Musik

Nachdem ich gestern meine Grabscher an einem neuen Gotteslob samt Anhang der „Ostbistümer“ hatte, habe ich meinen Frieden mit ihm geschlossen. Insbesondere das Salve Maria Königin aus dem Rheinfelsischen Gesangbuch habe ich nämlich im Anhang wiedergefunden, genauso ein paar andere Lieder, die ich sonst schmerzlich vermißt hätte.

Zudem wartet der Anhang mit sage und schreibe 36 Heiligenliedern auf. Und davon sind nicht 35 Marienlieder (nichts gegen Marienlieder!). Bernhard Lichtenberg, Alois Andritzki, Hedwig usw., alles was hier an Heiligen (und Seligen) regionale Bedeutung hat, ist mit einem eigenen Lied vertreten. Kurioserweise (wie ich finde) ist sogar „Sei gegrüßet, o Libori“ drin. Das Lied kannte ich bisher nur aus Paderborn. (Ok, Magdeburg und Erfurt sind ja Teil der nämlichen Kirchenprovinz und haben beide auch zumindest teilweise eine Paderborner Vergangenheit. Trotzdem irgendwie kurios.)

Und überhaupt finden die Aspekte, die im Hauptteil teilweise ein wenig dünn geraten sind, im Anhang ihren würdigen Ausgleich. Da „opfert“, „blutet“ und „kreuzt“ es, daß nur so eine Freude ist! Wobei der Anhang auch wieder nicht völlig traditionalistisch daherkommt, sondern auch nochmal einiges an NGL aufweist (auf den ersten Blick in einer guten Auswahl, man könnte sagen: die besseren, oder, die subjektive Seite des ganzen treffender zum Ausdruck bringend: hauptsächlich die, die sogar mir halbwegs gefallen :-). Alles in allem scheint mir der Anhang eine gute Mischung geworden zu sein, wobei man fairerweise sagen muß, daß er fast ausschließlich aus Liedern besteht, während der Hauptteil bestimmt zur Hälfte aus Nicht-Liedern besteht; da kann dann nur ein Gerippe der nötigsten Lieder übrigbleiben.

Bisher war mir auch nicht klar gewesen, daß der Anhang nun schon bei Nr. 700 beginnt. Während des Studiums ging mal das Gerücht um, es wäre geplant, überhaupt keine Diözesananhänge mehr zuzulassen, was mir einigermaßen schlaflose Nächte bereitet hatte. Stattdessen sind sie sogar umfangreicher geworden. Wat’n Glück!

Wenn ich schon sonst nicht zum Bloggen komme, dann muß ich mich wenigstens an der „Blogparade“ beteiligen. Dabei ist das Thema etwas kompliziert. Was ist eigentlich ein Lieblingslied? Da kriege ich schon die Krise, wenn’s um Metal gibt (ich kann mich nicht mal auf ein Lieblingsalbum einschießen, erst recht nicht auf ein bestimmtes Lied), um wieviel mehr dann beim Gotteslob, das nun mal naturgemäß Lieder für jede Gelegenheit enthält (und ich belasse es beim Gotteslob, sonst werde ich nie fertig [bin ich eigentlich unentschlossen? Ja, nein, äh, vielleicht]).

Vor 25 Jahren hätte ich spontan die 258 genannt (Lobe den Herren), vor 20 Jahren war es 472 (O Jesu, all mein Leben bist Du), vor 15 Jahren 642 (Eine große Stadt ersteht), vor 10 Jahren BBK-Anhang 823 (Triumph der Tod ist überwunden) und dann kamen so viele Lieder (z.B. 111 „Die Nacht ist vorgedrungen“, 114 „Es kommt ein Schiff geladen“, 553 „Du König auf dem Kreuzesthron“, 815 [BBK] „Heilges Kreuz, sei hochverehret“, 160 „Bekehre uns, vergib die Sünde“, 584 „Christi Mutter stand mit Schmerzen“) dazu, daß ich heute nicht mehr sagen könnte, daß davon eines mein Lieblingslied wäre. Zumal alle Lieder im „Lieblingsliederrepertoire“ (wenn ich mich mal so widersprüchlich ausdrücken darf) blieben.

