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Der Aufruf „Ökumene jetzt“ ist eine Totgeburt. Theologischer Dünnpfiff. Eigentlich nicht der Rede wert. Wenn man nicht davon ausgehen müßte, daß es viele gibt, die gar nicht merken, daß dem ganzen ein unrühmlicher Trick zugrundeliegt.

Der Trick besteht aus zwei Schritten. Der erste ist, das für die Trennung theologisch Entscheidende, nämlich die wesentliche Differenz im Kirchenverständnis, zu leugnen:

Weil uns Gott in der Taufe Gemeinschaft mit Jesus Christus geschenkt hat, sind Getaufte als Geschwister miteinander verbunden. Sie bilden als Volk Gottes und Leib Christi die eine Kirche, die wir in unserem Credo bekennen.

Nein, wir bekennen die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche, die in der katholischen Kirche subsistiert. Wie so häufig verhindert Quellenstudium Neuentdeckungen, denn „die eine Kirche, die wir in unserem Credo bekennen“ ist eine fast wörtliche Anspielung auf Lumen Gentium 8, das aber die einzige Kirche Christi ganz anders als rein über die Taufe definiert:

Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfaßt und trägt sie als solches unablässig; so gießt er durch sie Wahrheit und Gnade auf alle aus. Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst. Deshalb ist sie in einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes ähnlich. Wie nämlich die angenommene Natur dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf eine ganz ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der es belebt, zum Wachstum seines Leibes (vgl. Eph 4,16).

Dies ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen. Sie zu weiden, hat unser Erlöser nach seiner Auferstehung dem Petrus übertragen (Joh 21,17), ihm und den übrigen Aposteln hat er ihre Ausbreitung und Leitung anvertraut (vgl. Mt 28,18 ff), für immer hat er sie als „Säule und Feste der Wahrheit“ errichtet (1 Tim 3,15). Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfaßt und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird. Das schließt nicht aus, daß außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen. (LG 8, eigene Hervorhebungen)

Das heißt, bereits der Ausgangspunkt des Aufrufs ist katholischerseits nichts anderes als – Häresie! Denn er leugnet die hierarchische Ordnung der Kirche, die aus ihrem Wesen als Fortsetzung der „Mission“ Christi, seiner Fleischwerdung resultiert, die sich in der Kirche fortsetzt. (Daß wir der „Leib Christi“ sind, ist mehr als nur ein Bild, keine bloße Metapher!) Die Kirche bildet sich nicht aus den Getauften, ist quasi die Summe aller Getauften, wie die Jetzigen-Ökumeniker (übrigens auch im Unterschied zu Luther) meinen, sondern sie existiert streng theologisch gesehen vor und unabhängig von allen Getauften, die allerdings durch die Taufe in die Gemeinschaft der einen Kirche aufgenommen werden – so sie denn in der Katholischen Kirche getauft werden. Katholischerseits definiert sich folglich die Kirche von oben, von dem einen HErrn her, der das Haupt der Kirche ist und den Bischöfen als den Nachfolgern der Apostel mit dem Papst als ihrem Haupt die Leitung der Kirche anvertraut hat. Wir können da überhaupt nichts machen, wenn nicht der HErr selbst es tut.

(Natürlich ist die Taufe in den nicht-katholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften nicht nichts, denn Christus ist es, der tauft. Und natürlich resultieren aus der einen Taufe auch diverse Möglichkeiten ökumenischen Miteinanders – nicht, daß einer meint, ich hätte was gegen Ökumene. Aber wer nicht in Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri steht, ist nicht Teil der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche, wie auch die echten kirchlichen Gaben außerhalb der katholischen Kirche zur katholischen Einheit hindrängen.)

Mit diesem unkatholischen Verständnis von Kirche ist bereits der zweite Teil des argumentativen Tricks vorbereitet:

Heute ist die Kirchenspaltung politisch weder gewollt noch begründet. Reichen theologische Gründe, institutionelle Gewohnheiten, kirchliche und kulturelle Traditionen aus, um die Kirchenspaltung fortzusetzen?

Aber hallo! Welche anderen als theologischen Gründe konnten denn jemals die Kirchentrennung begründen? Wäre die reformatorische Erkenntnis eine der politischen Kompromißbereitschaft gewesen, dann hätte es doch vor lauter kompromißbereiter Irenik nie zur Kirchentrennung kommen können. Nein, die Kirchentrennung ist nicht etwas, was Politiker mit Kompromissen oder Aufrufen überwinden könnten, sondern sie besteht aus sich selbst heraus, wenn die irdische Ordnung der Kirche nicht der göttlichen Ordnung ihrer Einsetzung entspricht.

Und mit diesen beiden Stellen hat sich der Aufruf bereits von selbst erledigt. Er ist einfach argumentativ unaufrichtig, indem er die fundamental kirchentrennende Differenz in der Lehre von der Kirche einfach einebnet. So geht ein berechtigtes Anliegen leider in einer Vielzahl von Halb- und Unwahrheiten unter, nämlich daß es tatsächlich einer äußeren Einheit bedarf, die nicht bei versöhnter Verschiedenheit bei Fortbestehen der Kirchentrennung stehen bleiben darf.

Als gestern der Steuerbescheid kam, hatte ich vor Nervosität zittrige Finger – steht jetzt wieder eine fünfmonatige Widerspruchsphase an, in der dem Widerspruch kleckerweise, letztlich aber praktisch vollständig stattgegeben wird?

