Es gibt ein Argument gegen die Beanstandung liturgischer Mißbräuche, das mich einigermaßen auf die Palme bringt. Es lautet: „Hast Du nichts Besseres zu tun während der Messe, als was richtig und was falsch war abzuhaken?“ Dieses Argument treibt mich deswegen auf die Palme, weil es eigentlich kein Argument, sondern ein (versteckter) Angriff ist, eine kommunikative Killerphrase.
Bis zum Komma ist es noch halbwegs ein Argument, wenn auch ein polemisches. Aber gut, darauf könnte man ja ebenso polemisch antworten: „Nein, habe ich nicht, denn…“ Aber der Nebensatz setzt ein bestimmtes Verhalten voraus, das mich auf einen liturgischen Buchhalter reduziert und angesichts der Ewigkeit, die in der Liturgie aufscheint, absolut unangemessen wäre.
Das heißt: Gehe ich auf den ersten Teil ein und rechtfertige mich, bin ich bereits in der Defensive, weil ich den „Buchhalter“ habe durchgehen lassen; gehe ich auf den zweiten Teil ein, bin ich vom konkret beanstandeten liturgischen Mißbrauch weg auf einer Metabene gelandet, nämlich des rechten Zugangs zur Liturgie.
Daher möchte ich hier meine (polemische) Antwort wie folgt formulieren: „Ja, ich habe nichts Besserers zu tun als dem liturgischen Ablauf im Detail zu folgen, denn das ist die vom Konzil geforderte participatio actuosa.“
Vermutlich ist es gut, daß das hier ein Blogeintrag ist und kein Gespräch, denn das wäre jetzt wohl vorbei, hätte ich doch den Angriff meines Gegenübers mit gleicher Münze heimgezahlt und ihm ebenso einen unangemessenen Zugang zur Liturgie vorgeworfen, nämlich er partizipiere nicht aktuiert an der Liturgie. (Und das bleibt eine absolute Killerphrase, selbst wenn es der Sache nach womöglich sogar zutreffend wäre.)
Trotzdem resultiert für mich das Skandalon liturgischer Mißbräuche gerade aus meiner particiatio actuosa. Denn die meisten liturgischen Mißbräuche machen die Messe ja nicht ungültig. Ginge es mir nur darum, den Leib des Herrn zu empfangen, könnte ich beruhigt Däumchen drehen und mir sagen, ist ja nicht mein Problem.
Nun setzt aber eine tätige Teilnahme an der Liturgie eine gute Kenntnis derselben, insbesondere ihrer Abläufe, Texte und Riten voraus. Ja, sie besteht geradezu darin, den liturgischen Abläufen und Gebeten in der einem selbst zukommenden Rolle (sei es als Priester, Teil des Volkes, Ministrant, Lektor…) zu folgen, den vorgesehenen eigenen Beitrag zu ihr zu leisten, vor allem aber sie innerlich mitzuvollziehen und soweit möglich zu bedenken.
Ob das jetzt im innerlichen Mitbeten der Texte, im Bedenken, was da auf dem Altar vor dem geistlichen Auge geschieht oder im Nachsinnen über bestimmte Worte, die z.B. in den Lesungen verkündet wurden und eine plötzlich getroffen haben, oder worin auch immer besteht, sei dahingestellt und dem einzelnen überlassen.
Alle diese Formen der tätigen Teilnahme werden aber durch unübliche Abläufe oder Texte unterbrochen. Völlig offensichtlich ist dies beim Mitbeten, das durch Umformulierungen und Ergänzungen schlicht unterbrochen wird. Doch auch das Meditieren wird gestört, denn das setzt innere und äußere Ruhe voraus, und die wird schlicht zerstört, wenn man nicht mehr so genau weiß, wo der Zelebrant jetzt eigentlich gerade ist. Statt mitzuvollziehen und geistlich betrachten muß ich nun plötzlich aufpassen und zuhören, was der Zelbrant da für tolle Eingebungen hatte, um a) überhaupt noch eine Möglichkeit zu finden, in irgendeiner Weise aktuiert teilzunehmen, b) meinen eigenen Einsatz (als Ministrant, Volk, Kommunionhelfer, Organist…) nicht zu verpassen und c) mir darüber klar zu werden, ob ich dazu überhaupt „Amen“ sagen, d.h. es beglaubigen kann (shame, shame, daß das heute leider nötig ist).