Welche Kriterien müßte mein Lieblingslied eigentlich erfüllen? Zum einen muß es einen Text haben, der mich anspricht (das ist ein KO-Kriterium z.B. für „Wenn das Rote Meer Grüne Welle hat“, das zurecht nicht im GL steht). Weiterhin muß der Inhalt eine besondere Bedeutung für mein Glaubensleben gewonnen haben (so z.B. das Neue Jerusalem => 642) und das Lied mindestens einen Textabschnitt haben, der für mich geistlich bedeutsam geworden ist oder mich besonders getroffen hat (z.B. „Drücke deines Sohnes Wunden, wie du selber sie empfunden, heilge Muter in mein Herz“ in 584 – sowas von tremendum et fascinosum…). Zum anderen muß aber die Vertonung wenigstens zum Text passen (als Negativbeispiel – nicht aus dem GL – „Wir erheben uns im Glauben“, das mich durch seinen triumphalistisch-kämpferischen Text anspricht, aber in der Interpretation des Texters und Komponisten ein Wischi-Waschi-Wir-ham-uns-alle-lieb-Lied geworden ist; ein Glück, daß man die Grundkomposition auch nach Art des True Metal interpretieren kann), am besten aber eine Nuance des Textes betont, die sonst leicht untergehen könnte oder im Text gar nicht ausgedrückt wird, wohl aber drinsteckt (was die Vertonung mit einem Text machen kann, zeigen die Vertonungen von „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ – Wohlfühl- oder Vertrauen-im-Kampf-Lied). Geradezu kongenial finde ich z.B. die Vertonung von „Die Nacht ist vorgedrungen“ (111). Der Text setzt praktisch durchgehend den ersten und den zweiten Advent zueinander in Beziehung – und die Vertonung setzt noch den Aspekt des Verlangens, der Sehnsucht nach dieser Ankunft darauf. Boah, ist das ein Hammer!

Da ich mich jetzt immer noch nicht entscheiden kann, habe ich noch ein weiteres Kriterium hinzugefügt: das Lied steht nicht im neuen Gotteslob, Das Lied, das nicht im neuen Gotteslob zu finden ist und dessen Fehlen mir den bisher größten Schmerz versetzt hat, ist die gegenwärtige Nummer 572 „Salve! Maria Königin“.

Zunächst einmal zum Text: Es handelt sich um eine Paraphrasierung des Salve Regina und erfüllt damit für mich alle Kriterien. Das Salve Regina hat im Grunde im Alleingang alle meine Schwierigkeiten und Vorbehalte gegen Marienfrömmigkeit zertrümmert (und wenn ich jetzt noch dazu schreibe, daß einen kleinen Anteil am „Durchbruch“ noch „Segne Du Maria“ hatte, erschlägt mich wahrscheinlich meine Frau :-)). Also, an Bedeutung für mich nicht zu überschätzen.

Viel entscheidender, und das ist der Grund, warum ich es so schade finde, daß gerade diese Salve-Regina-Vertonung aus dem Gotteslob geflogen ist, ist die Musik. Ich glaube, ich habe es nur zwei oder dreimal im Gottesdienst erlebt. Und ich schreibe bewußt „erlebt“, nicht „gesungen“, denn ein Erlebnis, das war es! Daß ich mitgesungen habe, hatte den kleinsten Anteil. Hätte ich geschwiegen, so hätten die Steine gesungen!

