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All posts by Vincentius Lerinensis

Angesichts der ganzen Forderungen nach synodaler(en) Struktur(en), Mitbestimmung der Laien bei Pfarrer- und Bischofsernennungen usw. frage ich mich: Wenn das wirklich käme (was ich mit Sicherheit ausschließe), wann sollte ich die nötigen Sitzungen, Abstimmungen und Meinungsbildungsprozesse unterbrigen? Mit Beruf und Familie bin ich schon ganz gut ausgelastet, daneben bin ich ja nicht nur in der Kirche ehrenamtlich aktiv. Manchmal fehlt mir schon die Zeit für die Blogoezese, und dafür brauche ich ja nur Internetanschluß, bin also zur Teilnahme nicht auf körperliche Anwesenheit zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort festgelegt.

Bei den Gemeindeabenden zur Zusammenlegung der hiesigen Innenstadtpfarreien zu einer einzigen wunderten sich jedesmal die Anwesenden über ihr Durchschnittsalter. Wo denn die ganzen jungen Leute seien? Die müßten doch das größte Interesse haben?

Nunja, warum war meine Frau wohl ohne mich dort? Und warum ich ohne sie beim „Ehrenamtlichenempfang“? — Tja, insbesondere Abendtermine bergen für Familien doch die eine oder andere Schwierigkeit. Entweder kann nur einer von uns oder wir brauchen einen Babysitter. Nun sind aber unsere üblichen Babysitter allesamt katholisch, ob es die Paten unserer Kinder oder „Leihomas und -opas“ sind. Ganz davon abgesehen, daß Mutterglück bekanntlich das ist, was eine Mutter empfindet, wenn alle Kinder schlafen (mir als Vater geht es da durchaus ähnlich :-), denn dann hat man endlich auch mal Zeit füreinander und für all die Dinge, die nur in Ruhe auszudiskutieren sind. Oder anders gesagt: Wir würden uns eine „Demokratisierung“ in der Kirche zeitlich kaum leisten können.

Schon beim Titel von Alipius‘ Posting Disciples! hatte ich aufgrund meiner frei flottierenden assoziativen Denkweise sofort Slayer vor Augen. An sich wäre das ja keine Nachricht wert, aber der Inhalt des Postings kam stellenweise meiner Interpretation des Songs so nahe (er ging natürlich weit darüber hinaus), daß ich mich hier zu einer Vorveröffentlichung gezwungen sehe (wobei ich den Einbetten-Code des Videos schon aus einem Posting vom letzten April recyclen kann — ihr seht, der Song beschäftigt mich mächtig :-).

Das Lyrische Ich dieses Lieds versteht sich ganz offensichtlich als sehr viel normaler als die Gesellschaft, aber gerade deswegen auch als Außenseiter, geradezu als Ausgestoßener („Nur ich in meiner Welt voller Feinde“). Es sieht sich in einer nicht anders als apokalyptisch zu nennenden Konfrontation mit der Welt: Es haßt alle Menschen gleichermaßen und kritisiert die angebliche Christlichkeit der Gesellschaft als Heuchelei, ja als die größte Heuchelei aller Zeiten. Die Gläubigen seien bloß Dronen, die behütete, vorgeplante Leben führten und meinten, mit Gott an ihrer Seite stünden sie am richtigen Platz – dabei breite sich ganz offensichtlich überall und die ganze Zeit über nichts anderes aus als die Hölle. Dagegen beansprucht das Lyrische Ich individuelle Wahrheitserkenntnis. Es wolle aufhetzen und den Geist befreien, indem es allen offenbart, was ihm selbst offen vor Augen stehe: Gott hasse die Menschheit.

Die Offensichtlichkeit dieses Gedankens ergibt sich für das Lyrische Ich aus dem katastrophalen Zustand von Welt und Gesellschaft: Terrorismus, Chaos, Hysterie, Kampf aller gegen alle (Stück und Albumtitel haben durch diese Bezüge eine ungeplante, aber geradezu prophetische Gegenwartsbezogenheit: Das Album „God Hates Us All“ erschien ausgerechnet am 11. September 2001), Drogenmißbrauch, Selbstmißbrauch, Suche nach dem jeweils nächsten Kick. Diese Beschreibung von Realität führt aber nicht zu Verzweiflung, sondern zu Aufbegehren: Das kann, das darf nicht so bleiben. Die Hoffnung auf eine neue, bessere Welt wird zwar nicht geäußert, der Untergang des Bestehenden aber als unumgänglich („eine sich selbst zerstörende menschliche Zeitbombe“) angesehen und erhofft („Ich warte auf den Tag, an dem die ganze Welt, verdammt nochmal, stirbt“).

