Liturgie

Bischof Feige hält in einem Interview mit der KNA die Frauenordination für möglich und das Argumentieren mit der Tradition für unzureichend.

ad traditionem

Wenn es in der katholischen Kirche 2019 nicht mehr ausreicht, mit der Tradition zu argumentieren, dann ist Polen bereits offen. Es gibt kein legitimes theologisches Argument, das nicht aus der Tradition stammt. Das hat einfach mit den loci theologici zu tun, also den Quellen theologischer Argumente. Ohne allzusehr ins Detail gehen zu wollen, kennt die Kirche nur zwei aufeinander verwiesene Offenbarungsquellen, aus denen theologische Argumente abgeleitet werden können: Schrift und Tradition. Diese sind insofern aufeinander verwiesen als die Heilige Schrift selbst Teil der Tradition ist und die Tradition in ihrem Kern Schriftauslegung. Dabei ist die Tradition als der eine große und ununterbrochene Prozeß der Glaubensweitergabe von Generation zu Generation zu verstehen (Werbeblock: Wer zuviel Geld hat, kann sich ja mal meine Diplomarbeit über den „Kanon“ von Vinzenz von Lerin reinziehen, womit auch geklärt wäre, wo mein Pseudonym seinen Ursprung hat :-).

Aber meint Bischof Feige hier nicht etwas anderes mit Tradition, nämlich Gewohnheit? Nein! Ganz klar nein! Denn die vom kirchlichen Lehramt in Ordinatio Sacerdotalis aufgeführten Gründe gegen die Frauenordination sind nicht aus mehr oder weniger langen Gewohnheiten abgeleitet, sondern aus der Schrift, die mit Hilfe der Glaubensüberlieferung, also dem Prozeß der Tradition, ausgelegt wird.

Hier zeigt sich ein unanimis consensus patrum, ja saeculi – kein katholischer Autor kennt die Weihe von Frauen, die vielmehr als Zeichen heidnischer oder häretischer Gruppen verstanden wird, z.B. bei Gnostikern, Katharern und Waldensern. Dabei wird nicht aus Gewohnheit oder patriachalischer Misogynie argumentiert (wenngleich solche Argumente gelegentlich als Angemessenheitsgründe angeführt werden), sondern lehrmäßig – aus dem in der Schrift vorgefundenen Willen Christi heraus. Die ungebrochene Gewohnheit, dass die Kirche noch nie Frauen zur Priesterweihe zugelassen hat, kommt dann in den Argumenten von Paul VI. und Johannes Paul II. nur als äußere Bestätigung der bereits belegten inneren Überzeugung ins Spiel.

Natürlich setzt Bischof Feige auf die Zweideutigkeit des Begriffs und die – nach 50 katechesefreien Jahren erwartbare – Unkenntnis der Gläubigen über den Begriff der Tradition. Dieser Begriff ist in der landläufigen Wahrnehmung negativ besetzt und zu einem Synonym für Gewohnheit geworden. Er erwartet, daß bei den mehr oder weniger unbedarften Lesern seines Interviews all die negativen Konnotationen des Begriffs aufgerufen werden und man ihm spontan recht gibt, man brauche bessere Argumente als die bloße Gewohnheit. Und wer wollte letzteres bestreiten!

Doch ist das theologische Argument mit der Tradition eben nicht diese bloße, am besten noch unreflektierte Gewohnheit, sondern das glatte Gegenteil: Die Tradition, der Prozeß der Glaubensweitergabe, ist nach über 5.000 Jahren doch recht ausgefeilt, und nach rund 2000 Jahren christlichen Durchdenkens und Theologie in einem Maße reflektiert, daß man als heutiger Theologe, um überhaupt noch irgendwas Neues „entdecken“ zu können, sich schlicht etwas ausdenken muß (oder irgendeine nicht ganz so bekannte Häresie aus dem Reservoir von 2.000 Jahren wieder aufwärmen).

ad sacerotalem ordinationem

Papst Johannes Paul II. hat in Ordinatio Sacertdotalis (der Text ist übrigens nicht lang, kann man mal eben nebenbei lesen, außerdem sollte man den wesenlichen Verweisen, insbesonderen zu Inter Insigniores folgen, es lohnt sich!) als endgültig festgestellt, dass die Priesterweihe von Frauen unmöglich ist, weil die Kirche keine Vollmacht hat, die Sakramente über den Willen Christi hinaus auszudehnen. Man kann es so zusammenfassen:

Weder Schrift noch Tradition in ihrer Gesamtheit lassen auch nur den leisesten Anhalt erkennen, daß Christus bei der Einrichtung des Sakraments des Ordo eine Weihe von Frauen eingeschlossen hätte. Wenn Christus aber keine Frauen weihen wollte, hat die Kirche schlicht keine Möglichkeit, daran etwas zu ändern.

Vielmehr ist es die beständige Lehre aller Päpste einschließlich Franziskus (Evangelium Gaudium Nr. 104), dass dieses Tor geschlossen ist. Zuletzt hatte sich der Präfekt der Glaubenskongregation erst im Mai 2018 genötigt gesehen, dies in Erinnerung zu rufen.

Alle Gegenargumente basieren auf rein konjunktivistischer Mutmaßerei: Wenn Christus heute gelebt hätte, würde er Frauen geweiht haben. Mal davon abgesehen, daß dies eine völlig uninteressante Hypothese ist – denn Christus hat nun einmal nicht heute gelebt, sondern sich entschieden, vor 2000 Jahren zu leben! –, gibt es durchaus einige Gründe, anzunehmen, daß, wenn Er Frauen als Priester gewollt hätte, Er dies ohne weiteres getan hätte.

Die Frauen im Gefolge Christi spielten eine damals geradezu skandalöse Rolle. Sie finanzierten seine Wanderpredigerschaft und waren – völlig unerhört für die damalige Zeit – mit Ihm und Seinen Jüngern unterwegs auf eben dieser Wanderschaft. Seine Beziehung zu ihnen war zum Teil so nah, daß Ihm bis heute nicht nur von Dan Brown Verhältnisse oder gar mehr mit Maria Magdalena angedichtet werden. Es wäre ein leichtes gewesen, sie auch zum Letzten Abendmahl mitzunehmen und zusammen mit dem Zwölferkreis zu Priestern zu weihen. Aber nicht einmal in den Zwölferkreis hat Er eine Frau aufgenommen, und niemanden außer dem Zwölferkreis hat Er zum Letzten Abendmahl zugelassen.

