Postmoderne

All posts tagged Postmoderne

Nach dem gestrigen Post darf ich mich ja eigentlich nicht beschweren, aber diejenigen, über die ich mich beschweren will, dürften den Post gar nicht gelesen haben, also heul ich jetzt doch mal rum.

Ich wurde jetzt schon mehrfach mehr oder weniger direkt gefragt, ob ich Traditionalist bin. Und nein, ich bin kein Traditionalist; zumindest verstehe ich mich selbst nicht als solcher. Was ist denn eigentlich ein Traditionalist?

Wolfgang Beinert hat vor gut 15 Jahren mal folgende Differenzierung vorgeschlagen, der ich mich im wesentlichen anschließen würde. Demnach gebe es zwei Pole, zwischen denen sich die Kirche immer bewegen müsse, nämlich Identität und Relevanz (man könnte auch sagen: Tradition und Gegenwart). Denn nicht alles, was zur (vermeintlichen) Identität gehört (also zu den Traditionen), ist tatsächlich relevant (auch für die Identität!). Als Beispiel wäre etwa der Kirchenstaat zu nennen, dessen drohender Untergang Mitte des 19. Jahrhunderts von einem Großteil der Theologen als unmöglich verleugnet wurde, da der Kirchenstaat dogmatisch notwendig sei. Untergegangen ist der Kirchenstaat trotzdem, ohne daß das Ende der Welt eingetreten wäre. Auf der anderen Seite gehört die Relevanz zur Identität: Der christliche Glaube ist per se relevant, wenn er also nicht mehr als relevant erscheint, muß irgendwo ein Fehler im System sein. So korrigieren sich die Pole Relevanz und Identität, Gegenwart und Tradition gegenseitig.

Entsprechend kann, darf und muß es immer „polarisierte“ Gläubige geben. Die einen betonen mehr die Relevanz, die anderen mehr die Identiät. Erstere bezeichnet Beinert als modern, letztere als traditional (wenn ich mich recht erinnere).

Problematisch werde es jedoch, wenn Gläubige die Berechtigung des anderen Pols leugnen, wenn also um der Relevanz willen die Identität aufgegeben wird oder die Identität so erstarrt, daß sie sich nicht mehr von der Relevanz in Frage stellen läßt. Gläubige, die den ersten Weg gehen, bezeichnet Beinert als Modernisten (vielleicht verwendete er auch einen etwas weniger belasteten Begriff, aber der Sache nach stand das so da), letztere als Traditionalisten.

Folglich müßte ich die Berechtigung des Relevanz-Pols leugnen, um Traditionalist zu sein. Das tue ich aber keineswegs. Vielmehr greife ich gerade deshalb gerne auf die Tradition zurück, weil die übermäßige Relevanzbetonung der letzten Jahrzehnte nicht gerade zu faktischer Relevanz des Glaubens in der Gesellschaft geführt hat. Wer das leugnet muß reichlich blind sein. Es ist also gerade die Relevanz der Identität, um die es mir geht. Wie kann ich dem Atheisten von nebenan klarmachen, daß es durchaus hilfreich ist zu glauben? Das schaffe ich ganz sicher nicht, indem ich als erstes sage, alles was aus Rom kommt, ist eh scheiße.

Nun erwarte ich nicht großes Jubelgeschrei vom durchschnittlichen Theologen, wenn ich diese Position vertrete. Gegen eine sachliche Auseinandersetzung habe ich nichts; sollte der andere gute Argumente haben, bin ich gerne bereit, meine Ansicht zu vertiefen. Aber was mich ernsthaft verletzt, ist die arrogante Überzeugung, man könne gar nicht anders denken als der theologische Mainstream, die in der Frage, ob ich Traditionalist sei, zum Ausdruck kommt.

Diese selbst bei vielen gleichaltrigen Theologen selbstverständliche Annahme, die (ich nenne es mal:) Verkonservatisierung der jüngeren Generation sei einfach nur ihrer Unreife geschuldet, dieser überheblich Hochmut, der darin zum Ausdruck kommt, die praktisch damit verbundene Verunmöglichung, eine abweichende Auffassung zu formulieren – das alles kotzt mich, gelinde gesagt, an.

Bin gerade über einen, wie ich finde, spannenden Blog gestolpert:

Netzinkulturation

Der Autor ist ein Theologe, der schon vor fünf Jahren seine Diplomarbeit über Kirche im Netz geschrieben hat. Ich find’s unheimlich spannend (auch wenn die Beiträge recht sporadisch zu kommen scheinen), da der Autor sowohl vom Netz als auch von der Postmoderne (mein Thema, wie der geneigte Leser vielleicht schon bemerkt hat 🙂 Ahnung zu haben scheint.

Aber da mir meine erste Begeisterung vielleicht die Sicht einschränkt: Kommt und seht selbst!

