Ich hatte noch einen sachlichen Artikel versprochen, und hier soll er kommen, bevor das nächste kranke Kind zu hüten ist (deutet sich schon mehr als nur an…). Und zwar will ich begründen, warum ich nicht unterschreibe, weder die Petition, noch das Memorandum. So ganz klar auf den Punkt bringen kann ich es noch nicht, aber ich hoffe, es wird ungefähr deutlich, worum es mir geht.
Das Memorandum hat mich gleichermaßen gelangweilt wie geärgert. Das einzig Spannende war die Frage, wieviele es von meinen geschätzten Lehrern unterschrieben haben (vier, was weniger als befürchtet waren; aber da ich Absolvent der anscheinend einzigen Fakultät bin, die geschlossen nicht unterschrieben hat, stammen die Unterschreiber allesamt aus meinem Freijahr, und ja, ich kann bei zumindest zweien gut nachvollziehen, warum sie unterschrieben haben, und sehe in diesen Gründen keinen Angriff auf meine Positionen, eher im Gegenteil; eine weitere Unterschrift hat mich schlicht gewundert und der vierte Professor gehört eigentlich nicht zu meinen geschätzten Lehrern…). Warum es mich geärgert hat, hat bereits Walter Kardinal Kasper auf den Punkt gebracht. Erfreulich ist, daß in den FAZ-Leserbriefen dazu nur mäßig polarisiert wurde, ja geradezu zustimmend die Überwindung der Spaltung in der Kirche (auch wenn sie teilweise an m.E. falscher Stelle gesehen wurde) gefordert wurde — und zwar von Vertretern, die erkennbar „gegnerischen“ Lagern zuzuordnen wären. Es geht aufwärts.
Auf der anderen Seite fühle ich mich den Anliegen der Petition durchaus verbunden. Auch freue ich mich darüber, hier einige Namen aus meinem näheren Umfeld wiederzufinden (und das nicht einmal hauptsächlich aus der Blogoezese). Und manche völlig undialogische Reaktion der „Memorandumseite“ hat mich fast dazu gebracht, mit zu unterschreiben. Ich habe es letztlich aber nicht getan, weil mir bei der Reflexion über mein Unbehagen bewußt geworden ist, daß ich eine Unterschrift ekklesiologisch nicht vor mir rechtfertigen könnte.
Okay, das ist jetzt ein wenig zu geglättet formuliert und klingt nach rein persönlicher Authentizität. Nein, so banal ist es nicht, ich denke tatsächlich, daß sich in dieser Unterschreiberitis (auf beiden Seiten!) ein ekklesiologischer Irrtum ausdrückt. Wovon ich rede, ist die Anwendung politischer Mittel im innerkirchlichen Diskurs (ich brauche keinen Dialog, ein vernünftiger Diskurs — will heißen: niemand spricht dem anderen das Recht ab, seine Meinung vertreten zu dürfen — würde mir schon völlig ausreichen, aber das ist — wiederum auf beiden Seiten! — keineswegs selbstverständlich).
Als ich das erste Mal gelesen habe, Politik könne als die Technik zur Machterlangung und -erhaltung verstanden werden, war ich ernsthaft entrüstet. 13 Jahre lang wurde mir eingetrichtert, in der Demokratie könne jeder gleichermaßen seine Meinung einbringen, jede Stimme sei gleich viel wert (heute weiß ich: allenfalls gleich wenig). Zugleich lernte ich den Wert rationaler Argumente zu schätzen und den Glauben daran, das beste Argument werde sich schon durchsetzen. Tja, humanistisches Jesuitengymnasium halt.
Ja, das wäre alles sehr schön, aber die Welt, sie ist nicht so. Dort geht es darum Mehrheiten zu organisieren, Abstimmungen zu gewinnen und Interessen durchzusetzen (= Parteiführung, Stimmvieh und Lobbyarbeit). Je länger ich die Politik beobachte, um so mehr bestätigt sich ihr Verständnis als besagte Technik. Im Augenblick rede ich mir noch ein, das wäre nicht immer so gewesen. Ich kenne auch noch genug Leute, die meinen, es sei immer noch nicht so (sie werden aber immer weniger). Vielleicht liegt es daran, daß ich älter werde, an Erfahrung reife und mehr Durchblick gewinne; vielleicht liegt es auch daran, daß ich mich den falschen Einflüssen (von Metal über Telepolis bis zur FAZ) aussetze. Jedenfalls ist das mittlerweile meine Überzeugung, was Politik (wirklich) ist.
