Hm, den Hasselhoff fand ich damals[tm] tatsächlich gut. Und da hatte ich bereits das Vernunftalter erreicht. Bleibt nur noch die Ausrede, vorpübertär gewesen zu sein. An diesen Ausschnitt samt dämlich blinkender Jacke kann ich mich noch extrem gut erinnern. Muß prägend gewesen sein:
Zum Thema Guilty Pleasures hat Elsa schon meine ultimative Guilty Pleasure gepostet. Allerdings habe ich da die Ausrede, zum Zeitpunkt des Erscheinens noch nicht das Vernunftalter erreicht gehabt zu haben. Dafür aber nicht (entsprechend nicht mehr aus den 80ern):
Und daß ich CDs besitze, auf denen David Hasselhoff und Roger Whittaker zu hören sind, verschweige ich besser.
Kurzer Hinweis: In der FAZ findet sich heute auf Seite 8 ein längerer Beitrag über „Licht der Welt“ von Jörg Bremer. Ein paar Auszüge:
„In einem Industriekonzern gäbe es Entlassungen, aber beim Heiligen Stuhl geht offenbar niemand. […] Dass sich […] der Eindruck festsetzte, in dem Buch gehe es dem Papst vor allem um eine Lockerung des Kondomverbots, war ein schiefes Licht auf das Buch. Der Papst hat seine Haltung zur Verwendung von Kondomen nicht geändert.“
Danach fängt der Artikel erst richtig an, bevor er schließlich zusammenfaßt:
„Doch was hilft das, wenn die Kurie diesen Büchern [des Papstes] nicht ihren gebührenden Platz einräumt. Dann muss der Papst dies wieder ausbügeln.“
In Kirchengeschichte habe ich gelernt, daß alle Päpste, die sich an einer Kurienreform versuchten, daran gescheitert sind. Daß es die Kirche trotzdem immer noch gibt, ist für mich fast schon ein Gottesbeweis.
P.S.: Wenn jemand den Beitrag kostenfrei online findet, bitte Bescheid geben!
Ein Priester, den ich noch nie ohne Collar oder wenigstens „Haifischzähne“ gesehen habe, stellt sich jetzt mit Foto im Internet vor. Mit seinem Paßfoto — in Anzug und Krawatte (wußte nichtmal, daß der eine besitzt)…
Liest man in der FAZ meinen Blog?! Jedenfalls ist man dort gleich auf meinen Wunsch eingegangen und hat Daniel Deckers den gestrigen Leitartikel (Freitag) über den Kondom-Satz des Papstes schreiben lassen. Dorothea wird vermutlich alles Mögliche daran auszusetzen haben, und tatsächlich kan man in einigen Punkten anderer Meinung als Deckers sein. Insbesondere der Schluß, es handele sich tatsächlich um eine Revolution und nicht nur um eine Reform, ist ein wenig sehr aus weltlicher Perspektive verfaßt, die auch sonst in Deckers Artikel immer mal wieder durchscheint, etwa wenn die kirchliche Sexualmoral und ihre Beurteilung der Empfängnisverhütung bei ihm erst mit „Humanae Vitae“ zu beginnen scheint (mich hat immer gewundert, daß Dogmatik heute fast ausschließlich aus Dogmengeschichte zu bestehen scheint, Moraltheologie aber ohne ausführliche Würdigung der kirchlichen Lehrentwicklung auskommt und allenfalls mal am Rande Thomas von Aquin erwähnt). Aber, und das ist der Grund, warum ich mich über den Artikel freue, er ist sachlich, beleuchtet verschiedene Seiten der „Kondomchose“ und arbeitet selbst an den Punkten, wo ich Deckers Meinung nicht teile, mit nachvollziehbaren Argumente, die immerhin eine sinnvolle Gegenargumentation ermöglichen.