Ich hatte das Glück, einen Pfarrer zu haben, der ohne Verstärker mit seinem Gesang den Erfurter Dom füllen konnte. Da sang also tatsächlich ein einziger ohne jegliche Unterstützung das „Salve!“ des Vorsängers, und es hallte von den Wänden wieder. Dicht gefolgt von einer geradezu brachial einsetzenden Orgel, die sich nicht mit einer Überleitung aufhielt. Man sollte nicht vergessen, daß das „Salve!“ mit einem Quartsprung nach unten endet, das „Maria, Königin“ aber eine Oktave höher weitergeht. Alleine das hat mich schon fast in den siebten Himmel entrückt. Ich will mich jetzt hier nicht an einer stümperhaften Analyse versuchen, warum dieses Lied diese Wirkung auf mich hat, aber für mich bringt die ganze Vertonung alles zum Ausdruck, was man im Salve Regina überhaupt finden kann. Das Lied ist geprägt von einer himmlisch-königlichen Herrlichkeit, in der alles drinsteckt: Ehrfurcht, Sehnsucht, Majestät, Verehrung, Gewalt, Zärtlichkeit und vor allem – Freude, unbändige, innerlich geradezu zerreißende, fast nicht auszuhaltende Freude.

Vielleicht ist es gut, daß ich dieses Lied nicht dreimal die Woche singen darf, daß ich es in einer besonderen Umgebung in besonderer Konstellation, wo vielleicht alles einfach paßte, kennenlernen durfte, und es so etwas ganz Besonderes blieb. Und ganz sicher ist seine seltene Verwendung auch der Grund, warum es nicht im neuen Gotteslob steht.

Schade ist es trotzdem.

kainlogoIm letzten Sommerurlaub stieß ich in der Legacy auf einen Beitrag über Kain. Eine Metal-Band, die sich auf den Hintergrund „christlicher Mythologie“ mit Gut und Böse auseinandersetzt? Haben will! Es dauerte zwar noch, bis sich – ratter, ratter, ratter, woher kannte ich den Namen? – der Keyboarder/Komponist der Band auf meine Homepage verirrte, daß ich die Scheibe auch wirklich in den Händen hielt. Aber dieses Album konnte ich doch nicht übergehen.

Als ich die Scheibe dann in den Händen hielt, erstmal Ernüchterung: Da stand was von Pagan/Black Metal und „für Fans von Eisregen, Varg, Equilibrium, early Die Apokalyptischen Reiter, Thrudvangar, Catamenia…“ – irgendwie nicht so meine Baustelle. Varg, Equilibrium, – habe ich schonmal gehört, sind ohne nennenswerte Erinnerung; Thrudvangar, Catamenia – kenne ich nichtmal; Anklänge an frühe Apokalyptische Reiter – kann ich nicht finden; Eisregen – ja, im Gesang, vor allem in „Verkünder des Hasses“ (das ich allerdings für das schwächste Lied des Albums halte).

kaingroup1 Durch diese Vorgaben aber erstmal auf Black Metal gepolt, dauerte es eine ganze Weile, bis ich die Elemente erkannte, die (zutreffender) auf der Bandhomepage genannt werden – Black Metal und Melodic Death Metal. Letzteres ist etwas mehr meine Baustelle, allerdings bin ich da entwicklungsmäßig vor ca. 10 Jahren stehen geblieben (frühe In Flames [bis Reroute to Remain], Arch Enemy [Stigmata regelt!], At the Gates; mit Dark Tranquillity z.B. bin ich aber nie warm geworden). Daher lag mir auf der Zunge: Was kommt raus, wenn man Black Metal und Melodic Death Metal mischt? Klar: Melodic Black Metal.“ Entsprechend war mein erster Eindruck: Klingt nach Bal-Sagoth. Nach mehrmaligem Hören konnte ich dann auch Black Metal- von Melodic Death-Elementen unterscheiden. Spricht ja zunächst einmal für die Musik, daß alles nach einem Guß klingt. Und in „Sturz des Lichtbringers“ kann ich auch noch ein bißchen Primordial und damit Pagan Metal raushören.