Ich wollte den Brief erst gar nicht aufmachen, um mir nicht den Tag zu verderben. Hab’s dann aber doch gemacht. Und was soll ich sagen? Sie haben meine Steuererklärung ohne jegliche Beanstandung 1:1 umgesetzt, obwohl es bei der Rückzahlung diesmal um das Vierfache dessen ging, was ich letztes Jahr schließlich rausgeschlagen hatte. Es handelte sich aber auch um eine andere Sachbearbeiterin… War meine Einschätzung letztes Jahr wohl nicht ganz falsch.

Den im engeren Sinne theologischen Teil meiner Doktorarbeit habe ich auf Anraten von verschiedenen Seiten immer weiter zusammengefaßt und gestrafft. Das war sicherlich sinnvoll, denn eine umfassende Behandlung der Frage nach dem Bösen und der Antwort des Glaubens auf sie hätte nicht nur den Rahmen gesprengt, sondern war auch gar nicht angestrebt. Dennoch sind einige Dinge auf der Strecke geblieben, um die es schade ist.

Eine der weggestrafften Stellen betrifft das Buch Hiob. Der Abschnitt ließ sich zwar gut wegkürzen, da er im wesentlichen nur eine einzige Quelle[1] paraphrasierte, und doch handelt es sich dabei meiner Meinung nach um einen in der Frage nach dem Bösen ganz wesentlichen Punkt, denn das Buch Hiob gilt als das Theodizeebuch des Alten Testaments.

Die gängige Deutung dieses Buches geht davon aus, die Antwort Gottes bestünde lediglich im Beharren auf Seiner Allmacht und darüber hinaus in Antwortverweigerung. Ich denke, Ursache dieser – wie ich meine – Fehlinterpretation ist die falsche oder zumindest eine ungenaue Fragestellung, mit der an das Buch herangegangen wird. Hiob geht es nicht um die abstrakte Frage, woher das Böse kommt und wie Gott gut sein kann, wenn es das Böse in der Welt gibt. Damit hätte Hiob überhaupt kein Problem, denn es ist die eigene Schuld, die das Leid verursacht, das als Strafe Gottes für böse Taten verstanden wird. Sondern es geht ihm um sein ganz konkretes Leiden, das ihm ungerecht scheint, da er sich sicher ist, keinerlei Schuld auf sich geladen zu haben. Im Sinne des Tun-Ergehen-Zusammenhangs und einer von einem allmächtigen Gott gut geordneten Welt dürfte er also kein Leid erfahren. Genau diese Vorstellung einer einseitig gut geordneten, perfekten Welt ist mit der Realitätserfahrung nicht wirklich kompatibel, und das will das Buch Hiob zeigen.

Othmar Keel nähert sich dieser Deutung von einer anderen Seite. Ihm erschien es nicht plausibel, daß die immerhin vier Kapitel umfassenden Gottesreden lediglich in einem dreistündigen Naturkundevortrag bestehen sollten. Zumal die Deutung, Gott, der einzige, der die Theodizee tatsächlich leisten könnte, spreche dem Menschen die Berechtigung ab, überhaupt die Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des Bösen zu stellen, fordere daher das blinde Vertrauen des Menschen ein, und Hiob resigniere schließlich und bekenne, nicht würdig zu sein, Gottes Gerechtigkeit in Frage zu stellen, nicht erklären kann, warum Hiob sich am Ende ausgerechnet mit der bloßen Forderung nach Vertrauen auf Gott zufrieden geben sollte, die er von Anfang an vehement zurückgewiesen hatte.

Das unschuldige Leiden Hiobs stellte prinzipielle Überzeugungen in Frage, nämlich daß Gott gut und die Welt geordnet ist, daß sie auf Sinn hin befragt werden kann. Er fragte, ob die Welt in der Hand eines Verbrechers ist, und es bliebe somit nach der gängigen Deutung die Möglichkeit bestehen, daß Gott ein Sadist ist, der Freude am Leid des Menschen hat.

Hiob kann sich daher nicht mit der Forderung Gottes zufrieden geben, sich Ihm einfach vertrauensvoll zu unterwerfen, Er wisse schon, was das beste für Hiob sei. Denn das bedeutete letztlich, daß der Peiniger das Opfer dadurch ruhig stellte, daß Er ihm den Masochismus empfiehlt.

Tatsächlich sei das auch nicht der Fall, meint Keel. Vielmehr habe Hiob durch die explizite Selbstverfluchung in Kapitel 31, mit der er ausführlich seine Unschuld bezeugte, Gott gezwungen, ihn zu töten, wäre er schuldig und der geleistete Eid ein Meineid gewesen. Da Gott aber erscheint, ohne Hiob zu töten, erkenne Er Hiobs Unschuld bereits an.

Doch Gott bestreite, als „Prozeßgegner“ Hiobs im Umkehrschluß nun selbst als schuldig gelten zu müssen – mit derselben Vehemenz, mit der Hiob seine Unschuld beteuerte. Er bestreite Hiob zwar zunächst tatsächlich die Berechtigung, die Welt und ihren Schöpfer zu verurteilen – aber nicht, weil Hiob als Geschöpf nicht würdig sei, das zu tun, sondern weil es ihm an Einsicht und Möglichkeit fehle, es besser zu machen. Er, Gott, hingegen sei derjenige, der die Welt gründet, dem Chaos (Meer) Grenzen setzt, dem Bösen den Raum (die Dunkelheit) nimmt, die Wüste (den Ort des Bösen) in fruchtbares Land verwandelt, die vorbildliche Ordnung des Himmels garantiert und es so regnen läßt, daß das Kulturland nicht wieder zu Wüste wird.