Daher schwimmt das Lyrische Ich auch gegen den Strom, will nicht wie alle anderen ein Jünger Gottes sein. Es will nicht blind folgen, das Kreuz (er-)tragen und sein „Leben in einem Sprung blinden Glaubens vergeuden“. Das alles ergibt angesichts der Realitätserfahrung keinen Sinn, bietet keine Hoffnung. Die Existenz Gottes kann nur die eines Sadisten sein. Denn die Gläubigen leben so, daß sie sich und anderen nur schaden. Der Glaube erscheint als ein falsches Weltverhältnis, von dem das Lyrische Ich durch seinen Aufschrei befreien will. Dabei stellt es sich kompromißlos gegen das unhinterfragt als gut geltende Bestehende. Es fragt, ob sich die Gläubigen überhaupt vorstellen können, daß es anders sein könnte, daß es keinen Gott gibt. Diese Frage müßte doch für das Denken relevant sein. Auffällig ist, daß durch die (Nicht-)Existenz Gottes nicht das Handeln, sondern das Denken infragegestellt wird: Das Handeln wird bereits als heuchlerisch, also dem Denken nicht entsprechend, abgelehnt – darüber kann gar nicht mehr diskutiert werden, es verurteilt sich selbst. Doch es wird durch das Denken gerechtfertigt, denn man sieht sich ja als gute Jünger Gottes. Diese Rechtfertigung ist nichts anderes als eine heuchlerische Selbstrechtfertigung. Daher müßte die Nicht-Existenz Gottes zu einem anderen Denken führen, das gerade die Heuchelei und die Bosheit des eigenen Handelns erkennen ließe.

Dem entspricht die scheinbar widersprüchliche Identifikation des Lyrischen Ichs mit der Einstellung des hassenden Gottes am Ende des Textes. Wie Gott haßt es alle Menschen, verurteilt die Menschheit und verachtet die Welt. Obwohl es nicht dessen Jünger sein will und sich ausdrücklich als von Ihm gehaßt bezeichnet, verhält es sich den Menschen gegenüber so, wie Er es seiner Meinung nach tut. Diese Widersprüchlichkeit läßt sich auch nicht mit einem Perspektivwechsel erklären, obwohl er musikalisch durchaus gerechtfertigt wäre. Selbst wenn in den letzten Zeilen Gott selbst die Menschheit ablehnen und die Welt verachten würde, entspräche dies exakt der Philosophie, die das vorherige Lyrische Ich als die seine verkündete, nämlich alle Menschen gleichermaßen zu hassen.

Bedenkt man aber, daß dieser Liedtext von einem Sänger vorgetragen wird, der sich als gläubiger Christ bezeichnet und im Interview betont, Gott könne gar nicht hassen, erscheint er für den Nicht-Apokalyptiker fast schon als sinnlose Aneinanderreihung möglichst provokanter Phrasen. Andererseits interpretiert der Texter Kerry King die Textzeile: „Die Schönheit des Todes verehren wir alle“, nicht als Darstellung eines Wunsches oder etwas Erstrebenswertes, sondern als zynisch. Sie beziehe sich auf das (amerikanische) Fernsehen, das ständig betone, in was für einer tollen Gesellschaft man doch lebe, wie friedlich und harmonisch alles sei, auf der anderen Seite aber keinen Widerspruch darin sehe, ständig nur Morde, Amokläufe und andere Gewaltverbrechen in Bild und Ton zu zeigen. Die Selbstwidersprüchlichkeit des Liedtextes hat also (zynische) Methode. Hinter ihr steckt mehr als nur eine kindische Widersetzlichkeit oder spätpubertäre Provokationslust nicht erwachsen gewordener Subkulturanhänger. Die Provokation ist tatsächlich apokalyptisch motiviert. Sie hält der Gesellschaft bis in die künstlerische Gestaltung ihre Selbstwidersprüchlichkeit vor: Wenn ihr tatsächlich gläubige Christen seid, aber nur Tod und Verderben in die Welt bringt und darin keinen Widerspruch seht, muß Gott uns alle hassen, wenn Er uns das gerade durch den Glauben an Ihn antut, was wiederum dem verkündeten Inhalt des Glaubens, nämlich der Liebe Gottes, widerspricht. Eine auf einem solchen Selbstwiderspruch gründende Gesellschaft aber kann keinen Bestand haben.