Inhaltlich wurde mir aufgetragen, die Texte nicht zu überinterpretieren, was ich auch gar nicht tun will. Gute Metal-Lyrics zeichnen sich sowieso dadurch aus, daß sie verschiedenen Interpretationen zugänglich sind und ihre Interpretation mehr über den Deutenden als die Texte aussagt. Wie schon im Legacy-Beitrag angekündigt, drehen sich die Texte um die ersten Kapitel der Genesis und was sich so an Legenden darumherum entwickelt hat (Göttersöhne, Menschentöchter; Engelsturz; Krieg gegen den Himmel; Kains Mord an Abel). Was das Traditionalistenherz besonders erfreut: Hier wird nichts problematisiert, aus der Zeit heraus (weg-)erklärt und psychologisch umgedeutet, sondern das mythisch-legendarische Material in seiner überlieftern Form verarbeitet und dargestellt – eingeschlossen die eher Black Metal-untypische Niederlage des Teufels gegen Michael („Sturz des Lichtbringers“). (Untypischer ist vielleicht nur noch das Falco-Cover „Out of the Dark“ als „Hidden Track“ am Ende… Wobei mich das Stück in diesem Konstext beinahe doch zu einer inhaltlichen Gesamtdeutung des Albums verleitet hätte – „Muß ich denn sterben um zu leben?“ *g*)

Zurück zur Musik. Herausragend sind für mich „Freiheit ruft“ und „Vom Erdenleid“. Letzteres ist eine gute Mischung aus Melodic Death und Black Metal-Brachialität mit ein paar Mosh-Parts, Tempowechseln und ein paar infernalischen, aber wohl technisch erzeugten stimmlichen Einlagen – und vor allem Riffs die im Ohr bleiben. (Apropos Gesang: In „Fleischeslust“ kriegt man ernsthaft und trotz Berücksichtigung der Differenz zwischen Sänger und Lyrischem Ich Sorgen um das Seelenheil des Sängers 🙂 Da zeigt er, was er mit seiner Stimme machen kann, im Rest bewegt er sich leider im Bereich des „Üblichen“, Genretypischen, Durchschnittlichen.)

„Freiheit ruft“ – hört selbst:

So muß Metal klingen, wenn er denn schon melodisch sein muß. Das Stampfen des Songs bringt gut den Stolz des Teufels zum Ausdruck, der die Engel zum Aufstand aufruft; die Riffs bringen zugleich ein wenig Melancholie mit ins Spiel, die dem Thema objektiv gesehen durchaus angemessen ist, die der geifernde Gesang aber überheblich kontrastiert; Fills unterstützen die Wirkung von Überheblichkeit. Das größte Lob hatte aber meine Frau auf Lager, als ich ihr den Song mit der Erläuterung: „Das ist die Aufstandspredigt des Teufels im Himmel“, vorspielte: „So klingt’s auch!“ – Bingo! Das ist Metal: Klingt musikalisch dem textlichen Inhalt entsprechend. Ist allerdings der für das Album untypischste Song.

Insgesamt: Mir gefällt’s, kann man gut nebenbei hören, ist handwerklich voll in Ordnung, aber kein Meilenstein der Musikgeschichte. Der Gesang in „Fleischeslust“ sowie die Songs „Freiheit ruft“ und „Vom Erdenleid“ zeigen das Potential der Band und machen Lust auf mehr. Selbst wenn’s melodisch ist 🙂

Eine absolute Perle zum Thema Metal und Christentum (HT: fb-damm/Nicki):

Was können wir daraus lernen? Erstmal, daß die ganze Sache dermaßen Klischee ist, daß es schon weh tut. Klischeegemäß ist der Christ total verklemmt, versteckt sich hinter Kreuz und Marienstatue, und er verbirgt seine Unsicherheit hinter äußerer Strenge. Also: Alle Christen sind zu doof und zu schwach, um mit dem Leben klar zu kommen, und brauchen die Krücke „Glauben“, um ihre Existenzangst zu zähmen. Soweit, so cliché.

Interssant wird es dort, wo das Klischee durchbrochen wird. Dem schwachen, verklemmten und verängstigten Christen korrespondiert eigentlich das „Fuck You“-Klischee des starken, unabhängigen und selbstbewußten Metallers. Und genau dieses Klischee wird ja im musikalischen Teil des Videos voll ausgebreitet, und ihm entspricht auch in etwa der Text. Soweit ich ihn verstanden habe, besteht er im wesentlichen aus: Gott existiert nicht, Jesus war bloß Mensch, ihr Chrsiten werdet alle sterben und fertig. Soweit, so immer noch cliché.