Die Sachlichkeit und Differenziertheit ermöglicht es auch, einige Dinge in den Vordergrund zu stellen, die in unserer heute meist empört-aufgeregten öffentlichen Meinung zugunsten des Vorurteils, die Kirche sei unmodern, unter den Tisch fallen. Gleich zu Beginn etwa, daß die Kondomaussage so gar nicht zum (Voruteils-)Bild des dogmatistischen „Panzerkardinals“ passen will. Deutet er damit an, daß manche Leute offenbar in jeder Suppe ein Haar finden wollen? Auch im folgenden Absatz räumt er zunächst ein, daß „Humanae Vitae“ wie keine andere päpstliche Aussage als Zeichen für die Unvereinbarkeit von Glaube und Moderne stehe. Doch sei diese nicht nur kirchlich gesehen systemimmanent, sondern gerade „den Gebildeten unter den Verächtern der Religion sollte das nicht unsympathisch sein“ — oder anders ausgedrückt: Muß denn automatisch die Moderne im Recht sein, wenn jemand ihr gegenüber skeptisch ist? Wenn das — als ob nicht der ganze andere Stil schon gereicht hätte! — mal nicht ein redaktionsinterner Seitenhieb auf Geyer ist! Aber Deckers ist nicht so eindimensional, sich ein Privatgefecht mit einem Kollegen zu liefern, sondern fährt fort:
„Daher wäre es nur fair, wenn wenigstens heute anerkannt würde, daß ein Großteil des Hohns und Spotts, der sich damals wegen der Enzyklika über Paul VI. ergoß, nicht gerechtfertigt war.“
Denn die Kirche habe sich damit zurecht gegen eine westliche Welt gestellt, die die das Argument einer Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit als Alibi verwendet hat, die mit dem Bevölkerungswachtum in der Dritten Welt verbundene, gerechtfertigte Bedrohung des ressourcenverbrauchenden Lebensstils des Westens zu bekämpfen anstatt die eigene Bequemlichkeit.
Dieses Unrecht gegen Paul VI. vergleicht Deckers mit dem aktuellen Argument, die Kirche sei schuld an der Ausbreitung von Aids, das genauso niveaulos sei (Deckers drückt das natürlich viel eloquenter und verklausulierter aus ;-). Tatsächlich stehe doch die Kirche an vorderster Front im Kampf gegen Aids, nämlich bei den Kranken und Gefährdeten, denen Hinweise, man solle doch Rote Bete und Knoblauch (Mbeki) verwenden, um sich zu schützen, genausowenig helfen, wie „das großzügige Sponsoring männlicher Promiskuität mit Großpackungen voller Gummis“. Es hülfen nur „Aufklärung über die Risiken, Kampangen für die eheliche Treue, die Stärkung der Rolle der Frauen und die Sorge für Kranke und Waisen“. Ist das nun radikal konservativ oder radikal links? Egal: Es ist radikal katholisch im besten Sinne dieses Wortes, und allein das auf der ersten Seite der FAZ zu lesen, entschädigt für vieles, was in den letzten Tagen zu schlucken war — auch in der FAZ!
Danach aber geht Deckers von der Apologetik zum Angriff über, bezeichnet Passagen in „Humanae Vitae“ über die Folgen der sexuellen Revolution als „fast prophetisch“, und das „fast“ verdankt sich eher der Kritik an einer zu schwachen Rede von der „Aufweichung der sittlichen Zucht“ für das, was eigentlich nur als „durchgängige Sexualisierung des Alltags“ und „erschreckende[r] Mangel an der Erziehung der Herzen“ beschrieben werden könne.
„Der Münchner Kardinal Marx hat Recht: Die katholische Kirche ist die letzte Verfechterin des Ideals romantischer Liebe.“
(Und es wäre hinzuzufügen: Einer der größten Gegner ist Hollywood mit seinen niveaulosen Schnulzen, die immer dann enden, wenn Liebe erst wirklich zu sich selbst kommen könnte, nämlich wenn sich die beiden Protagonisten nach allerlei äußeren Irrungen und Wirrungen endlich gefunden haben und nun mit dem inneren Leben des anderen klar kommen müßten…)
Vorsichtig schließt er an, daß daraus ein unumstößliches Verbot künstlicher Methoden von Empfängnisverhütung resultiere, habe selbst die Nachdenklichsten nicht überzeugt, von den Frauen in der Kirche ganz zu schweigen. Damit hat er natürlich recht, denn dieses Verbot resultiert nicht aus dem Ideal der romantischen Liebe, sondern aus dem Recht des Kindes, kein Wunschkind sein zu müssen, sondern um seiner selbst willen und ungeplant (aber gewollt) zur Welt zu kommen, also daß sein Leben nicht von einer menschlichen Zustimmung zur Geburt abhängig ist, sondern allein von Gottes und der Menschen Liebe. Genau deshalb ist die Empfängnisverhütung (ich habe mehr Argumentationsschwierigkeiten mit der Erlaubtheit der natürlichen Methode als mit dem Verbot von Verhütungmitteln) tatsächlich der Abtreibung geistig verwandt (und dieser Konnex muß gegen Deckers‘ Kritik an Johannes Paul II. verteidigt werden!), denn es geht in beiden Fällen ums „Selbermachen“, um den Irrtum, sein Leben selbst im Griff haben zu können und sich selbst über andere und letztlich sogar Gott zu stellen. Systematisierte man diese Einstellung als Weltanschauung, dann wäre man bei dem, was theologisch gesehen als Satanismus zu bezeichnen wäre.
