Me Myself and I

Mit dem Metal und der Kirche ist es wie mit dem Hasen und dem Igel. Der Hase, hier der Metal, kann noch so schnell sein, der Igel, hier die Kirche, war immer schon da.

Sommer ist Festivalzeit und ein Festival dauert drei Tage, mit Vor- und Nachglühn ’ne Woche? Klaro, zum Beispiel Libori in Paderborn. Das hier ist der Anfang des Triduums, und da wir ja feiern wollen, beginnen wir Katholiken den Tag schon am Vorabend mit der Vesper:

Wie man sieht, bietet die Kirche also auch massiven Heavy Metal (ab 23:57, aber ehrlich, Leute, dat is wie mit’m Festival: War man nicht da, hat man die Musik nicht gespürt und gefühlt, dann vermittelt auch das Video nur einen müden Abklatsch!) sowie mystische Texte in fremdländischen Sprachen, mitunter unverständlich, aber emotional intoniert. Und dachte ich schon während der lateinischen Vesper, wow, so ein voller Dom, der mitsingt, das hat schon was, wurde mir beim (deutschsprachigen) Abschlußlied schlagartig klar, daß all die Damen und Herren ohne Liedheft nicht etwa die Vesper auswendig sangen, sondern ihre Stimme für das Schlußlied schonten. Da flogen mir fast die Ohren weg.

Und wer jetzt meint, da fehlen doch aber noch umgedrehte Pentagramme, coole Kopfbedeckungen und martialisches Posing, der hat einfach nur nicht richtig aufgepaßt. Wie gesagt, der Igel war immer schon da.

Und da das katholische Feiern nicht an der Kirchentür aufhört, sondern da erst so richtig anfängt, möchte ich auch das traditionelle[1] LiboriBloggertreffen nicht unerwähnt lassen, das unmittelbar nach Ende der Erföffnungsvesper am Paradiesportal, diesmal komplett ohne Treffpunktschwierigkeiten, begann. Zu dessen Ehre hatte Paderborn weder Kosten noch Mühen gescheut und unzählige Genuß- und Nahrungsmittelstände, Fahrgeschäfte und sonstige fliegende Kränmer aufgeboten. Es hat sich aber auch mal wieder gelohnt, denn gegenüber dem Vorjahr hatte sich die Teilnehmerzahl um 150% gesteigert, wobei die Dominanz der Suffraganblogger weiterhin erfreulich hoch war! (Sprich: Wir waren jetzt 5 statt 2 Blogger, davon drei mit Erfurthintergrund.)

Nur die Größe der Biergläser ist da ein kleiner Wermutstropfen, denn die Näpfe waren dermaßen klein, daß ihr Inhalt schneller verdunstete als Nachschub herangeführt werden konnte. Tja, vom Osten lernen, heißt hier siegen lernen: Wenn man mehr auf einmal ausschenkt, reduzieren sich die Schlangen auch mal vorübergehend. 0,2 l, da kriegen bei uns die Kinder ihren Saft drin!

Bleibt nur eine Frage: Wer hat wohl gemerkt, daß da die Kirche von Paderborn in Gemeinschaft mit mindestens 16 Bischöfen aus aller Welt über eine Stunde lang das Konzil abgelehnt hat?!

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[1] Bekanntlich ist alles, was zweimal stattgefunden hat, bereits eine Tradition: Das war schon immer so, das war noch nie anders. Da könnt‘ ja jeder kommen!

Das Eschaton ist erreicht! Meine Diss liegt jetzt sowohl als Printausgabe als auch als E-Book in den Formaten pdf, azw, epub, mobi und prc vor. Wer meinen Blog verfolgt, dürfte vom Inhalt schon eine ganz grobe Vorstellung haben (wer schon Interesse angemeldet hatte, sollte das Buch bereits im Briefkasten gefunden haben, wenn nicht, bitte melden).

Gott haßt die Jünger der Lüge. Ein Versuch über Metal und Christentum: Metal als gesellschaftliches Zeitphänomen mit ethischen und religiösen Implikationen

Die Druckversion gibt es für sagenhaft günstige 16,80 €, zum Beispiel hier (ich habe beim Druck keinen Cent dazu finanziert, trotzdem ist das Buch günstiger als vergleichbare wissenschaftliche Werke; wie das geht, dazu will ich demnächst auch noch was schreiben). So richtig „value for money“ gibt es beim E-Book, das identisch zur Druckfassung ist, aber gerade einmal mit 2,99 € zu Buche (ha, Wortspiel!) schlägt. Zumindest, wenn man es hier kauft. Weil die Buchpreisbindung für E-Books nicht sonderlich effektiv ist, kann der Preis in den jeweiligen E-Book-Stores nach oben oder (eher unwahrscheinlich) nach unten abweichen.

