Eine absolute Perle zum Thema Metal und Christentum (HT: fb-damm/Nicki):
Was können wir daraus lernen? Erstmal, daß die ganze Sache dermaßen Klischee ist, daß es schon weh tut. Klischeegemäß ist der Christ total verklemmt, versteckt sich hinter Kreuz und Marienstatue, und er verbirgt seine Unsicherheit hinter äußerer Strenge. Also: Alle Christen sind zu doof und zu schwach, um mit dem Leben klar zu kommen, und brauchen die Krücke „Glauben“, um ihre Existenzangst zu zähmen. Soweit, so cliché.
Interssant wird es dort, wo das Klischee durchbrochen wird. Dem schwachen, verklemmten und verängstigten Christen korrespondiert eigentlich das „Fuck You“-Klischee des starken, unabhängigen und selbstbewußten Metallers. Und genau dieses Klischee wird ja im musikalischen Teil des Videos voll ausgebreitet, und ihm entspricht auch in etwa der Text. Soweit ich ihn verstanden habe, besteht er im wesentlichen aus: Gott existiert nicht, Jesus war bloß Mensch, ihr Chrsiten werdet alle sterben und fertig. Soweit, so immer noch cliché.
Aber, einen Schritt zurück auf Anfang: Warum geht der Kerl überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch in einer Firma, die ihre Christlichkeit offenbar als Teil ihrer Identität versteht? Selbst wenn er nicht gewußt haben sollte, daß die Firma christlich ist (womit offenbar ein Identitätsproblem der Firma zum Ausdruck gebracht würde, aber das wäre jetzt wohl eine Überinterpretation des Videos) – wieso geht er in Schlips und Anzug zu diesem Vorstellungsgespräch und versteckt anfangs so krampfhaft seine antichristlichen Metal-Accessoires? Ist er womöglich gar nicht so das Fuck You-Arschloch, das gelegen oder ungelegen seine Meinung kundtut? Ist ihm eine ihn bestimmt nicht erfüllende Stellung in einer weltanschaulich christlich ausgerichteten Firma, also schnöder Mammon wichtiger als seine Überzeugung?
Ja, genau dieser Spagat ist es, der ihm während des Gesprächs immer deutlicher wird: Er spielt da etwas vor, was er nicht ist, und fühlt sich zunehmend unwohler. Mit anderen Worten: Der Klischee-Christ und der Metaller sind ein und dasselbe — Heuchler. Mit einem einzigen Unterschied: Der Metaller kriegt darob die Krise und brüllt seine angestauten Aggressionen raus. Blasphemie als Katharsis, ist m.W. der Psychologie nicht ganz unbekannt.
Tja, und die Reaktion des Christen darauf? Klischeegemäß müßte er verschüchtert und verängstigt reagieren, auch möglich wäre, als metal-systemkonformer Bruch mit dem Klischee, seine „Bekehrung“ zum Metal. Während der Musik entspricht seine Reaktion auch voll dem Klischee, nach ihrem Ende aber wirkt er eher irritiert und verwundert, vielleicht sogar ein bißchen traurig: „Warum tut man sowas?!“ Was hier vielleicht noch schlechte schauspielerische Leistung sein könnte, entpuppt sich in den letzten Sekunden aber als (erneut) bewußter Bruch mit dem Klischee: Während er da auf seinem Bürosessel dreht, wirkt er überhaupt nicht mehr verschüchtert und verängstigt, sondern zunehmend aggressiv; freilich ohne das Kreuz hinter sich zu werfen (oder auch nur auf den Kopf zu stellen) und so Glaubensabfall und „Bekehrung“ zum Metal auszudrücken.
Entweder, hier wird so stark mit den erwartbaren Klischees gebrochen, daß die Reaktion als „die bösen Fundamentalisten reagieren aber auch auf jeden Spaß mit Rache und Scheiterhaufen“ zu interpretieren wäre. Auch dieses Klischee ist dem Metaldiskurs nicht unbekannt – aber in seiner Bildersprache ist es völlig unüblich, zumal auch fraglich ist, ob diese Auffassung überhaupt Klischee oder nicht vielmehr wirklich geglaubtes Vorurteil ist. So oder so wäre es aber ein solch unsubtiler Bruch mit den sonst das Video bestimmenden Metalklischees (das Ende wäre plötzlich ernst zu nehmen, während alles andere nur alberner Unfug war), daß eine andere Deutung näher liegt; denn eine aggressive Reaktion auf eine Herausforderung ist nun alles andere als dem Metal unbekannt.
In der metallischen Vorstellung ist eine aggressive Reaktion sogar das, was man mit solch einer Vorstellung provozieren will. Der Christ würde also plötzlich so reagieren, wie es ein Metaller im durchaus positiven Sinne erwarten würde (wobei natürlich eine solche Reaktion im nächsten Schritt gegen das Christentum verwendet würde: die ganze Feindesliebe ist also auch bloß Heuchelei; denn die Provokation ist so gebaut, daß jede Reaktion darauf als ihre Bestätigung aufgefaßt werden kann). Man könnte die letzten Sekunden also in folgenden Sinne interpretieren: „Herr, Dein Haß trifft alle, die Böses tun. Aus ihrem Mund kommt kein wahres Wort, ihr Inneres ist voll Verderben. Ihre Kehle ist ein offenes Grab, aalglatt ist ihre Zunge. Gott, laß sie dafür büßen; sie sollen fallen durch ihre eigenen Ränke. Verstoße sie wegen ihrer vielen Verbrechen; denn sie empören sich gegen Dich.“
Somit besteht die eigentliche Dynamik dieses Videos jenseits der, zugegebenermaßen bei der Wirkung auf den Betrachter zunächst übermächtigen, Klischees darin, daß hier zwei Heuchler auf einandertreffen und an einander erkennen, daß sie etwas vorspielen, was sie nicht sind, und das ist beim Metaller sogar deutlicher als beim Christen. Die eigentliche Aussage ist also weniger in der verbal ausgedrückten Blasphemie zu sehen, als vielmehr in der Feststellung: Sind wir nicht alle Heuchler? (Christlich gewendet: Sind wir nicht alle Sünder?) Und in der Aufforderung, mit der Logik der Heuchelei (christlich: Sünde) zu brechen. Und zwar die Heuchelei (das Sündigen) auf allen Seiten (wobei natürlich zwischen der metallischen Vorstellung von Heuchelei und der christlichen der Sünde dann doch noch der eine oder andere Graben liegt). Was übrigens auch dadurch unterstützt wird, daß die anderen Bandmitglieder offenbar genau die metal-systemkonform-klischee-brüchige Entwicklung durchgemacht haben, sind sie zu Beginn des Videos als mehr oder weniger 08/15-Typen bei der Arbeit zu sehen.
Ob es jetzt eine wahrhaft christliche Reaktion ist, auf diese Blasphemie mit Rachegedanken zu reagieren, sei einmal dahingestellt. Diese Reaktion ist jedenfalls die natürliche angesichts des ausgedrückten Bösen, und nur der, der das Böse als nicht tolerierbares Böses erkennt, kann tatsächlich darauf christlich tolerant reagieren – und die Antwort Gott überlassen.