Musik

Ein Priester hat mal sehr deutlich zu gewissen Marotten in den Fürbittenformulierungen (vor allem Einleitung und Abschluß) gesagt, man müsse doch den lieben Gott nicht belehren. Daher dachte ich, als kürzlich ein anderer Priester ein Gebet formulierte, das mehr an die anwesenden Gläubigen gerichtet zu sein schien als an Gott, frei nach Clausewitz: „Gebet als Fortsetzung der Katechese mit anderen Mitteln.“

Nun habe ich das mal bei Google eingegeben und bin auf dieses Ergebnis gestoßen. Ehrlichgesagt bin ich bei den Hymnen nie auf die Idee gekommen, die könnten „belehren“. Klar, im Glauben stärken und auch das Staunen über die Heilsgeheimnisse lebendig halten. Aber belehren hieße doch, ich lerne (im rein rationalen Sinne) da was. Mein „Lerneffekt“ ist eher ein emotionaler. Oder habe ich da ein falsches Sprachempfinden?

Vielleicht drückt sich in dem verlinkten Text auch nur ein Unverständnis dafür aus, daß Wissen und Glauben, Lehren und Frömmigkeit doch mehr miteinander zu tun haben könnten, als sich das viele heute vorstellen können…

Ich hatte das Glück, den Eröffnungsgottesdienst mit einem kleinen Lästermaul verbringen zu dürfen. Das hat einiges erträglicher gemacht, vor allem die Musik. Seit der evangelische Landesbischof Friedrich dann auf das Kirchentagsmotto anspielend davon sprach, daß er vermute, nicht alle Anwesenden teilten seine Hoffnung, nämlich die auf die Auferstehung und das ewige Leben, bin ich sogar bereit, der Ökumene wieder den Kredit zu geben, den sie für mich auf dem ÖKT 2003 in Berlin (endgültig) verspielt hatte. Da war ich mit der Hoffnung auf harte, aber faire Auseinandersetzung hingefahren, wie ich sie aus dem Internet kannte. Mehrere Veranstaltungen zu kontroversen Themen zeigten mir aber: Es ging „den anderen“ um Durchsetzung ihrer Interessen bei völligem Übergehen des katholischen (und orthodoxen!) Selbstverständnisses (die Orthodoxen gingen damit aber sehr viel entspannter um und gönnten sich die Arroganz des „wir sind wir, wer seid ihr denn schon?“, während die meisten Katholiken jeden Angriff mit Demutsgesten und Unterwürfigkeitsadressen beantworteten). Der Höhepunkt war damals beim Warten auf den Zug zurück auf dem Bahnhof Lichtenberg. Da steigerten sich zwei Protestanten dermaßen in ihre restrictio mentalis „Amtskirche ist doof und unterdrückt, was alle Katholiken doch eigentlich wollten“, daß mir der Kragen geplatzt ist. Daß ein Katholik tatsächlich gegen das gemeinsame „Abendmahl“, Frauenordination und Zölibatsaufhebung sein konnte, war für eine völlig neue Information für die beiden. Ja, zugegeben, jetzt wo ich das nochmal Revue passieren lasse, liegt das Problem wohl tatsächlich eher bei uns…