In der heutigen FAZ gibt es in der Beilage Bilder und Zeiten einen interessanten Artikel von Mercedes Bunz (ja, sie heißt wohl wirklich so, auch wenn mir Google das nicht glauben wollte…) über die Folgen der „digitalen Revolution“ für das menschliche Denken (Artikel online nur für Geld). Diese Frage ist ja schon vor einem Jahr etwas ausführlicher diskutiert worden, wenngleich auf sehr unterschiedlichem Niveau.

Bei Frau Bunz habe ich allerdings einen Gedanken gefunden, den ich bisher so nicht gelesen hatte, nämlich zur Funktion des Experten. Den mache das Internet nämlich keineswegs überflüssig, aber es verändere seine Funktion. Bisher zeichnete sich ein Experte dadurch aus, daß er auf einem bestimmten Gebiet mehr wußte als andere. Mit dem Internet und vor allem seiner leichten Durchsuchbarkeit mittels Google und Konsorten ist das bloße Wissen aber kein Vorteil mehr. Das kann nämlich jeder ohne große Anstrengung erlangen, wenn er nur weiß, was er sucht. Es reicht aber nicht, die bloßen Fakten zu finden, man muß sie auch einordnen und bewerten können. Genau das sei in Zukunft die Legitimation des Experten, schreibt Frau Bunz, nämlich im Informationsüberfluß den strukturellen Überblick zu behalten. Er kann sich also nicht mehr durch bloßes Faktenwissen (bösartiger gesagt: durch Herrschaftswissen) legitimieren, sondern ist der ständigen Überprüfung ausgesetzt, was sowohl die behaupteten Fakten als auch die daraus abgeleitete Plausibilität seiner Strukturierung derselben angeht.

Dieser Gedanke birgt für mich eine unmittelbare Plausibilität (oder anders gesagt: mir fallen sofort genug Fakten ein, die ich bereits weiß, die in diese Strukturierung von Wirklichkeit nahtlos einzupassen sind und zugleich durch die Struktur in einer Weise widerspruchsfrei erklärt werden können, daß aus dieser Struktur ein tatsächlicher Wissenszugewinn hervorgeht, der mehr ist als das Zusammenführen an sich bereits bekannter Daten [was in dem Artikel als der nächste Schritt der Digitalisierung dargestellt wird: Suchmaschinen, die intelligent auf Anfragen reagieren und nicht einfach auf schon vorhandene Seiten verweisen, sondern aus als verläßlich bekannten Daten durch Kombination neues „Wissen“ {ich habe einen anderen Wissensbegriff als Frau Bunz} generieren, manchem vielleicht schon unter der Chiffre „Semantisches Web“ oder im Kontext von Überlegungen zum „Web 3.0“ über den Weg gelaufen] — aber ich schweife ab). Unmittelbarste Bestätigung dieser Veränderung ist das Erlebnis, wie ein Redner noch während seines Vortrags per Twitterwall „auseinandergenommen“ wurde und de facto der Lüge (natürlich hatte er die Wahrheit nur ein wenig „gedehnt“ und andere Fakten verschwiegen) überführt wurde.

Bei genauerer Betrachtung birgt diese soziologische Struktur(ierung) aber auch einen Erklärungsansatz für das, was sich in unserer Kirche in den letzten zehn, fünfzehn Jahren entwickelt hat, im allgemeinen und die Blogoezese im besonderen. Als Experten werden im Artikel Journalisten, Ärzte, Lehrer und Ingenieure aufgezählt, wenn man hier die Ärzte durch Priester und die Ingenieure durch Theolog(ieprofessor)en ersetzt, hat man gleich die Lieblingsthemen der blogoezesanen und postmodernen (mitunter meinetwegen auch „traditionalistisch“ angehauchten) „Kirchenkritiker“ erfaßt: Journalisten, die Fakten in einer Weise darstellen, die es ihnen im Gegensatz zu den Fakten selbst ermöglicht, etwas gegen den Papst und die nicht-angepaßten Bestandteile der Kirche zu schreiben; Priester, die ihren eigenen liturgischen Vogel als den Heiligen Geist der Liturgiereform ausgeben; ein Religionsunterricht, in dem man alles mögliche über die Weltreligionen, aber nicht viel Substantielles über Jesus Christus (ge)lernt (hat); und Theologieprofessoren, die vor lauter Detailwissen dermaßen in ihren persönlichen Elfenbeinturm abgedriftet sind, daß natürlich alle anderen daran Schuld sind, daß ihre Vorstellungen nicht wirklichkeitskompatibel sind.