Gottes erstes Argument (Hiob 38,1–38) bestehe also darin, daß der Mensch gar nicht zu dem in der Lage sei, was Er tagtäglich immer wieder neu und ohne Ende tue, nämlich die Chaosmächte in der Schöpfung zu bekämpfen und ihnen Grenzen zu setzen. (Oder einfacher gesagt: Mach’s doch besser!)

Sein zweites Argument (Hiob 38,3939,30) bestehe hingegen darin, daß Er es sei, der den wilden Tieren ihre Nahrung verschafft und ihnen Unabhägigkeit gegeben hat. Selbst wenn in der Welt Chaotisches existiere, es sei nicht das Chaos selbst, sondern von Gott geordnet.

Es gebe also Weltbereiche, die der Mensch nicht kontrollieren kann, Gott aber sehr wohl. Hiob hatte ein chaotisches Bild von der Welt gezeichnet, seine Freunde eine klare Ordnung, eine heile Welt dagegengesetzt – Gott korrigiert beide Vorstellungen:

Es fehlt in der Welt nicht an chaotischen Mächten, von eindrücklicher Wildheit und gewaltiger zerstörerischer Kraft. Aber die Welt ist doch nicht ohne Plan, ohne Ordnung. Jahwe hält das Chaos im Zaum, ohne es in langweilige, starre Ordnung zu verwandeln.

Die ersten beiden Argumente Gottes lauten also, Er sei der ständige Schöpfer, der creator continuus, der der Schöpfung ihre Ordnung gibt. Gott verweist tatsächlich auf den unendlichen Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf, die Rechtfertigung besteht jedoch nicht in der Allmacht, der sich das Geschöpf unterwerfen müsse, sondern in der Schöpfungsmacht, die eine erkennbare Ordnung der Welt überhaupt erst hervorbringt. Diese Ordnung richtet sich jedoch nicht am Menschen aus, sondern berücksichtigt die ganze Schöpfung und gibt allen Geschöpfen ihren Platz in ihr – eine Fähigkeit, die der Mensch nicht hat und für die ihm die Einsicht in den Schöpfungsplan fehlt.

In Hiob 40,141,26 führe Gott ein völlig neues Argument ein. In Seiner vorangegangenen ersten Rede habe Er Sich gegen den Vorwurf verteidigt, die Welt sei chaotisch, das heißt, entweder könne oder wolle Gott keine Ordnung schaffen. Nun wehre Er Sich gegen die Anklage, Er sei ein Sadist, wolle das Böse gar. Zu diesem Zweck zeichne Er von sich das Bild des Jägers von Behemot und Leviatan, wiederum eine Tätigkeit, die der Mensch nicht zu leisten vermöge. Dabei gehe es nicht um die Jagd auf reale Tiere wie Nilpferd und Krokodil, wie die Namen verstanden werden könnten. Diese Tiere wurden auch von Menschen gejagt. Vielmehr wende Gott hier mythologische Bilder auf Sich an; so war das Nilpferd etwa in der ägyptischen Mythologie eine Gestalt Seths, und es kam Horus zu, es zu bändigen. Behemot und Leviatan werden also als Repräsentanten des Bösen angeführt. Gott erkläre somit, nicht der Urheber des Bösen und kein Sadist zu sein. Vielmehr leiste Er sogar, was der Mensch nicht kann: unablässig das Böse zu bekämpfen.

Das heißt, das Böse geht nicht aus Gott hervor. Doch es wird auch kein alternativer Ursprung angegeben. Es geht dem Buch Hiob offenbar nicht um die Frage des metaphysischen Ursprungs, der völlig offen gelassen wird. Sondern Gott stellt sich als Herr über das Böse, als Richter dar, der das Böse bekämpft.

Die Antwort des Buchs Hiob auf die Frage nach der Erfahrung des Bösen ist also:

  • Der Mensch kann weder die chaotischen Anteile der Welt noch das menschlich verursachte Böse völlig beherrschen; er kann von sich aus weder Kulturland noch Gerechtigkeit schaffen.
  • Gott aber kann beides und tut beides und zwar ständig und immer wieder neu. Was dem Menschen böse und chaotisch erscheint, ist doch von Gott geordnet. Er ist der gute Schöpfer.
  • Gott ist nicht so, wie der Mensch Ihn sich vorstellt und wünscht, und möglicherweise sind Seine Kriterien für gut und böse nicht dieselben wie die des Menschen. Es ist Seine Schöpfung.
  • Gott ist nicht der Urheber des Bösen, aber es läßt sich entgegen der Position der Freunde Hiobs auch nicht allein auf den Menschen zurückführen. Vielmehr birgt das Böse eine komplexe Problematik in sich, weil es einen relativen Eigenstand in dieser Welt hat. Auch wenn sein Ursprung im Dunkeln bleibt, gehört es zu den Konstanten der Welt, wie wir sie erfahren.

Man kann ja jetzt von Othmar Keel halten, was man will, und auch die Frage stellen, wie „up to date“ eine kleine Forschungsarbeit aus dem Jahr 1978 heute noch ist; besonders ausführlich rezipiert worden scheint sie mir nicht zu sein. Mir ist allerdings im Nachhinein bewußt geworden, wieviel von der Antwort des Glaubens auf die Erfahrung von Bösem – die beim Schöpfer anfängt und beim Vollender und Richter endet – in dieser Deutung bereits drinsteckt. Und auch ganz persönlich ergibt für mich erst so das Buch Hiob überhaupt einen Sinn.