Nunja, zurück zu heute, zurück zur Musik. Das Motto lautet ja „Damit ihr Hoffnung habt“. Den Ansatz, die Hoffnung in Kontrast zur erfahrenen Realität zu stellen, finde ich durchaus gut, die Umsetzung aber war katastrophal. Ganz davon abgesehen, daß mich das gesprochene „Krieg“, „Hunger“, „Durst“ an den Diener von König Pumponell in der Augsburger Puppenkistenversion von Urmel aus dem Eis erinnerte, und für mich die musikalische Umsetzung viel zu harmlos war, stand die „Hoffnung“ vor allem musikalisch in einem völlig unvermittelten Kontrast zum Bösen. Als ob das Böse durch den Glauben einfach verschwinden würde! Als ob die ganze Realität einfach bloß hell und licht würde, nur weil ich glaube! Nein, der Auferstandene trägt die Wundmale, das Böse wird nicht einach vernichtet, sondern es hinterläßt auch im Glauben, auch nach der Auferstehung seine Spuren — aber es wird nicht mehr als hoffnungslos, als nur Böses erfahren. Das ließe sich aber auch musikalisch umsetzen! Warum aber spielt man lieber nach einer klassisch gesungenen Strophe eine verswingte Big Band-Version von „Wer nur den lieben Gott läßt walten“ als die herausfordernde Spannung zwischen melancholischer (aber nicht hoffnungsloser!) Melodie und hoffnungsvollem Inhalt auszuhalten?! Vielleicht liegt hier ja eines der Grundprobleme: Der Wunsch nach Heil ohne Anstrengung, nach billiger Gnade, danach, aufopfernde Mutterliebe zu erfahren, ohne sie selbst leben zu müssen.

Daß es nach der Osteroktav etwas weniger festlich zugeht, ist ja nun keine Überraschung. Aber selbst ohne Gloria kann man doch noch genug Osterfreude in der Messe zum Ausdruck bringen, oder? Was ich heute früh erleben durfte, hat mich fast in die Verzweiflung getrieben, weil ich mich schon bremsen mußte und trotzdem immer noch einen halben Takt voraus war. Mit jeder Strophe wurde es langsamer, wurden neue Stellen gefunden, Pausen zu machen! Schließlich sogar an einfachen Taktstrichen…

„Haaaaleeeeeeeluuuuuuujaaaa *lufthol* Jeeeesus leeeeeebt *lufthol* Jeeeeesus leeeeeeeeeeeeebt *lufthol* Jeeeeeeeeeeeeeeesusssss leeeeeeeeeeeeeeeeeeeeebt *lufthol* Haaaaaaaleeeeeeeluuuuuuhuuuujaaaaahaaaa *lufthol* Jeeeeeeeeeeeeeeeeesusssssssssss leeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeebt.“ Hätte sich ein Heide zu uns verirrt, der hätte wohl gedacht: „Aha, so sieht also ein Requiem aus.“ Wenn ich bedenke, daß der Pfarrer gerade noch davon sprach, daß die Werktagsmeßgänger der fromme Kern der Gemeinde seien…

Für mich ist das Sacrum Triduum, insbesondere seine liturgische Feier, der Höhepunkt des ganzen Jahres. Und die letzten zwei Wochen zeigten mir auch, daß ich damit nicht alleine in der Blogoezese stehe. Die Intensität dieser drei Tage kann natürlich nicht in einer halbstündigen Werktagsmesse untergebracht werden, obwohl sie ja genau das gleiche feiert; es ist gerade die Verlangsamung des Geschehens, seine Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven, die die Intensität des Sacrum Triduum hervorbringt. Aber wenigstens eine Ahnung dessen sollte es doch sein!

Vielleicht liegt es ja auch an den ganzen Mißbrauchsgeschichten, daß vielen dieses Jahr nicht nach Osterfreude zu Mute ist. Aber wann, wenn nicht jetzt, bräuchten wir die Osterfreude dringender? Wann, wenn nicht jetzt, müssen wir Zeugnis ablegen, von der Hoffnung, die uns erfüllt? Kann denn das weltliche und das geistliche Geschehen so getrennt bleiben?

Die Apostel haben sich damals aus Furcht vor der Welt(?) auch zunächst zurückgezogen und eingeschlossen. Vielleicht brauchen wir auch die Zeit, um zu verarbeiten, was wir erfahren. Aber dann müssen wir raus, und zwar nicht nur, indem wir dem Geschehen hinterherrennen, sondern indem wir wieder unsere Themen setzen. Was wir jetzt also noch viel dringender brauchen als Ostern, ist — Pfingsten.

