepte in den Details, aber ihr Kompaß stimmt. Nordrichtung ist das „Reich Gottes“, das „nahe ist“…

Es sei daher auch falsch, Macht zuvörderst vom – selbstverständlich immer möglichen – Machtmißbrauch her zu verstehen, da „alle Macht, wie Jesus einst zu Pilatus sagte, von Gott gegeben ist“. Daher sei auch eine falsche Scheu vor dem Einsatz „der härtesten Formen politischer Macht“, der polizeilichen und militärischen Gewalt, zu überwinden. Denn wenn der, der die Macht als mißbrauchsanfällig erkannt hat, gerade deswegen ihre Anwendung immer und prinzipiell ablehnt, wird sie von denjenigen ergriffen werden, denen diese Einsicht fehlt oder die den Mißbrauch geradewegs anstreben. (Getreu dem Motto: Wenn der Klügere immer nachgibt, wird die Welt von den Dummen beherrscht.) Christen müßten eigentlich wissen, daß sie

von Gott dereinst nicht nur für die Anwendung von Macht, sondern auch für deren Nichtanwendung zur Rechenschaft gezogen werden. Stellen sich Christen durch ihr politisches Engagement solcher Verantwortung vor Gott, dann legen sie Zeugnis ab von der Stärke ihrer Hoffnung…

Kurz gesagt: Grundlage christlich motivierten politischen Handelns sei gerade das Wissen um die Fehlbarkeit der Menschen und ihre je individuelle Verantwortung vor Gott, woraus Nachsicht und Barmherzigkeit gegenüber den Schuldiggewordenen resultiere: Der Irrende sei zu lieben, sein Irrtum aber zu hassen!

Solche christliche Politik könne prinzipiell in allen Parteien betrieben werden, „die die Würde des Menschen achten und auf Dauer für eine auf Gott hin offenen Gesellschaftsordnung eintreten“. Die Frage sei allein, welche Kompromisse ein Christ eingehen könne. Die protestantische Tradition lege hierbei dem Einzelnen große Verantwortung auf, die katholische sehe die Auslegung der christlichen Botschaft obendrein als Aufgabe des kirchlichen Lehramtes:

Zwar betont das Zweite Vatikanische Konzil ausdrücklich die Autonomie des Gewissens; dieses muß aber ernsthaft geprüft und an den Argumenten des Lehramtes geschärft werden.

Auf der Suche nach politischen Mehrheiten dürfe der Christ seinen „Kompaß“ nicht aus dem Auge verlieren!

All das sei zwar spezifisch christlich, aber sehr wohl auch unter anderen Vorzeichen als vernünftige und sinnvolle Basis politischen Handelns zu erkennen.