„Toleranz hilft da nur wenig. […] Die konfessionellen und religiösen Grenzen haben sich eher vertieft als vermindert, obwohl die religiöse Vielfalt in den Gesellschaften hoch ist“,

sagt der evangelische Theologe Hans-Peter Großhans, Direktor des evangelischen Instituts für Ökumenische Theologie an der WWU Münster. Das klang im ersten Moment zukunftsweisend. Im weiteren Text aber fanden sich so merkwürdige Formulierungen wie:

„Im neuzeitlichen Bewusstsein kann man über alles offen reden. Nur im Bereich der Religionen geht gar nichts. Man tauscht sich nicht aus. Das ist unbefriedigend.“

und:

„Der Experte betonte, die wachsende Distanz zwischen den Religionen lasse sich generell nur auf Basis echter gegenseitiger „Anerkennung“ überwinden. „Du kannst nicht mit anderen Religionen reden, wenn Du ihre Wahrheit nicht ernst nimmst“, so der Theologe. Es gehe eben nicht nur um Toleranz, sondern darum, abweichende Einstellungen und Lebensweisen anzuerkennen.“

Fordert Großhans nun also die endültige Vergleichgültigung aller Religion? Weit gefehlt! Die Kreise in denen sich Großhans theologisch verorten läßt und auch seine Veröffentlichungen weisen darauf hin, daß es sich hier um einen Denker handelt, der sich der Postmoderne sehr genau bewußt ist. Darauf bin ich allerdings erst gestoßen, nachdem sich meine anfängliche Aufregung wieder gelegt hatte, denn die obigen Formulierungen lesen sich wie eine völlige Auflösung des Wahrheitsanspruchs in seinem grundlegenden Inhalt – nämlich den Wahrheitsanspruch sich logisch ausschließender Positionen zu bestreiten.

Unter der Voraussetzung eines postmodernen Autors legt sich plötzlich eine alternative Lesart nahe: Es geht nicht darum, die Wahrheit des anderen auch als die eigene Wahrheit anzuerkennen, sondern als Wahrheit(sanspruch) des anderen ernst zunehmen, ihn gerade in seiner Andersheit wahrzunehmen und so mit ihm ins Gespräch zu kommen – ohne dabei den Wahrheitsanspruch der eigenen Perspektive aufzugeben. Perspektive ist das postmoderne Schlüsselwort hier – das eben in der Meldung nicht fällt! Denn die Anerkenntnis der Perspektivität jeglicher Position ermöglicht es, selbst einen Wahrheitsanspruch zu formulieren, ohne den Andersgläubigen vernichten zu müssen – getreu dem Motto: Natürlich bin ich von der alleinigen Wahrheit des Christentums überzeugt, aber ich weiß auch, daß meine Erkenntnis und Verwirklichung des ganzen ist notwendigerweise defizitär ist (sonst bräuchten wir ja keine Beichte).

Gerade so aber kommt die postmoderne Form des Wahrheitsanspruchs der (ur-)christlichen relativ nahe. Der Wahrheitsanspruch des anderen wird zwar bestritten, aber das, was aus christlicher Perspektive anschlußfähig ist, auch aus dieser also als wahr anerkannt werden kann oder sogar muß, kann auf die natürliche Gotteserkenntnis zurückgeführt werden, die prinzipiell (wenn auch ohne Offenbarung nur sehr unvollkommen) jedem Menschen als Geschöpf Gottes möglich ist. Die frühchristlichen Apologeten sprachen hier von den logoi spermatikoi, den Samen des Wortes (Logos). Freilich kann es auch sein, daß der Austausch mit Nicht-Christen über ihre Perspektive mich aus ihrer spezifischen Sensibilität heraus tatsächliche Defizite des „real-existierenden“ Christentums erkennen läßt, die ich im Alltagstrott gefangen nie selbst hätte erkennen können. Gerade das dürfte Großhans mit „in ihrer Wahrheit anerkennen“ meinen.

Nur warum sagt er das nicht? Vielleicht hat da ein unverständiger Presseheini Mist draus gemacht, was allerdings unwahrscheinlich ist, da es sich um die Mitteilung eines Exzellenzclusters handelt, also dürfte eher ein (ausgebeuteter) Student oder Mittelbauer die Meldung verfaßt haben, der den Professor besser hätte verstehen können müssen. Vielleicht kommt das bei den politischen Geldgebern des Exzellenzclusters einfach besser an, wenn man nicht allzu deutlich sagt, woher der Wind weht – aber nein, das geht auch nicht, denn die Wissenschaft ist ja grundgesetzlich geschützt frei. Bleibt also nur die Möglichkeit: Hier soll einer als weniger postmodern eingeschätzten Öffentlichkeit ganz langsam die Postmoderne erklärt und schmackhaft gemacht werden – und mir fällt da nur eine Öffentlichkeit als Zielgruppe ein, nämlich die kirchliche. Bedauerlich nur, daß potentielle Verbündete so bereits persönlich bekannt sein müssen…

In der heutigen FAZ erschien ein bemerkenswerter, ganzseitiger Artikel (Joachim Klose und Werner J. Patzelt: Christliche Werte und Politik) über das „C“ in CDU. Zwar könnte man über einige Aussagen im Detail streiten, auf der anderen Seite finden sich Aussagen und Forderungen, für deren öffentliche Äußerung man vor 20 Jahren sowieso und in der Merkel-CDU noch heute gesteinigt würde.