Was ich zu der ganzen Helene Hegemann-Geschichte noch loswerden muß: Am 12. Februar war in der FAZ ein Interview mit Airen erschienen, aus dessen Blog bzw. daraus hervorgegangenen Roman „Strobo“ Helene Hegemann sich (u.a.) bedient hatte. Das ganze Interview vertrat eine Auffassung von Party und Feiern, die mir zwar aus der Literatur der Kritiker der Rock- und Popmusik (insbesondere auch den Äußerungen unseres jetzigen Papstes) bekannt war, die ich mir aber (insbesondere aus eigener Erfahrung) nur schwer als möglicherweise zutreffend vorstellen konnte.

Denn wer kann sich schon vorstellen, Musik einfach nur zu benutzen? Nungut, daß Techno nicht gerade anspruchsvolle Hörer anzieht, war mir schon immer klar. Aber ich dachte immer, vielleicht finden die, die das hören, dadrin etwas, das ich nicht erkennen kann (denn meine Musik finden ja auch alle[tm] unerträglich). Airen schildert seine Besuche im Club Berghain tatsächlich als allein der Flucht aus der Realität dienend, und ja, dazu benutzte er (wie es in der ganzen Kritikliteratur beklagt wird) tatsächlich Musik, Tanz und Drogen. Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß das mal jemand für sich selbst als zutreffend bestätigt, und unvorstellbar ist es mir immer noch (aber es muß ja wohl doch stimmen).

Vermutlich war mein Leben einfach nie scheiße genug. Gott sei Dank!

In den vergangenen Wochen fühlte sich dieses Blog dem Prinzip der „Intertextualität“ a la Helene Hegemann verbunden. Mit anderen Worten: Ich habe mein Blog in der Fastenzeit mit „geklautem“ Material gefüllt. Zu meiner Ehrenrettung möchte ich jedoch anführen, daß ich die Texte immerhin übersetzt und teilweise auch gekürzt, umgestellt, neu kombiniert oder ihnen wenigstens durch den neuen Kontext eine neue Bedeutung gegeben habe. Und als guter Hegemannist habe ich ja meine Quellen mittlerweile offen gelegt (und das, obwohl mir noch kein anderer Blogger was nachgewiesen hat; aber ich habe ja auch nicht aus Blogs abgeschrieben…).

Aber warum habe ich das überhaupt gemacht? — Gute Frage. Nachdem ich ursprünglich solche Texte aufgenommen hatte, weil sie in meinem Kopf umherschwirrten und einfach raus wollten (warum fühle ich mich da bloß ans „Denkarium“ erinnert?), kam mir Anfang Januar die wilde Idee, die ganze Fastenzeit mit diesen Texten zu füllen, und ich fand die Idee spontan toll. Aus der wilden Idee wurde dann eine konkrete, ohne daß ich einen konkreten Hintergedanken gehabt hätte. Erst als mir dann allmählich doch die Texte ausgingen, fragte ich mich langsam, warum ich das eigentlich mache.

Für mich haben die Texte einen Sinnüberschuß, den man ihnen in ihrem Ursprungskontext zumindest nicht auf den ersten Blick zutrauen würde. Und wie kraß die Texte tatsächlich sind, habe ich auch erst gemerkt, als ich mir mal vorgestellt habe, wie sie im Kontext meines Blogs ohne Kenntnis des Ursprungs wirken könnten (und da habe ich mich dann erstmals über sie erschreckt…).

Ein wenig gewundert habe ich mich, daß ich die einzige Reaktion (positiv) auf einen Text bekam, an dem ich mich selbst lange gerieben hatte, da er selbst mir in seinem Ursprungskontext doch reichlich antichristlich vorkam (zumindest war es der antichristlichste Text, den ich während der Fastenzeit verarbeitet habe). Offenbar verliert der Text diese Konnotation im Kontext meines Blogs. Oder hat er sie schon im Original nicht, und ich habe mich nur von Vorurteilen leiten lassen?

