Slayer

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Gian Lorenzo Bernini: Christi Blut, im Palazzo Chigi in Ariccia  (nach Angaben von heiligenlexikon.de gemeinfrei)

Gian Lorenzo Bernini: Christi Blut, im Palazzo Chigi in Ariccia (gemeinfrei)

Dieses Bild, auf das ich Dank Johannes gestoßen bin, erinnerte mich daran, daß ich da noch was in der geistigen Pipeline hatte. Um meinen Status als Bekloppter in Christentum und Metal zu verteidigen.

Das Lied ist zunächst einmal musikalisch grandios. Die Riffs nachzuspielen (soweit sie nicht völlig ins Chaotische abgleiten) ist eine wahre Freude, weil sie als (mehr oder weniger) chromatische ebenso leicht zu spielen wie von der Wirkung her überwältigend sind (meine Frau kann bestimmt ein Lied davon singen – haha, Wortspiel!). Alleine die halbe Minute nach dem Breakdown ab ca. 2:10 ist der Hammer (ultimativer Moshpart, in der Studioversion noch krasser – Gänsehaut [auf Youtube aber in grottiger Tonqualität, also kauft Euch das Album :-)])!

Aber auch textlich hat das Lied es durchaus in sich. Ok, meine Interpretation entspricht vielleicht nicht ganz der Intention des Autors. Aber das ist bei (guten) Metal-Texten eigentlich immer so, daß die Interpretation mehr über den Ausleger als das Ausgelegte aussagt. Die abschließende Interpretation gibt es nicht.

Trapped in purgatory
A lifeless object alive
Awaiting reprisal
Death will be their acquisition
Gefangen im Fegefeuer
Ein lebloses Objekt lebt
Erwartet Vergeltung
Tod wird ihr Gewinn sein
The sky is turning red
Return to power draws near
Fall into me, the sky’s crimson tears
Abolish the rules made of stone
Der Himmel wird rot
Die Rückkehr zur Macht ist nahe
Fallt in mich, des Himmels purpurne Tränen
Verwerft die steinernen Regeln
Pierced from below, souls of my treacherous past
Betrayed by many, now ornaments dripping above
Durchbohrt von unten, Seelen meiner verräterischen Vergangenheit
Betrogen von vielen, nun trieft oben Schmuck
 
Awaiting the hour of reprisal
Your time slips away
Erwartend die Stunde der Vergeltung
Deine Zeit entschlüpft Dir
Raining blood
From a lacerated sky
Bleeding its horror
Creating my structure
Now I shall reign in blood
Es regnet Blut
Von einem zerrissenen Himmel
Blutet seine Greuel aus
Erschafft meinen Körperbau
Nun werde ich herrschen in Blut

Der Text fängt ja, wenn man die Intention des Texters voraussetzt, schon mit einem schweren Fehler an. Wenn es um jemanden ginge, der aus dem Himmel verstoßen wurde, ist er nicht im Fegefeuer, sondern in der Hölle zu suchen. Und im Fegefeuer ist man nicht gefangen, es hat einen Ausgang, und nur einen Ausgang, nämlich in Richtung Himmel. Nur in einer Konstellation kann man überhaupt (wenngleich anachronistisch) von „gefangen im Fegefeuer“ reden: die Gerechten des Alten Bundes bevor sie von Christus auf Seiner Höllenfahrt befreit wurden.

Damit ist schonmal die zeitliche Einordnung klar: Vor Jesu Auferstehung. Und von dort ausgehend beginnt der Rest einen gänzlich anderen Sinn zu bekommen. Ich würde, bekloppt wie ich bin, in diesem Song eine Beschreibung der Höllenfahrt Jesu sehen wollen. Entsprechend weist der Eingangsriff nach unten. Zwar beginnt es mit einem hinaufweisenden Dreiklang, aber die eigentliche Dynamik des Riffs ergibt sich aus dem Folgenden, wodurch der Anfangsdreiklang als Auftakt erkennbar wird. Das eigentliche Riff geht in Quartparallelen chromatisch abwärts: b-f-a-e-as-es-g (oder so ähnlich, die scheinen das öfter mal in Verschiedenen Tonarten resp. Gitarrenstimmungen zu spielen). Das folgende Thrash-Geballere bleibt zunächst statisch, nur in jedem vierten Takt mit einem kleinen Hinweis auf den folgenden Aufstieg, geht dann aber in Chaos über. Aufbegehren der niederhöllischen Herrscher, die bemerken, daß sie sich haben in die Falle locken lassen? Zum Gesang aber wieder ein Riff, der eher nach oben weist.

Jesus ist tot, aber dennoch lebendig. Er vergilt den Mächten des Bösen, was sie Ihm angetan haben, indem Er ihnen die Toten entreißt. In Christi Tod erfolgt ihre Erwerbung, werden sie für den Himmel gewonnen. Durch das Kreuz können die Menschen in Christus das Leben erwerben, gewinnen „acquirieren“. Und zwar gerade durch Christi Tod, der das steinerne Gesetz überwindet, das nach Paulus nur die Macht der Sünde offenbaren, aber nicht von ihr befreien kann und infolgedessen zum Tod führt. Der Himmel wird rot von Seinem Blut, durch das Er die Herrschaft über die Welt zurückgewinnt. Und insofern heißt „fallt in mich, des Himmels purpurne Tränen“ nichts anderes als „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“.