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[1] Othmar Keel: Jahwes Entgegnung an Ijob. Eine Deutung von Ijob 38–41 vor dem Hintergrund
der zeitgenössischen Bildkunst; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1978; das Zitat steht auf Seite 125. (nach oben)

Eine absolute Perle zum Thema Metal und Christentum (HT: fb-damm/Nicki):

Was können wir daraus lernen? Erstmal, daß die ganze Sache dermaßen Klischee ist, daß es schon weh tut. Klischeegemäß ist der Christ total verklemmt, versteckt sich hinter Kreuz und Marienstatue, und er verbirgt seine Unsicherheit hinter äußerer Strenge. Also: Alle Christen sind zu doof und zu schwach, um mit dem Leben klar zu kommen, und brauchen die Krücke „Glauben“, um ihre Existenzangst zu zähmen. Soweit, so cliché.

Interssant wird es dort, wo das Klischee durchbrochen wird. Dem schwachen, verklemmten und verängstigten Christen korrespondiert eigentlich das „Fuck You“-Klischee des starken, unabhängigen und selbstbewußten Metallers. Und genau dieses Klischee wird ja im musikalischen Teil des Videos voll ausgebreitet, und ihm entspricht auch in etwa der Text. Soweit ich ihn verstanden habe, besteht er im wesentlichen aus: Gott existiert nicht, Jesus war bloß Mensch, ihr Chrsiten werdet alle sterben und fertig. Soweit, so immer noch cliché.

Aber, einen Schritt zurück auf Anfang: Warum geht der Kerl überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch in einer Firma, die ihre Christlichkeit offenbar als Teil ihrer Identität versteht? Selbst wenn er nicht gewußt haben sollte, daß die Firma christlich ist (womit offenbar ein Identitätsproblem der Firma zum Ausdruck gebracht würde, aber das wäre jetzt wohl eine Überinterpretation des Videos) – wieso geht er in Schlips und Anzug zu diesem Vorstellungsgespräch und versteckt anfangs so krampfhaft seine antichristlichen Metal-Accessoires? Ist er womöglich gar nicht so das Fuck You-Arschloch, das gelegen oder ungelegen seine Meinung kundtut? Ist ihm eine ihn bestimmt nicht erfüllende Stellung in einer weltanschaulich christlich ausgerichteten Firma, also schnöder Mammon wichtiger als seine Überzeugung?

Ja, genau dieser Spagat ist es, der ihm während des Gesprächs immer deutlicher wird: Er spielt da etwas vor, was er nicht ist, und fühlt sich zunehmend unwohler. Mit anderen Worten: Der Klischee-Christ und der Metaller sind ein und dasselbe — Heuchler. Mit einem einzigen Unterschied: Der Metaller kriegt darob die Krise und brüllt seine angestauten Aggressionen raus. Blasphemie als Katharsis, ist m.W. der Psychologie nicht ganz unbekannt.

Tja, und die Reaktion des Christen darauf? Klischeegemäß müßte er verschüchtert und verängstigt reagieren, auch möglich wäre, als metal-systemkonformer Bruch mit dem Klischee, seine „Bekehrung“ zum Metal. Während der Musik entspricht seine Reaktion auch voll dem Klischee, nach ihrem Ende aber wirkt er eher irritiert und verwundert, vielleicht sogar ein bißchen traurig: „Warum tut man sowas?!“ Was hier vielleicht noch schlechte schauspielerische Leistung sein könnte, entpuppt sich in den letzten Sekunden aber als (erneut) bewußter Bruch mit dem Klischee: Während er da auf seinem Bürosessel dreht, wirkt er überhaupt nicht mehr verschüchtert und verängstigt, sondern zunehmend aggressiv; freilich ohne das Kreuz hinter sich zu werfen (oder auch nur auf den Kopf zu stellen) und so Glaubensabfall und „Bekehrung“ zum Metal auszudrücken.

Entweder, hier wird so stark mit den erwartbaren Klischees gebrochen, daß die Reaktion als „die bösen Fundamentalisten reagieren aber auch auf jeden Spaß mit Rache und Scheiterhaufen“ zu interpretieren wäre. Auch dieses Klischee ist dem Metaldiskurs nicht unbekannt – aber in seiner Bildersprache ist es völlig unüblich, zumal auch fraglich ist, ob diese Auffassung überhaupt Klischee oder nicht vielmehr wirklich geglaubtes Vorurteil ist. So oder so wäre es aber ein solch unsubtiler Bruch mit den sonst das Video bestimmenden Metalklischees (das Ende wäre plötzlich ernst zu nehmen, während alles andere nur alberner Unfug war), daß eine andere Deutung näher liegt; denn eine aggressive Reaktion auf eine Herausforderung ist nun alles andere als dem Metal unbekannt.

