Medien

Als Anfang Dezember Stanislaus „enttarnt“ wurde, fragte ich mich, warum der Herr „Meier“ eigentlich so „geil“ darauf war, den richtigen Namen eines Bloggers herauszufinden. Gleichzeitig hatte ich privat mehrere Diskussionen zu diesem Thema, in der verschiedene Personen mir rieten, ich solle doch auch unter Realnamen posten, sonst enttarne mich Herr „Meier“ auch noch (so fucking what?!), oder zumindest die Ansicht vetraten, „anonyme“ Meinungsäußerung sei doch zumindest schlechter Stil.

Ehrlichgesagt habe ich die ganze Aufregung nicht verstanden, und zwar von vorne bis hinten nicht. Denn abgesehen davon, daß ich quasi von einem Vorgesetzen zwar nicht ausrücklich, aber doch implizit zum „getarnten“ Posten animiert wurde, hätte ich selbst ohne diese Aufforderung nicht unter meinem richtigen Namen gebloggt. Meine erste „Rechtfertigung“ war daher: „Das ist im Internet halt so, da verwendet man nunmal Nicknames, und Pseudonymität ist etwas anders als Anonymität.“ Denn ein Pseudonym verschleiert zwar die Identität ein wenig, aber trennt die mit ihm verbundenen Daten keineswegs von der Person (und was ist eigentlich ein Ordensname, wenn nicht ein Pseudonym — bloggt Alipius also unter seinem Realnamen oder unter einem Pseudonym?), wie es die Anonymisierung tut. Pseudonymisierte Daten sind im Gegensatz zu anonymisierten Daten immer noch personenbezogene Daten, auch wenn der Aufwand, sie einer Person zuzuordnen, erschwert ist. Anonymisierte Daten hingegen sind von der Idee her nicht mehr einer Person zuzuordnen, auch wenn es bei sehr speziellen Daten doch möglich ist — siehe Bradley Manning.

Mir war allerdings schon klar, daß das ein recht schwaches, wenn auch sehr pastorales („das war schon immer so, das haben wir noch nie anders gemacht“) Argument ist. Bestätigt wurde meine Intuition allerdings dadurch, daß eine Mitbloggerin auch nach mehrfacher Aufforderung sich weigerte, meine RL-Identität herauszufinden; die interessiere sie einfach nicht, solange ich nicht xxxx xxxx (jemand, den sie kennt) sei. Genau das konnte ich dann den Vertretern der Realname-Bloggerei vorhalten — mit dem Ergebnis, daß praktisch alle zugeben mußten, sie hätten sich einfach nicht dafür interessiert, wer da bloggt, sonst hätten sie mich wahrscheinlich schon viel früher erkannt (denn allzu schwer dürfte das nicht sein). Und genau das ist es doch: Woher weiß ich eigentlich bei einem scheinbar richtigen Namen wie Peter Müller, daß es sich wirklich um einen Peter Müller handelt, und woher weiß ich, daß das verwendete Foto tatsächlich um den Autor des Blogs handelt? Klar, Vincentius Lerinensis ist heute kein wirklicher häufiger Name und die Kombination mit dem Blogtitel „Commonitoria“ (Commonitorium war leider schon weg) zeigt doch ziemlich deutlich, daß es sich nicht um meinen richtigen Namen handeln kann (sondern um ein bestimmtes Konzept hinter dem Blog; daß ich das nach gut sechs Wochen nicht mehr einhalten konnte, steht auf einem anderen Blatt). Bei „gregoriusbraun“ ist es aber schon weniger leicht zu entscheiden, ob das ein Realname ist.

Mein erster Gedanke war daher: Mit meinem Realnamen hätte ich also möglicherweise sogar meine Leserschaft vergrößern können. Aber genau darum geht es mir nicht. Nicht wer etwas schreibt ist relevant, sondern was geschrieben wird, also die Sache. Da muß man nicht einmal zum Konzept „Tod des Autors“ greifen, sinngemäß steht das schon bei Thomas von Aquin.