Wer statt der eher zufällig ausgewählten und meist paraphrasierten Beiträge auf meinem Blog (Ausnahme hier, das ist ein wörtlicher Auszug) einen systematischen Zugang sucht, kann hier einen Blick ins Inhaltsverzeichnis werfen und hier gut 30 Seiten Leseprobe runterladen. Für die Leseprobe habe ich die wahrscheinlich kontroverseste Stelle der Arbeit, nämlich die Auseinandersetzung mit Slayers „Angel of Death“, die Auseinandersetzung mit dem wohl prominentesten Kritiker des Metals, einem gewissen Joseph Kardinal Ratzinger (keine Ahnung, ob ihr von dem schonmal was gehört habt), sowie die wesentlichen theologischen Destillate der Arbeit ausgewählt.

Wer darüber hinaus noch einen Blick in das Buch werfen will, kann das beim namensgleichen Dienst von Amazon tun (Link). (Bei Google-Books soll es demnächst auch verfügbar sein, bisher ist jedoch nur die Titelmeldung eingearbeitet.) Schließlich kann das Buch komplett am Bildschirm eingesehen werden, wenn man entsprechend viel Privatsphäre dafür opfert und sich bei PaperC anmeldet oder gleich seinen Facebook-Account nimmt (hier – aber kommt bloß nicht auf die Idee, das Buch da digital zu kaufen; für die dort verlangten 16,80 € gibt’s bereits die Printversion, das E-Book bekommt man, wie gesagt, für 2,99 €).

Wer sich vorstellen kann, das Buch nicht nur zu lesen, sondern auch zu rezensieren, kann hier eine Rezensionsexemplar bestellen. Aber auch, wer für eine richtige[tm] Rezension nicht genug Zeit hat, aber sich vorstellen kann, das Buch anderweitig zu verwursten, z.B. weil er oder sie rein zufällig in der Medienbranche schafft, oder gerne im Tausch den Stapel der eigenen Publikationen spannnender Themen reduzieren möchte, braucht nicht zu verzagen. Der kann sich einfach mal bei mir melden, und dann schneidern wir eine paßgenaue Lösung.

So, und jetzt genug des Spams, ran an’n Sarch ans Buch und mitjewehnt mitgelesen.

Gian Lorenzo Bernini: Christi Blut, im Palazzo Chigi in Ariccia  (nach Angaben von heiligenlexikon.de gemeinfrei)

Gian Lorenzo Bernini: Christi Blut, im Palazzo Chigi in Ariccia (gemeinfrei)

Dieses Bild, auf das ich Dank Johannes gestoßen bin, erinnerte mich daran, daß ich da noch was in der geistigen Pipeline hatte. Um meinen Status als Bekloppter in Christentum und Metal zu verteidigen.

Das Lied ist zunächst einmal musikalisch grandios. Die Riffs nachzuspielen (soweit sie nicht völlig ins Chaotische abgleiten) ist eine wahre Freude, weil sie als (mehr oder weniger) chromatische ebenso leicht zu spielen wie von der Wirkung her überwältigend sind (meine Frau kann bestimmt ein Lied davon singen – haha, Wortspiel!). Alleine die halbe Minute nach dem Breakdown ab ca. 2:10 ist der Hammer (ultimativer Moshpart, in der Studioversion noch krasser – Gänsehaut [auf Youtube aber in grottiger Tonqualität, also kauft Euch das Album :-)])!

Aber auch textlich hat das Lied es durchaus in sich. Ok, meine Interpretation entspricht vielleicht nicht ganz der Intention des Autors. Aber das ist bei (guten) Metal-Texten eigentlich immer so, daß die Interpretation mehr über den Ausleger als das Ausgelegte aussagt. Die abschließende Interpretation gibt es nicht.