Aber, einen Schritt zurück auf Anfang: Warum geht der Kerl überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch in einer Firma, die ihre Christlichkeit offenbar als Teil ihrer Identität versteht? Selbst wenn er nicht gewußt haben sollte, daß die Firma christlich ist (womit offenbar ein Identitätsproblem der Firma zum Ausdruck gebracht würde, aber das wäre jetzt wohl eine Überinterpretation des Videos) – wieso geht er in Schlips und Anzug zu diesem Vorstellungsgespräch und versteckt anfangs so krampfhaft seine antichristlichen Metal-Accessoires? Ist er womöglich gar nicht so das Fuck You-Arschloch, das gelegen oder ungelegen seine Meinung kundtut? Ist ihm eine ihn bestimmt nicht erfüllende Stellung in einer weltanschaulich christlich ausgerichteten Firma, also schnöder Mammon wichtiger als seine Überzeugung?

Ja, genau dieser Spagat ist es, der ihm während des Gesprächs immer deutlicher wird: Er spielt da etwas vor, was er nicht ist, und fühlt sich zunehmend unwohler. Mit anderen Worten: Der Klischee-Christ und der Metaller sind ein und dasselbe — Heuchler. Mit einem einzigen Unterschied: Der Metaller kriegt darob die Krise und brüllt seine angestauten Aggressionen raus. Blasphemie als Katharsis, ist m.W. der Psychologie nicht ganz unbekannt.

Tja, und die Reaktion des Christen darauf? Klischeegemäß müßte er verschüchtert und verängstigt reagieren, auch möglich wäre, als metal-systemkonformer Bruch mit dem Klischee, seine „Bekehrung“ zum Metal. Während der Musik entspricht seine Reaktion auch voll dem Klischee, nach ihrem Ende aber wirkt er eher irritiert und verwundert, vielleicht sogar ein bißchen traurig: „Warum tut man sowas?!“ Was hier vielleicht noch schlechte schauspielerische Leistung sein könnte, entpuppt sich in den letzten Sekunden aber als (erneut) bewußter Bruch mit dem Klischee: Während er da auf seinem Bürosessel dreht, wirkt er überhaupt nicht mehr verschüchtert und verängstigt, sondern zunehmend aggressiv; freilich ohne das Kreuz hinter sich zu werfen (oder auch nur auf den Kopf zu stellen) und so Glaubensabfall und „Bekehrung“ zum Metal auszudrücken.

Entweder, hier wird so stark mit den erwartbaren Klischees gebrochen, daß die Reaktion als „die bösen Fundamentalisten reagieren aber auch auf jeden Spaß mit Rache und Scheiterhaufen“ zu interpretieren wäre. Auch dieses Klischee ist dem Metaldiskurs nicht unbekannt – aber in seiner Bildersprache ist es völlig unüblich, zumal auch fraglich ist, ob diese Auffassung überhaupt Klischee oder nicht vielmehr wirklich geglaubtes Vorurteil ist. So oder so wäre es aber ein solch unsubtiler Bruch mit den sonst das Video bestimmenden Metalklischees (das Ende wäre plötzlich ernst zu nehmen, während alles andere nur alberner Unfug war), daß eine andere Deutung näher liegt; denn eine aggressive Reaktion auf eine Herausforderung ist nun alles andere als dem Metal unbekannt.