Im Gegensatz zu den Begriffen Apostel und Diakon, die an einigen Stellen der Heiligen Schrift durchaus in femininer Form auftauchen, ist dies für Presbyter (aus diesem Wort hat sich unser „Priester“ entwickelt) und Episkopoi (Bischöfe) nirgends der Fall.

Für die Diakonin hat die Liturgiewissenschaft inzwischen festgestellt, dass es sie durchaus gab, aber nicht im Sinne einer sakramentalen Weihe, sondern im reinen Wortsinn, also Helferinnen des Bischofs insbesondere bei Taufen von Frauen, die damals Ganzkörpertaufen waren.

Ähnlich wie bei Feiges o.g. Äquivokation zwischen der Tradition und den Traditionen setzt auch das „Apostolin“-Argument auf ein landläufiges Mißverständnis, die Gleichsetzung der Funktions“~ und der Amtsbezeichnung „Apostel“. Als Amtsbezeichnung bezieht sich „Apostel“ ausschließlich auf die Zwölf und Paulus, und ihr Amt wird nur von denen weitergetragen, die sie einsetzten. Die Wortbedeutung ist jedoch ähnlich wie die des Engels die Beschreibung der Tätigkeit des Bote-Seins. So werden etwa auch der heilige Bonifatius „Apostel der Deutschen“ und die heiligen Cyrill und Methodius „Slawen-Apostel“ genannt. In diesem Sinne bezeichnet auch die kirchliche Liturgie seit alters her Maria Magdalena als die Apostelin der Apostel – wohl wissend, daß dies ein Wortspiel und keine Identifikation ist.

Was mich an alledem am meisten erschreckt, ist das völlige Fehlen von belastbaren Argumenten. Bei Bischof Feige ist da nicht mehr als ein Blabla, daß man die Lehre nicht davon abhalten dürfe, sich zu ändern, wie Papst Franziskus sage (obwohl der die Unmöglichkeit der Frauenweihe ausdrücklich bestätigt hat, s.o.) und daß er sich selbst vor ein paar Jahren noch nicht hätte vorstellen können, die Möglichkeit der Frauenweihe zu denken.

Da geht es mir genau andersherum. Ich konnte mir die Möglichkeit der Frauenweihe immer vorstellen, so als rein praktische Möglichkeit, aber nie ein einziges, im letzten überzeugendes Argument dafür finden. Wie gesagt, alle Argumente dafür sind entweder untheologisch oder beziehen sich ausschließlich auf Diakoninen.

Die Argumente für die Frauenpriesterweihe sind in den letzten Jahren weder besser noch mehr geworden. Es ist vielmehr ein trotziges „jetzt erst recht“: Ich habe zwar nicht ein einziges Argument, ich will aber!!!!111111einself Kommt mir als Vater durchaus bekannt vor.

So ist das Beleidigendste an dem Text, der kürzlich auf Facebook die Runde machte, nicht etwa die Forderung nach dem Frauenpriestertum.

Am meisten stößt mir die strunzdoofe, nicht einmal die Ebene des rein Assoziativen erreichenden Logik hinter dem Text auf, die man schon geradezu böswillig nennen muß. Nur ein besonders deutliches Beispiel:

wenn eine frau
jesu sinneswandlung durch ein brotwort wirkte [Mt 15,27, Mk 7,28]
warum sollten frauen dann
bei der wandlung nicht das brotwort sprechen

Ich weiß nicht, ob dafür Triple-Facepalm oder 23 Bier überhaupt ausreichen. Ich bin ja eigentlich ganz gerne für fast jeden Schwachsinn zu haben. Aber dieser Schwachsinn da ist kein richtiger[tm] Schwachsinn. Er ist böswillig: Wohl wissend, daß es Schwachsinn ist, hat man sich hinter scheinbaren Bibelreferenzen versteckt, die man auch noch terminologisch vergewaltigen mußte, um überhaupt eine Strophe draus zu basteln.

Doch selbst, wenn ich die Terminologie noch für einen Moment beiseite lasse, besteht schlicht kein Zusammenhang zwischen den ersten und den letzten beiden Zeilen. Keiner. Überhaupt. Keiner. Nix Logik. Nicht mal falsche Logik:

aus „a“ folgt „b“
dann müsse aus „c“ auch „d“ folgen

Einziger Zusammenhang: der Terminus „Brotwort“. Als terminus technicus auf das erste der Wandlungsworte bezogen und so in der letzten Zeile verwendet.

Das vermeintliche „Brotwort“ aus der zweiten Zeile lautet hingegen (in der matthäischen Fassung):

Ja, Herr! Aber selbst die kleinen Hunde essen von den Brotkrumen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.

„Brotiger“ wird es nicht.

Während in den Wandlungsworten von tatsächlichem Brot die Rede ist, das Sein Leib wird, bleibt das Brot hier reine Metapher, die für den Glauben, die Gnade und das Wirken Christi steht. Was also Jesu „Sinneswandel“ verursacht, ist nicht das wirksame Wort, das aus dem bloßen Zeichen das macht, was es bezeichnet, sondern der Glaube der Frau, der sich im Bekenntnis zum Vorrang der Juden und im Vertrauen auf die überfließende Gnade und Güte ihres Gottes manifestiert:

Frau, dein Glaube ist groß. Es soll dir geschehen, wie du willst.

Aber vielleicht ist alles noch viel schlimmer. Nicht nur in nämlichen Text fehlt jeglicher Bezug auf das Wesen des Priestertums, nämlich sich als Werkzeug Christus zur Verfügung zu stellen, so daß Er durch den Geweihten wirken kann. Oder aus der anderen Perspektive formuliert: daß der Priester geweiht wird, um in persona Christi zu leiten, zu lehren und zu heiligen. Wir haben nur einen Hirten, Jesus Christus selbst. Alle anderen, die wir als Hirten bezeichnen, sind nur insofern Hirten, als sie in persona Christi handeln, also Christus durch ihr Handeln wirken lassen.