Sagt man sowas aber öffentlich, wird man selbst von einem bekannten deutschen Moraltheologen im Stich gelassen, der im anschließenden privaten Gespräch von sich aus einräumt, man habe natürlich recht, aber das könne man öffentlich nun einmal nicht sagen, weil das keiner verstehe, also die Argumentationsbasis und Überzeugungskraft schmälere. Aber, verdammt nochmal!, was soll man denn sonst sagen? Soll ich Argumente einführen und vertreten, die ich selbst nicht nachvollziehen kann? Wie soll ich dann einen anderen überzeugen?! Und sei es nur, daß mein Gegenüber einräumte, er teile diese Auffassung nicht, aber er sehe zumindest, daß die katholische Position in sich konsistent sei, wie ich mal nachts um drei nach stundenlanger, hitziger Diskussion erleben durfte (eine Erfahrung, für die ich sehr dankbar bin).
Auch ist es keine Überdehnung päpstlicher Autorität, eine moraltheologische Karriere an Kritik an Humanae Vitae scheitern zu lassen. Natürlich kann jeder Katholik jede beliebige Meinung zu jeder beliebigen päpstlichen oder Glaubensaussage haben und sie gerne auch äußern. Er braucht dann aber nicht zu erwarten, daß er dann noch von der Kirche als Lehrer für den Glauben dieser Kirche und Ausbilder künftiger Priester eingesetzt wird. Denn ein Reich, das in sich gespalten ist, kann keinen Bestand haben. Das heißt natürlich nicht, daß man nur Ja-Sager braucht (es gibt durchaus legitim nebeneinander stehende, miteinander nicht harmonisierbare theologische Ansätze, aber Theologie ist etwas anderes als Glaube und Lehramt, denn es setzt beides voraus, ohne es selbst schaffen zu können), aber man braucht jedenfalls keine Theologen, die dem Zeitgeist dergestalt hinterherrennen, daß sie sich nicht die Mühe machen, ihm unangenehme Elemente der kirchlichen Lehre zu erklären. Wenn Deckers meint, infolge der päpstlichen Autoritätsüberspannung sei das „intellektuelle Niveau des Episkopats […] heute so niedrig wie lange nicht“, stellt sich — selbst wenn diese Auffassung zuträfe und nicht nur Ausdruck seiner eigenen Arroganz sein sollte, jeden Vertreter von Argumenten, die er nicht versteht, für intellektuell minderbemittelt zu halten — die Frage, ob er da nicht Ursache und Wirkung miteinander verwechselt.
Daß dies sehr viel wahrscheinlicher ist als Deckers‘ Annahme, zeigt sich auch daran, daß er ähnlich wie Geyer die Erklärung Lombardis, es gäbe nicht nur eine Hierarchie der Glaubenswahrheiten sondern auch der päpstlichen Äußerungen, einfach durch Behauptung wegredet. Was der Papst in einer Enzyklika mit noch dazu ziemlich hohem lehramtlichen Anspruch verkündet, steht nun einmal auf einer anderen Ebene als die persönliche Äußerung zu einem bestimmten Sonderfall in einem Interview. Oder anders gesagt: Wer eine Enzyklika grundsätzlich in Frage stellt, tut etwas anderes, als der, der der eine Interviewäußerung für überinterpretiert und im Licht der bisherigen Lehre zu verstehen fordert. Das eine äußert der Papst in seiner Funktion als oberstes ordentliches Lehramt, das andere nicht. Hat nicht Papst Benedikt selbst in seinen Jesus-Büchern sehr ausdrücklich betont, es gäbe einen Unterschied zwischen lehramtlichem und theologischem Reden? Die Vorstellung, der Papst nutze ein Interview, um die Lehre der Kirche zu ändern, ist irgendwie… amüsant.