Doch das ist nur meine persönliche Einstellung. Teilen das alle anderen? Woher kommt die Verwendung von Nicknames im Internet? Wo liegt der Unterschied zu Leserbriefen in Zeitungen? Warum beschweren sich sogar Journalisten über die Anmeldeprozedur bei der Zeitung des Herrn „Meier“? Worin liegt also der wesentliche Unterschied zwischen dem Internet und den (anderen?) Massenmedien hinsichtlich der Identität/Pseudonymität/Anonymität begründet?

(to be continued)

Michael Hesemann wies kürzlich darauf hin, daß es keinen Zeitpunkt gab, „der günstiger gewesen wäre für das zentrale Ereignis der Geschichte, die Menschwerdung Gottes“ als die Zeitenwende. Wie recht er damit trotz der heute viel einfacheren und schnelleren Kommunikation via Facebook, Twitter und YouTube hat, hat nun der Focus (via Strafrecht online Blog) herausgearbeitet (womit auch gleich noch gezeigt wird, daß unser Glaube eben doch nicht nur von Kommunikation und Dialog lebt, sondern vom Ereignis):

Gott sei Dank, daß Er schon vor 2000 Jahren geboren wurde — und nicht in Deutschland.  o<:-)=<>

…hat sich in die Blogoezese verliebt, wie mir scheint (via katholon).

Ich finde allerdings nicht nur, daß das langsam langweilig würde. Als jemand, der stark wissenschaftlich geprägt ist, reagiere ich ehrlichgesagt ziemlich allergisch auf sinnentstellende Zitate. Jedenfalls erkenne ich Stanislaus‘ Kommentar in Haverkamps Artikel nicht wieder. Denn Haverkamp erweckt den Eindruck, Stanislaus habe „überwiegend“ die Kritik Kisslers zitiert, was aber schon insofern nicht stimmt, als die beiden Zitate in dem Artikel, das positive und das ansatzweise negative, in etwa gleich lang sind, tatsächlich ist sogar das positive, dem Stanislaus ja auch zustimmt, das längere.

Ganz übel finde ich jedoch, daß Haverkamp beim Zitieren des Zitats den letzten Satz wegläßt: „Wir wissen es nicht, wir ahnen aber: Die Zukunft wird es weisen“, und nicht mit einem Satz darauf hinweist, daß Stanislaus dieses Zitat mit „ohne ihm (gemeint ist Bischof Bode) dabei etwas unterstellen zu wollen“ einführt. Im Grunde handelt es sich doch bei dieser Kritik nur um die berechtigte Feststellung: Dieses Mea Culpa hat nur dann einen Sinn und kann positive Wirkung entfalten, wenn es mehr ist als ein Mediencoup.

Bevor ich als nächstes in der NOZ als verlinkt werde (hm, verlinkt wurde Stanislaus überhaupt nicht — was soll das denn?!): Nein, ich glaube nicht, daß das ein Mediencoup, eine Aktion, die nur der Imagepflege dient, sein sollte. Wer es noch nicht gemerkt hat in den letzten Jahren: Die Fähigkeiten unserer Kirche zu medienwirksamer Imagepflege sind nicht unbedingt das Pfund, mit dem ich wuchern würde. Und das ist, zumindest in dieser Frage, auch gut so. Schuld eignet sich nicht zur Imagepflege. Sie kann und muß aber sehr wohl liturgisch vor Gott zum Ausdruck gebracht werden. Und das ist der grundlegende Punkt, in dem Bischof Bode und der Rest der Blogoezese wohl voll und ganz auf einer Linie liegen dürften.

Schade nur, daß wir uns jetzt mal wieder nur gegenseitig fertig machen.

Unter diesem Titel sollte eigentlich ein Beitrag zu Wikileaks erscheinen, aus gegebenem Anlaß kann ich zu diesem Thema nur verlinken.

Nun also zu einem Thema, zu dem sich m.E. schon andere in die Nesseln gesetzt haben. Es ist auch nicht so ganz einfach, in der emotionalen Erschütterung differenzierte Äußerungen zu Byte zu bringen. Drum beschränke ich mich im Folgenden auf „Ich-Botschaften“.

Ich habe es geahnt, als der erste Link in Elsas Kommentarbereich auftauchte. So viele junge Pfarrer im nördlichen Emsland konnte es ja nicht geben. Ich ahnte, daß nicht das Bloggen der Grund für die Blogschließung gewesen sein konnte. Nach wie vor ist sein Zweitblog zugänglich, dessen Thema angesichts der Vorwürfe tasächlich irritierend ist. Ich hoffte trotzdem.