In der metallischen Vorstellung ist eine aggressive Reaktion sogar das, was man mit solch einer Vorstellung provozieren will. Der Christ würde also plötzlich so reagieren, wie es ein Metaller im durchaus positiven Sinne erwarten würde (wobei natürlich eine solche Reaktion im nächsten Schritt gegen das Christentum verwendet würde: die ganze Feindesliebe ist also auch bloß Heuchelei; denn die Provokation ist so gebaut, daß jede Reaktion darauf als ihre Bestätigung aufgefaßt werden kann). Man könnte die letzten Sekunden also in folgenden Sinne interpretieren: „Herr, Dein Haß trifft alle, die Böses tun. Aus ihrem Mund kommt kein wahres Wort, ihr Inneres ist voll Verderben. Ihre Kehle ist ein offenes Grab, aalglatt ist ihre Zunge. Gott, laß sie dafür büßen; sie sollen fallen durch ihre eigenen Ränke. Verstoße sie wegen ihrer vielen Verbrechen; denn sie empören sich gegen Dich.“

Somit besteht die eigentliche Dynamik dieses Videos jenseits der, zugegebenermaßen bei der Wirkung auf den Betrachter zunächst übermächtigen, Klischees darin, daß hier zwei Heuchler auf einandertreffen und an einander erkennen, daß sie etwas vorspielen, was sie nicht sind, und das ist beim Metaller sogar deutlicher als beim Christen. Die eigentliche Aussage ist also weniger in der verbal ausgedrückten Blasphemie zu sehen, als vielmehr in der Feststellung: Sind wir nicht alle Heuchler? (Christlich gewendet: Sind wir nicht alle Sünder?) Und in der Aufforderung, mit der Logik der Heuchelei (christlich: Sünde) zu brechen. Und zwar die Heuchelei (das Sündigen) auf allen Seiten (wobei natürlich zwischen der metallischen Vorstellung von Heuchelei und der christlichen der Sünde dann doch noch der eine oder andere Graben liegt). Was übrigens auch dadurch unterstützt wird, daß die anderen Bandmitglieder offenbar genau die metal-systemkonform-klischee-brüchige Entwicklung durchgemacht haben, sind sie zu Beginn des Videos als mehr oder weniger 08/15-Typen bei der Arbeit zu sehen.

Ob es jetzt eine wahrhaft christliche Reaktion ist, auf diese Blasphemie mit Rachegedanken zu reagieren, sei einmal dahingestellt. Diese Reaktion ist jedenfalls die natürliche angesichts des ausgedrückten Bösen, und nur der, der das Böse als nicht tolerierbares Böses erkennt, kann tatsächlich darauf christlich tolerant reagieren – und die Antwort Gott überlassen.

Gian Lorenzo Bernini: Christi Blut, im Palazzo Chigi in Ariccia  (nach Angaben von heiligenlexikon.de gemeinfrei)

Gian Lorenzo Bernini: Christi Blut, im Palazzo Chigi in Ariccia (gemeinfrei)

Dieses Bild, auf das ich Dank Johannes gestoßen bin, erinnerte mich daran, daß ich da noch was in der geistigen Pipeline hatte. Um meinen Status als Bekloppter in Christentum und Metal zu verteidigen.

Das Lied ist zunächst einmal musikalisch grandios. Die Riffs nachzuspielen (soweit sie nicht völlig ins Chaotische abgleiten) ist eine wahre Freude, weil sie als (mehr oder weniger) chromatische ebenso leicht zu spielen wie von der Wirkung her überwältigend sind (meine Frau kann bestimmt ein Lied davon singen – haha, Wortspiel!). Alleine die halbe Minute nach dem Breakdown ab ca. 2:10 ist der Hammer (ultimativer Moshpart, in der Studioversion noch krasser – Gänsehaut [auf Youtube aber in grottiger Tonqualität, also kauft Euch das Album :-)])!

Aber auch textlich hat das Lied es durchaus in sich. Ok, meine Interpretation entspricht vielleicht nicht ganz der Intention des Autors. Aber das ist bei (guten) Metal-Texten eigentlich immer so, daß die Interpretation mehr über den Ausleger als das Ausgelegte aussagt. Die abschließende Interpretation gibt es nicht.