Wer als Geweihter nicht Christus wirken läßt, sondern sich in Widerspruch zur katholischen Lehre setzt, der sammelt nicht, der zerstreut!

ad titulum

Thus ends the Fifth Battle
By the treachery of men the field is lost
The night falls
And great is the triumph of evil

Im letzten Post schrieb ich, dass Er mir zeigte, „wie falsch die bisher von mir fast unhinterfragt übernommenen Kategorien waren“, ohne dass ich erklärt hätte, was ich damit meinte. Ich wollte den Post nicht überfrachten. Es ist aber die eigentliche Erkenntnis aus der geschilderten Erfahrung, und sie verändert nicht nur die Wahrnehmung, sondern auch die Entschiedenheit.

Bisher bewegte sich mein Denken über die gegenwärtige kirchliche Situation – wie gesagt, unhinterfragt – in den üblichen, in der Regel digitalen Kategorien: „konservativ“ vs. „progressiv“, „vor-“ und „nachkonziliar“, „Traditionalisten“ und „Modernisten“. So richtig hilfreich waren diese Kategorien nicht, um die Gegenwart zu verstehen. Es blieb immer ein viel zu großer Überschuß nicht damit erklärbarer Umstände, was wesentlich daran liegen dürfte, daß es sich um (kirchen-)politische Kategorien handelt, die als solche von der Wahrheitsfrage absehen. Hilfreicher war da das Verständnis als Deutungsmusterkonflikt mit einer dritten Kategorie (noch dazu weniger aggressiv benamst): „traditional“, „modern“, „post-modern“ (M. Widl), wobei das moderne Deutungsmuster das älteste war und das traditionale erst Anfang der 1980er und das postmoderne in den 1990ern wahrnehmbar wurde. Trotzdem konnte ich mich dort nicht recht verorten; ästhetisch war/bin ich nix davon. Auch fühlte ich mich mit dem einfachen Ausweg des „dritten“ Weges „postmodern“ nicht wohl; das wäre zu einfach (und klingt zu dialektisch – These, Antithese, Synthese).

Was mir die Ereignisse der letzten zwei Jahre gezeigt haben, ist, dass diese Kategorien völlig an der Sache vorbei gehen. Es ist kein Deutungsmusterkonflikt, er ist kein Konflikt zwischen Vor- und Rückwärtsgewandten. Es gibt nur zwei ernst zu nehmende Kategorien: Christussucher und Nicht-Christussucher – und die gibt es in jedweder Ausprägung, modern, traditional, postmodern. Die Skala ist hier sicherlich breit und man kann die Kategorien weiter aufsplitten, etwa in Gläubige (Sich-Vergöttlichung-Schenken-Lassende), Suchende, Indifferente und Satanisten (Selbst-Vergöttlicher) (vgl. S. 89f. meiner Diss). Aber es bleibt bei der grundlegenden Entscheidung: Suchst Du Christus – oder nur Dein eigenes Wohlergehen?

Was landauf, landab abgeht, hat nichts mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil oder gar seiner Liturgiereform zu tun, nicht einmal mit dem Konzil der Medien und schon gar nicht mit irgendeinem obskuren Geist des Konzils. Es ist Folge eines steifen, unveränderlichen, christusfernen Traditionalismus, der sich in agnostischer Unentschiedenheit schließlich von der letzten Ehrfurcht vor Gott und der Gottesverehrung frei gemacht hat.

Spannenderweise ist der von der Kirche im 19. Jahrhundert verurteilte Traditionalismus ein direkter Vorläufer des Modernismus, und seine Vertreter, insbesondere die erste Tübinger Schule aus den 1830er und 1840er Jahren, feierten Mitte des 20. Jahrhunderts fröhlich Urständ, und die bis heute gemeinsame Wurzel ist – Agnostizismus: Glaubst Du das wirklich? Kann man das überhaupt glauben? Wie kannst Du Dir so sicher sein? Das ist mir zu dogmatisch! Zweifel gehören zum erwachsenen Glauben. – Alles falsch: „Zehntausend Schwierigkeiten machen noch nicht einen Zweifel“ (Seliger John Henry Newman).

Weitläufig erleben wir noch heute, im Jahr 2019, die vorkonziliare Bet-Sing-Messe: mit nur einer Lesung, den Kurzfassungsliedern anstelle der Ordinariumsgebete (was vorkonziliar liturgisch sogar noch einigermaßen Sinn ergab, aber in den Messen in der außerordentlichen Form, die ich jemals besucht habe – was zugegebenermaßen so viele nicht sind –, war viel mehr von Sacrosantum Concilium zu spüren als in einem durchschnittlichen deutschen Gemeindegottesdienst), dem „Zwischengesang“ anstelle des Antwortpsalms und derselben Lieblosigkeit und Schluderigkeit, mit der viele altehrwürdige Meßfeiern verunstaltet wurden („ich schaffe eine gültige Messe in 9 Minuten!“) – es hat sich nur das Meßbuch geändert, das mißachtet wird. Dafür ist der Mensch in den Mittelpunkt des „Gottes“dienstes getreten, und die Gemeinschaft unter den „Gläubigen“ geht über alles. Oder anders gesagt: Die Liturgiereform ist in Deutschland noch überhaupt nicht angekommen! (Disclaimer: Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, aber deren Zelebranten sind dann entweder 75+ oder <45 Jahre alt und/oder sind schon lange in der Schublade "konservativ" gelandet.)

Oder genauer: in der meistens zu erlebenden deutschsprachigen Liturgie. Egal ob bei den Kroaten, den Portugiesen oder den Amerikanern – in jeder, wirklich in jeder Liturgie für Fremdsprachler, die ich in den letzten beiden Jahren besucht habe, konnte offenbar jeder ganz selbstverständlich das Ordinarium auswendig sprechen, also inklusive Gloria und Großem (!) Glaubensbekenntnis. Psalm und Halleluja sind hier völlig normal, bevor man sie durch ein Lied ersetzt, spricht man sie, und es scheinen keine ach so pastoralen Gründe für das Weglassen einer Lesung zu existieren (wenn man den ganzen unliturgischen Killefitt zwischendrin weglässt, dauert es mit zwei Lesungen auch nicht länger…). Absolut entlarvender Höhepunkt war die Formulierung des englischen Zelebranten, mit der er die Erklärung einleitete, warum man sich heute ausnahmsweise mit Stuhl-Ellipse um Altar und Ambo inmitten des Kirchenschiffs anstatt im (riesigen!) Altarraum mit Hochaltar befinde, weil das Licht dort oben heute nicht funktioniere: „We are in the german section of the church today…“