Aber was hätte das geändert? Nur, daß ich ihn nicht (virtuell) gekannt hätte. Warum wäre das relevant gewesen? Ich hätte mich besser distanzieren können, wäre weniger emotional betroffen gewesen. Aber wäre das besser? Augen zu und durch? Der Wahrheit ins Auge zu blicken, auch wenn sie schmerzt; dorthin zu gehen, wo das Dickicht der Sünde, ja der Tod der Seele wartet; dem Bösen nicht ausweichen, sondern ihm standhalten. Notwendig ist das, wie ich immer wieder erfahren habe. Nur wenn ich weiß, wovon ich erlöst bin, wovor ich bewahrt wurde, kann ich das auch schätzen (und wenn ich „ich“ schreibe, dann meine ich auch „ich“: mich, als ein als Baby Getaufter, der manchmal mit Staunen hört, wie Neophyten oder Revertiten vor ihrer Umkehr das Leben erfahren haben [dieser Song spukt mir schon das ganze Wochenende im Kopf herum]). Und ich weiß: Auch wenn ich nicht in Gefahr stehe (zu stehen glaube), Besuch von der Polizei zu bekommen, stehe ich nur unwesentlich besser vor Gott dar als „Katholik“.

Im Grunde mußte ich damit rechnen. Wenn nicht „Katholik“, dann jemand anders. Wenn nicht Kinderpornographie, dann $BELIEBIGE_TODSÜNDE. Natürlich kommt hier noch dazu, daß er Priester ist, eine besondere Vertrauensperson, ein Geistlicher, mit besonderer Gnade beschenkt. Aber eben auch mit besonderen Versuchungen belastet. Und ein besonders lohnendes Ziel für alle Versucher dieser Welt. Ich glaube, ihm und mir konnte nichts besseres passieren, als daß das ganze öffentlich wird (vorausgesetzt, er hat sich tatsächlich etwas zu schulden kommen lassen, aber nach allem, was man lesen kann, ist diese Frage wohl nur noch juristisch offen). Die Öffentlichkeit bietet Schutz vor der Sünde (wenn die Öffentlichkeit ihn jetzt nicht in die Enge treibt), die Möglichkeit zur Umkehr, zur Reue, zur Besserung — zur Buße. Nichts ist an der Sünde schlimmer als ihre Heimlichkeit. Ist sie erst einmal ausgesprochen, hat sie ihre Macht bereits zu großen Teilen verloren. Die Wahrheit will ans Licht, und die Wahrheit macht frei.

Ich breche das jetzt ab. Mir schwirrt noch viel zu viel im Kopf herum, ungeordnet. Ich bin in Trauer, aber nicht schockiert. Ich bin enttäuscht, aber weiß nicht wovon. Ich bin wütend, aber weiß nicht auf wen. Es wäre so einfachzu einfach. Das Wort der Heuchelei ist bereits gefallen — es ist ein starkes Wort, das mitunter auch auf den zurückfällt, der es verwendet (mich eingeschlossen)… Doch in gewisser Weise ist damit getroffen, was ich empfinde — sowohl musikalisch als auch inhaltlich.

Ich werde die Verlinkung nicht rausnehmen. Damnatio memoriae? Dann könnte ich auch aufhören zu beten.

Da habe ich letztens erst über die Obrigkeitsfixiertheit der Deutschen philosophiert, und jetzt macht sich die halbe Blogosphäre (Blogoezese eingeschlossen) ins Hemd, wie „die Politik“ ohne Ahnung vom Internet (und von Kindeserziehung?) einen JMStV beschlossen hat, der sich furchtpahr gefährlich anhört, aber ganz eindeutig völlig wirkungslos bleiben wird.

Damit ihr Euch alle mal ein bißchen entspannt, erstmal hier lesen.

Und Euch dann bitte fragen, in welcher Weise Ihr überhaupt von den Regeln betroffen sein könntet. Richtet ihr Euch hauptsächlich an Kinder? Habt Ihr überwiegend 16+-Content in Euren Blogs? (Wenn ja, habt Ihr schon lange viel größere Probleme als den neune JMStV…)

Wenn Ihr Euch von diesem Staatsvertrag angesprochen fühlt, warum habt Ihr dann nicht alle ein vollständiges Impressum auf Euren Seiten? (Anmerkung: Ihr habt es völlig zu recht nicht, denn Ihr braucht überhaupt keins zu haben.)