Oder anders gesagt: Das Internet könnte tatsächlich die Quelle für das Erstarken, ich sage mal vorsichtig, des papsttreuen Katholizismus in unseren Landen sein. Weil es eben prinzipiell jedem ohne großen Aufwand möglich ist, die kirchenpolitisch relevanten Grundlagentexte im Wortlaut einzusehen und somit in der Meinungsbildung nicht mehr abhängig von den Experten zu sein, die mitunter die Darstellung der Fakten an ihre vorgefertigte Struktur anpassen. Die Experten haben auch in der Kirche ihre „Gatekeeperfunktion“ verloren, das bloße Wissen ist jedem zugänglich, und entscheidend ist nicht mehr, möglichst detailliert Fakten zu kennen und den Gesprächspartner durch solches Herrschaftswissen zu unterwerfen (ok, das ist jetzt zu böse formuliert, an sich will ich niemandem bewußte böse Absicht unterstellen, aber die braucht es gar nicht, bloßer Irrtum reicht vollkommen zur Erklärung aus), sondern eine dem Gegenüber plausible Deutung und Strukturierung dieses Einzelwissens anzubieten. Das aggressive Reagieren auf die „Verweigerung der Gefolgschaft“, wie sie sich insbesondere in der Blogoezese manifestiert, in Form des persönliche Angriff, der Schubladisierung und des als ewig gestrig Verächtlichmachens läßt sich folglich mit dem Statusverlust erklären, der einen Experten trifft, der nur Fakten, aber keine Strukturierung anzubieten hat, und dabei gar nicht versteht bzw. verstehen kann, warum er plötzlich mit Widerspruch konfrontiert wird, wo er doch der Experte ist, der die Fakten kennt.

Leider scheint in der Theologie wie auch in den kirchlichen Strukturen noch voll das alte Expertentum zu herrschen. Ich hatte einen Professor, der aus dem Stand bis in die Details hinein das Denken eines bestimmten Theologen in einer bestimmten Monographie reproduzieren konnte, aber nicht in der Lage war, seine Vorlesungen so zu strukturieren, daß sich bei seinen Studenten aus diesen vielen Einzelaspekten eine Gesamtkonzeption hätte entwickeln können. Genauso, wenn auch nicht ganz so extrem, ging’s mir übrigens mit dem „Handbuch der Dogmatik“. Da stand für micht ganz viel Blabla drin, mitunter durchaus interessante Details, aber mir fehlte die Struktur, in die ich diese Details hätte einpassen können. Ganz anders in Otts angeblich nachkonziliar einfach nicht mehr zu gebrauchendem „Grundriß der Dogmatik“. Hier gab es knallharte Fakten, mitunter sehr sehr knapp und gedrängt, dafür war das ganze Buch nichts anderes als Druckerschwärze gewordene Struktur; die wichtigsten Seiten dieses Buches sind die mit dem Inhaltsverzeichnis. Noch extremer übrigens in der Summa Theologiae von Thomas von Aquin, den ich genau dafür liebe, in einem einzigen Artikel soviel geballte Details abzuarbeiten, daß man über jeden Satz eine eigene Doktorarbeit schreiben könnte, aber zugleich immer die Gesamtkonzeption im Blick zu haben.

Daß mir zur Schreibweise des Thomas in seinen Summen gerade der Begriff des „Hypertextes“ — egal, wo man anfängt zu lesen, man kommt immer irgendwie zu allem, muß das Werk also nicht in der Linerarität lesen, in der es geschrieben wurde (obwohl es manchmal hülfe 😉 — einfiel, macht es für mich nur noch plausibler, die Grundlage des Wandels im Internet zu sehen.

Nachtrag: Noch mehr Hyptertext ist der Weltkatechismus — und gerade das ist, warum ich ihn dem deutschen Katechismus vorziehe. Beide habe ich noch nie von Deckel zu Deckel gelesen, im Weltkatechismus kann ich aber auf eine konkrete Frage schnell eine knappe Antwort finden, im deutschen würde ich mich dumm und dämlich suchen. Übrigens ist die Frage-Antwort-Form der früheren Katechismen auch eindeutig das Vorbild für die FAQs. 🙂

Bruder Paulus hat in einem Beitrag für die GKP einen Beitrag über die Frage, ob es zweierlei Katholischsein gibt, geschrieben. Den Grundimpuls dieses Beitrags halte ich für richtig und wichtig: Es muß darüber gesprochen werden, was „Katholischsein“ eigentlich bedeutet. Auch Bruder Paulus‘ Anliegen einer echt katholischen Weite — die dann aber eben auch die Differenzen in Brüderlichkeit aushalten sollte — teile ich. Sicher ist jedenfalls nur: Eine Kirche, die von einem großen Graben durchzogen wird, ist nicht katholisch, und daran müßte eigentlich jeder Katholik leiden. Man muß sich ja nicht gleich lieben, aber ein wenig Neugierde in beide Richtungen wäre hilfreich. Sie setzt aber voraus, daß sie nicht durch persönliche Attacken zerstört wird. Wer sich seines Glaubens wirklich sicher ist, braucht sich durch die Existenz abweichender Meinungen janicht bedroht zu fühlen.