In der metallischen Vorstellung ist eine aggressive Reaktion sogar das, was man mit solch einer Vorstellung provozieren will. Der Christ würde also plötzlich so reagieren, wie es ein Metaller im durchaus positiven Sinne erwarten würde (wobei natürlich eine solche Reaktion im nächsten Schritt gegen das Christentum verwendet würde: die ganze Feindesliebe ist also auch bloß Heuchelei; denn die Provokation ist so gebaut, daß jede Reaktion darauf als ihre Bestätigung aufgefaßt werden kann). Man könnte die letzten Sekunden also in folgenden Sinne interpretieren: „Herr, Dein Haß trifft alle, die Böses tun. Aus ihrem Mund kommt kein wahres Wort, ihr Inneres ist voll Verderben. Ihre Kehle ist ein offenes Grab, aalglatt ist ihre Zunge. Gott, laß sie dafür büßen; sie sollen fallen durch ihre eigenen Ränke. Verstoße sie wegen ihrer vielen Verbrechen; denn sie empören sich gegen Dich.“

Somit besteht die eigentliche Dynamik dieses Videos jenseits der, zugegebenermaßen bei der Wirkung auf den Betrachter zunächst übermächtigen, Klischees darin, daß hier zwei Heuchler auf einandertreffen und an einander erkennen, daß sie etwas vorspielen, was sie nicht sind, und das ist beim Metaller sogar deutlicher als beim Christen. Die eigentliche Aussage ist also weniger in der verbal ausgedrückten Blasphemie zu sehen, als vielmehr in der Feststellung: Sind wir nicht alle Heuchler? (Christlich gewendet: Sind wir nicht alle Sünder?) Und in der Aufforderung, mit der Logik der Heuchelei (christlich: Sünde) zu brechen. Und zwar die Heuchelei (das Sündigen) auf allen Seiten (wobei natürlich zwischen der metallischen Vorstellung von Heuchelei und der christlichen der Sünde dann doch noch der eine oder andere Graben liegt). Was übrigens auch dadurch unterstützt wird, daß die anderen Bandmitglieder offenbar genau die metal-systemkonform-klischee-brüchige Entwicklung durchgemacht haben, sind sie zu Beginn des Videos als mehr oder weniger 08/15-Typen bei der Arbeit zu sehen.

Ob es jetzt eine wahrhaft christliche Reaktion ist, auf diese Blasphemie mit Rachegedanken zu reagieren, sei einmal dahingestellt. Diese Reaktion ist jedenfalls die natürliche angesichts des ausgedrückten Bösen, und nur der, der das Böse als nicht tolerierbares Böses erkennt, kann tatsächlich darauf christlich tolerant reagieren – und die Antwort Gott überlassen.

Mit dem Metal und der Kirche ist es wie mit dem Hasen und dem Igel. Der Hase, hier der Metal, kann noch so schnell sein, der Igel, hier die Kirche, war immer schon da.

Sommer ist Festivalzeit und ein Festival dauert drei Tage, mit Vor- und Nachglühn ’ne Woche? Klaro, zum Beispiel Libori in Paderborn. Das hier ist der Anfang des Triduums, und da wir ja feiern wollen, beginnen wir Katholiken den Tag schon am Vorabend mit der Vesper:

Wie man sieht, bietet die Kirche also auch massiven Heavy Metal (ab 23:57, aber ehrlich, Leute, dat is wie mit’m Festival: War man nicht da, hat man die Musik nicht gespürt und gefühlt, dann vermittelt auch das Video nur einen müden Abklatsch!) sowie mystische Texte in fremdländischen Sprachen, mitunter unverständlich, aber emotional intoniert. Und dachte ich schon während der lateinischen Vesper, wow, so ein voller Dom, der mitsingt, das hat schon was, wurde mir beim (deutschsprachigen) Abschlußlied schlagartig klar, daß all die Damen und Herren ohne Liedheft nicht etwa die Vesper auswendig sangen, sondern ihre Stimme für das Schlußlied schonten. Da flogen mir fast die Ohren weg.

Und wer jetzt meint, da fehlen doch aber noch umgedrehte Pentagramme, coole Kopfbedeckungen und martialisches Posing, der hat einfach nur nicht richtig aufgepaßt. Wie gesagt, der Igel war immer schon da.

Und da das katholische Feiern nicht an der Kirchentür aufhört, sondern da erst so richtig anfängt, möchte ich auch das traditionelle[1] LiboriBloggertreffen nicht unerwähnt lassen, das unmittelbar nach Ende der Erföffnungsvesper am Paradiesportal, diesmal komplett ohne Treffpunktschwierigkeiten, begann. Zu dessen Ehre hatte Paderborn weder Kosten noch Mühen gescheut und unzählige Genuß- und Nahrungsmittelstände, Fahrgeschäfte und sonstige fliegende Kränmer aufgeboten. Es hat sich aber auch mal wieder gelohnt, denn gegenüber dem Vorjahr hatte sich die Teilnehmerzahl um 150% gesteigert, wobei die Dominanz der Suffraganblogger weiterhin erfreulich hoch war! (Sprich: Wir waren jetzt 5 statt 2 Blogger, davon drei mit Erfurthintergrund.)

Nur die Größe der Biergläser ist da ein kleiner Wermutstropfen, denn die Näpfe waren dermaßen klein, daß ihr Inhalt schneller verdunstete als Nachschub herangeführt werden konnte. Tja, vom Osten lernen, heißt hier siegen lernen: Wenn man mehr auf einmal ausschenkt, reduzieren sich die Schlangen auch mal vorübergehend. 0,2 l, da kriegen bei uns die Kinder ihren Saft drin!

Bleibt nur eine Frage: Wer hat wohl gemerkt, daß da die Kirche von Paderborn in Gemeinschaft mit mindestens 16 Bischöfen aus aller Welt über eine Stunde lang das Konzil abgelehnt hat?!

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[1] Bekanntlich ist alles, was zweimal stattgefunden hat, bereits eine Tradition: Das war schon immer so, das war noch nie anders. Da könnt‘ ja jeder kommen!