Trapped in purgatory
A lifeless object alive
Awaiting reprisal
Death will be their acquisition
Gefangen im Fegefeuer
Ein lebloses Objekt lebt
Erwartet Vergeltung
Tod wird ihr Gewinn sein
The sky is turning red
Return to power draws near
Fall into me, the sky’s crimson tears
Abolish the rules made of stone
Der Himmel wird rot
Die Rückkehr zur Macht ist nahe
Fallt in mich, des Himmels purpurne Tränen
Verwerft die steinernen Regeln
Pierced from below, souls of my treacherous past
Betrayed by many, now ornaments dripping above
Durchbohrt von unten, Seelen meiner verräterischen Vergangenheit
Betrogen von vielen, nun trieft oben Schmuck
 
Awaiting the hour of reprisal
Your time slips away
Erwartend die Stunde der Vergeltung
Deine Zeit entschlüpft Dir
Raining blood
From a lacerated sky
Bleeding its horror
Creating my structure
Now I shall reign in blood
Es regnet Blut
Von einem zerrissenen Himmel
Blutet seine Greuel aus
Erschafft meinen Körperbau
Nun werde ich herrschen in Blut

Der Text fängt ja, wenn man die Intention des Texters voraussetzt, schon mit einem schweren Fehler an. Wenn es um jemanden ginge, der aus dem Himmel verstoßen wurde, ist er nicht im Fegefeuer, sondern in der Hölle zu suchen. Und im Fegefeuer ist man nicht gefangen, es hat einen Ausgang, und nur einen Ausgang, nämlich in Richtung Himmel. Nur in einer Konstellation kann man überhaupt (wenngleich anachronistisch) von „gefangen im Fegefeuer“ reden: die Gerechten des Alten Bundes bevor sie von Christus auf Seiner Höllenfahrt befreit wurden.

Damit ist schonmal die zeitliche Einordnung klar: Vor Jesu Auferstehung. Und von dort ausgehend beginnt der Rest einen gänzlich anderen Sinn zu bekommen. Ich würde, bekloppt wie ich bin, in diesem Song eine Beschreibung der Höllenfahrt Jesu sehen wollen. Entsprechend weist der Eingangsriff nach unten. Zwar beginnt es mit einem hinaufweisenden Dreiklang, aber die eigentliche Dynamik des Riffs ergibt sich aus dem Folgenden, wodurch der Anfangsdreiklang als Auftakt erkennbar wird. Das eigentliche Riff geht in Quartparallelen chromatisch abwärts: b-f-a-e-as-es-g (oder so ähnlich, die scheinen das öfter mal in Verschiedenen Tonarten resp. Gitarrenstimmungen zu spielen). Das folgende Thrash-Geballere bleibt zunächst statisch, nur in jedem vierten Takt mit einem kleinen Hinweis auf den folgenden Aufstieg, geht dann aber in Chaos über. Aufbegehren der niederhöllischen Herrscher, die bemerken, daß sie sich haben in die Falle locken lassen? Zum Gesang aber wieder ein Riff, der eher nach oben weist.

Jesus ist tot, aber dennoch lebendig. Er vergilt den Mächten des Bösen, was sie Ihm angetan haben, indem Er ihnen die Toten entreißt. In Christi Tod erfolgt ihre Erwerbung, werden sie für den Himmel gewonnen. Durch das Kreuz können die Menschen in Christus das Leben erwerben, gewinnen „acquirieren“. Und zwar gerade durch Christi Tod, der das steinerne Gesetz überwindet, das nach Paulus nur die Macht der Sünde offenbaren, aber nicht von ihr befreien kann und infolgedessen zum Tod führt. Der Himmel wird rot von Seinem Blut, durch das Er die Herrschaft über die Welt zurückgewinnt. Und insofern heißt „fallt in mich, des Himmels purpurne Tränen“ nichts anderes als „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“.

Bei ca. 1:30 folgt der nächste Riffwechsel. In das straighte Thrash-Geballere schleichen sich jetzt Melodie und gewisse Filigranität (also so vergleichsweise) ein. So weist der Riff auch mehr Klarheit und Struktur auf. Interessanterweise ist der Riff zweigeteilt. Zu Beginn weist er nach oben, indem der zweite Takt den ersten zwar imitiert, dann aber auf höherem Tonniveau endet. Der sich gleich anschließende zweite Teil bleibt zunächst etwas tiefer, aber statisch, rutscht dann aber bis nach unten zum Ausgangspunkt ab. Für mich ein Hinweis auf eine Erhöhung, die nach unten weist, und damit Szenenwechsel nach Golgotha: Er wird durchbohrt von unten. Wegen unserer Verbrechen. Wir, die Seelen Seiner verräterischen Vergangenheit. Von vielen verraten – wen kümmerte Sein Geschick? -trug Er die Sünden von vielen. Er wird geschmückt mit Seinem Anteil an der Beute, die von Seinem Blute trieft. Es sind die Befreiten, die Christen, die Kirche.