Soweit stimme ich mit Bruder Paulus überein. Ich muß allerdings zugeben: So sicher bin ich mir meines Glaubens auch wieder nicht. Wenn die Position des Lehramtes in Sachen „Weihepriestertum nur für den Mann, Zölibat, Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen“ infragegestellt werden, dann fühle ich mich, meinen Glauben und die Kirche in Frage gestellt (gut, bei „Zölibat“ fühle ich mich nicht in Frage gestellt, sondern wundere mich nur noch über diese Phantomdiskussion). Wieviel Katholizität kann denn in einem Glauben stecken, der sich nicht in Gemeinschaft mit dem päpstlichen Lehramt verorten kann? Daß es selbst in dieser Gemeinschaft noch genug Spielraum für unterschiedliche Meinungen gibt, sei dabei vorausgesetzt, aber es geht in den Debatten doch nur selten um wirklich pastorale Lösungen, sondern darum, alle irgendwie lieb zu haben und keinem wirklich weh zu tun.

Genau an diesem Punkt setzt meine Kritik an Bruder Paulus‘ Artikel an, nämlich daß er selbst indirekt persönliche Attacken fährt und sich einseitig positioniert. Im „Tradi-Absatz“ finden sich ständige Einschränkungen und Problematisierungen, im „Moderni-Absatz“ braucht man schon ein wenig Phantasie, um in der Aufzählung Sinus-Milieu-Studie, religiöser Trendmonitor und „ungetrübter Blick auf die Kirchenaustritts-Statistik“ eine gewisse (Selbst-)Ironie zu sehen. Doch diese bleibt deutlich hinter den pejorativen Formulierungen wie „aus dieser Ecke“, „beim näheren Hinsehen auffällig viele Formulierungen aus vorkonziliarer Zeit“ und „Formen des Glaubens von vorgestern“ im Absatz davor zurück, die im verurteilenden: „Wer echt katholisch ist, sieht hoffentlich weiter“, gipfeln. Da wird man zum Dialog aufgefordert und gleich in die Ecke gestellt! *kopfschüttel*

Der Fehler liegt aber nicht einmal in der Ausführung, sondern schon im Grundkonzept des Artikels. Bruder Paulus hat den Ansatz gewählt, beide Positionen in ihren Schwächen darzustellen. Ich fürchte, so kommen wir nicht weiter. Wer ständig nur auf die Schwächen des anderen starrt, wird kaum dessen Schönheit erkennen können. Meine Ehe funktioniert jedenfalls (nur) anders. Wie wäre es also, lieber die Stärken zu sammeln? Dafür müßte man nicht einmal so wesentlich die Details zu ändern. Denn die Stärke der „Modernis“ ist sicher, gesellschaftliche Entwicklungen aus ihrer Eigenlogik heraus zu verstehen; die der „Tradis“ aber, das ganze Glaubensgut den weltlichen Eigenlogiken entegenzustellen.

Bleibt nur noch anzumerken, daß ich mich in der Dichotomie von „Tradis“ und „Modernis“ überhaupt nicht wiederfinde. Die katholische Kirche ist längst viel pluraler als die üblichen Grabenkämpfe vermuten lassen. Nur wird offenbar jeder in eins der beiden Lager gesteckt. Schubladen sind ja so praktisch…

Heute früh kam die Mitteilung meines Twitterkollegen: „Hoi Martin! Ich nehme deine Einladung für heute gerne an. Ich hoffe es stört nicht, wenn ich in Töffkluft ‚pilgere‘. …“ Ich konnte ihn beruhigen: „Hoi André. Freue mich. Auch ich trage ein besonderes Outfit. Hoffentlich stört es dich nicht, wenn ich in barocker Aufmachung daherkomme.“

Aus der „Twitter-Predigt“ von Abt Martin (Einsiedeln) zu Pfingsten 2010, gefunden via Pixelfreund.