Natürlich ist das ganze ein völlig untauglicher Versuch, Jugendschutz im Internet einzuführen, denn er ignoriert die prinzipielle Grenzenlosigkeit der Internets. (Elsa zum Beispiel wird zwar vermutlich überwiegend von Deutschland aus gelesen, aber unterliegt nicht den hiesigen Gesetzen.) Er ist auch deshalb ungeeignet, weil Jugendschutz durch Alterkennzeichnung nicht funktioniert und auch noch nie funktioniert hat — entscheidendes Kriterium ist und bleibt die Verantwortung der Eltern. Nur wenn die Eltern ihre Kinder entsprechend erziehen, das heißt auch: ein Auge darauf haben, womit die sich so beschäftigen, vor allem aber die Auseinandersetzung mit dem Konsumierten fördern, werden Kinder und Jugendliche vor schädlichen Folgen bewahrt, nicht dadurch, daß man von Staatswegen was verbietet. Denn an solche Verbote halten sich nur die Jugendlichen, die von ihren Eltern einigermaßen erzogen wurden. Die „Problemjugendlichen“ hingegen stammen in den seltensten Fällen aus intakten Familien. Den Schluß, was da vermutlich eher die Kausalursache ist, überlasse ich mal dem geneigten Leser.

So, und das nächste Mal erzähle ich Euch was über die Wirkungslosigkeit von pauschalen Disclaimern zur Linkhaftung…

Kurzer Hinweis: In der FAZ findet sich heute auf Seite 8 ein längerer Beitrag über „Licht der Welt“ von Jörg Bremer. Ein paar Auszüge:

„In einem Industriekonzern gäbe es Entlassungen, aber beim Heiligen Stuhl geht offenbar niemand. […] Dass sich […] der Eindruck festsetzte, in dem Buch gehe es dem Papst vor allem um eine Lockerung des Kondomverbots, war ein schiefes Licht auf das Buch. Der Papst hat seine Haltung zur Verwendung von Kondomen nicht geändert.“

Danach fängt der Artikel erst richtig an, bevor er schließlich zusammenfaßt:

„Doch was hilft das, wenn die Kurie diesen Büchern [des Papstes] nicht ihren gebührenden Platz einräumt. Dann muss der Papst dies wieder ausbügeln.“

In Kirchengeschichte habe ich gelernt, daß alle Päpste, die sich an einer Kurienreform versuchten, daran gescheitert sind. Daß es die Kirche trotzdem immer noch gibt, ist für mich fast schon ein Gottesbeweis.

P.S.: Wenn jemand den Beitrag kostenfrei online findet, bitte Bescheid geben!

Liest man in der FAZ meinen Blog?! Jedenfalls ist man dort gleich auf meinen Wunsch eingegangen und hat Daniel Deckers den gestrigen Leitartikel (Freitag) über den Kondom-Satz des Papstes schreiben lassen. Dorothea wird vermutlich alles Mögliche daran auszusetzen haben, und tatsächlich kan man in einigen Punkten anderer Meinung als Deckers sein. Insbesondere der Schluß, es handele sich tatsächlich um eine Revolution und nicht nur um eine Reform, ist ein wenig sehr aus weltlicher Perspektive verfaßt, die auch sonst in Deckers Artikel immer mal wieder durchscheint, etwa wenn die kirchliche Sexualmoral und ihre Beurteilung der Empfängnisverhütung bei ihm erst mit „Humanae Vitae“ zu beginnen scheint (mich hat immer gewundert, daß Dogmatik heute fast ausschließlich aus Dogmengeschichte zu bestehen scheint, Moraltheologie aber ohne ausführliche Würdigung der kirchlichen Lehrentwicklung auskommt und allenfalls mal am Rande Thomas von Aquin erwähnt). Aber, und das ist der Grund, warum ich mich über den Artikel freue, er ist sachlich, beleuchtet verschiedene Seiten der „Kondomchose“ und arbeitet selbst an den Punkten, wo ich Deckers Meinung nicht teile, mit nachvollziehbaren Argumente, die immerhin eine sinnvolle Gegenargumentation ermöglichen.