Erneuter Wechsel bei ca. 1:50. Der Anfangsriff wird wieder aufgegriffen, zurück in die Jetztzeit, Höllenfahrt: Die erwartete Vergeltung ist jetzt. Das Kreuz ist Gericht über die Welt, deren Zeit abläuft. Die Zeit tickt im gut halbminütigen Breakdown, verbunden mit dem himmlischsten Riff der Metalgeschichte, der übrigens eine ganz spannende Variation des Eingangsriffs ist. Es geht nicht einfach chromatisch abwärts, sondern immer wieder vom Grundton aufwärts, wenn auch immer eine kleine Sekunde weniger weit hoch; der Riff entwickelt sich also so deutlich wie im ganzen Lied noch nicht nach oben, obwohl er vom Grundprinzip immer noch nach unten zeigt. Warten auf die Auferstehung.

Jetzt ist die Zeit abgelaufen. Der Heiland reißt den Himmel auf, damit Sein Blut auf die Welt regnet und Seinen Leib erschafft, der die Kirche ist. Es ist Gericht, der Himmel blutet seine Greuel aus, verliert seinen Schrecken, der in seiner Unerreichbarkeit bestand, die durch das genugtuende Opfer überwunden wird. Normals Thrash-Geballere während des Gesangs. Das dann aber in erhebendes (und wohlgemerkt sturkturiertes!) Chaos übergeht, das sich immer weiter nach oben entwickelt und in einer metaluntypischen Rückkopplungsorgie noch metaluntypischer ohne klaren Schlußpunkt ausklingt. Musikalischer Ausdruck von Ewigkeit. Die Welt ist gerichtet. Er herrscht jetzt in Ewigkeit über die Welt in Seinem Blut.

Ich bin ein komischer Typ, ich weiß.

Jetzt komme ich nach längerer Pause mal wieder dazu, einen Blick in Metalzeitschriften zu werfen. Da schlage ich also die Legacy #78 auf (ab morgen ist schon die nächste Ausgabe am Kiosk…). Wenig überraschend geht es in der Kreator-Titelstory mit Religionskritik los. Mille:

Grauenhaft, daß es im Jahr 2012 noch Religion gibt. …wenn gesagt wird: Du hast eine andere Religion, wir müssen jetzt gegeneinander Krieg führen. Ohne Religion wäre nicht alles besser, aber auch politisch auf einer anderen Funktionsebene, man könnte woanders ansetzen. Stattdessen rennt man weiter Hirngespinnsten hinterher, die gute Geschichten für Hollywood abgeben.

So weit, so gut, so mainstreamig. Aber es geht weiter, und für den Außenstehenden wohl durchaus überraschend:

Die Jesus-Geschichte ist großartig und eine wichtige Inspirationsquelle. Ich habe in der Bibel schon viele Textideen gefunden und mag auch die Metaphorik. Aber das Buch für bare Münze zu nehmen, danach zu leben und es als Anstoßr für Krieg, Mord und Totschlag zu nehmen, ist überholt. Der Untergang der Welt bedeutet für mich ein Umdenken: Das Denken, welches die jetzigen Probleme erzeugt, muß weg.

Für den Außenstehenden mag das vielleicht sogar wirr klingen. Einerseits findet er die Bibel total toll, andererseits lehnt er sie als Lebenshilfe völlig ab. Nicht sonderlich nachvollziehbar. Und dann interpretiert er die Apokalyptik auch noch genau so, wie sie die Apokalyptik selbst versteht, sieht darin aber einen Widerspruch zum christlichen Verständnis der biblischen Apokalyptik. Ein Wirrkopf? Ne, ganz im Gegenteil, wirr ist das, was er kritisiert. Und da bin ich ganz auf seiner Seite: Politischer Mißbrauch der Religion, der sie pervertiert. Schönen Gruß von Slayer. Dann hat er offenbar ein Problem mit einem einseitigen Biblizismus, der selbst die metaphernreiche Bildsprache der Apokalyptik als Drehbuch für den Weltuntergang mißversteht. Bin ich ebenfalls voll auf seiner Wellenlänge. Und daß das Denken, das die jetzigen Probleme erzeugt, weg muß, schreibe ich ja schon lange. Nur daß ich die Ursache nicht in der Religion an sich sehe, sondern in ihrer Perversion, während er die Perversion gerade nicht als Perversion, sondern als Normalzustand der Religion ansieht. Und wie sehr sich seine Interpretation von Religion (und Politik) von meiner unterscheidet, wird in der folgenden Passage deutlich, die wieder völlig wirr wirkt, wenn man die unterschiedliche Begriffsverwendung nicht berücksichtigt:

Es geht immer um Angst, auch bei den ganzen Antichristen, die in letzter Zeit von den Regierungen und Medien propagiert wurden. Wie Osama bin Laden. Wenn man ihn gefangen genommen und dazu befragt hätte, wie er den 11. September 2001 geplant hat, hätte man mehr Einblick in die Struktur des Terrorismus als solchen gehabt, als wenn man ihm einen Kopfschuß verpaßt und ihn aus angeblich religiösen Gründen im Meer versenkt. Obwohl es in der muslimischen Kultur meines Wissens nach keine Seebestattung gibt. Man fragt sich: Kannte man den Typen wirklich? Dadurch bin ich auf den Titel [Phantom Antichrist] gekommen, Religion benutzt Angst und Schrecken, um Menschen zu manipulieren, egal, in welche Richtung.

Wie gesagt, wenn man hier streng zwischen Religion an sich und Politik scheiden würde, dann ergäbe die ganze Passage keinen Sinn. Setzt man hingegen voraus, daß Religion nur der Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen dient, mithin selbst Politik ist, ergibt die Passage plötzlich Sinn (auch wenn immer noch das „aus angeblich religiösen Gründen“ bleibt und die ganze Interpretation von Religion in Frage stellt, aber für Mille ergibt das so Sinn, und man kann ihn nachvollziehen, auch wenn man ihn nicht teilt.) Auch in weiteren Passagen wird der vorausgesetzte Biblizismus deutlich, etwa wenn da was von „man darf sich als Christ kein Bild von Gott machen“ (Hä? Schonmal ’n Kruzifix gesehen?) „aber die Ängste auf den Antichristen projizieren“ (Angst ist nicht sonderlich christlich) steht. Trotzdem hat Mille „Respekt vor Leuten, die glauben, und es soll jeder für sich damit glücklich werden, was er für richtig empfindet“ – naja, so kann man dann aber auch nicht mehr über richtig und falsch diskutieren. Und dann fängt er wieder übergangslos mit Politik und Machttechniken an:

Wer meint, an Gott oder Allah glauben zu müssen, soll das tun. Für micht ist das überholt, ebenso dieses Formen von Feindbildern. Wie heißt dieser Typ, der jetzt per Internet gejagt wird – Kony? Das war auch so aufgemacht, mit einem Vater, der seinem Sohn ständig Bilder von Kony zeigt. Das ist ein Werkzeug, welches von Christen oft genutzt wird, dieses Einteilen in Gut und Böse. Es gibt nichts dazwischen, alles ist nur schwarz oder weiß.

Also, wenn er das für Christentum hält, dann kann ich die Ablehnung durchaus verstehen. Was er beschreibt, lehne ich auch ab, und ich müßte schon einen sehr abstrusen Ausschnitt der Blogoezese konsumieren, wenn ich damit alleine dastehen sollte. Allerdings ist das Schwarz-Weiß-Denken keineswegs ein besonders auf Christen beschränktes Phänomen. Das können die Atheisten mindestens genauso gut.

Doch dann wird die Differenzierung plötzlich deutlicher, offenbar unterscheidet er zwischen Religion (und ihren Organisationsformen) und dem Glauben des einzelnen:

Da muß man ganz vorsichtig sein, denn der Glaube ist grundsätzlich nicht schlecht. Das Götzentum zerstört ihn. [Boah ey! Was würde ich dafür geben, diesen Satz aus einem Theologenmunde zu hören!] Ich glaube auch an die Kraft der Musik. Wenn man eine positive Grundeinstellung hat, kommt man viel weiter als mit einer negativen. Das würde den christlichen Glauben ausmachen, wenn er denn mal richtig gelbt würde. [Aber hallo! Wie wäre es denn mal mit einer Podiumsdiskussion: Papst und Mille gegen ZdK und Memorandisten?] Gerade der [vom Interviewer] angesprochene Text [„Your Heaven My Hell“] ist eine Fiktion, der eine Mißbrauchsthematuik zugrundeliegt.