Sodele, meine Serie über Pseudonymität im Internet stammte noch aus dem letzten Jahr, somit ist das hier mein erster Post 2011. Also: Frohes neues Jahr, alle zusammen. Hoffe, ihr seid alle gut reingekommen, ich kann mich jedenfalls nicht wirklich beschweren.

Mein musikalischer Jahresstart, an dem ich mich euch ein wenig zu partizipieren lassen gedrängt fühle (sorry dafür :-), paßte hingegen zum weltgeschichtlichen. Insbesondere das (Konzept-)Album „Once Was Not“, das eigentlich eine vertonte Apokalypse ist, auch textlich. Das harmloseste Stück (abgesehen von Intro und „Pseudo“-Outro) ist noch das folgende, das auch textlich interessant ist — vor allem wegen seiner Stellung im Gesamtwerk: Es handelt sich um das letzte Stück vor „The End“, also der Apokalypse, und „The End“ ist das vorletzte Stück des Albums, d.h. es gibt noch etwas nach der Apokalypse, nämlich den „Endless Cemetary“ — nicht ganz so eindeutig, wie der Titel anzuzeigen scheint… Hier also Psalm 91,5-8 (dem, der Komplet betet, wohl gut bekannt):

Daß die Blogoezese eine Art Stammtisch ist, zeigt sich im Übrigen gerade an der Pseudonymität. Dazu habe ich meine 200 Feed-Abonnements ausgewertet, von denen etwa 72% kirchlichem Bezug haben.

Bei den von mir als privat eingestuften Blogs bloggten gerade einemal 9,72% der Blogger unter Realnamen (d.h. hatten ihren Realnamen auf dem Profil stehen). Darüber hinaus waren weitere 43,52% sicher identifizierbar (entweder durch E-Mail-Adressen, Hinweise in den gebloggten Texten oder auf anderen Blogs oder durch sehr spezifische persönliche Marotten, die mit Google eine leichte Identifikation wahrscheinlich erscheinen lassen). Nur 22,22% der Blogger würde ich eine weitgehende Verschleierung ihrer Identität zuschreiben, der Rest (24,54%) liegt dazwischen.

Zwischen den Blogs mit kirchlichem Bezug (Blogoezese) und denen ohne gab es hier kaum Unterschiede. Die kirchlichen Blogs liegen was die Kaum-Identifizierbarkeit (21,54%) und „den Rest“ (24,1%) angeht sogar knapp drunter. Bezieht man aber die Blogs von Priestern und Ordensangehörigen mit ein, bei denen der Status (privat/beruflich) naturgemäß unklar ist, dann sieht das ganze nochmal deutlich weniger „anonym“ aus: Ganze 4,35% aus dieser Gruppe sind nach meiner Einschätzung nicht leicht identifizierbar und nur 21,74% bilden den „unklaren Rest“.

Im Gegensatz dazu liegen offizielle und kommerzielle Blogs sowie Blog von „Selbstverkäufern“ wie freien Journalisten, Wissenschaftlern und Künstlern, die ein offenkundiges Interesse daran haben, sich als Person unter Ihren richtigen Namen bekannt zu machen, bei der „Anonymität“ nahe Null (ein wenig baff war ich ja, daß auf Elsas Blog, deren Realnamen wohl jeder in der Blogoezese kennen dürfte, selbiger nicht zu finden war — hattest Du den nicht mal da stehen, noch dazu mit einem Foto, anhand dessen ich Dich aber nie erkannt hätte? :-). Nur schwer identifizierbar ist hier niemand, eine auf den ersten Blick unklare Identität haben hier 10%, und das ausschließlich bei den offiziellen, nicht-kommerziellen Blogs; kirchliche Blogs dieser Kategorie sogar nur zu 1,9%.

Darin sehe ich a) eine Bestätigung, daß private Blogs eine andere Funktion haben als die offiziellen Blogs und deutlich näher an der Privatsphäre sind, und b) daß sogar weniger Blogoezesane ein aktives Interesse an Verschleierung ihrer Identität haben als die Betreiber von Blogs ohne kirchlichen Bezug.