Nach wie vor zu beweisen wäre die Behauptung, daß sich selbst „kirchenverbundene Katholiken“ ohne Gewissenbisse einfach über die Lehre der Kirche hinwegsetzten. Vielleicht versteht Deckers ja etwas andereres unter kirchenverbundene Katholiken als ich und vielleicht lebe ich ja auch einfach in einem Fundamentalistenhort, jedenfalls spricht die durchschnittliche Kinderzahl junger Familien in meiner Gemeinde (müßte grob über den Daumen gepeilt über drei liegen) nicht gerade für exzessiven Gebrauch von Kondom und Pille (und auch bei uns gibt es gravierende Differenzen über den recht gelebten Glauben). Vertrauenskapital haben bei mir jedenfalls die verspielt, die rundheraus in Frage stellen, wonach ich (bei allen bleibenden Schwierigkeiten) mein Leben auszurichten versuche! Woher wollen all die, die die katholische Sexualmoral ganz oder teilweise ablehnen, eigentlich wissen, daß sie nicht der Weg zu einem reichen und erfüllten Leben ist? „Komm und sieh“ and try it yourself. Aber Vorsicht: Gefahr der Umkehr. BTDT.
Gegen Ende kriegt Deckers allerdings doch wieder die Kurve, seinen Leitartikel nicht in polemische Kirchenkritik abgleiten zu lassen. Er weist darauf hin, daß der Papst hier ganz offensichtlich nicht sich selbst korrigierte, denn er hat sich nie ausführlich zu Kondom und Pille geäußert, dafür in „Deus caritas est“ — das Deckers zu empfehlen nicht müde wird — das „Hohelied der Sexualität“ gesungen. Und zwar ganz ohne den Nebenschauplatz Empfängnisverhütung zu betreten, gehe es ihm doch nicht um Verbote, sondern um „positive Orthodoxie“, also zu zeigen, daß und warum der katholische Glaube das beste ist, was einem Menschen passieren kann. Es ist mehr als nur schade, daß dieses Ziel immer wieder durch das Herausgreifen einzelner, nur scheinbar wichtiger Aussagen aus dem Zusammenhang konterkariert und der Papst immer wieder auf ein Diskussionsniveau deutlich unter der Gürtellinie heruntergezogen wird. Irgendwie liegt es nahe, das auch geistlich zu interpretieren…
Insofern ist es aber besonders schade, daß Deckers am Ende sogar seinen eigenen Kommentar konterkariert, indem er die Interviewaussage des Papstes wieder in den Vordergrund stellt und sogar als lehramtlich interpretiert, wenn er schreibt:
„Daß in dieser Perspektive [der Verantwortung von Mann und Frau füreinander und für die Weitergabe des Lebens] auch eine Güterabwägung vonnöten sein kann, und zwar nicht als Übel, sondern als sittliche Pflicht, das ist keine Reform, sondern eine Revolution“,
bleibt er eindeutig unter seinem eigenen Niveau, denn von Verantwortung für Mann und Frau und Weitergabe des Lebens hat der Papst im Kontext seiner Interviewäußerung nun wirklich nicht gesprochen. Oder hat Prostitution mittlerweile etwas mit Verantwortungüberahme für den Ehepartner und die Weitergabe des Lebens zu tun?! Da müßte mir etwas entgangen sein…
Mache mir gerade Gedanken über eine theologische Auslegung von Queens „We are the Champions“. Sollte wohl besser ins Bett gehen. Gute Nacht!
Allein die Überschrift rechtfertigt für einen Nerd und Geek wie mich die Verlinkung dieses Artikels! Er ist es aber auch so wert!