Das einzige, was mir wirklich nicht in den Kopf will, steht ein paar Zeilen danach:

Am unglaubwürdigsten ist für mich die Androhung des jüngsten Gerichts. Wenn man dessen Grundlage als Hirngespinnst abtut, kann man diskutieren. Sonst dreht man sich im Kreis, wie seit Jahrhunderten.

Ok, ich verstehe, daß er Religion und Politik zumindest strukturell gleichsetzt und damit die Botschaft vom Jüngsten Gericht eine „Drohbotschaft“ ist, die Furcht und infolgedessen Gehorsam verbreiten soll. Daß er daher damit nicht viel anfangen kann, ok. Warum man aber dessen Grundlage, also den Gottesglauben, den Glauben an die Wiederkunft Christi und damit auch die Hoffnung auf das Jüngste Gericht gerade für die Opfer, gerade für die Mißbrauchten wie eben den Protagonisten von „Your Heaven My Hell“ aufgeben sollen muß, nur um überhaupt mit ihm diskutieren zu können, bleibt mir ein Rätsel. (Update: Ich beginne zu verstehen. Möglicherweise meint er: Solange der Gegenüber noch mit dem Jüngsten Gericht droht, kann er mich jederzeit aus der Diskussion kicken. Ok, könnte ich nachvollziehen. Den Eindruck bekommt man nämlich auch, wenn man sich in nicht nur rein apologetischer Absicht mit Satanismus beschäftigt, denn dann heißt es, man sei wohl schon selbst „okkult belastet“ und ist raus aus der Diskussion…)

Danach geht es zur Abwechslung mal um die Musik, erst am Ende kommt der Artikel auf Politik zurück. Nachdem Mille zu demokratischem Engagement, zu konstruktiver Mitarbeit, um etwas zu ändern, zur Teilnahme an Demonstrationen (Yo, mach ich: 22. September! Berlin!) aufgerufen hat, fragt der Interviewer danach, was er denn von Gaucks „Freiheitsjargon“ halten würde. Und nach nur wenigen Zeilen sind sie wieder bei Religion:

So gesehen müßte Mille der neue Bundespräsident Gauck mit seinem Freiheitsjargon gefallen. „Ich vertraue Politikern nicht unbedingt. Politiker muß es geben, aber ich habe noch keinen Supersympathen gefunden. Ich weiß, daß es Menschen sind und sie Fehler machen, das sind keine Supermenschen. Ihnen den Schlüssel zur Rettung zu übergeben, ist naiv.“ Jülle hat sein erstes Drumkit größtenteils durch sein Konfirmationsgeld finanziert. Milles Kooperation mit dem heutigen „Feind“ war sogar noch intensiver. „Ich war jahrelang Meßdiener, ich kenne den Quatsch. Religionskritik ist immer super einfach und sehr Metal, fast jeder Metaller kann sich damit identifizieren. Ich kenne diese Strukturen und weiß, was in der Kirche passiert. Für mich war es auch ein Lernprozeß, Meßdiener zu sein und zu erfahren, was organisierte Religion eigentlich ist. Das ist Götzentum, wie ein Schauspiel. Der Pfarrer ist der Leadsänger, und die Meßdiener stehen daneben. Der Name sagt alles, man ist Diener. Das zeigt die hierarchische Sturktur der katholischen Kirche. Es gibt einen da oben, den beten alle an. Dann gibt es den Priester als Vermittler, und der Rest sind Diener. Das ist für mich falsch.

So ganz verstanden haben kann er das ja nicht, denn dann wüßte er, daß der Priester auch nur Diener ist, und eigentlich sogar mehr Diener als „das Volk“, nämlich der Diener der Diener Gottes. Aber interessant finde ich ja die Bezeichnung des Priesters als Leadsänger. Setze stattdessen Animateur oder Alleinunterhalter, und willkommen, Mille, bei kath.net.