Das Eschaton ist erreicht! Meine Diss liegt jetzt sowohl als Printausgabe als auch als E-Book in den Formaten pdf, azw, epub, mobi und prc vor. Wer meinen Blog verfolgt, dürfte vom Inhalt schon eine ganz grobe Vorstellung haben (wer schon Interesse angemeldet hatte, sollte das Buch bereits im Briefkasten gefunden haben, wenn nicht, bitte melden).

Gott haßt die Jünger der Lüge. Ein Versuch über Metal und Christentum: Metal als gesellschaftliches Zeitphänomen mit ethischen und religiösen Implikationen

Die Druckversion gibt es für sagenhaft günstige 16,80 €, zum Beispiel hier (ich habe beim Druck keinen Cent dazu finanziert, trotzdem ist das Buch günstiger als vergleichbare wissenschaftliche Werke; wie das geht, dazu will ich demnächst auch noch was schreiben). So richtig „value for money“ gibt es beim E-Book, das identisch zur Druckfassung ist, aber gerade einmal mit 2,99 € zu Buche (ha, Wortspiel!) schlägt. Zumindest, wenn man es hier kauft. Weil die Buchpreisbindung für E-Books nicht sonderlich effektiv ist, kann der Preis in den jeweiligen E-Book-Stores nach oben oder (eher unwahrscheinlich) nach unten abweichen.

Wer statt der eher zufällig ausgewählten und meist paraphrasierten Beiträge auf meinem Blog (Ausnahme hier, das ist ein wörtlicher Auszug) einen systematischen Zugang sucht, kann hier einen Blick ins Inhaltsverzeichnis werfen und hier gut 30 Seiten Leseprobe runterladen. Für die Leseprobe habe ich die wahrscheinlich kontroverseste Stelle der Arbeit, nämlich die Auseinandersetzung mit Slayers „Angel of Death“, die Auseinandersetzung mit dem wohl prominentesten Kritiker des Metals, einem gewissen Joseph Kardinal Ratzinger (keine Ahnung, ob ihr von dem schonmal was gehört habt), sowie die wesentlichen theologischen Destillate der Arbeit ausgewählt.

Wer darüber hinaus noch einen Blick in das Buch werfen will, kann das beim namensgleichen Dienst von Amazon tun (Link). (Bei Google-Books soll es demnächst auch verfügbar sein, bisher ist jedoch nur die Titelmeldung eingearbeitet.) Schließlich kann das Buch komplett am Bildschirm eingesehen werden, wenn man entsprechend viel Privatsphäre dafür opfert und sich bei PaperC anmeldet oder gleich seinen Facebook-Account nimmt (hier – aber kommt bloß nicht auf die Idee, das Buch da digital zu kaufen; für die dort verlangten 16,80 € gibt’s bereits die Printversion, das E-Book bekommt man, wie gesagt, für 2,99 €).

Wer sich vorstellen kann, das Buch nicht nur zu lesen, sondern auch zu rezensieren, kann hier eine Rezensionsexemplar bestellen. Aber auch, wer für eine richtige[tm] Rezension nicht genug Zeit hat, aber sich vorstellen kann, das Buch anderweitig zu verwursten, z.B. weil er oder sie rein zufällig in der Medienbranche schafft, oder gerne im Tausch den Stapel der eigenen Publikationen spannnender Themen reduzieren möchte, braucht nicht zu verzagen. Der kann sich einfach mal bei mir melden, und dann schneidern wir eine paßgenaue Lösung.

So, und jetzt genug des Spams, ran an’n Sarch ans Buch und mitjewehnt mitgelesen.

So, ich bin spät dran, was vor allem am späten Ferienbeginn in Thüringen liegt, durch den lange nicht klar war, ob ich überhaupt zu Libori in Paderborn sein kann. Kann ich aber. Daher würde ich die letztjährigeTradition“ aufgreifen und wieder zum Bloggertreffen nach der Vesper zur Eröffnung einladen (28. Juli). Als Treffpunkt würde ich wieder das Paradiesportal vorschlagen. Obwohl wir letztes Jahr einen anderen Treffpunkt ausgemacht hatten, haben sich alle, die sich schließlich gefunden haben, bereits am Portal getroffen, also sollten die Massen dort nicht so das Problem ausmachen. Wer ist dabei?

Gian Lorenzo Bernini: Christi Blut, im Palazzo Chigi in Ariccia  (nach Angaben von heiligenlexikon.de gemeinfrei)

Gian Lorenzo Bernini: Christi Blut, im Palazzo Chigi in Ariccia (gemeinfrei)

Dieses Bild, auf das ich Dank Johannes gestoßen bin, erinnerte mich daran, daß ich da noch was in der geistigen Pipeline hatte. Um meinen Status als Bekloppter in Christentum und Metal zu verteidigen.

Das Lied ist zunächst einmal musikalisch grandios. Die Riffs nachzuspielen (soweit sie nicht völlig ins Chaotische abgleiten) ist eine wahre Freude, weil sie als (mehr oder weniger) chromatische ebenso leicht zu spielen wie von der Wirkung her überwältigend sind (meine Frau kann bestimmt ein Lied davon singen – haha, Wortspiel!). Alleine die halbe Minute nach dem Breakdown ab ca. 2:10 ist der Hammer (ultimativer Moshpart, in der Studioversion noch krasser – Gänsehaut [auf Youtube aber in grottiger Tonqualität, also kauft Euch das Album :-)])!