Trapped in purgatory
A lifeless object alive
Awaiting reprisal
Death will be their acquisition
Gefangen im Fegefeuer
Ein lebloses Objekt lebt
Erwartet Vergeltung
Tod wird ihr Gewinn sein
The sky is turning red
Return to power draws near
Fall into me, the sky’s crimson tears
Abolish the rules made of stone
Der Himmel wird rot
Die Rückkehr zur Macht ist nahe
Fallt in mich, des Himmels purpurne Tränen
Verwerft die steinernen Regeln
Pierced from below, souls of my treacherous past
Betrayed by many, now ornaments dripping above
Durchbohrt von unten, Seelen meiner verräterischen Vergangenheit
Betrogen von vielen, nun trieft oben Schmuck
 
Awaiting the hour of reprisal
Your time slips away
Erwartend die Stunde der Vergeltung
Deine Zeit entschlüpft Dir
Raining blood
From a lacerated sky
Bleeding its horror
Creating my structure
Now I shall reign in blood
Es regnet Blut
Von einem zerrissenen Himmel
Blutet seine Greuel aus
Erschafft meinen Körperbau
Nun werde ich herrschen in Blut

Der Text fängt ja, wenn man die Intention des Texters voraussetzt, schon mit einem schweren Fehler an. Wenn es um jemanden ginge, der aus dem Himmel verstoßen wurde, ist er nicht im Fegefeuer, sondern in der Hölle zu suchen. Und im Fegefeuer ist man nicht gefangen, es hat einen Ausgang, und nur einen Ausgang, nämlich in Richtung Himmel. Nur in einer Konstellation kann man überhaupt (wenngleich anachronistisch) von „gefangen im Fegefeuer“ reden: die Gerechten des Alten Bundes bevor sie von Christus auf Seiner Höllenfahrt befreit wurden.

Damit ist schonmal die zeitliche Einordnung klar: Vor Jesu Auferstehung. Und von dort ausgehend beginnt der Rest einen gänzlich anderen Sinn zu bekommen. Ich würde, bekloppt wie ich bin, in diesem Song eine Beschreibung der Höllenfahrt Jesu sehen wollen. Entsprechend weist der Eingangsriff nach unten. Zwar beginnt es mit einem hinaufweisenden Dreiklang, aber die eigentliche Dynamik des Riffs ergibt sich aus dem Folgenden, wodurch der Anfangsdreiklang als Auftakt erkennbar wird. Das eigentliche Riff geht in Quartparallelen chromatisch abwärts: b-f-a-e-as-es-g (oder so ähnlich, die scheinen das öfter mal in Verschiedenen Tonarten resp. Gitarrenstimmungen zu spielen). Das folgende Thrash-Geballere bleibt zunächst statisch, nur in jedem vierten Takt mit einem kleinen Hinweis auf den folgenden Aufstieg, geht dann aber in Chaos über. Aufbegehren der niederhöllischen Herrscher, die bemerken, daß sie sich haben in die Falle locken lassen? Zum Gesang aber wieder ein Riff, der eher nach oben weist.

Jesus ist tot, aber dennoch lebendig. Er vergilt den Mächten des Bösen, was sie Ihm angetan haben, indem Er ihnen die Toten entreißt. In Christi Tod erfolgt ihre Erwerbung, werden sie für den Himmel gewonnen. Durch das Kreuz können die Menschen in Christus das Leben erwerben, gewinnen „acquirieren“. Und zwar gerade durch Christi Tod, der das steinerne Gesetz überwindet, das nach Paulus nur die Macht der Sünde offenbaren, aber nicht von ihr befreien kann und infolgedessen zum Tod führt. Der Himmel wird rot von Seinem Blut, durch das Er die Herrschaft über die Welt zurückgewinnt. Und insofern heißt „fallt in mich, des Himmels purpurne Tränen“ nichts anderes als „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“.

Bei ca. 1:30 folgt der nächste Riffwechsel. In das straighte Thrash-Geballere schleichen sich jetzt Melodie und gewisse Filigranität (also so vergleichsweise) ein. So weist der Riff auch mehr Klarheit und Struktur auf. Interessanterweise ist der Riff zweigeteilt. Zu Beginn weist er nach oben, indem der zweite Takt den ersten zwar imitiert, dann aber auf höherem Tonniveau endet. Der sich gleich anschließende zweite Teil bleibt zunächst etwas tiefer, aber statisch, rutscht dann aber bis nach unten zum Ausgangspunkt ab. Für mich ein Hinweis auf eine Erhöhung, die nach unten weist, und damit Szenenwechsel nach Golgotha: Er wird durchbohrt von unten. Wegen unserer Verbrechen. Wir, die Seelen Seiner verräterischen Vergangenheit. Von vielen verraten – wen kümmerte Sein Geschick? -trug Er die Sünden von vielen. Er wird geschmückt mit Seinem Anteil an der Beute, die von Seinem Blute trieft. Es sind die Befreiten, die Christen, die Kirche.