Was den Metal angeht, bin ich ja sowieso ein Spätzünder. Und Meshuggah machen Musik, so wie sie heißen, meschugge halt. Jedes Instrument spielt in einer anderen Taktart, noch dazu solchen, die eher, öhöm, unüblich sind. (Am Anfang meiner Metalkarriere lief mir ein Typ über den Weg, der solche Musik analysierte und ihre Partituren schrieb — bei 20/21-Takten hakte es dann bei mir aus; wenn ich nach seinem Namen google, finde ich einen Komponisten, würde passen :-). Und gelegentlich treffen sie sich alle mal auf einer Eins. Oder halt auch nicht. (Wer’s genauer wissen will, informiere sich über den Begriff „Math Metal“. *g*)

Nunja, was soll ich sagen, das vorletzte Album hat jetzt vier Jahre gebraucht, um zu zünden (der Nachfolger ist seit März draußen und heißt treffend „Koloss“). Aber hallo, dafür zündet’s jetzt so richtig!!! Ist das endgeil!!! Funktioniert zwar am besten als Album, aber das gab’s bei YouTube nicht, und da ich mich nicht zwischen den einzelnen Tracks entscheiden konnte (gibt jetzt die Baßspur auf Parvus den Ausschlag oder das Schlagzeug auf Obzen oder des Intro von Dancers to a Discordant System), folge ich einfach der Auswahl der Plattenfirma (die zudem den, wie mir scheint, zugänglichsten Song ausgesucht hat, da treffen sie sich sogar recht regelmäßig :-)):

Und wenn ich jetzt für jedes Album länger brauche als die Band? Wie soll ich da jemals fertig werden?! Boah, so irgendwie muß die ewige Anbetung im Himmel sein 🙂

anläßlich des 33. Geburtstages der New Wave of British Heavy Metal habe ich mir ein Herz gefaßt und meinen Umzug übers Knie gebrochen. Ab jetzt lest Ihr mich auf meiner reaktivierten eigenen Domain. Bitte updated eure Abos!

Wer sich in der dortigen Blogroll vermißt, maile mich bitte an, ich habe irgendwann ein wenig den Überblick verloren und habe den einen oder anderen Umzug nicht mitgemacht. Dieser Blog bleibt bestehen, schon alleine, weil ich einer ganzen Reihe von portierten Posts noch die Adresse hartcodiert auf blogspot.com verweist.

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Heute kam die Antwort vom Volkbund zum Schicksal meines Großvaters. Die profanste aller möglichen:

Es hat sich im Nachhinein herausgestellt, daß es bezüglich der Vermißtenorte und des Vermißtendatum in einigen Datensätzen zu Abweichungen gekommen ist. Aufmerksam hierauf wurden wir, wie im Falle Ihres Angehörigen, durch die Anfragen der Familienangehörigen. Die Abweichungen resultieren aus dem Umstand, daß die Angaben des DRK, um die Flut der Daten bewältigen zu können, zu sogenannten Ortsschlüsseln zusammengefaßt wurden.

Wirklich die profanste — und ärgerlichste — aller möglichen Erklärungen. Wer sich schonmal ernsthaft mit der Konsitenz von Daten auseinandergesetzt hat, weiß, daß gerade beim Transfer von unüberschaubar großen Datenmengen („Datenflut“) die korrekte Übernahme wichtig ist, da niemand im Nachhinein hingehen und alles nochmal überprüfen kann.

Um ein paar Monate zu sparen, wird auf Jahrzehnte hinweg eine fehlerhafte Datenbank in Kauf genommen. Sowas haben wir auch hier in der Unibibliothek. Da wurde die Bibliothek einer aufgelösten evangelischen Ausbildungsstätte übernommen, und weil die Bibliothek damals sowieso noch im Aufbau war und das Geld trotz allem knapp, hat man die Integration von externen Hilfskräften machen lassen, die sich offenbar nicht gerade durch theologische Fachkenntnis auszeichneten. Mit dem Ergebnis, daß Bücher nicht mehr sinnvoll gefunden werden konnten, weil sie unter falschen Notationen aufgestellt worden waren. So fand ich mal ein Buch über die Eucharistie unter BK 6150. Ohne solche Zufallsfunde ist im Nachhinein nichts mehr zu korrigieren. Und genau das Problem hat jetzt der Volksbund.

Nur daß es dort nicht um Bücher geht, die thematisch falsch aufgestellt, aber immer noch über Autor und Titel zu finden sind. Sondern um das seit über 60 Jahren ungeklärte Schicksal von Menschen, deren Angehörige plötzlich die Hoffnung haben, doch noch einmal an einem Grab stehen zu können. Ok, kann man jetzt nicht mehr ändern, aber damit ist der Datenbestand des Volksbundes plötzlich wertlos, weil man sich nie darauf verlassen kann, daß er auch korrekt ist.