Aber auch textlich hat das Lied es durchaus in sich. Ok, meine Interpretation entspricht vielleicht nicht ganz der Intention des Autors. Aber das ist bei (guten) Metal-Texten eigentlich immer so, daß die Interpretation mehr über den Ausleger als das Ausgelegte aussagt. Die abschließende Interpretation gibt es nicht.

Trapped in purgatory
A lifeless object alive
Awaiting reprisal
Death will be their acquisition
Gefangen im Fegefeuer
Ein lebloses Objekt lebt
Erwartet Vergeltung
Tod wird ihr Gewinn sein
The sky is turning red
Return to power draws near
Fall into me, the sky’s crimson tears
Abolish the rules made of stone
Der Himmel wird rot
Die Rückkehr zur Macht ist nahe
Fallt in mich, des Himmels purpurne Tränen
Verwerft die steinernen Regeln
Pierced from below, souls of my treacherous past
Betrayed by many, now ornaments dripping above
Durchbohrt von unten, Seelen meiner verräterischen Vergangenheit
Betrogen von vielen, nun trieft oben Schmuck
 
Awaiting the hour of reprisal
Your time slips away
Erwartend die Stunde der Vergeltung
Deine Zeit entschlüpft Dir
Raining blood
From a lacerated sky
Bleeding its horror
Creating my structure
Now I shall reign in blood
Es regnet Blut
Von einem zerrissenen Himmel
Blutet seine Greuel aus
Erschafft meinen Körperbau
Nun werde ich herrschen in Blut

Der Text fängt ja, wenn man die Intention des Texters voraussetzt, schon mit einem schweren Fehler an. Wenn es um jemanden ginge, der aus dem Himmel verstoßen wurde, ist er nicht im Fegefeuer, sondern in der Hölle zu suchen. Und im Fegefeuer ist man nicht gefangen, es hat einen Ausgang, und nur einen Ausgang, nämlich in Richtung Himmel. Nur in einer Konstellation kann man überhaupt (wenngleich anachronistisch) von „gefangen im Fegefeuer“ reden: die Gerechten des Alten Bundes bevor sie von Christus auf Seiner Höllenfahrt befreit wurden.

Damit ist schonmal die zeitliche Einordnung klar: Vor Jesu Auferstehung. Und von dort ausgehend beginnt der Rest einen gänzlich anderen Sinn zu bekommen. Ich würde, bekloppt wie ich bin, in diesem Song eine Beschreibung der Höllenfahrt Jesu sehen wollen. Entsprechend weist der Eingangsriff nach unten. Zwar beginnt es mit einem hinaufweisenden Dreiklang, aber die eigentliche Dynamik des Riffs ergibt sich aus dem Folgenden, wodurch der Anfangsdreiklang als Auftakt erkennbar wird. Das eigentliche Riff geht in Quartparallelen chromatisch abwärts: b-f-a-e-as-es-g (oder so ähnlich, die scheinen das öfter mal in Verschiedenen Tonarten resp. Gitarrenstimmungen zu spielen). Das folgende Thrash-Geballere bleibt zunächst statisch, nur in jedem vierten Takt mit einem kleinen Hinweis auf den folgenden Aufstieg, geht dann aber in Chaos über. Aufbegehren der niederhöllischen Herrscher, die bemerken, daß sie sich haben in die Falle locken lassen? Zum Gesang aber wieder ein Riff, der eher nach oben weist.

Jesus ist tot, aber dennoch lebendig. Er vergilt den Mächten des Bösen, was sie Ihm angetan haben, indem Er ihnen die Toten entreißt. In Christi Tod erfolgt ihre Erwerbung, werden sie für den Himmel gewonnen. Durch das Kreuz können die Menschen in Christus das Leben erwerben, gewinnen „acquirieren“. Und zwar gerade durch Christi Tod, der das steinerne Gesetz überwindet, das nach Paulus nur die Macht der Sünde offenbaren, aber nicht von ihr befreien kann und infolgedessen zum Tod führt. Der Himmel wird rot von Seinem Blut, durch das Er die Herrschaft über die Welt zurückgewinnt. Und insofern heißt „fallt in mich, des Himmels purpurne Tränen“ nichts anderes als „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“.

Bei ca. 1:30 folgt der nächste Riffwechsel. In das straighte Thrash-Geballere schleichen sich jetzt Melodie und gewisse Filigranität (also so vergleichsweise) ein. So weist der Riff auch mehr Klarheit und Struktur auf. Interessanterweise ist der Riff zweigeteilt. Zu Beginn weist er nach oben, indem der zweite Takt den ersten zwar imitiert, dann aber auf höherem Tonniveau endet. Der sich gleich anschließende zweite Teil bleibt zunächst etwas tiefer, aber statisch, rutscht dann aber bis nach unten zum Ausgangspunkt ab. Für mich ein Hinweis auf eine Erhöhung, die nach unten weist, und damit Szenenwechsel nach Golgotha: Er wird durchbohrt von unten. Wegen unserer Verbrechen. Wir, die Seelen Seiner verräterischen Vergangenheit. Von vielen verraten – wen kümmerte Sein Geschick? -trug Er die Sünden von vielen. Er wird geschmückt mit Seinem Anteil an der Beute, die von Seinem Blute trieft. Es sind die Befreiten, die Christen, die Kirche.

