An und für sich neige ich nicht zu Verschwörungstheorien. Normalerweise bin ich auch immer noch dazu geneigt, Menschen, insbesondere Bischöfen, weder Dummheit noch Böswilligkeit zu unterstellen. Auch bemühe ich mich seit dem Papstbesuch, mich weder von der Empörungsmaschinerie der Blogoezese noch von den Niederungen des realexistierenden Katholizismus aufregen zu lassen. Es ist es ja eigentlich alles nicht wert und kostet nur Energie, die besser in die Neuevangelisierung gesteckt würde.
Jetzt hat mich aber doch wieder der Zorn gepackt. Und zwar nicht, weil andere Blogger sich aufregen oder die Kommentare bei kath.net zur Äußerung Kardinal Lehmanns auf dem Katholikentag zu den Kelchworten so qualitativ hochwertig wären, sondern weil ich mir den Originalmitschnitt angetan habe. Eigentlich hatte ich mich schon aufgeregt, was da dem Kardinal wieder alles unterstellt wird, denn in der offiziellen Berichterstattung war eigentlich nichts zu finden, was dem Papst direkt widersprochen hätte. Johannes hat aber freundlicherweise das Originaldokument ausgebuddelt:
Dieses Originaldokument macht bei genauerer Betrachtung nämlich das „johanneische“ Emotionsprotokoll überflüssig, wenn man sich den Wortlaut genauer anguckt und Behauptungen überprüft.
Lehmann behauptet, der Papst habe in seinem Brief die Übersetzung „für alle“ wörtlich mit „ist und bleibt sehr gut“ (18:05) gewürdigt. Nachdem ich schon über das falsche Datum gestolpert war (Lehmann datiert kurz vorher bei 17:55 den Brief auf den 10.04., der Brief sich selbst aber auf den 14.), habe ich dann doch mal dieses „wörtliche“ Zitat versucht zu finden. Fehlanzeige. Im Brief kommt nicht einmal das Wort „gut“ vor. Was der Papst aber tatsächlich sagt, ist:
„Die Wiedergabe von „pro multis“ mit „für alle“ war keine reine Übersetzung, sondern eine Interpretation, die sehr wohl begründet war und bleibt, aber doch schon Auslegung und mehr als Übersetzung ist.“
Also, zum Mitmeißeln: Der Papst hat die Übersetzung nicht als „ist und bleibt sehr gut“ gewürdigt, sondern die Interpretation als „sehr wohl begründet“ bezeichnet, gleich aber hinterhergeschoben, daß sie eben eine Interpretation und keine Übersetzung ist.
Mit diesem Originalzitat wäre es jedoch nicht möglich gewesen hinterherzuschieben, wie es Lehmann tut: „Natürlich hat man dann etwas Schwierigkeiten zu verstehen, warum es geändert werden muß.“ Dabei hat Lehmann durchaus verstanden, daß es um die Frage von Übersetzung oder Interpretation geht, auch wenn er nur „ein Stück weit Interpretation“ in dem „für alle“ sieht (16:29).
Nunja, die Lektüre des Briefes offenbart auch noch eine zweite Schwäche der Argumentation des Kardinals. Denn er meint, man hätte Mißverständnisse vermeiden können, wenn man vorangestellt hätte, daß das Fundament der ganzen Debatte natürlich sei, daß Christus für alle gestorben ist (14:36, 16:00 u.ö.). Der Papst verwendet in seinem Brief 15x „für alle“, dabei 4x als Benennung der Übersetzung, einmal in ganz anderem Kontext („in alle Hochgebete übernommen“), aber 10x (ZEHN MAL) im Sinne von „Christus IST FÜR ALLE gestorben“. Ganz davon abgesehen, daß der Papst ja schon 2007 dazu aufgefordert hatte, die „Aufregung“ mit Hilfe von Katechesen zu verhindern, gibt es im Papstbrief sogar einen Absatz, der im wesentlichen Schriftstellen mit „für alle“ zusammenstellt.
Ohne jetzt die Frage nach „für alle“ oder „für viele“ überhaupt diskutieren zu wollen (eigentlich wäre mir das egal, wenn nicht schon 2007 selbst in der Tagespost unzählige Leserbriefe erschienen wäre, die eindeutig die Apokatastasis vertraten): Was Kardinal Lehmann hier macht, ist mindestens ein sinnentstellendes Zitieren des Papstbriefes.
Vielleicht zitiert Lehmann den Brief des Papstes gar nicht, sondern interpretiert ihn schon 😉
…dann sollte man nach einer genaueren Übersetzung verlangen! 😉 Schöner Beitrag übrigens. Die Empörungsmaschinerie entbehrt auch nicht der Grundlage.
Ich habe was gegen Empörung. Viel Aufregung und nichts passiert. Das finde ich empörend.
Auch ich habe mir die betr. Minuten im Interview mit Kardinal Lehmann angehört und leider einen sehr schlechten Eindruck von ihm gewonnen.
Er scheut eine klare Antwort, macht enorm viele Worte und gibt seinen Mitbruder im Petrusamt buchstäblich der Lächerlichkeit preis.
Die Übersetzung „für viele“ wendet sich doch gegen eine Allerlösungslehre, wonach durch Jesu Kreuzestod quasi automatisch ALLE Menschen, egal was sie zu Lebzeiten ausgefressen haben, automatisch und sicher in den Himmel kommen (Motto: „Wir kommen alle alle in den Himmel …“).
So ist es eben nach dem biblischen Zeugnis nicht, das lehrt auch nicht der HERR selbst:
Er spricht vielmehr u.a. vom breiten Weg ins Verderben und dem „schmalen“ (=beschwerlichen“) Weg (und der „engen Tür“) zu Gott.
Potentiell steht zwar wirklich JEDEM die Gnade und Barmherzigkeit Gottes durch Jesu Leiden und Tod offen, aber man muss sich auch selbst für die Annahme derselben entscheiden und darum bemühen – und sei es auch erst im letzten Augenblick des Lebens.
Aber um die eigene Willensentscheidung kommt man eben nicht herum, wenn man Gottes Barmherzigkeit erlangen will.
Und das ist gar nicht ganz so einfach, wie man vielleicht manchmal glaubt.
Ich kannte und kenne durchaus verstockte Menschen, die einfach nicht ihren Stolz überwinden und zu Gott umkehren können und so ihren Frieden mit Gott machen.
Ein Bild und Beispiel aus dem NT dafür ist der mitgekreuzigte Schächer, der Christus selbst im Angesicht des nahen Todes ebenfalls noch verspottet, während der andere ihn um Erbarmen bittet – und es auch bekommt.
Für letzteren nützt das vergossene Blut Christi etwas, der erstere hat leider nichts davon…
Also ist das vergossene Blut Christi nicht etwa nur für wenige (Super-)Fromme vergossen sondern im Gegenteil auch für viele Sünder, wenn sie sich denn bekehren.
Deshalb auch die vom Papst vorgeschlagene und gewünschte genauere (und immer noch sehr tröstliche) Übersetzung der Wandlungsworte: „für viele“ statt „für alle“.
Warum kann der Kardinal so etwas denn nicht sagen und verständlich erklären?
Ich bin kein Theologe sondern nur ein einfacher Katholik.