Natürlich könnte man mir hier den einen oder anderen Zirkelschluß unterstellen (immerhin sind die Einteilungen privat, offiziell, kommerziell und „Selbstdarsteller“ bereits von der zu bestätigenden Theorie her gebildet) und vor allem eine nicht ausreichende Datenbasis (200 Blogs sind zwar ok, aber nicht der extrem hohe Anteil kirchlicher Blogs, da dadurch die Vergleichbarkeit zu den nichtkirchlichen Blogs nicht wirklich gegeben ist). Aber dafür ist das hier ein Blogeintrag und kein wissenschaftlicher Artikel 🙂

(The End)

Die spezifische Funktion eines persönlichen Blogs insbesondere mit der Möglichkeit des Feedbacks bringt uns praktisch zum Kern der ganzen Geschichte: Bloggen hat einen starken privaten Aspekt, erfolgt aber in der Öffentlichkeit. Normalerweise liest man vor allem Gleichgesinnte und wird auch von Gleichgesinnten gelesen. Ein kontroverser öffentlicher Diskurs sieht anders aus — und erfolgt auch woanders. Lange Rede, kurzer Sinn: Meines Erachtens liegt das Mißverständnis von Herrn „Meier“ darin, das Internet im allgemeinen und das Bloggen im besonderen als massenmediale Kommunikation mißzuverstehen, also als weiteres Medium neben Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen (dieses Mißversändnis hat uns ja auch die Sendezeitbeschränkungen im Internet eingebrockt…).

Tatsächlich gibt es diese Funktion des Internets, aber nicht nur haben die klassischen Medien das größte Problem, einen profitablen Internetableger zu schaffen, sondern diese Funktion des Internets ist zudem noch die jüngste in der technischen Entwicklung und eigentlich ein (technisch vorübergehend notwendiger) Irrweg. Daher ist es völliger Unfug, das Internet an massenmedialen Kriterien zu messen. Vielmehr sind die ursprünglichen Vergleichmedien das Telefon und der Brief: Abgesehen vom Datenaustausch (also rein maschineller Kommunikation) beginnt die Geschichte des Internets (nicht zu verwechseln mit dem World Wide Web) mit der E-Mail, die die Vorteile des Telefons (schnelle Erreichbarkeit des Kommunikationspartners) mit denen des Briefes (asynchrone Kommunikation: man ist nicht darauf angewiesen, daß der Kommunikationspartner zur selben Zeit zur Kommunikation bereit ist) kombiniert. Damit ist bereits der vielleicht nicht private, aber doch vertrauliche Ursprung der Kommunikation im Internet angesprochen.

Während jedoch die Telefonkonferenz nie wirklich ihr geschäftliches Habitat verlassen hat, kam es schon recht früh zu halb öffentlichen Kommunikationsarten, von der Mail mit mehrern Empfängern zu technischen „Schwarzen Brettern“ als Empfängern, von denen sich beliebige Interessierte die Nachrichten zu bestimmten Themen abholen konnten — dem Usenet. Hier ist die Geburtsstunde der eigentlichen Besonderheit des Internets und seiner eigentlichen medialen Revolution: Die Ermöglichung einer Kommunikation, die zwischen der 1:1-Kommunikation und der 1:n-Kommunikationsweise der Massenmedien liegt, nämlich der Kommunikation zwischen (theoretisch) beliebig vielen Kommunikationspartnern mit gleich starkem Sende- wie Rückkanal (n:m-Kommunikation; die Bezeichnungen 1:1, 1:n und n:m habe ich der Datenbanktheorie entlehnt, vermutlich gibt es aber ähnliche Überlegungen auch schon in der Kommunikationswissenschaft, würde mich jedenfalls wundern wenn nicht).

Diese Kommunikationsart ist vor dem Internet medial nicht (oder nur eingeschränkt, nämlich durch die genannte Telefonkonferenz) reproduzierbar, aber keineswegs neu, sondern geradezu eine klassische gesellschaftliche Situation: Der Kneipenstammtisch. (Natürlich gibt es auch noch mehr solcher Situationen, vom Spieleabend über den Workshop bis zum Gemeindecafé, oder pastoraler: vom Hauskreis bis zur PGR-Sitzung, aber der Stammtisch kommt irgendwie der Blogoezese näher…) Man trifft sich in geselliger Runde an einem mehr oder weniger öffentlichen Ort (in beiden Fällen, Stammtisch und Blogoezese, gibt es privatwirtschaftliche Anbieter, den Kneipier bzw. Google, WordPress usw., der seinen Raum zur Nutzung anbietet; rechtlich gesehen, handelt es sich nicht um einen öffentlichen Raum, der Anbieter hat hier das Hausrecht, es liegt aber in seinem Interesse, in der Regel niemanden rauszuschmeißen) und unterhält sich über dies und das, was einen gerade interessiert. Man kennt sich untereinander, stellt aber auch nicht zu viele (vor allem keine unangenehmen) Fragen. Manchmal kommen neue Leute dazu, die man erstmal freudig begrüßt, soweit sie sich nicht gleich völlig daneben benehmen, manchmal verabschieden sich welche oder kommen nicht vom Zigarettenholen zurück. Gelegentlich bleibt mal ein Unbeteiligter stehen und hört zu, ohne sich an der Diskussion zu beteiligen. Vielleicht steigt er irgendwann mit ein oder macht in Zukunft einen großen Bogen um diesen angeheiterten Tisch. (Völlig unhöflich hingegen wäre es, wenn jemand käme, die Stammtischler nach ihren Namen und ihren Berufen aushorchte und am nächsten Tag in der Zeitung der Nachbarstadt sich darüber ausließe, was Herr xy aus dem Nachbardorf, angestellt da und dort, angeblich und noch dazu aus dem Zusammenhang gerissen über seinen Chef am Stammtisch gesagt hat. Das würde zurecht als Eindringen in die Privatsphäre verstanden werden, ist aber natürlich rein hypothetisch.)