Ich habe es so satt, irgendwelche „politischen“ oder „pastoralen“ Rücksichten zu nehmen, die letztlich zu nichts anderem als einer Schere im Kopf führen, die aus „Rücksicht“ nicht sagt, was wahr ist, sondern selbst dort schweigt, wo Reden notwendig ist, ja sogar die Wahrheit zum Schweigen zu bringen versucht, wo sie gesagt wird. Dann braucht man sich auch nicht zu wundern, wenn überhaupt keiner versteht, was an so einer Vergewaltigung schlimm sein soll: „Das ist doch ganz normal, das machen wir doch immer so.“ – Natürlich macht der Ton die Musik und man soll die Wahrheit nicht wie ein nasses Handtuch den Leuten um die Ohren schlagen, aber dieser Einwand zeigt doch nur exakt die Schere im Kopf: Die Wahrheit zu sagen könne doch nur in der Form des nassen Handtuchs geschehen, also lieber sie verschweigen als irgendjemand irgendetwas zumuten. Das ist schlimmer als jede Häresie – das ist laaaangweilig!

Erst jetzt, wo allmählich rauskommt, dass auch andere Mißbrauchsfälle keine versehentlichen Unfälle waren, sondern dass dahinter mitunter äußerst böswillige und zerstörerische Absicht, ja manchmal sogar System steckte, und dass dieses System von Verantwortlichen gedeckt wurde, wird mir klar, dass das alles nichts mit mir zu tun hatte, dass ich niemals irgendetwas dagegen hätte tun können und dass es an vielen Orten und in großer Zahl ständig und immer wieder passiert(e). Dass hinter vielen dieser Berichte nicht nur Versehen, Unwissen oder „gut gemeint“ steckte – sondern Böswilligkeit, Glaubensabfall und Zerstörungswut: Wenn ihr Mich liebtet, hieltet ihr Meine Gebote!

Und dass meine Hilflosigkeit kein Unvermögen meinerseits, sondern Methode ist: Wenn diejenigen, die für die Menschen zum Dienst am Herrn geweiht sind, die ersten sind, die Ihn vergewaltigen, dann müssen die Menschen, die auf ihren Dienst angewiesen sind, notwendig hilflos sein. Was sollen sie denn tun? Sich die Situation „schöntrinken“ und mit vergewaltigen? Sich in ihr Schicksal ergeben und in jeder Heiligen Messe erneut erleben, wir ihr Herr und ihr geistliches Verlangen mit Füßen getreten werden? Μὴ γένοιτο! Im einen wie im anderen Falle läuft es auf Dauer darauf hinaus, sich an das Undenkbare zu gewöhnen und geistlich abzustumpfen, letztlich also zu verweltlichen. Was wohl genau das ist, was angestrebt ist.

Hier stehe ich, ich kann nicht anders. ¡Viva Cristo Rey!

Der Post-Titel ist der Schlachtruf der Edain des Nordens im Kampf gegen Morgoth. Tolkien selbst übersetzt: „Flame, light! Flee, night!“ Folgt man den Nerds und Geeks, die sich ernsthaft mit dem Sindarin auseinandergesetzt haben, müsste es soviel heißen wie: Möge Licht aufstrahlen! Möge Dunkelheit fliehen! – Wer weiß, wer Morgoth ist und was die Licht-Dunkelheit/Nacht-Dichotomie in diesem Kontext meint, kann vielleicht nachvollziehen, warum dieser Titel der einzig passende für diesen Post war!

Und überhaupt: The scale might be wide but there’s no need to be blind – between black and white there is no room for two.

Mein bester Freund wurde vergewaltigt.

Mein bester Freund wurde vergewaltigt, und ich konnte nichts dagegen tun.

Mein bester Freund wurde vergewaltigt, ich stand daneben, und ich konnte nichts dagegen tun.

Mein bester Freund wurde vergewaltigt, in aller Öffentlichkeit, ich stand daneben, und ich konnte nichts dagegen tun.

Das ist jetzt über zwei Jahre her. Der Versuch, einfach weiterzumachen, als wäre nichts geschehen, war schnell gescheitert. Der Versuch, darüber zu reden auch. Meine Frau hatte den Arsch in der Hose gehabt, die Vergewaltiger zur Rede stellen zu wollen. Da dachten wir noch, daß alles nur ein großes Mißverständis sei. Die eisige, unser Bemühen, mit dem Erlebten leben zu können, lächerlich machende Reaktion hätte uns eines Besseren belehren sollen. Es gibt einfach Dinge, die man sich nicht vorstellen kann, bevor man sie nicht erlebt hat.

Auch mit den anderen, die dem Geschehen beiwohnten, haben wir nicht wirklich reden können. Kaum jemand schien etwas daran auszusetzen zu haben. Höhepunkt war, nicht einmal eine Stunde später, die zynische Äußerung: „Wenn Ihn das stört, dann ist Er nicht Gott.“

Uns ging es, wie es normalerweise den Vergewaltigungsopfern, nicht den Zeugen geht: Erst wird uns nicht geglaubt, dann wird uns selbst die Schuld zugeschoben. Die Anzeige schließlich der dritten schweren Vergewaltigung brachte zwar eine schnelle Reaktion, hatte letzlich aber keine Folgen. Die Vergewaltigungen gehen weiter, wenn auch in kleinerem Maßstab.

Ein Gutes hatte das ganze: Die Verbindung zwischen Ihm und mir ist dadurch sehr vertieft worden. Gleich nach diesem ersten Erlebnis wollte ich Ihn trösten, und doch hat Er mich getröstet. Je mehr mein Schockiertsein durch Rationalisierung des Erlebten zurückging, desto deutlicher zeigte Er mir, wie falsch die bisher von mir fast unhinterfragt übernommenen Kategorien waren.

Von den wenigen, die uns verstanden haben, haben sich die meisten bald aus der Pfarrei zurückgezogen und sind in Nachbarpfarreien geflüchtet. Ob es da besser ist? Nach meinem Eindruck nur graduell. Besser verpackt, weniger offensichtlich, mit weniger Böswilligkeit, ja, aber im Grunde derselbe Menschengemeinschaftsgötzendienst. Einmal sensibilisiert, auf die ersten kleinen Schritte zu achten, die der großen Vergewaltigung vorausgingen, erkennt man die eigentlich völlig überflüssigen, weil recht verstanden an Sinn und Verständlichkeit nichts ändernden Umformulierungen im Hochgebet an allen Ecken und Enden; das Weglassen des Embolismus, die ewige Form C des Bußaktes (in der Regel ohne irgendeine Vergebungsbitte) usw. usf.