Nach einem Wort unseres Papstes ist Macht (nicht Haß) das eigentliche Gegenteil von Liebe (Joseph Ratzinger: Eschatologie – Tod und ewiges Leben; Leipzig: Benno, 1981 [DDR-Lizenzausgabe], 81). In der Kirche sollte es aber um Liebe gehen, nicht um Macht, und daher soll es keine Parteiungen geben. Daher stellt sich mir die Frage, ob uns die Unterschreiberitis nicht genau das beschert und vertieft, was sie eigentlich überwinden will, nämlich die Kirchenkrise. Dabei geht es mir nicht um die öffentliche Wirkung (Katholiken sind zerstritten), die sollte uns bei der Wahrheitssuche herzlich egal sein (und das scheint sie dem Heiligen Stuhl und den meisten Bischöfen auch zu sein), und ich will auch niemanden, der unterschrieben hat, angreifen. Ich unterstelle allen Beteiligten, sowohl den Memorandern als auch den Petitionern an sich guten Willen und ernsthafte Sorge um die Kirche (wobei wir uns eigentlich nicht um die Kirche sorgen sollten, sondern um die vielen de facto Nicht-Glaubenden, die der Kirche angehören). Und ja, ich nehme auch zur Kenntnis, das insbesondere die Initiatoren der Petition genau das hier angesprochene Problem sehen und dagegen argumentieren, es ginge nicht um Mehrheiten, sondern darum, den Bischöfen ein Zeichen zu geben, es gäbe da auch noch andere Meinungen. Wenn ich aber sehe, wie de facto ständig die Zahlen verglichen werden, komme ich doch ein wenig ins Grübeln…
Jedenfalls tragen beide Unterschriftenlisten (und auch die für so viele andere Anliegen, vom Kirchenvolksbegehren bis zur Petition zu den Ausführungsbestimmungen von Summorum Pontificum) nicht dazu bei, verschiedene Standpunkte in Austausch miteinander zu bringen, sondern sie vertiefen die Parteiungen, die im eigenen Saft schmoren. So geht es nicht weiter, denn so wird nie jemand „die andere Seite“ besser zu verstehen beginnen. In der Kirche, der katholischen zumal, sollte jede Stimme zählen, egal ob sie auf breite Zustimmung stößt oder ob sie abstrus oder verzagt wirkt. Katholizität orientiert sich an der Wahrheitssuche, der Katholik sollte immer in Betracht ziehen, daß er sich auch irren könnte und niemals die volle Wahrheit erkannt haben kann, so daß er von abweichenden Erfahrungen lernen kann.
Wahrheitssuche geht eben nicht durch Organisieren von Mehrheiten, sondern durch das Zueinander von ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Gott, mit der Welt und mit anderen Menschen. Jede dieser Erfahrungen ist wichtig und sollte bei Entscheidungen berücksichtigt werden. Genau das ist das Prinzip von Synodalität, von Konzilsentscheidungen: moralischer Konsens (weitgehende Einigkeit). Synodalität setzt aber voraus, daß jeder seine Meinung sagen kann und jede Meinung auch ernstgenommen wird. Dagegen ist ein Widerspruch, durch große Zahlen und Verbandsvertretungen eine Einheitlichkeit herzustellen, bei der scheinbar abseitige Meinungen unter den Tisch fallen. Jeder Katholik hat das Recht, sich an seinen Bischof oder den Papst zu wenden. Aber er sollte es niemals gegen etwas oder jemanden machen, sondern immer für die Wahrheit — und sich der späteren Entscheidung des Hirten unterwerfen, selbst wenn sie ihm nicht passen sollte. Alles andere führt zu Entindividualisierung und Vermassung: nur noch Teil einer anonymen Masse sein.