Grundforderung des Artikels ist, daß die CDU – unterstellt, sie wolle das „C“ und damit sich selbst überhaupt noch ernst nehmen – zeigen müsse, daß auch und gerade unter den heutigen pluralistischen Gegebenheiten noch politisches Handeln auf der Grundlage des christlichen Glaubens begründet möglich ist. Um es nochmal deutlicher zu formulieren: Die Autoren fordern nicht, die CDU müsse eine solche Möglichkeit ausprobieren. Vielmehr setzten sie diese Möglichkeit schlicht voraus, und fordern von der CDU, sie umzusetzen. Zwar würden sicher nicht alle Dimensionen christlichen Glaubens auch Nicht-Christen einleuchten, fast alle seien aber „Anders- und Nichtglaubenden verständlich und einsehbar zu machen“.

Und damit meinen die Autoren nicht ein weichgespültes „modernes“ Christentum, auch wenn ihr Ansatz bei der grundsätzlich guten Schöpfung im ersten Moment so erscheinen könnte. Doch dient dieser Ansatz nur zur Einführung der Frage nach dem Bösen. Ihre Antwort, es komme durch menschliches Handeln in die Welt, „das falschen Zielen folgt oder falsche Mittel anwendet“, erklären sie zur Basis der Grundstrukturen politischen Handelns. Denn:

Um auf der Grundlage menschlicher Freiheit individuelles Leben und die Schöpfung gelingen zu lassen, hat Gott Regeln geoffenbart, deren Befolgung ein gutes Leben von Einzlnen und Gesellschaften ermöglicht […] Jeder Einzelne wird eines Tages vor Gott Rechenschaft darüber abzulegen haben, was er an Bösem getan und an Gutem unterlassen hat und wie er in Ausübung seiner Freiheit in Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik tätig war.

Bei aller Berechtigung der Autonomie der innerweltlichen Sachbereiche dürfe sich der Politiker nicht auf die Funktionslogik des Bösen einlassen, müsse vielmehr an ihrer Überwindung arbeiten. Das ermögliche gerade der Glaube daran, daß sich das Leben nicht bis zum Tod erfüllen muß, sondern seine Erfüllung sogar erst nach dem Tod finden kann. Auf dieser Grundlage könne der christliche Politiker in ganz anderen Zeiträumen denken und sich selbst weniger wichtig nehmen.

Doch sei auch der Mensch, der das Gute erkannt habe, fähig, das Falsche zu tun. Im Rechtstaat könne das Justizwesen zwar eine gewisse Entlastung angesichts des Falschen und Bösen leisten, doch Christen helfe hier viel besser „das Denken in Begriffen von Gewissen und Reue, von Buße und Vergebung, desgleichen das Hoffen auf göttliche Gerechtigkeit“:

Alles menschliche Handeln steht im Horizont der Verantwortung für Gottes Schöpfung. […] Aus diesem Zusammenhang gerissen, verleitet menschliche Gestaltungsmacht leicht zu Zerstörung und Ausbeutung. Christen jedenfalls streben danach, die Wirklichkeit als Gottes Schöpfung anzusehen. Beim Blick auf sie und ihr eigenes Tun und Lassen in ihr erkennen sie Gott als Grund der Welt und als Richter.

(Hierauf folgt übrigens ein Seitenhieb auf den unzureichenden Einsatz für den Lebensschutz vor allem zu Beginn und am Ende des Lebens.)

Christen, die aus solchen Einsichten schöpfen, können sich mit besonderer Zuversicht daranmachen, Natur und Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft zu gestalten. Sie besitzen zwar nicht schon die richtigen Konzepte in den Details, aber ihr Kompaß stimmt. Nordrichtung ist das „Reich Gottes“, das „nahe ist“…

Es sei daher auch falsch, Macht zuvörderst vom – selbstverständlich immer möglichen – Machtmißbrauch her zu verstehen, da „alle Macht, wie Jesus einst zu Pilatus sagte, von Gott gegeben ist“. Daher sei auch eine falsche Scheu vor dem Einsatz „der härtesten Formen politischer Macht“, der polizeilichen und militärischen Gewalt, zu überwinden. Denn wenn der, der die Macht als mißbrauchsanfällig erkannt hat, gerade deswegen ihre Anwendung immer und prinzipiell ablehnt, wird sie von denjenigen ergriffen werden, denen diese Einsicht fehlt oder die den Mißbrauch geradewegs anstreben. (Getreu dem Motto: Wenn der Klügere immer nachgibt, wird die Welt von den Dummen beherrscht.) Christen müßten eigentlich wissen, daß sie

von Gott dereinst nicht nur für die Anwendung von Macht, sondern auch für deren Nichtanwendung zur Rechenschaft gezogen werden. Stellen sich Christen durch ihr politisches Engagement solcher Verantwortung vor Gott, dann legen sie Zeugnis ab von der Stärke ihrer Hoffnung…

Kurz gesagt: Grundlage christlich motivierten politischen Handelns sei gerade das Wissen um die Fehlbarkeit der Menschen und ihre je individuelle Verantwortung vor Gott, woraus Nachsicht und Barmherzigkeit gegenüber den Schuldiggewordenen resultiere: Der Irrende sei zu lieben, sein Irrtum aber zu hassen!