Heute früh habe ich mir aus im Nachhinein nicht mehr rekonstruierbaren Gründen Gedanken darüber gemacht, warum bei uns eigentlich jede kirchliche Regelung anhand von Einzelfällen, auf die sie nicht zutrifft, so lange kritisiert werden muß, bis der Einzelfall, also die Ausnahme, zum Maßstab einer neuen kirchlichen Regelung geworden ist (die dann zwangsläufig nur noch auf den Ausnahmefall, aber nicht mehr auf die Regel zutrifft), und warum das auch noch als Anpassung an die Realität verstanden wird. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß wir Deutschen deutlich obrigkeitsfixierter sind als der durchschnittlich normale Mensch: Wir sind das Land, in dem „man“ nachts um drei auf menschenleerer Straße an einer roten Fußgängerampel wartet, wie es ein indischer Pater mal ausdrückte. Die Obrigkeitsfixiertheit geht sogar so weit, daß selbst dort, wo eine Mißachtung von Regeln (scheinbar) konsequenzenlos möglich sind, die Regel nach wie vor kritisiert wird, sei es die katholische Sexualmoral oder die deutsche Abtreibungsgesetzgebung. Wären wir nicht obrigkeitsfixiert, könnte es uns doch völlig egal sein, was „die da oben“ an Regeln beschließen und verkünden, solange wir durch nichts in der Welt gezwungen werden können, sie gegen unseren Willen und unsere Überzeugung zu befolgen.
Nur hat die Sache einen Haken: Mit diesem Denken an die hierarchische Ordnung der Kirche ranzugehen, verfehlt den eigentlichen Inhalt des christlichen Glaubens. Es geht gerade nicht darum, auf einen allmächtigen Vater im Himmel fixiert zu sein und zu tun, was er befiehlt, ob ich es verstehe, einsehe und will oder sich alles in mir dagegen streubt, ich es sogar für völlig falsch und unmoralisch halte, sondern darum, aufgrund der Erlösung durch den Sohn befähigt zu werden, durch die Gnade im Heiligen Geist den Willen des Vaters tun zu wollen. Entsprechend gibt es seit je her in der katholischen Morallehre und selbst im Kirchenrecht die Epikie: Wenn ich nach gründlicher Überlegung und aufrichtigem Suchen zu der Überzeugung gelange, daß Gottes Wille an mich ist, etwas zu tun, was ich nach kirchlicher Lehre und kirchlichem Recht nicht tun dürfte, und wenn ich zudem guten Gewissens zu der Überzeugung komme, das Lehramt bzw. der kirchliche Gesetzgeber hätte seine Lehre bzw. sein Gesetz anders gestaltet, wenn er meinen konkreten Einzelfall und seine Umstände berücksichtigt hätte, daf ich aufgrund dieser Überzeugungen der Handlungsaufforderung folgen, die mir als unabweisbarer Wille Gottes in meiner konkreten Situation gegenübertritt. Ich darf dennoch nicht erwarten, daß das kirchliches Lehramt oder der kirchliche Gesetzgeber meine Überzeugung teilt — es soll ja auch die Möglichkeit geben, daß ich aufgrund meiner immer verbleibenden menschlichen Schwäche gar mächtig geirrt habe (gleichermaßen wäre es natürlich auch denkbar, daß ein Heiliger hier tatsächlich einen ganz bestimmten Ausnahmefall erkannt hat, die Regel ist das nach allgemeiner menschlicher Erfahrung aber nicht). Mein Kirchengeschichtler sagte mal über die Ordensregeln im Mittelalter, sie wären immer so hoch gehängt worden, daß man noch drunter durchgehen konnte. Mit anderen Worten: Die Regeln sind für den Menschen und sein Heil da, nicht um ihn zu knechten und eine Art gesetzliche Herrschaft über ihn auszuüben.