Nein, ich will mich nicht vertreiben lassen. Wohin sollte ich gehen? Nur Er hat Worte des ewigen Lebens. Ich will das Leid an-, mein Kreuz auf mich nehmen und Ihm nachfolgen – nach Golgotha. Welche Ironie: Die unblutige Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers wird zur realsten Kreuzwegerfahrung.

Mein bester Freund wurde vergewaltigt, und ich konnte nichts tun – außer es mit Ihm zu tragen, Ihm aufzuopfern und mich von Ihm trösten zu lassen.

Ἐκένωσεν.

„Nicht mehr ich lebe, sondern Jesus lebt in mir“ (Gal 2,20): Wenn ich das ernstnehme, ist die Eucharistie, die Messe und vor allem die Kommunion, das Wichtigste in meinem Leben. Lebt Christus in mir und ist das allerheiligste Sakrament – Sein Leib und Sein Blut – die Nahrung, die mich in Ihn verwandelt, dann gibt es nichts, was wichtiger sein könnte.

Auch wenn alles andere im Leben drunter und drüber geht, Er ist für mich da. Natürlich nicht nur im Kommunionempfang, nicht nur in der Messe, aber dort in ganz besonderer Weise.

Joseph Ratzinger (Benedikt XVI.) hat einmal die Kommunion in der Messe mit dem Sex in der Ehe verglichen (Geist der Liturgie, 2000, S. 122). Und dieser Vergleich ist nicht so abwegig, wie er auf den ersten Moment wirkt. In beiden Fällen kommt es zu einer Vereinigung, in beiden Fällen ist sie Kommunikation (sich näher, inniger und intimer kennenlernen), in beiden Fällen handelt es sich um einen ausnahmsweisen Höhepunkt, der den (gemeinsamen!) Alltag durchbricht und ihn zugleich erst möglich macht. Auch bei den Emmausjüngern wird die biblische Terminologie geschlechtlicher Vereinigung gebraucht: „… und sie erkannten Ihn“ (Lk 24,31).

Entsprechend ist es sicherlich kein Zufall, daß der Zeitpunkt der Kommunion am Ende der Messe ist, kurz bevor es zurück in den Alltag geht. Noch viel weniger Zufall ist es aber, daß diesem Zeipunkt eine ganze Menge vorausgeht. Es geht nicht um einen „Quicky“: mal eben den Keks abholen, dann habe ich wieder Energie für den Tag – völlig falsche Baustelle. Es geht vielmehr um eine Vorbereitung des Höhepunkts – und dessen Qualität ist um so höher, je höher die Qualität der Vorbereitung war.

Diese Vorbereitung besteht vor allem (wenn auch nicht nur) in der Liturgie der Meßfeier, die – um im Bild zu bleiben – gewissermaßen das Vorspiel darstellt. Im Bußakt nähern wir uns dem, der sich uns völlig unverdienterweise zuwendet, weil Er uns liebt (und wie ähnlich ist das immer wieder in der Ehe!), im Wortgottesdienst erzählt Er uns von sich (und wer interessierte sich nicht dafür, wie der Tag seines Geliebten war?!) und das Hochgebet ist der Beginn der unmittelbaren Vereinigung. Wie die Kommunion dann in uns wirken kann, ist vollkommen abhängig davon, wie sehr die ganze Mitfeier der heiligen Messe von Liebe geprägt war – also davon, auf den anderen zu achten, Ihn anzunehmen und Ihm so gut es geht gerecht zu werden.

Liturgie ist insofern zweckfrei. Wie wir sie feiern, ist Ausdruck unserer Liebe zu Christus. Wie in der Ehe besteht aber auch in der Liturgie immer die Gefahr, daß wir unsere Eigenliebe über die Liebe zum anderen stellen, selbst wenn wir wissen, daß wir am meisten Liebe erfahren, wenn wir den anderen um seiner selbst willen lieben. Daher braucht die Liturgie Regeln, um uns vor dem größten Selbstbetrug zu schützen.

Außerdem feiern wir die Messe in der Regel in einer großen (oder wenigstens etwas größeren) Gemeinschaft. Wir können nicht alleine unsere Wünsche und Hoffnungen in den Vordergund stellen, und alle anderen sind dann nolens volens quasi Gefangene unserer eigenen Christusbeziehung. Oder schlimmer: Unserer eigenen Selbstvergottung, dann wird Liturgie zur Selbstbefriedigung, was ziemlich eklig ist, wenn man zugucken muß.

Auch deshalb braucht es Regeln, damit jeder zu seinem Recht kommt. Gerechtigkeit ist genau das: jedem das zu geben, was er braucht und ihm zukommt. Natürlich bleibt auch in der liturgischen Gestaltung die Schwierigkeit, unsere menschliche Begrenztheit und unser unbegrenztes Verlangen miteinander zu vereinbaren. Erst im Himmel wird die Liturgie perfekt sein, denn dann werden wir Ihn sehen, wie Er ist.

Bis dahin ist aber der wesentliche Punkt in der Liturgie, daß wir sie aus und in Liebe zu Christus feiern. Je mehr jeder einzelne Mitfeiernde in Liebe zu Christus entbrannt ist, umso besser kann jeder einzelne – selbst, oder vielleicht eher gerade der „religiöse Spezialist“ – Ihn in und durch die Liturgie erfahren.

Leider entspricht die Realität nicht dieser Vision. Vielleicht erscheint uns deshalb Ratzingers Vergleich so abstrus. Liturgie fühlt sich nicht wie ein heiliges Spiel, gar ein heiliges Liebesspiel an, und die Kommunion ist für viele wohl doch nur ein Gemeinschaftserlebnis, keine Gotteserfahrung.

Das Grundübel daran und dahinter dürfte aber sein, daß die Liturgie vielfach nicht aus Liebe, sondern aus Pflicht gefeiert wird, auch durch die Zelebranten. Und wenn ich etwas aus Pflicht tue, also aus extrinsischer Motivation, nicht aus intrinsischer, dann bin ich auch nicht damit zufrieden, wie es getan wird. Dann suche ich mir Punkte, wo ich mir die Pflicht erleichtern kann, wo ich mir spannender erscheinende Elemente einbauen oder erweitern kann und wie ich mir insgesamt die langweilige Stunde am Sonntagvormittag angenehmer gestalten kann.