Mit anderen Worten: Liturgische Mißbräuche zerstören den inneren Kern dessen, was Liturgie bedeutet, und je tiefer jemand in und aus der Liturgie lebt (- die Eucharistie ist immerhin Quelle und Höhepunkt allen christlichen Lebens!), umso eher wird er auch Abweichungen und Fehler bemerken – ob er will oder nicht!
Jedenfalls bemerkt er sie nicht, weil er mit einer abzuhakenden Liste von in der richtigen Reihenfolge abzulaufenden Worten und Handlungen da sitzt und akribisch Buch über die Einhaltung der Regeln führt, sondern weil er durch Nichtvorgesehenes aus seiner Andacht (auch so ein selten gewordenes Wort) gerissen wird und/oder vergeblich auf ihm in seinem Glaubensleben wichtig gewordene Worte oder Zeichen warte, die seine ganze Glaubenskraft wecken, so daß er sie in den Mitvollzug der Liturgie legen kann.
(Anmerkung am Rande: Der Post hat keinen konkreten Anlaß, sondern spukt schon eine ganze Weile in meinem Hinterkopf rum.)
“Ja, ich habe nichts Besserers zu tun als dem liturgischen Ablauf im Detail zu folgen, denn das ist die vom Konzil geforderte participatio actuosa.” -> Killerphrase, ja. Aber auch: WIN!
Einfach nur: ganz herzlichen Dank!!! Jeder einzelne Satz ist mir aus der Seele gesprochen!
Gut geschrieben. Mir geht’s genauso.
Ich hab mir mal erlaubt das wohlwollend zu verlinken: http://introiboadaltare.blogspot.de/2013/12/lesetipp-liturgie-der-buchhalter-von.html
Ach da kann ich auch ein Lied von singen. Meistens ist es die Anspruchslosigkeit der immer weniger werdenden Gottesdienstbesucher inkl. der Selbstherrlichkeit mancher Kleriker. Inzwischen meide ich bestimmte Kirchen, weil Dialog und Auseinandersetzung mit eben diesen Argumenten unmöglich erscheinen.
„Ich betrete die Kirche, um Gott zu sehen, und ich verlasse sie wie ein Theaterkritiker.“ (Martin Mosebach)
Nun ja, Martin Mosebach betritt die Kirche als Theaterkritiker, der er nun einmal ist, und verlässt sie als solcher wieder. Manche Zitate würde ich nicht auf die Goldwaage legen.
In der Messe werden Buchhalter auch dringend benötigt: zum Tagesgebet und korrekter Weise auch zum Schlussgebet 😉
Das sind meistens Ministranten, die – wie viele Gemeindemitglieder – keine theologische Ausbildung genossen haben. Auch die Ministrantenausbildung reicht kaum, um denselben den Ablauf der Messe, geschweige denn die Bedeutung der einzelnen Teile „einzutrichtern“. Es bleibt vielmals die Hoffnung, dass sich vieles später „auswächst“. Dazu bedarf es auch des steten Learning by doing.
Da gebe ich dir recht: Die Heilige Messe ist keine Spielwiese, auch wenn sie ein heiliges Spiel ist. Aber ein Spiel mit festen Regeln. Und die müssen erkennbar bleiben. Auch wenn ich in einem Land bin, dessen Sprache ich nicht verstehe, kann ich trotzdem die Messe mitvollziehen anhand des bekannten Ordo.
Pingback: Wochenrückblick | FreieWelt.net
Aus aktuellem Anlass (Weihnachten!) habe ich auch etwas zu diesem Thema gebloggt – und dort auf diesen Artikel verwiesen:
http://mightymightykingbear.blogspot.de/2013/12/der-schamane-von-butjadingen.html
Danke für die Inspiration! 🙂
Kann mich Biggi und Admiral nur anschließen.
Die Frage ist aber, was man tatsächlich tun kann. Ich bin Kirchenmusikerin und weiß, wie ne Messe läuft und wie nicht, aber der Pfarrer sitzt am längeren Hebel. Gegen seinen Willen den Antwortpsalm singen, und wenn es noch so liturgisch korrekt ist, kann ich genau so oft machen, wie viele Abmahnungen man bekommen kann, bevor man gekündigt wird.
Hier übrigens ein weiteres Killer-Argument, was ich zum Glück nur gedacht, nicht gesagt habe:
Pfarrer: Liturgische Regeln sind wie Straßenlaternen. Sie erleuchten den Weg (zu Gott). Aber nur Betrunkene halten sich an ihnen fest.
Ich (später in Gedanken): Und nur zwielichtige Gestalten, die sich auf Abwegen befinden, vermeiden sie.