So oder so bedeutet das, daß die kirchlichen Regeln nicht im entferntesten davon berührt werden, wenn sich selbst eine große Zahl von Christen in der Praxis über eine Regel hinwegsetzt. Sie stellen damit nicht in Frage, daß die Regel an sich richtig und sinnvoll ist, wenngleich sie im jeweilig konkreten Einzelfall nicht zutreffend ist, die Kirche anerkennt hingegen nicht, daß diese Christen im Recht wären und folglich die Regel falsch, sondern überläßt diese Frage der barmherzigen Beurteilung des Beichtvaters. (Eine Anmwerkung am Rande: Genau das ist der Grund, warum sich die Moraltheologie so lange in kasuistischen Einzelfällen erging: Die grundlegenden Prinzipien und Regeln sind klar und gehörten noch lange bis in die Neuzeit zum Bereich der Dogmatik, in der moraltheologischen Lehre ging es hingegen um die Anwendung dieser Prinzipien in konkretern Situationen — weil die Auszubildenden genau damit in der Praxis, nämlich im Beichtstuhl, konfrontiert wurden und einen dem Einzelfall entsprechenden Umgang mit den Prinzipien erlernen mußten.) Denn es geht um das Heil des einzelnen Menschen und nicht um die Aufrechterhaltung überkommener gesellschaftlicher Sitten. So kann das Aufbegehren gegen das Befolgen einer guten Regel aus den falschen Gründen ein notwendiger Schritt auf dem Weg zur Heiligkeit sein — auf einen konkreten Menschen in einer ganz konkreten Situation bezogen. Weil es aber um das Heil des Einzelnen geht und weil dieses Heil eben nicht von den innerweltlichen Regeln abhängt, sondern vom Glauben und dem Tun-Wollen des Willen Gottes, hat die Kirche letztlich auch überhaupt nicht die Vollmacht, einfach einen 180°-Schwenk zu machen — kann denn heute falsch sein, was gestern richtig war? Nur wenn es entweder schon gestern falsch war (haben dann aber ganze Generationen nicht gewußt, was zum Heile nötig ist?) oder wenn sich die Umstände so geändert haben, daß sich die Bewertung einer Handlung mit ihnen ändert. Diese Änderung der Umstände kann aber nicht bloß im rein zeitgeistigen Wandel der Verhaltensweisen bestehen, sondern muß die Handlung auf metaphysischer (oh böses Wort!) Ebene verändern — was aber im Grunde bedeutet, dasselbe Wort für eine ganz andere Tat zu verwenden. Mir fällt dazu auch ehrlichgesagt nur ein einziges Beispiel ein: Die Religionsfreiheit. Was im vorpluralistischen und vordemokratischen, christlich geprägten und fundierten Staat ein Unding war (Wahrheit und Unwahrheit gleichberechtigt?!), wurde durch das Entstehen säkularer Staaten und pluralistischer Gesellschaften zur notwendigen Forderung (sollte die Wahrheit weniger Recht als die Unwahrheit haben?).
Als ich mich dann in der FAZ bis zum Feuilleton vorgearbeitet hatte und mich das Bild eines müde wirkenden Papstes begrüßte, kamen mir diese Gedanken wie göttliche Eingebung vor, nachdem mich der Titel „Wirklich keine Revolution?“ gleich auf den Autor des Artikels blicken ließ und ich dort den Namen „Christian Geyer“ las. Ich wußte gleich, daß ich mich bloß wieder ärgern würde, wenn ich den Artikel lese. Ich habe es dann doch getan. Die gute Nachricht zuerst: Er ist nicht ganz so unter der Gürtellinie wie der letzte. Die schlechte: Alles, was ich mir heute früh an Gedanken über die „deutsch(-katholisch)e Seele“ gemacht hatte, wurde hier bis ins Detail bestätigt. Gleich der Anfang:
„Ein Gummi zur Ausübung des Geschlechtsverkehres [daß er genau dazu diene, bestreitet die Kirche ja…] gerät zum Testgummi für die Modernetauglichkeit einer Institution mit 1,2 Milliarden Mitgliedern.“
Ist er das wirklich? Eigentlich hätte diese Einleitung Geyer schon den Wink geben können, wie absurd lächerlich diese Diskussion eigentlich ist.