Hier beginnt für den, der die Liturgie aus Liebe zu Christus feiern will – sei er Konvertit oder Bekloppter, jedenfalls ein seinem reinen Gewohnheits-Sonntag-Christentum Entronnener – , der Leidensweg. Was zum Liebesspiel werden sollte, ist plötzich die Via dolorosa. Auch eine wichtige und in ihrer eigenen Weise wertvolle und gute Christusbegegnung. Aber völlig deplaziert in der Messe. Du bereitest Dich auf ein gut einstündiges Liebesspiel vor — und plötzlich holt jemand die Geißel heraus.

Diese Geißel kann sehr unterschiedliche Formen annehmen. Manchmal hat sie bloß die Form einer Gitarre, auf der nichtssagende, oberflächliche, jedenfalls keineswegs zum Ausdruck der Liebe zu Christus geeignete Lieber geklampft werden. Manchmal ist es ein bis zum Erbrechen ausgeweiteter Gabengang oder wortreiche Fürbitten auf dem Niveau von „Lieber Gott, bitte mach, daß unsere Urlaubsfotos gelingen“. In schlimmeren Fällen erkennt man die Messe nicht mehr wieder. So ist mir mal eine anderthalbstündige Katechese mit liturgischen Einsprengseln untergekommen, in der wohl kaum eine handvoll Leute in der fast vollbesetzten Kirche wußten, wo in der Messe wir gerade sind (die völlig verwirrten und verunsicherten Ministranten, von denen sich im Anschluß ein paar weigerten, bei dem Priester nochmal zu ministrieren, gehörten ganz offensichtlich nicht zu dieser Gruppe).

Nichts von alledem läßt die Welt untergehen, denn trotz allem ist Christus unter den Gestalten von Brot und Wein wahrhaft gegenwärtig. Aber die Vorbereitung war jäh durchbrochen, als ob man sich gerade ins Schlafzimmer zurückgezogen hat und plötzlich die Türklingel geht: Selbst wenn man sie ignorieren kann und der Klingelnde es nach dem ersten Versuch gleich wieder aufgibt, man kann nie wieder da weitermachen, wo man gerade aufgehört hat. Auch kommt man nie wieder in die Sichherheit und das Vertrauen herein, die und das nötig ist, um sich fallen zu lassen.

Alltäglicher ist aber die rite und recte, doch lieblos gefeierte Messe. Liebe drückt sich zwar auch, aber nicht so sehr in den Dingen aus, die ich tue, sondern in der Art und Weise, mit der ich sie tue – nämlich mit (wieviel) Liebe. Wenn ich eigentlich keinen Bock auf die Messe habe, dann werden ihre Riten ganz schnell zum bloß mechanischen Ablauf, der keinerlei Inhalt mehr transportiert. Wenn ich dieselben Handlungen aber aus Liebe tue, fangen sie plötzlich an zu sprechen, gewinnt man kleine, scheinbar überflüssige Details lieb („Lieber Jesus, hörst Du, sie spielen unser Lied!“), und so wird die ganze Messe nach und nach sprechend, lebendig – und durchsichtig auf den Himmel: auf Christus.

Nach dem etwas knappen Ende des letzten Posts muß ich wohl noch einen hinterherschieben, damit mir keiner Antijudaismus unterstellt.

In der christlichen Tradition wird schon das Alte Testament an den Stellen, die auf Jerusalem, Israel usw. verweisen auf den Neuen Bund hin gelesen, d.h. Jerusalem steht für das Neue Jerusalem, Israel für das neue Volk Gottes usw., also die Kirche.

Wenn es daher zum Abschluß der alttestamentlichen Lesungen in den Karmetten heißt: „Jerusalem, Jerusalem, bekehre Dich zum Herrn, deinem Gott“, dann ist das kein selbstgerechter Aufruf an die (sowieso nicht anwesenden) Juden, die doch endlich Christen werden sollten, sondern angesprochen sind – wie mit der ganzen Lesung! – die anwesenden Christen und die ganze Kirche, deren Liturgie es ja ist. Das Neue Jerusalem soll sich bekehren!

Und wenn in den (leider meist unterschlagenen) Improperien (Anklagen) während der Kreuzverehrung in der Karfreitagsliturgie im Anschluß an Micha 6 (v.a. 3f.) Gott Seinem Volk Vorwürfe macht, wieso es seinem Erlöser das Kreuz bereite, nach all dem Guten, das Er an ihnen getan hat, dann ist das an die versammelte Gemeinde gerichtet, die im Leben jedes einzelnen ihrer Mitglieder sich immer wieder der empfangenen Taufe unwürdig gezeigt hat. Unwillkürlich klingt mir Vers 9 von Ps 95 im Ohr, der jeden Morgen das Stundengebet eröffnet: „sie haben mich auf die Probe gestellt und hatten doch mein Tun gesehen“; genau so ist es: Wir stellen Gott immer wieder durch unser mangelndes Vertrauen auf die Probe und wundern uns dann noch drüber, daß Er sich unserem Zugriff entzieht.

Genau deshalb bin ich bis heute nicht über die Stelle „wir haben keinen König außer dem Kaiser“ hinweg. Wenn die Hohenpriester in der Unbedachtheit einer angespannten Situation sich guten Glaubens selbst verfluchen und das Urteil sprechen können, ohne es zu merken – wie oft dann ich?

P.S.: Das spannendste an den Improperien ist eigentlich das „Hagios ho Theos etc.“. Denn das ist quasi die stammelnde „Antwort“ der Angeklagten auf die Vorwürfe: Du bist der Heilige Gottes, nur Du kannst uns retten, wohin sonst sollten wir gehen? (Joh 6,69)

Einer der emotionalen Höhepunkte (wenn auch nicht unbedingt der reinsten Freude) ist die Lesung der Johannespassion in der Karfreitagsliturgie. Sicherlich gehören die vorausgehenden Lesungen aus Jesaja und dem Hebräerbrief dazu, diesen Höhepunkt aufzubauen. Und nicht zuletzt gehört die Kreuzverehrung als unsere Antwort auf die Passion zu diesem Gesamtkunstwerk, aber ich will mich hier mal auf die Passion selbst beschränken.