Erneuter Wechsel bei ca. 1:50. Der Anfangsriff wird wieder aufgegriffen, zurück in die Jetztzeit, Höllenfahrt: Die erwartete Vergeltung ist jetzt. Das Kreuz ist Gericht über die Welt, deren Zeit abläuft. Die Zeit tickt im gut halbminütigen Breakdown, verbunden mit dem himmlischsten Riff der Metalgeschichte, der übrigens eine ganz spannende Variation des Eingangsriffs ist. Es geht nicht einfach chromatisch abwärts, sondern immer wieder vom Grundton aufwärts, wenn auch immer eine kleine Sekunde weniger weit hoch; der Riff entwickelt sich also so deutlich wie im ganzen Lied noch nicht nach oben, obwohl er vom Grundprinzip immer noch nach unten zeigt. Warten auf die Auferstehung.

Jetzt ist die Zeit abgelaufen. Der Heiland reißt den Himmel auf, damit Sein Blut auf die Welt regnet und Seinen Leib erschafft, der die Kirche ist. Es ist Gericht, der Himmel blutet seine Greuel aus, verliert seinen Schrecken, der in seiner Unerreichbarkeit bestand, die durch das genugtuende Opfer überwunden wird. Normals Thrash-Geballere während des Gesangs. Das dann aber in erhebendes (und wohlgemerkt sturkturiertes!) Chaos übergeht, das sich immer weiter nach oben entwickelt und in einer metaluntypischen Rückkopplungsorgie noch metaluntypischer ohne klaren Schlußpunkt ausklingt. Musikalischer Ausdruck von Ewigkeit. Die Welt ist gerichtet. Er herrscht jetzt in Ewigkeit über die Welt in Seinem Blut.

Ich bin ein komischer Typ, ich weiß.

Das Schlimmste am Bösen ist seine völlige Sinnlosigkeit.

Der Geiselnehmer, Mörder und Selbstmörder von Karlsruhe wollte die Zwangsräumung der Wohnung seiner Lebensgefährtin verhindern. Ein grundsätzlich erst mal nachvollziehbares Motiv, das seinen Sinn aber gerade daraus bezieht, daß die Lebensgefährtin weiter in der Wohnung leben kann. Jetzt ist sie tot. Weil ihr Lebensgefährte ihr die Wohnung erhalten wollte. Weil er sie getötet hat. Und den neuen Wohnungseigentümer. Und den Gerichtsvollzieher und einen Schlüsseldienstmitarbeiter. Und sich selbst. Vom Leid der Hinterbliebenen, den Frauen, den Kindern, eines noch ungeboren, ganz zu schweigen.

Die Geiselnahme war von Anfang an ein untaugliches Mittel, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Das hätte der Geiselnehmer nicht nur wissen können, er hätte es wissen müssen. Doch wenn es ihm bewußt war, was bleibt dann als Motiv? Rache? An wem? Wofür? Jedenfalls muß ihm klar gewesen sein, daß er damit nicht durchkommt, nie durchkommen konnte. Daß es keinen Ausweg aus der Situation gibt. Außer die Schuld einzugestehen und sich dem Gericht auszuliefern. Oder sich dem irdischen Gericht zu entziehen. Und so alles noch schlimmer zu machen.

Fünf Tote. Wegen einer Wohnung. Und (vermutlich) einer insgesamt wenig befriedigenden Lebenssituation. Ein verzweifeltes Leben reißt vier andere mit in den Tod. Völlig sinnlos. Nichts erreicht. Außer Fassungslosigkeit. Und „15 minutes of fame“. Der Täter hat keinerlei Vorteil durch seine Tat. Im Gegenteil. Und er hätte es wissen müssen. Trotzdem hat er es getan.

Das Böse hat eine irritierende, rational nicht erklärbare Macht in der Welt. Eine Macht, die verführt, die täuscht, auch über sich selbst, der leicht zu widerstehen wäre, wenn man sie als das erkennte, was sie ist. Aber die Verführung, die Täuschung besteht darin, das böse Tun als etwas Gutes oder als zu etwas Gutem (und sei es nur der eigene Vorteil) Führenden erscheinen zu lassen. Obwohl das rational betrachtet überhaupt nicht nachvollziehbar ist.

Eine Macht, die als eigenständig handelnd, als planvoll vorgehend erscheint. Die mehr ist als die Macht der Sünde, als ein sich selbst verstärkender Mechanismus, der das (eigentliche) Gut nicht mehr erkennen läßt und alles dem Eigennutz unterordnet. Die in (scheinbarer) Freiheit den zerstört, der ihr in (scheinbarer?) Freiheit erliegt.

Der christliche Glaube versteht diese Machtt als personal und nennt sie den Verführer, den Verwirrer, den Durcheinanderwerfer, den Mörder von Anfang an, der eben gerade in seiner Freiheit seine Freiheit zugrundegerichtet hat. Der Glaube reißt dem Bösen die Masken herunter und nennt ihn das, was er ist.

Und zeigt den Ausweg auf, selbst in der extremsten Situation: Annahme der Schuld, Buße, Umkehr. Und Vertrauen auf die Liebe, Allmacht und Barmherzigkeit Gottes, die aus dem Zerstörten etwas Neues, sogar Besseres entstehen lassen kann. Vor allem aber das Schlimmste verhindert. Wenn man Ihn läßt.

Das ist im Kern nicht einmal eine andere Antwort als die reine Vernunft zu erkennen in der Lage ist. Aber die Menschheitsgeschichte zeigt immer wieder, daß der Mensch nicht rein vernünftig ist, geschweigedenn handelt.

Betet für die Opfer, auch die Hinterbliebenen! Und wer es kann, auch für den Täter.