Bei ca. 1:30 folgt der nächste Riffwechsel. In das straighte Thrash-Geballere schleichen sich jetzt Melodie und gewisse Filigranität (also so vergleichsweise) ein. So weist der Riff auch mehr Klarheit und Struktur auf. Interessanterweise ist der Riff zweigeteilt. Zu Beginn weist er nach oben, indem der zweite Takt den ersten zwar imitiert, dann aber auf höherem Tonniveau endet. Der sich gleich anschließende zweite Teil bleibt zunächst etwas tiefer, aber statisch, rutscht dann aber bis nach unten zum Ausgangspunkt ab. Für mich ein Hinweis auf eine Erhöhung, die nach unten weist, und damit Szenenwechsel nach Golgotha: Er wird durchbohrt von unten. Wegen unserer Verbrechen. Wir, die Seelen Seiner verräterischen Vergangenheit. Von vielen verraten – wen kümmerte Sein Geschick? -trug Er die Sünden von vielen. Er wird geschmückt mit Seinem Anteil an der Beute, die von Seinem Blute trieft. Es sind die Befreiten, die Christen, die Kirche.

Erneuter Wechsel bei ca. 1:50. Der Anfangsriff wird wieder aufgegriffen, zurück in die Jetztzeit, Höllenfahrt: Die erwartete Vergeltung ist jetzt. Das Kreuz ist Gericht über die Welt, deren Zeit abläuft. Die Zeit tickt im gut halbminütigen Breakdown, verbunden mit dem himmlischsten Riff der Metalgeschichte, der übrigens eine ganz spannende Variation des Eingangsriffs ist. Es geht nicht einfach chromatisch abwärts, sondern immer wieder vom Grundton aufwärts, wenn auch immer eine kleine Sekunde weniger weit hoch; der Riff entwickelt sich also so deutlich wie im ganzen Lied noch nicht nach oben, obwohl er vom Grundprinzip immer noch nach unten zeigt. Warten auf die Auferstehung.

Jetzt ist die Zeit abgelaufen. Der Heiland reißt den Himmel auf, damit Sein Blut auf die Welt regnet und Seinen Leib erschafft, der die Kirche ist. Es ist Gericht, der Himmel blutet seine Greuel aus, verliert seinen Schrecken, der in seiner Unerreichbarkeit bestand, die durch das genugtuende Opfer überwunden wird. Normals Thrash-Geballere während des Gesangs. Das dann aber in erhebendes (und wohlgemerkt sturkturiertes!) Chaos übergeht, das sich immer weiter nach oben entwickelt und in einer metaluntypischen Rückkopplungsorgie noch metaluntypischer ohne klaren Schlußpunkt ausklingt. Musikalischer Ausdruck von Ewigkeit. Die Welt ist gerichtet. Er herrscht jetzt in Ewigkeit über die Welt in Seinem Blut.

Ich bin ein komischer Typ, ich weiß.

Schon beim Titel von Alipius‘ Posting Disciples! hatte ich aufgrund meiner frei flottierenden assoziativen Denkweise sofort Slayer vor Augen. An sich wäre das ja keine Nachricht wert, aber der Inhalt des Postings kam stellenweise meiner Interpretation des Songs so nahe (er ging natürlich weit darüber hinaus), daß ich mich hier zu einer Vorveröffentlichung gezwungen sehe (wobei ich den Einbetten-Code des Videos schon aus einem Posting vom letzten April recyclen kann — ihr seht, der Song beschäftigt mich mächtig :-).

Das Lyrische Ich dieses Lieds versteht sich ganz offensichtlich als sehr viel normaler als die Gesellschaft, aber gerade deswegen auch als Außenseiter, geradezu als Ausgestoßener („Nur ich in meiner Welt voller Feinde“). Es sieht sich in einer nicht anders als apokalyptisch zu nennenden Konfrontation mit der Welt: Es haßt alle Menschen gleichermaßen und kritisiert die angebliche Christlichkeit der Gesellschaft als Heuchelei, ja als die größte Heuchelei aller Zeiten. Die Gläubigen seien bloß Dronen, die behütete, vorgeplante Leben führten und meinten, mit Gott an ihrer Seite stünden sie am richtigen Platz – dabei breite sich ganz offensichtlich überall und die ganze Zeit über nichts anderes aus als die Hölle. Dagegen beansprucht das Lyrische Ich individuelle Wahrheitserkenntnis. Es wolle aufhetzen und den Geist befreien, indem es allen offenbart, was ihm selbst offen vor Augen stehe: Gott hasse die Menschheit.