Solche christliche Politik könne prinzipiell in allen Parteien betrieben werden, „die die Würde des Menschen achten und auf Dauer für eine auf Gott hin offenen Gesellschaftsordnung eintreten“. Die Frage sei allein, welche Kompromisse ein Christ eingehen könne. Die protestantische Tradition lege hierbei dem Einzelnen große Verantwortung auf, die katholische sehe die Auslegung der christlichen Botschaft obendrein als Aufgabe des kirchlichen Lehramtes:

Zwar betont das Zweite Vatikanische Konzil ausdrücklich die Autonomie des Gewissens; dieses muß aber ernsthaft geprüft und an den Argumenten des Lehramtes geschärft werden.

Auf der Suche nach politischen Mehrheiten dürfe der Christ seinen „Kompaß“ nicht aus dem Auge verlieren!

All das sei zwar spezifisch christlich, aber sehr wohl auch unter anderen Vorzeichen als vernünftige und sinnvolle Basis politischen Handelns zu erkennen.

In einer Gesprächsrunde äußerte mein Pfarrer einmal, es verwundere ihn, wie sich Joseph Ratzinger entwickelt habe: Die wissenschaftliche Karriere fast wegen Modernismusverdacht gescheitert, auf dem Konzil noch einer der „jungen Wilden“, in den Siebzigern dann plötzlich der Bremsklotz an der Modernisierung der Kirche und später dann der „Panzerkardinal“. Auch andere wunderten sich darüber, daß „Einführung ins Christentum“ und diverse Publikationen der Glaubenskongregation von derselben Person verfaßt sein sollen. Mein Pfarrer konnte sich das ganze nur mit ’68 erklären: Der Professor Ratzinger sei völlig schockiert vom Verhalten der Studenten gewesen und habe dabei „einen Knacks“ bekommen.

Auf dem Hintergrund meiner Vermutung eines Epochenwechsels um 1970 erschließt sich mir diese Vermutung plötzlich in einem positiven Sinne – mein Pfarrer hatte das rein apologetisch gemeint, so im Sinne von: der kann nichts dafür. Doch, das kann er, und vielleicht haben die ’68er tatsächlich dafür gesorgt, daß dem immer noch jungen Professor Ratzinger aufging, daß die Moderne nicht der Weisheit letzter Schluß sein kann. Während man ihm dies in der Kirche aber als Rückschritt auslegte, war er damit eigentlich auf der Höhe der Zeit, ja sogar an der Speerspitze der Entwicklung und damit seiner Zeit ein wenig voraus.

Das hatte er gemeinsam mit dem gleichalten (und vor einem Monat verstorbenen) Bernhard Stoeckle OSB, der der „Glaubensethiker“ schlechthin unter den Moraltheologen war (und zu den Glaubensethikern wird auch, na: wer gerechnet? Genau: Joseph Ratzinger). Ohne auf die damalige Konfliktlage zwischen der „autonomen Moral“ und der „Glaubensethik“ eingehen zu wollen: Einer der Gründe Stoeckles, gegen die autonome Moral zu schreiben, war die Beobachtung, daß die Zeit der Rationalität und menschlichen Machbarkeit vorbei war, daß es wieder Menschen, noch dazu weit von der Kirche entfernte, gab, die auf der Suche nach Spiritualität und Transzendenz waren. Wenn man Stoeckles 35 Jahre alte Kampfschrift „Grenzen der autonomen Moral“ liest, ist man überrascht, wie hellsichtig und zukunftsweisend einige Stellen wirken – und schockiert, wenn man in Dietmar Mieths Antwortartikel genau diese Passagen als Beleg für die traditionalistische Gesinnung Stoeckles wiederfindet! (Während Stoeckle gesellschaftliche Entwicklungen beschreiben wollte, die natürlich noch in den Anfängen steckten, meint Mieth, Stoeckle spreche hier von zurückgezogenen, kleinen Konventikeln.)

Mit anderen Worten: Die Theologie war in den Siebzigern dermaßen damit beschäftigt, „modern“ zu werden, daß sie nicht bemerkte, daß „modern“ schon wieder veraltet war, sie also zu spät kam. Im Gegenteil, den wenigen wirklich fortschrittlichen Theologen wurde sogar noch Traditionalismus vorgeworfen – weil man schockiert auf Kritik an der Moderne und Wiederentdeckung der Tradition reagierte. Auf diese Weise hat sich die Kirche auf Jahrzehnte selbst paralysiert, und es ist alles andere als zufällig, daß sich die (im gläubigen Sinn) kirchliche Jugend als „Generation Benedikt“ formiert. Geistig ist unser Papst immer noch der gesellschaftlichen Entwicklung voraus.

Seit rund dreißig Jahren geistert der Begriff der Postmoderne auch durch die Philosophie. Die hat ihn keineswegs erfunden (er stammt ursprünglich aus der Architektur) und auch nicht unbedingt begeistert übernommen. Lyotard hat ihn eher beiläufig verwendet, Habermas daraufhin die große Krise gekriegt: Es könne keine Postmoderne geben, denn die Moderne sei per se nicht abschließbar. Allenfalls könne Postmoderne als eine Phase der Moderne verstanden werden.