Mit anderen Worten: Das Bloggen, zumindest das Bloggen im engeren Sinn eines persönlichen, privaten Blogs, ist kein Journalismus, sondern Stammtischgeplänkel. Für die Bildung einer öffentlichen Meinung ist das natürlich nicht zu unterschätzen, gegen die Stammtische zu regieren, dürfte geradezu unmöglich sein. Gerade das Internet bietet darüber hinaus die Möglichkeit, überregionale „Stammtische“ zu schaffen, wofür man früher Vereine gründen mußte, und selbst dann hat man sich nur ein paar mal im Jahr getroffen. Durch das Internet werden solche „Stammtische“ überhaupt erst kampagnenfähig, indem eine leichte Verknüpfung mit anderen Internettools zur Selbstorganisation möglich sind. Der „Normalbetrieb“ der Blogoezese bleibt aber im Kern ein Stammtisch.

Mit anderen Worten: Das große Mißverständnis des Internets ist also, daß es sich dabei um Massenkommunikation nach altem Muster handelte. Vielmehr ist das wirklich Neue und eigentlich spannende am Internet die Schaffung einer medialen Form von n:m-Kommunikation, also einer Kommunikation zwischen vielen Sendern und Empfängern, in der zumindest theoretisch gleich starke Sende- und Rückkanäle existieren. Mit solcher Kommunikation haben sich freilich die klassischen Massenmedien nie wirklich abgegeben und stoßen nun auf eine Realität, die sie bisher arrogant ausgeblendet haben. Der Stammtisch ist geradezu der Inbegriff niveauloser Diskussion, mit der ein gebildeter Mensch nichts zu tun haben will (es wäre allerdings eine ebenso arrogantes Mißverständnis zu glauben, es gäbe keine Stammtischgespräche unter Akademikern…). Allerdings war gerade die Lufthoheit über den Stammtischen die Bastion, mit der sich die CDU in den medial doch sehr links geprägten 70er bis 90er über Wasser gehalten hat, ja sogar gegen einen Großteil der Medien Wahlen gewonnen hat. Insofern ist es richtig, wenn sich Massenmedien durch solche öffentlich wahrnehmbare Stammtische im Internet angegriffen fühlen, denn tatsächlich haben die Stammtische schon immer die Wirkung der Massenmedien begrenzt, und wenn es aus ihrem Kreis genug Leserbriefe gab, die den Journalisten kontra geben, hat sich auch schon das eine oder andere Mal der Wind der veröffentlichten Meinung gedreht. Daher kann die Blogoezese tatsächlich dazu führen, daß bisher im kirchlichen Diskurs weitgehend marginalisierte Meinungen und Perspektiven wieder zu ihrem Recht kommen können.

Doch auch unter den Lesern der Zeitungen dürften die Internetausdrucker (es gibt mittlerweile übrigens noch eine Steigerung: die Internetausdrucker und -wiedereinscanner 🙂 in der Mehrheit sein. Auch ihnen dürfte nicht klar sein, daß das Intenret eigentlich eine große Eckkneipe ist. Dadurch ist es ein Leichtes, mit stammtischfremden Kriterien den „Stammtisch“ Blogoezese in die Schmuddelecke zu drängen. Natürlich könnte man sie auch gerade als Stammtisch angreifen, denn wie gesagt ist „Stammtisch“ ja durchaus ein negativ besetztes Wort. Jedoch wäre die Wirkung auf die Leser, gerade in ländlicheren Gebieten, weniger sicher vorhersehbar, denn Stammtische und Stammtischgespräche kennen die Leute aus eigener Anschauung. Und sie wissen auch, daß dabei Tacheles, im Eifer des Gefechts auch mal unüberlegter und/oder politisch unkorrekter, gesprochen wird.

(to be continued)