Danach verwendet er einen langen Absatz, der etwa ein Fünftel seines Artikels ausmacht, um die Erklärung Lombardis, das sei ja gar nicht neu, durch Behauptung zu widerlegen: Es gehöre ja zur Ideologie der Kirche, Revolutionen nicht als die Revolutionen zu bezeichnen, die sie sind, sondern als vertieftes Verständnis der Überlieferung (daß er da gleich mit der Kanone „Religionsfreiheit“ kommt, zeigt, daß er weder vertiefte Kenntnis der Religionsfreiheitsfrage hat, noch zwischen einer Interviewäußerung und einem Konzilsdokument unterscheiden kann). Den nächsten Absatz, ein weiteres Fünftel, braucht er, um genau diese Unterscheidung zwischen Lehramt und Interviewäußerung als Schutzbehauptung hinzustellen (muß ihm also ganz schön schwer gefallen sein).
Anschließend hakt es dann völlig bei ihm aus. Aus der kasuistischen Überlegung, daß es Fälle geben kann, in denen der Gebrauch eines Kondoms das geringere Übel sein könnte, und der Tatsache, daß der Papst nicht der erste Katholik und Theologe ist, der diese Fälle berücksichtigt, macht Geyer ein allgemeines „safer sex„-Traditionsargument („man habe ja schon immer Kondome benutzen können“ — was ja einfach nicht stimmt, aber was macht das schon, wenn die aktuelle Aussage mit „Katholiken dürfen jetzt Kondome benutzen“ auch nicht stimmt), das über kurz oder lang die Sexualmoral der Kirche revolutionieren, zu einer Anpassung der Kirche an die Moderne führen würde. Daß er anschließend dem Papst das Argument, mittlerweile würden selbst säkulare Hilfsorganisation die kirchliche Position teilen, Kondome seinen nicht die Lösung, sondern vor allem Enthaltsamkeit und Treue, im Munde umdreht und behauptet, der Papst würde
„nur erklären, was jeder Aktivist der Aids-Prävention bestätigen würde“,
schlägt dem Faß eigentlich schon den Boden aus.
Alles weitere Gefasel, die Kirche müsse modern werden, und der Papst halte das den Traditionalisten vor (zu denen rechnet Geyer mich wahrscheinlich auch…), die Kirche dürfe nicht neben der Moderne leben, ist nur noch mäßig aufregend. Bekanntlich hat die Moderne auch den Holocaust hervorgebracht, also kann der Papst wohl kaum gemeint haben, die Kirche müsse alles einfach mitmachen, sondern vielmehr sie müsse sich in der Moderne um so mehr zu Wort melden, anstatt sich in den Kokon eines wohligen Gemeinschaftsgefühls zurückzuziehen. Das scheint mir aber eher an den lauen Durchschnitt der Sonntagschristen gerichtet zu sein…
Erst mit dem Schlußsatz läuft er wieder zu Hochform auf:
„Was, wenn mit der revolutionären Wende in der Kondomfrage auch das Reinreden in die Sexualität ein Ende hätte? Ein Gedanke nur, gleich dem einer Droge.“
Tja. Ich habe den Papst noch nicht in meinem Schlafzimmer gesehen — leider. Mit dem Verweis auf eine „Droge“ trifft Geyer aber den Nagel auf den Kopf, denn genau den Gebrauch der Sexualität als Droge, als etwas, das ich mir zur (Selbst-)Befriedigung verschaffe, anstatt es als Ausdruck einer tiefen, innigen Liebe zu sehen, ist es, gegen den sich die katholische Sexualmoral seit eh und je wendet und was der Papst im selben Buch auch nocheinmal ausdrücklich und eindringlich gesagt hat. Komisch, daß das an Geyer vorbeigegangen sein muß…
Alles in allem wird der Kommentar über die Identitätskrise Geyers zu meinem letzten Posting überdeutlich bestätigt. Warum belästigt er uns nur damit, wenn er einfach nicht versteht, was den christlichen Glauben ausmacht? Ich hätte nicht gedacht, daß ich das einmal schreiben würde, aber: Bitte, liebe FAZ, kann Daniel Deckers nicht den gleichen Platz eingeräumt bekommen?
Auf dieses Domradio-Interview mit Bischof Wanke, der „sich schon riesig freut auf den Papstbesuch“, wollte ich noch verweisen (ist schon von Freitag). Stichworte: geistlichen Grundwasserspiegel heben, Evangelium zu den Menschen tragen, zurechtrücken manchmal schiefer Berichterstattung über den Papst.