In letzterem Sinne wird mitunter von der Spätmoderne gesprochen. Das hat durchaus seine Berechtigung, insofern heute kaum noch „alte Zöpfe“ (die Absolutismen der Tradition) angegriffen werden, sondern die Absolutismen der Moderne selbst. Die Moderne ist sich also ihrer eigenen Grenzen bewußt geworden und radikalisiert sich selbst, indem sie ihre Prinzipien nun auch auf sich selbst anwendet. Ein Ergebnis davon ist der Relativismus. Alles muß kritisiert und hinterfragt werden, überall werden potentielle Totalitarismen gesehen.

Genau diese Entwicklung erweckt aber auch ein neues Interesse an der Tradition, ja selbst der Relativismus führt zu neuen, wenn auch partikulären Radikalismen (besser vielleicht: Überzeugtheiten – ganz bewußt im Plural!), und hierin liegt die Grenze der Rede von der „Spätmoderne“ als einer Phase der Moderne. Die Moderne war einfach nur „dagegen“, alles was alt war, mußte sich rechtfertigen, das Neue war per se das Bessere. In der Postmoderne ist nun zwar nicht per se alles Vormoderne das Bessere, aber ein nüchternerer Blick auf Tradition und Moderne ermöglicht beiden zu ihrem jeweiligen Recht zu kommen. Nicht alles, was überkommen ist (bzw. war: es gibt fast keine ungebrochene Kontinuität mehr), ist einfach schlecht, nicht alles Neue ist einfach gut, aber auch ist nicht alles Neue schlecht und alles überkommene einfach gut. Der Pendelausschlag tendiert gewissermaßen wieder zur Mitte. Dialektisch könnte man sagen: die Tradition war die These, die Moderne die Antithese und die Postmoderne versucht sich nun an der Synthese.

Soweit so gut. Ich frage mich jedoch mit jedem Tag mehr, ob die Postmoderne nicht nur die Moderne abgelöst hat, sondern auch die Neuzeit schlechthin. Auf den ersten Blick zeigt sich freilich nicht viel, was dafür spricht; eher ist man geneigt, das Ende der Neuzeit noch früher (oder gar nicht) anzusetzen, etwa mit der industriellen Revolution, die die abendländische Zivilisation stärker verändert hat als alles seit der Völkerwanderung. Zugleich zeigen sich aber genug Kontinuitäten, philosophiegeschichtlich etwa wird vom „langen 19. Jahrhundert“ gesprochen, das von 1789 bis 1918 angesetzt wird. Politisch war das ganze 19. Jahrhundert vom Freiheitspathos der französischen Revolution bzw. der entgegengesetzten Restauration geprägt. Andererseits ist auch ein philosophiegeschichtlicher Bruch um 1830 zu erkennen – nämlich nach Hegel.

Aber ich will nicht zu sehr ins Detail gehen. Epocheneinteilungen sind immer ein Stück weit willkürlich, wie ja auch das Mittelalter als Zeit zwischen Antike und Wiederentdeckung der Antike in der Renaissance und damit als „dunkel“ (was es aus anderer Perspektive keineswegs war) definiert ist. Mit Beginn der Postmoderne, der für gewöhnlich um 1970 angesetzt wird, zeigt sich jedoch ein ganz bemerkenswerter Bruch im menschlichen Selbstbewußtsein, der mit den Jahren immer deutlicher zu Tage tritt: Der Mensch hat den Zukunftsoptimismus verloren, er hält die technische und gesellschaftliche Entwicklung immer weniger für kontrollierbar, die Grenzen und Gefahren der bisherigen Entwicklung werden ihm immer klarer.

Deutlich zeigt sich das im Umgang mit der Umweltverschmutzung. Während die verdreckte Luft im Ruhrpott der Sechziger noch technisch angegangen (und „in the long run“ auch gelöst wurde), bricht sich ab 1970 eine Naturschutzbewegung Bahn, die gewissermaßen zurück auf die Bäume will. Die negativen Nebeneffekte seien nicht in den Griff zu bekommen und schlimmer als der Nutzen. So ist dann auch der Anti-Atom-Lobby (oder etwas heutiger: den Klimaaposteln) nicht mit technischen und statistischen Argumenten zu kommen: Die Technik selbst bzw. der Glaube an die Kontrollierbarkeit der Technik werden als das Problem angesehen. Interessanterweise liegen genau hier auch die Übergänge zu einem „neo-mythischen“ Denken, das das stark rationalistische und empiristische Denken der Moderne ablöst.