Sie ist schon als solche hammermäßig genug, aber was noch viel krasser ist, man kann sie nie oft genug gehört haben, man kann immer noch Neues entdecken. In den letzten Jahren sind mir zwei Stellen besonders ins Herz gesunken, zum einen die Stelle ganz am Anfang, wo die Häscher vor Ihm zurückweichen und zu Boden stürzen, zum anderen die Stelle, in der die Hohenpriester(!) antworten: „Wir haben keinen König außer dem Kaiser.“

Jesus, der alles wusste, was mit Ihm geschehen sollte, ging hinaus und fragte sie: Wen sucht ihr? Sie antworteten Ihm: Jesus von Nazaret. Er sagte zu ihnen: Ich bin es. Auch Judas, der Verräter, stand bei ihnen. Als Er zu ihnen sagte: Ich bin es!, wichen sie zurück und stürzten zu Boden. (Joh 18,4–6)

Ich kann mich erinneren, daß mir schon als Kind klar war, daß es nur einen Grund geben kann, warum die Häscher zurückweichen und zu Boden stürzen: die Würde Jesu, letztlich also ihre Anerkenntnis Seiner Göttlichkeit. Warum aber an dieser Stelle – sie wußten doch, wen sie festzunehmen auszogen – und warum sehen sie dann von der Verhaftung nicht ab?

Die Lösung dieser Fragen lag dort, wo ich sie nie erwartet hätte; in den scheinbar unbedeutenden Worten: „Ich bin es.“ Es gibt noch eine zweite Stelle, bei Mk, in der (fast) dasselbe Phänomen auftritt, nur ein wenig abgemildert durch die vorangehende Frage des Hohenpriesters, ob Er „der Messias, der Sohn des Hochgelobten“ sei und die fortgesetzte Rede Jesu: „Ich bin es. Und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen.“ Dafür ist noch deutlicher, welchen Anspruch Er erhebt, insofern der Hohepriester Seine Antwort ausdrücklich als offensichtliche Blasphemie verurteilt.

Alles hängt tatsächlich am „Ich bin es“. Daß es bei mir Jahre gedauert hat zu verstehen, warum genau dieser Satz die Göttlichkeit Jesu zum Ausdruck bringt, liegt an der (in diesem Punkt „§%U/!) Einheitsübersetzung, die keinen Hinweis darauf gibt, was Jesus hier zitiert, nämlich Ex 3,14, nichts geringeres als den peinlichst in der Aussprache vermiedenen Gottesnamen!

Die Einheitsübersetzung übersetzt Ex 3,14 (schlicht falsch!): „Ich bin der Ich-bin-Da“; in einer Zeitschrift des Katholischen Bibelwerks habe ich gestern sogar „Ich bin der Ich-bin-da-für-euch“ gelesen. Das ist einfach nicht das, was dasteht, das ist insofern eine schlicht falsche Übersetzung, als sie den schillernden, vielfältig deutbaren Namen Gottes auf eine einfache, allzu klar verständliche Aussage reduziert. Eigentlich steht nämlich (ungefähr, das hebräische JHWH ist tatsächlich nicht leicht zu übersetzen) da: „Ich bin, der ich bin.“

Mir hat es sich tief eingebrannt, als mein AT-Professor in einer Nebenbemerkung mal rantete, das sei eigentlich genau das Gegenteil dessen, was die EÜ draus macht, nämlich die Verweigerung eines Namens. Noch heute sagten Juden, wenn sie auf eine Frage, z.B. wohin sie gerade gehen würden, de facto mit „das geht dich einen feuchten Kehricht an“ antworten wollten: „Ich gehe dahin, wo ich hingehe.“ Insofern sei der Name JHWH als Nicht-Name zu verstehen, als Verweigerung, einen Namen zu nennen; was sich auch klar daraus ergibt, daß im orientalischen Weltbild die Kenntnis des Namens eines Gottes Verfügungsgewalt über ihn beinhaltete, und genau dieser Verfügungsgewalt entziehe sich Gott hier durch die Nicht-Nennung Seines Namens.

Später fiel es mir nochmal wie Schuppen von den Augen, als ich die klassische Interpretation des Gottesnamens, die aber sowas von 100%ig anschlußfähig an die griechische Philosophie ist, kennenlernte. Griechisch lautet die Stelle mit dem Gottesnamen nämlich: ἐγώ εἰμι ὁ ὤν, Ich bin der Seiende. Gott identifiziert sich hier also mit dem, der allein sein Sein aus sich selbst heraus hat, und das bildet die Grundlage jeglicher christlicher Philosophie bis zur Reformation.

All diese Mit-Bedeutungen des Gottesnamen unterschlägt die Einheitsübersetzung (selbst die Anmerkung zu Ex 3,14 ist eher verschleiernd!). Entscheidend für die Passion ist jedoch, wie der griechische Originaltext von Jesu Antwort lautet: ἐγώ εἰμι. Deshalb fallen die Häscher bestürzt zu Boden. Was an sich eben nichts anderes bedeutet als „Ich bin’s“, ist im Munde Jesu eine klare Anspielung auf den Gottesnamen, den er für sich selbst in Anspruch nimmt. Übrigens an x anderen Stellen, insbesondere, aber (s.o.) nicht nur bei Johannes (bei Johannes baut bereits der Prolog ganz entscheidend hierauf auf!).

Die Reaktion der Häscher entspricht daher in etwa der Jesajas in seiner Berufungsvision, es ist also die Reaktion des sündigen Menschen angesichts der Herrlichkeit Gottes. Sie drückt aus, daß Jesus Sein Leben freiwillig hingibt, die Verhaftung problemlos hätte verhindern können, und daß Gott – auch wenn uns jetzt ein Name unter dem Himmel gegeben ist – sich nach wie vor unserer Verfügbarkeit entzieht.

Die andere Stelle steht damit in gewisser Weise in Beziehung:

Pilatus sagte zu den Juden: Da ist euer König! Sie aber schrien: Weg mit ihm, kreuzige ihn! Pilatus aber sagte zu ihnen: Euren König soll ich kreuzigen? Die Hohenpriester antworteten: Wir haben keinen König außer dem Kaiser. (Joh 19,14f.)