Die Offensichtlichkeit dieses Gedankens ergibt sich für das Lyrische Ich aus dem katastrophalen Zustand von Welt und Gesellschaft: Terrorismus, Chaos, Hysterie, Kampf aller gegen alle (Stück und Albumtitel haben durch diese Bezüge eine ungeplante, aber geradezu prophetische Gegenwartsbezogenheit: Das Album „God Hates Us All“ erschien ausgerechnet am 11. September 2001), Drogenmißbrauch, Selbstmißbrauch, Suche nach dem jeweils nächsten Kick. Diese Beschreibung von Realität führt aber nicht zu Verzweiflung, sondern zu Aufbegehren: Das kann, das darf nicht so bleiben. Die Hoffnung auf eine neue, bessere Welt wird zwar nicht geäußert, der Untergang des Bestehenden aber als unumgänglich („eine sich selbst zerstörende menschliche Zeitbombe“) angesehen und erhofft („Ich warte auf den Tag, an dem die ganze Welt, verdammt nochmal, stirbt“).

Daher schwimmt das Lyrische Ich auch gegen den Strom, will nicht wie alle anderen ein Jünger Gottes sein. Es will nicht blind folgen, das Kreuz (er-)tragen und sein „Leben in einem Sprung blinden Glaubens vergeuden“. Das alles ergibt angesichts der Realitätserfahrung keinen Sinn, bietet keine Hoffnung. Die Existenz Gottes kann nur die eines Sadisten sein. Denn die Gläubigen leben so, daß sie sich und anderen nur schaden. Der Glaube erscheint als ein falsches Weltverhältnis, von dem das Lyrische Ich durch seinen Aufschrei befreien will. Dabei stellt es sich kompromißlos gegen das unhinterfragt als gut geltende Bestehende. Es fragt, ob sich die Gläubigen überhaupt vorstellen können, daß es anders sein könnte, daß es keinen Gott gibt. Diese Frage müßte doch für das Denken relevant sein. Auffällig ist, daß durch die (Nicht-)Existenz Gottes nicht das Handeln, sondern das Denken infragegestellt wird: Das Handeln wird bereits als heuchlerisch, also dem Denken nicht entsprechend, abgelehnt – darüber kann gar nicht mehr diskutiert werden, es verurteilt sich selbst. Doch es wird durch das Denken gerechtfertigt, denn man sieht sich ja als gute Jünger Gottes. Diese Rechtfertigung ist nichts anderes als eine heuchlerische Selbstrechtfertigung. Daher müßte die Nicht-Existenz Gottes zu einem anderen Denken führen, das gerade die Heuchelei und die Bosheit des eigenen Handelns erkennen ließe.

Dem entspricht die scheinbar widersprüchliche Identifikation des Lyrischen Ichs mit der Einstellung des hassenden Gottes am Ende des Textes. Wie Gott haßt es alle Menschen, verurteilt die Menschheit und verachtet die Welt. Obwohl es nicht dessen Jünger sein will und sich ausdrücklich als von Ihm gehaßt bezeichnet, verhält es sich den Menschen gegenüber so, wie Er es seiner Meinung nach tut. Diese Widersprüchlichkeit läßt sich auch nicht mit einem Perspektivwechsel erklären, obwohl er musikalisch durchaus gerechtfertigt wäre. Selbst wenn in den letzten Zeilen Gott selbst die Menschheit ablehnen und die Welt verachten würde, entspräche dies exakt der Philosophie, die das vorherige Lyrische Ich als die seine verkündete, nämlich alle Menschen gleichermaßen zu hassen.

Bedenkt man aber, daß dieser Liedtext von einem Sänger vorgetragen wird, der sich als gläubiger Christ bezeichnet und im Interview betont, Gott könne gar nicht hassen, erscheint er für den Nicht-Apokalyptiker fast schon als sinnlose Aneinanderreihung möglichst provokanter Phrasen. Andererseits interpretiert der Texter Kerry King die Textzeile: „Die Schönheit des Todes verehren wir alle“, nicht als Darstellung eines Wunsches oder etwas Erstrebenswertes, sondern als zynisch. Sie beziehe sich auf das (amerikanische) Fernsehen, das ständig betone, in was für einer tollen Gesellschaft man doch lebe, wie friedlich und harmonisch alles sei, auf der anderen Seite aber keinen Widerspruch darin sehe, ständig nur Morde, Amokläufe und andere Gewaltverbrechen in Bild und Ton zu zeigen. Die Selbstwidersprüchlichkeit des Liedtextes hat also (zynische) Methode. Hinter ihr steckt mehr als nur eine kindische Widersetzlichkeit oder spätpubertäre Provokationslust nicht erwachsen gewordener Subkulturanhänger. Die Provokation ist tatsächlich apokalyptisch motiviert. Sie hält der Gesellschaft bis in die künstlerische Gestaltung ihre Selbstwidersprüchlichkeit vor: Wenn ihr tatsächlich gläubige Christen seid, aber nur Tod und Verderben in die Welt bringt und darin keinen Widerspruch seht, muß Gott uns alle hassen, wenn Er uns das gerade durch den Glauben an Ihn antut, was wiederum dem verkündeten Inhalt des Glaubens, nämlich der Liebe Gottes, widerspricht. Eine auf einem solchen Selbstwiderspruch gründende Gesellschaft aber kann keinen Bestand haben.