Nun könnte man einwenden, daß es auch schon vor dem Ersten Weltkrieg eine Umweltschutz- und Lebensreformbewegung gegeben hat, die bei den germanischen Neuheiden durchaus auch Übergänge zu neo-mythischem Denken aufwies. Bei genauerer Betrachtung scheint mir das aber meine Überlegungen zum Ende der Neuzeit eher noch zu bestätigen. Denn die genannten Strömungen vor 1914 waren nicht nur bei weitem nicht so gesellschaftsprägend wie ihre Gegenstücke nach 1970, sondern verdoppelten in sich gerade die „Mythen der Neuzeit“ (und der Moderne) von der Machbarkeit und dem immerwährenden Fortschritt. Das Denken dieser Bewegungen damals war technisch und (pseudo-)wissenschaftlich geprägt und diente dem individuellen weltlichen Vorankommen allein. Eine nicht anthropozentrische Sicht der Natur war überhaupt nicht denkbar. Daß es etwas über den Menschen – in entsprechenden Kreisen: den Arier – hinaus geben könnte, also etwas, das ihm einfach vorgegeben ist (sei es ein Schöpfer, sei es auch nur die Natur als Lebensgrundlage), das er nicht kontrollieren kann, unvorstellbar.

Das alles hat sich ab etwa 1970 radikal gewandelt. Doch scheint die Kirche diese Entwicklung nicht mitgemacht zu haben. Vielleicht liegt das daran, daß das Konzil noch durch und durch modern war, und alle, die um 1970 in der Theologie (meist eher unbewußt) postmoderne Strömungen aufgriffen, mußten so als „Ewiggestrige“ erscheinen, denn Postmoderne bedeutet ja auch, der Tradition wieder ihren Eigenwert einzuräumen. Freilich ohne sie beziehungslos zur Gegenwart erstarren zu lassen. Meines Erachtens ist der herausragendste Vertreter dieser frühen Rezeption der Postmoderne heute Papst. (Fortsetzung folgt.)

Da ich neugierig bin und gerne wisse, mit wem ich es zu tun habe, versuche ich regelmäßig herauszubekommen, worüber ein „Dr.“ eigentlich promoviert wurde. In der Deutschen Nationalbibliographie wird man in der Regel fündig. Manchmal ist das Ergebnis witzig, meistens mehr oder weniger uniteressant, aber zumindest schonmal für eine Grobkategorisierung tauglich.

Was mich jetzt in den letzten Wochen erstaunt hat: In den meisten katholischen Einrichtungen landauf landab scheinen fast ausschließlich Exegeten zu sitzen, zumindest was die Laien angeht (insbesondere Ordensleute können sich ja auch nicht immer aussuchen, in welchem Fach sie promovieren). Dabei werden die meisten theologischen Dissertationen in den systematischen Fächern (mit deutlichem Abstand vorne: Dogmatik) abgefaßt, während in AT in einigen Jahren voraussichtlich kaum noch ordnungsgemäße Berufungsverfahren möglich sein werden.

Es mag ja sein, daß meine Stichproben schlicht nicht repräsentativ sind. Ich berichte hier ja nur von meinem subjektiven Eindruck. Aber merkwürdig finde ich das schon. Was machen eigentlich die ganzen praktischen Theologen? Was die Systematiker? Gibt es in der Deutschen Kirche ein Kastenwesen? Systematisker an die Uni, Pastoraltheologen an die Front und Exegeten in die kirchliche Verwaltung?!

Das würde bedeuten: Die Systematiker denken sich auf Basis des Deutschen Idealismus (oder neuerdings des, meist leider nur unzureichend, weil nicht in seinem anti-ontologischen, rein immanent-soziologischen Anspruch verstandenen, französischen Poststrukturalismus) was Tolles[tm] aus, was die Exegeten in der Verwaltung dann entmythologisierend (wir können doch nicht Computer benutzen und an einen personalen Gott glauben!) historisch-kritisch interpretieren (was wollte der Dogmatiker welcher konkreten Gemeinde sagen, wie können wir diese Gemeinde anhand der uns vorliegenden Textfragmente rekonstruieren und was heißt das allgemein für Kirche in anderen Situationen?) und in eine Dienstanweisung übersetzen, die dann die Pastis total betroffen heideggerschphänomenologisch interpretieren und mit um die gestaltete Mitte (einst als Altar bekannt) gruppierten mündigen Christen nach Gutdünken ausführen, sofern sie was Politisch-Moralisierendes draus machen können. – Was im Umkehrschluß bedeutet: Am Ende kommt zwar eine vergreisende entmythologisierte-politisierte Philosophie (wenn ich böse wäre: weltimmanente Gnosis), aber keine Glaubenspraxis heraus.

Vielleicht bin ich ja nur paranoid, aber selbst das hieße ja nicht, daß sie nicht hinter mir her sind…

[Update: Wie ich gerade erfahren habe, tut man an deutschen theologischen Fakultäten auch alles, um die wenigen verbliebenen Wissenschaftler unter den Exegeten auch noch in die Verwaltung zu verdrängen. In Münster sind beide Exegetenprofessuren (AT, NT) ausgeschrieben, in beiden Fällen nur mit W2 (aber immerhin wird AT mit einem Priester besetzt werden), während die Fundamentaltheologie mit W3 ausgeschrieben ist. Verrückt. Die könnten ja mal bei der Fakultät nachfragen, die seit knapp zehn Jahren die W2-Professur für alte Kirchengeschichte und Patrologie nicht dauerhaft besetzen kann, weil die wenigen Patrologen, die es noch gibt, sich nicht unter Wert verkaufen wollen…]

Elsa wunderte sich vor einiger Zeit über die „Feier der Lebenswende“, einer Art katholische Alternative zur atheistischen Jugendweihe, und fragte sich

ob es jetzt um die atheistische Jugendweihe geht, oder eine Form der Jugendweihe, die als alternativer christlicher Ersatz – freilich ohne Sakramentenspendung, um selbstverständlich, da sei Gott vor, niemanden über Gebühr zu fordern: Vor allem natürlich nicht den Priester in der Strapaze, christliche Wahrheiten stringent zu vermitteln,- oder letztlich whatever gehen soll? Was wird das denn bitte? Ein achtes Sakrament?