Im Laufe meines Studiums bin ich immer wieder auf Michel Foucault und seine Wunschvorstellung vom „Tod des Autors“ gestoßen. Es solle um die Sache gehen, den Text, nicht den Autor, da der für den Inhalt des Textes keine Rolle spiele. Davon fühlte ich mich als jemand, der den Deutschunterricht für die Maxime „Was wollte uns der Autor damit sagen?“ gehaßt hat, weil das verunmöglichte, Texte auf die eigene Situation bezogen lesen zu können, spontan angesprochen.

In meinem Leben habe ich mehrfach die Erfahrung gemacht, daß gute Argumente nicht als Argumente ernst genommen werden, wenn sie von den falschen Personen vertreten werden. Stattdessen wird mit argumenta ad hominem gearbeitet; die Sache bleibt völlig auf der Strecke, und es spielen die Vorurteile gegenüber der Person eine größere Rolle für das Verständnis der Argumente als die Argumente selbst (diese Aussage darf auch gerne auf Institutionen wie die „Titanic“ bezogen werden). Aber je länger ich von der Bedeutung „der Sache“ geträumt habe, desto klarer ist mir geworden, daß das ganze nicht nur von der bei Foucault zugrundeliegenden strukturalistischen Idee der Selbstproduktion der Texte her nicht funktioniert. Der Kontext, in dem eine Aussage getätigt wird, bestimmt notwendigerweise ihre Wahrnehmung, folglich auch die Person und der Hintergrund des Autors.

Es kommt zwar nicht darauf an, was der Autor mit einem Text sagen wollte, aber für dessen Verständnis kommt es sehr wohl darauf an, welche Auffassung der Rezipient vom Autor und dessen Umfeld vertritt. Indirekt verändert also der Kontext die Aussage eines Textes, und das läßt sich überhaupt nicht vermeiden (oder wie es Martin Mosebach sinngemäß formuliert hat: wer 1000 Jahre auf den Knien lag, steht nicht im Bewußtsein auf, das Stehen sei die urchristliche Form der Gottesverehrung).

Warum ich das ganze gemacht habe, weiß ich jetzt immer noch nicht so genau. Vielleicht träume ich ja immer noch vom Tod des Autors und cyberpunkmäßig vom anonymen Internet, in dem man gefahrlos und spielerisch verschiedene Identitäten annehmen kann (und das nicht so bürokratisch wie bei Pen&Paper- oder rein virtuell wie bei Computer-Rollenspielen). Dann sollte ich aber schleunigst damit aufhören, denn persönlicher als in den letzten 6 Wochen geht’s ja kaum noch. Das Web 2.0 ist das absolute Gegenteil des ursprünglichen Traumes von Virtualität geworden. Es zwingt einen geradezu zur eigenen Identität und Authentizität. Aber was, wenn’s der böse Nachbar nicht will?

…et omnes sancti eius cum eo
et erit in die illa
lux magna, halleluja.

Ja, ich trauere immer noch der sonntäglichen Wiederkunft nach – und jetzt noch mehr, nachdem ich mich daran erinnerte, wie es in meiner Kindheit und Jugend war: Alle vier Adventssonntage wurde diese Vesperantiphon vom ersten Adventssonntag zum Abschluß der Sonntagsmesse gesungen. Aber mein damaliger Pfarrer hatte ja als Primizspruch auch Offb 22,20 gewählt…

Ein einziges Mal hatte ich danach noch eine vergleichbare Erfahrung, als sich ein Organist traute, die letzten Wochen des Kirchenjahres und (mindestens) noch am ersten Advent geradezu apokalyptische Orgelnachspiele durchzuziehen. Diese Dissonazen! Dieses unglaubliche Teiltonspektrum! Diese Lautstärke! Diese Gewaltigkeit! Ach ja, das ist jetzt auch schon wieder mindestens sechs Jahre her…