Erneuter Wechsel bei ca. 1:50. Der Anfangsriff wird wieder aufgegriffen, zurück in die Jetztzeit, Höllenfahrt: Die erwartete Vergeltung ist jetzt. Das Kreuz ist Gericht über die Welt, deren Zeit abläuft. Die Zeit tickt im gut halbminütigen Breakdown, verbunden mit dem himmlischsten Riff der Metalgeschichte, der übrigens eine ganz spannende Variation des Eingangsriffs ist. Es geht nicht einfach chromatisch abwärts, sondern immer wieder vom Grundton aufwärts, wenn auch immer eine kleine Sekunde weniger weit hoch; der Riff entwickelt sich also so deutlich wie im ganzen Lied noch nicht nach oben, obwohl er vom Grundprinzip immer noch nach unten zeigt. Warten auf die Auferstehung.

Jetzt ist die Zeit abgelaufen. Der Heiland reißt den Himmel auf, damit Sein Blut auf die Welt regnet und Seinen Leib erschafft, der die Kirche ist. Es ist Gericht, der Himmel blutet seine Greuel aus, verliert seinen Schrecken, der in seiner Unerreichbarkeit bestand, die durch das genugtuende Opfer überwunden wird. Normals Thrash-Geballere während des Gesangs. Das dann aber in erhebendes (und wohlgemerkt sturkturiertes!) Chaos übergeht, das sich immer weiter nach oben entwickelt und in einer metaluntypischen Rückkopplungsorgie noch metaluntypischer ohne klaren Schlußpunkt ausklingt. Musikalischer Ausdruck von Ewigkeit. Die Welt ist gerichtet. Er herrscht jetzt in Ewigkeit über die Welt in Seinem Blut.

Ich bin ein komischer Typ, ich weiß.

Was den Metal angeht, bin ich ja sowieso ein Spätzünder. Und Meshuggah machen Musik, so wie sie heißen, meschugge halt. Jedes Instrument spielt in einer anderen Taktart, noch dazu solchen, die eher, öhöm, unüblich sind. (Am Anfang meiner Metalkarriere lief mir ein Typ über den Weg, der solche Musik analysierte und ihre Partituren schrieb — bei 20/21-Takten hakte es dann bei mir aus; wenn ich nach seinem Namen google, finde ich einen Komponisten, würde passen :-). Und gelegentlich treffen sie sich alle mal auf einer Eins. Oder halt auch nicht. (Wer’s genauer wissen will, informiere sich über den Begriff „Math Metal“. *g*)

Nunja, was soll ich sagen, das vorletzte Album hat jetzt vier Jahre gebraucht, um zu zünden (der Nachfolger ist seit März draußen und heißt treffend „Koloss“). Aber hallo, dafür zündet’s jetzt so richtig!!! Ist das endgeil!!! Funktioniert zwar am besten als Album, aber das gab’s bei YouTube nicht, und da ich mich nicht zwischen den einzelnen Tracks entscheiden konnte (gibt jetzt die Baßspur auf Parvus den Ausschlag oder das Schlagzeug auf Obzen oder des Intro von Dancers to a Discordant System), folge ich einfach der Auswahl der Plattenfirma (die zudem den, wie mir scheint, zugänglichsten Song ausgesucht hat, da treffen sie sich sogar recht regelmäßig :-)):

Und wenn ich jetzt für jedes Album länger brauche als die Band? Wie soll ich da jemals fertig werden?! Boah, so irgendwie muß die ewige Anbetung im Himmel sein 🙂