Nachdem jetzt die Weihnachtspause vorbei ist, kann ich endlich was Substantielles beitragen. Eins jedoch noch vorneweg: Elsa war auf die „Lebenswende“ auf den Seiten des Bistums Magdeburg gestoßen, mein „Informant“ hat beim „Original“ in Erfurt als Ehrenamtlicher mitgemacht. Deshalb vorweg: Jeder „Veranstalter“ der „Lebenswende“ ist selbständig und greift nur die Grundidee auf. Es kann also sein, daß die Feier in Magdeburg anders abläuft und andere Hintergründe hat als die in Erfurt.

Die ursprüngliche Initiative ging nicht von kirchlicher Seite, sondern von ungetauften Jugendlichen aus, die die katholische Edith-Stein-Schule besuchten. Dort ist Religionsunterricht für alle Pflichtfach, die „Heidenkinder“ (ich zitiere!) bekommen jedoch in der fünften und sechsten Klasse einen Crash-Kurs „Religion“. Genau dieser Religionsunterricht, unter anderem vom damaligen Erfurter Dompfarrer (und heutigen Weihbischof) Dr. Reinhard Hauke gegeben, und obwohl (oder gerade weil?) er rein informativ und nicht (direkt) missionarisch ist (soll heißen: es geht um Faktenwissen, nicht um Bekehrung), führte dazu, daß einige der Schüler die atheistische Jugendweihe als hohl erkannten und, ohne freilich zur Taufe bereit zu sein, etwas Tieferes suchten. Als nun ihre getauften Mitschüler zur Firmung oder Konfirmation „anstanden“, gingen sie auf Dr. Hauke zu, der als kirchliche Antwort die „Feier der Lebenswende“ entwickelte.

Ziel dieser Lebenswendefeier war nicht, der Jugendweihe Konkurrenz zu machen, die ja ihrerseits als atheistische Konkurrenzveranstaltung zu Firmung/Konfirmation gedacht war, sondern das äußerst zarte Pflänzchen eines beginnenden Umdenkens bei den Schülern nicht zu zerstören. Natürlich konnte es dabei nicht um die „harten“ Glaubensfakten gehen – also „christliche Wahrheiten stringent zu vermitteln“. Dazu waren die Schüler noch lange nicht weit genug! In aller Regel hatten sie vor dem Besuch der Edith-Stein-Schule praktisch überhaupt keinen Kontakt mit Religion welcher Art auch immer, und im besten Fall hatten sie wenigstens keine Vorurteile a la „Mittelalterlichkeit der Kirche“ oder „Unwissenschaftlichkeit jeglicher Religion“. Implizites Ziel der längeren Vorbereitungszeit auf die Lebenswendfeier ist daher „lediglich“, überhaupt erstmal den Horizont zu eröffnen, in dem der christliche Glaube innerlich angenommen werden kann (denn darum muß es ja jetzt über das bloße Faktenwissen hinaus tatsächlich gehen).

Dieser besondere Entstehungshintergrund äußerte sich auch darin, daß für die „Feier der Lebenswende“ in Erfurt keine aktive Werbung betrieben wird (oder zumindest wurde, solange das ganze noch Dr. Hauke als Dompfarrer verantwortete; wie es jetzt ist, wußte mein „Informant“ nicht). Denn es soll ja durch diese „Feier der Lebenswende“ gerade nicht der Jugendweihe das Wasser abgegraben werden, sondern Ungetauften, die tatsächlich auf einem Weg sind, ein kleines bißchen der Weg gewiesen werden – was eben auch nur Sinn hat, wenn das ganze nicht punktuell bleibt, sondern auch eine Rückbindung im Alltag (Besuch einer katholischen Schule, Religionsunterricht etc.) hat.

Insofern ist der „Mundpropaganda“-Erfolg des Projektes über den ursprünglichen Kreis der ungetauften Edith-Stein-Schüler sicherlich nicht unproblematisch, wie sich kürzlich gezeigt hat, als einem katholisch getaufter, aber der Kirche völlig fern stehender Jugendlichen die Teilnahme an der „Lebenswende“ mehr oder weniger demonstrativ verweigert worden sein soll. Allerdings soll sich Weihbischof Dr. Hauke mit dem Gedanken einer „Weg-Feier“ für solche Jugendliche tragen, die aber eben im Gegensatz zur Lebenswendefeier sehr viel konkreter zu Glaube und eben auch Kirche führen, also „christliche Wahrheiten stringent … vermitteln“ sollen würde.

