Sehr zum Erstaunen meiner Frau hatte ich in dem Gotteslobliederpost davon gesprochen, daß „Segne Du Maria“ einen wesentlichen Anteil daran hatte, meine Vorbehalte gegen Marienfrömmigkeit einzuäschern. Das muß ich, glaube ich, nochmal näher erläutern.
Eine ganze Weile hatte ich ein Problem mit Maria. Oder besser: mit Marienfrömmigkeit. Vielleicht gilt hier: „Sie lästern über Dinge, die sie nicht verstehen“ (2 Petr 2,12), denn Maria gehörte bei uns zu hause zwar schon „dazu“, wie und weil sie auch zur Kirche gehörte. Aber mehr Marienfrömmigkeit als das Ave Maria habe ich nicht kennengelernt, weder zu hause, noch in der Pfarrei noch in der Schule.
Lediglich an zwei Dinge kann ich mich noch erinnern. Als ich acht Jahre alt war, starb meine Oma. Ich erbte ihren Rosenkranz, den wollte ich auch unbedingt haben. Irgendjemand erklärte mir zwar das Prinzip, aber es kam zu keinerlei Praxis. Die zweite Erinnerung hängt auch am Tod meiner Oma. Mit einem Freund und seiner Mutter war ich in deren Pfarrkirche, und sie schlug mit vor, eine Kerze vor der Marienstatue für meine Oma anzuzünden. Auch wenn ich zugestimmt habe, fand ich das komisch. Wahrscheinlich, weil ich es nicht kannte. (Anmerkung: Bei genauerer Betrachtung muß es sowas auch bei uns in der Kirche gegeben haben, da ich eine ganz dunkle Erinnerung an den Kerzenständer habe.)
Als Jugendlicher hatte ich dann genug negativen Input, um Maria (bzw. Marienfrömmigkeit) für eine Gefahr zu halten. Wiederum nicht an und für sich, aber wenn sie Christus verdrängt, dann droht Mariolatrie. (Soll’s ja wirklich geben; daß Marienverehrung, richtig verstanden, das glatte Gegenteil davon ist, hätte ich damals nicht für möglich gehalten.) Entsprechend war ich auch in heller Aufregung, als ich ca. 2000 das erste Mal über die „Frau aller Völker“ gestolpert bin. Das war allerdings auch der Höhepunkt meiner Anti-Mariologie.
Denn mein Ausflug ins Priesterseminar hat in mir ein „Erbe“ hinterlassen, das während meiner Zeit dort noch gar nicht zum Tragen gekommen war: das Salve Regina. Wenn ich mich nicht irre, bin ich dort das erste Mal überhaupt mit halbwegs regelmäßiger Marienfrömmigkeit konfrontiert worden. (Ich weiß auch noch, wo ich das erste Mal das Salve Regina kennengelernt habe: angeleitet vom Spiritual in St. Servatius, Duderstadt; der Grund, warum mir das hängen geblieben ist, ist die Provenienz dieser Kirche…)
Das Salve Regina hatte den unglaublichen Vorteil, daß es in lateinischer Sprache abgefaßt ist und daher von meinem kritischen Geist (obwohl mich Latein neun Jahre lang in guten wie in schlechten Schultagen begleitet hatte) nicht sofort auf die kleinlichsten Anzeichen von Gefahr analysiert werden konnte, eine ernste Melodie hat, auf eine lange kirchliche Tradition zurückblicken kann und überhaupt ein schönes Lied ist (was mir so richtig erst klar wurde, als ich es als Schlußlied für unsere Hochzeit haben wollte…). So hat mir dieses Lied grundsätzlich das Herz für Maria geöffnet.
Intellektuell machte ich mir weiter Sorgen und hatte Vorbehalte – zumal sich die mariologische Dogmatik auch ziemlich zurückhält und auf vier Dogmen beschränkt, von denen mindestens zwei eigentlich christologischer Natur sind. Da einer Marienkirche zugehörig konnte ich aber viele weitere schöne Marienlieder kennenlernen (die ich jetzt, einer Elisabethgemeinde zugehörig, ziemlich vermisse). Nur eines verstörte mich immer noch ziemlich: „Segne Du, Maria“.
„Segne Du, Maria“ ist so ziemlich das Gegenteil vom Salve Regina. Die Melodie beißt sich im Hirn fest wie der schrecklichste Schlager, den man auch dann immer noch summen muß, wenn man ihn zum Überdruß (also so ungefähr zwei Mal) gehört hat. Der Text enthält sämtliche Warnzeichen von Mariolatrie – und überhaupt: KITSCHALARM bis zum Abwinken!!!!111111einself.
Und dann stand das Lied auch noch im neuen (inzwischen ja auch schon wieder überholten) Erfurter Diözesananhang! Wie konnte das denn angehen?! Welche Kontrollinstanz hatte denn da versagt – und warum?!
Tja, und dann, eines Tages, als „Segne Du, Maria“ mal wieder das Schlußlied war, kam mir in den Sinn, die Frage mal in Frage zu stellen: Wie kann ich eigentlich das Lied ablehnen, wenn es die Kirche offenbar für wertvoll hält?
Das war der entscheidende Perspektivwechsel. Auch, wenn ich nicht alles verstehe(n muß), kann ich doch der Kirche und ihrem Urteil vertrauen, die die Verheißung hat, daß die Pforten der Unterwelt sie nicht überwinden werden. Im Vertrauen auf die Kirche habe ich also mal alle meine Vorbehalte beiseite geschoben und mich auf dieses Lied eingelassen, das quasi alles repräsentierte, was mir an Marienfrömmigkeit quer lag – and boy, ‚t was nice! Mal einfach nicht ständig den „Häresiefinder“ im Kopf laufen zu lassen…
Heute kann ich das Lied mit Inbrunst singen, auch wenn ich die Melodie immer noch ziemlich kitschig finde. Alles weitere mit der Marienfrömmigkeit ergab sich dann übrigens fast von selbst. Aber das ist eine andere Geschichte.
(Außerdem brauche ich doch einen neuen Cliffhanger, um meine Leser bei der Stange zu halten! – Demnächst in diesem Theater: „Wie Cannibal Corpse mir den Rosenkranz erschlossen“.)
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»Wie kann ich eigentlich das Lied ablehnen, wenn es die Kirche offenbar für wertvoll hält?«
Jepp. Eine sehr schöne Frage. Aber vielleicht ist das ja doch nur eine Entartung des späten 19. Jahrhunderts, die, zu Beginn vielleicht noch harmlos, später dann doch ins allzu Abseitige geführt hat (z. B. zur Dämonenerscheinung, die sich als »Frau aller Völker« bezeichnete)?
Solche Fragen hatte ich mir gestellt. Das für mich überzeugendste Gegenargument war das Sub tuum præsidium, das inhaltlich eigentlich ziemlich ähnlich ist und das von der Kirche durchgängig seit dem dritten Jahrhundert gebetet wird. Wenn die Kirche praktisch von Beginn an durchgängig so zu Maria gebetet hat, dann kann daran wirklich nichts Falsches sein.