Diese Stelle ist noch viel krasser, andererseits auch unauffälliger, weil fast nichts auf die hintergründige Bedeutung der Aussage hindeutet. Hier brauchte es die Inszenierung von Mel Gibson, um mir das Krasse an dieser Aussage bewußt werden zu lassen: Die Hohenpriester verleugnen hier nichts anderes als ihre grundlegende Daseinsberechtigung, das Königtum Gottes über Sein Volk. Wie Gott es selbst sagt in 1 Sam 8,6:

Nicht Dich haben sie verworfen, sondern Mich haben sie verworfen: Ich soll nicht mehr ihr König sein.

Darüber bin ich bis heute noch nicht weg…

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Apropos Sacrum Triduum: Eigentlich ist das Sacrum Triduum sowas wie ein Festival. Ein cooles Festival, ja das coolste Festival des Jahres:

  • Es geht über drei Tage.
  • Es beginnt Donnerstag abend und endet am Sonntag.
  • Der abendliche/nächtliche Krach (z.B. Glockenläuten) geht den Nachbarn auf die Nerven.
  • Es gibt Headliner (Abendmahlsmesse, Karfreitagsliturgie, Osternacht, Osterhochamt).
  • Es gibt Vorbands (Karmetten, Ölbergstunde).
  • Es gibt ein Vorglühen (Fastenzeit, Palmsonntag, Kartage).
  • Es gibt ein Nachglühen (Ostervesper, Ostermontag, Osteroktav, Osterzeit, Pfingsten).
  • Es gibt „Show“-Elemente, die man nur hier erleben kann (special presentation: Kreuzverehrung, Verstummen der Orgel, Klappern, Osterfeuer, Exsultet…; wenn man Glück hat, sogar die Improperien.)
  • Schlaf ist fakultativ.
  • Hinterher braucht der Nicht-Mehr-Jugendliche die eine oder andere Woche Urlaub.

Besonders cool machen es aber die Unterschiede:

  • Die Festivallocation ist in angenehmer Entfernung, was das Campen überflüssig macht.
  • Es gibt keine Assis, die schon vor dem ersten Gig knülle besoffen in der Ecke liegen oder, noch schlimmer, nur da sind, um cool zu tun, aber nicht wegen der Musik, und nie ihr Camp verlassen.
  • Der absolute Festivalheadliner „spielt“ in der Nacht zu Sonntag je nach Tagesform zwei bis zweieinhalb Stunden oder (mit Erwachsenentaufen) auch länger.
  • Die Aftershow-Party (oder das Äquivalent zur „Metal-Disco“) dauert nicht nur bis in die frühen Morgenstunden (für die, die wollen: Ganznachtfeier der Mutter aller Vigilien bis zum Sonnenaufgang), sondern geht bis in den spätern Sonntagnachmittag (Ostervesper).
  • Emotionale Berg-und-Tal-Fahrt, wie sie keine andere Running Order hinkriegt.
  • Tagtägliches intimes Meet & Greet mit dem Festivalorganisator und -chef (für die, die auf dem Schlauch stehen: Kommunion).
  • Es ist nicht (nur) Show. Es ist wahr.

Further Reading: Die längste Messe der Welt

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Sacrum Triduum – Karfreitag

Es ist Kardonnerstag. Ja, ich weiß, daß überall[tm] Gründonnerstag steht. Stimmt aber nicht (ganz).

Denn der Gründonnerstag gehört (liturgisch) bereits zum Karfreitag und bezeichnet seinen Vorabend. War mir lange auch nicht klar, und infolgedessen verstand ich nicht, warum das Sacrum triduum aus vier Tagen besteht. Tut es aber nicht, da der Gründonnerstag kein eigenständiger Tag, sondern „nur“ der Vorabend von Karfreitag ist.

Klar wurde mir das erst durch das Stundenbuch. Das trennt nämlich zwischen der Non des Donnerstags der Karwoche und der Vesper von Gründonnerstag. Und diese Trennung besteht vor allem in der Überschrift „Die drei österlichen Tage vom Leiden, vom Tod und von der Auferstehung des Herrn“:

  1. Leiden: Karfreitag
  2. Tod: Karsamstag
  3. Auferstehung: Ostersonntag

Direkt nach dieser Überschrift folgt die Unterüberschrift „Gründonnerstag oder Hoher Donnerstag“, der ausschließlich aus der Vesper besteht, die zudem nur von den armen Schweinen wie mir gebetet wird, die wegen kleiner Kinder (oder aus anderen Gründen) nicht an der Messe vom Letzten Abendmahl teilnehmen können. Ok, und der Komplet.

Die Verwirrung kommt wahrscheinlich daher, daß es mal (zwischendurch) zwei Triduen gab, nämlich das Leidenstriduum (Gründonnerstag, Karfreitag, Karsamstag) und das Auferstehungstriduum (Ostersonntag, Ostermontag, Osterdienstag). Letzteres ergibt aber einfach keinen Sinn, denn von Ostersonntag bis zum Weißen Sonntag ist schon Osteroktav.

Wozu ein Triduum in der Oktav? Wahrscheinlich weil das mit dem Triduum von Gründonnerstag bis Ostersonntag nicht mehr klar war, also genau aufgrund der Frage, warum das Triduum vier Tage umfasse. Tat es aber gar nicht, sondern der Karfreitag beginnt (wie jedes Hochfest) mit dem Vorabend. Seit der Wiederherstellung des klassischen Triduums durch Papst Pius XII. 1951 (siehe auch hier) droht hingegen der Karsamstag als wesentlicher Bestandteil des Triduums unter den Tisch zu fallen (drei Tage? Also Gründonnerstag, Karfreitag, Ostersonntag! – NEEEEEEIIIIIIN!!!11111einself).

Um den Karsamstag angemessen aufzuwerten, kann ich nur die Karmette empfehlen (z.B. bei uns in Eisenach am Karsamstag und 8.30 Uhr). Seit ich die kennengelernt habe, möchte ich sie nicht mehr missen, denn von ihr her kriegt der Karsamstag als fast, aber eben nicht ganz a-liturgischer Tag sein eigenes Gepräge, das ihn als vollen und bedeutsamen Tag des Triduums heraushebt.

P.S.: Eigentlich reicht bereits der Schott. Denn die Missa Chrismatis steht auch dort unter Donnerstag der Karwoche. Da die aber meistens schon am Kardienstag gefeiert wird, rutscht das leicht durch.