Der springende Punkt der ganzen Idee der „Feier der Lebenswende“ ist also die spezifische Situation der genannten Schüler. Paulus spricht in 1 Kor 3 davon, den „unmündigen Kindern in Christus“ (also getauften Christen!) Milch anstatt wie Geisterfüllten feste Nahrung gegeben zu haben. Dieses Bild träfe eher auf die Idee der „Weg-Feier“ für fernstehende katholische Jugendliche zu als auf die „Feier der Lebenswende“, denn bei der Lebenswende geht es um Menschen, die noch nicht einmal die banalsten Voraussetzungen hatten, die Paulus überall voraussetzen konnte: Daß es überhaupt etwas über das Materielle hinaus gibt. Wenn man das paulinische Bild ein wenig überstrapaziert: Es muß hier überhaupt erstmal der Ei-Follikel heranreifen, damit irgendwann einmal ein Christ gezeugt werden könnte!

Für die anvisierte Zielgruppe scheint mir daher die Lebenswendefeier, zumindest nach dem, was ich aus Erfurt erfahren habe, völlig angemessen zu sein. Sie setzt aber eine ganz bestimmte Situation und eine ganz bestimmte Zielgruppe voraus, die es „bei uns im Westen“ kaum gibt: eine mehrheitlich ganz selbstverständlich ungetaufte Gesellschaft, in der ein ebenso selbstverständlicher praktischer Materialismus vorherrscht, und das schon in der dritten, vierten Generation.

Bleibt natürlich die Frage, wo es heut die feste Nahrung für in Christus Heranwachsende gibt. Aber das ist ein anderes Thema…

[Disclaimer: Was ich geschrieben habe, kann ich nicht selbst beurteilen, sondern habe es nur aus (glaubwürdiger!) zweiter Hand. Mir erscheint es freilich stimmig.]

Jeder Mensch sei schnell im Hören, langsam aber im Reden und langsam im Zorn. (Jak 1,19)

Natürlich heißt das nicht, man solle besser nur Zuhören und selbst dann nichts sagen, wenn das Gegenüber völligen Unfug verzapft. Aber wie im ganzen Brief geht es Jakobus auch hier um eine Einstellung: Die Position des Anderen als die Position des Anderen ernstnehmen und verstehen zu wollen, bevor man ihn kritisiert.

Andererseits kann der „Leidensdruck“ auch so stark werden, daß man gar nicht mehr anders kann, als ihn herauszuschreien. Und eine wenig „lashing-out“ ist mitunter auch psychohygienisch sehr hilfreich und wichtig. Doch wo kommt solcher Leidensdruck denn her? Nach meiner Erfahrung: Daß ich selbst nicht ernst genommen werde, daß mir keine Chance gelassen wird, mich zu rechtfertigen, daß Vorurteile und Stereotype ein Gespräch im Keim ersticken: „Meine Meinung steht fest, bitte verschonen Sie mich mit Tatsachen.“

Wo das nicht der Fall ist, kommt häufig ein recht fruchtbares Gespräch zustande, bei dem sich zwar keine grundlegenden Auffassungen verändern, aber Verständnis für den Anderen entsteht. In einer postmodern-pluralistischen Gesellschaft kann es eigentlich auch gar nicht anders auf Dauer gutgehen: Bei aller Ablehnung seiner Auffassung, muß ich den Anderen doch als Menschen und Geschöpf Gottes respektieren. Warum funktioniert das aber im Gespräch mit nicht-katholischen Christen, ja sogar mit Atheisten oder Neuheiden meist besser als mit ach so „modernen“ Katholiken? Oder nochmals mit Jakobus:

Wieso gibt es Kriege und wieso Streitereien bei euch? (Jak 4,1)

Kürzlich war ich auf einer Theologentagung, auf der auch mehrere Referenten auf die anthropozentrische Wende zu sprechen kamen. Überraschenderweise war darunter nur einer, der voll die alten Konsequenzen runterbetete.

Alle anderen waren da deutlich skeptischer, und eben jener verbliebene Einzelkämpfer der Moderne wurde massiv angegriffen, sogar von einem Fachkollegen, der in den Achtzigern denselben theologischen Ansatz vertrat. Nur hatte der nach eigener Auskunft bemerkt, daß der Gegenwind mittlerweile nicht mehr nur aus Rom kommt, sondern aus der Breite der nachchristlichen Gesellschaft, was ihn doch sehr zum Nachdenken gebracht hat, ob er sich nicht vielleicht schon damals geirrt habe.

Als dann am Ende noch eine Professorin aufstand und die Auffassung vertrat, wenn die Theologie wieder relevant werden wolle, müsse sie ihren Gegenstand auch im Gegenüber zur Gesellschaft bestimmen, es sei doch nicht zufällig sondern konstitutiv, daß außer in unseren Breiten fast überall das Bekenntnis zum Christentum lebensgefährlich sei, dachte ich mir: Mensch, es geht aufwärts!

Vielleicht ist die Theologie gerade dabei, sich doch noch erfolgreich für die Postmoderne aufzustellen.