Die Sachlichkeit und Differenziertheit ermöglicht es auch, einige Dinge in den Vordergrund zu stellen, die in unserer heute meist empört-aufgeregten öffentlichen Meinung zugunsten des Vorurteils, die Kirche sei unmodern, unter den Tisch fallen. Gleich zu Beginn etwa, daß die Kondomaussage so gar nicht zum (Voruteils-)Bild des dogmatistischen „Panzerkardinals“ passen will. Deutet er damit an, daß manche Leute offenbar in jeder Suppe ein Haar finden wollen? Auch im folgenden Absatz räumt er zunächst ein, daß „Humanae Vitae“ wie keine andere päpstliche Aussage als Zeichen für die Unvereinbarkeit von Glaube und Moderne stehe. Doch sei diese nicht nur kirchlich gesehen systemimmanent, sondern gerade „den Gebildeten unter den Verächtern der Religion sollte das nicht unsympathisch sein“ — oder anders ausgedrückt: Muß denn automatisch die Moderne im Recht sein, wenn jemand ihr gegenüber skeptisch ist? Wenn das — als ob nicht der ganze andere Stil schon gereicht hätte! — mal nicht ein redaktionsinterner Seitenhieb auf Geyer ist! Aber Deckers ist nicht so eindimensional, sich ein Privatgefecht mit einem Kollegen zu liefern, sondern fährt fort:

„Daher wäre es nur fair, wenn wenigstens heute anerkannt würde, daß ein Großteil des Hohns und Spotts, der sich damals wegen der Enzyklika über Paul VI. ergoß, nicht gerechtfertigt war.“

Denn die Kirche habe sich damit zurecht gegen eine westliche Welt gestellt, die die das Argument einer Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit als Alibi verwendet hat, die mit dem Bevölkerungswachtum in der Dritten Welt verbundene, gerechtfertigte Bedrohung des ressourcenverbrauchenden Lebensstils des Westens zu bekämpfen anstatt die eigene Bequemlichkeit.

Dieses Unrecht gegen Paul VI. vergleicht Deckers mit dem aktuellen Argument, die Kirche sei schuld an der Ausbreitung von Aids, das genauso niveaulos sei (Deckers drückt das natürlich viel eloquenter und verklausulierter aus ;-). Tatsächlich stehe doch die Kirche an vorderster Front im Kampf gegen Aids, nämlich bei den Kranken und Gefährdeten, denen Hinweise, man solle doch Rote Bete und Knoblauch (Mbeki) verwenden, um sich zu schützen, genausowenig helfen, wie „das großzügige Sponsoring männlicher Promiskuität mit Großpackungen voller Gummis“. Es hülfen nur „Aufklärung über die Risiken, Kampangen für die eheliche Treue, die Stärkung der Rolle der Frauen und die Sorge für Kranke und Waisen“. Ist das nun radikal konservativ oder radikal links? Egal: Es ist radikal katholisch im besten Sinne dieses Wortes, und allein das auf der ersten Seite der FAZ zu lesen, entschädigt für vieles, was in den letzten Tagen zu schlucken war — auch in der FAZ!

Danach aber geht Deckers von der Apologetik zum Angriff über, bezeichnet Passagen in „Humanae Vitae“ über die Folgen der sexuellen Revolution als „fast prophetisch“, und das „fast“ verdankt sich eher der Kritik an einer zu schwachen Rede von der „Aufweichung der sittlichen Zucht“ für das, was eigentlich nur als „durchgängige Sexualisierung des Alltags“ und „erschreckende[r] Mangel an der Erziehung der Herzen“ beschrieben werden könne.

„Der Münchner Kardinal Marx hat Recht: Die katholische Kirche ist die letzte Verfechterin des Ideals romantischer Liebe.“

(Und es wäre hinzuzufügen: Einer der größten Gegner ist Hollywood mit seinen niveaulosen Schnulzen, die immer dann enden, wenn Liebe erst wirklich zu sich selbst kommen könnte, nämlich wenn sich die beiden Protagonisten nach allerlei äußeren Irrungen und Wirrungen endlich gefunden haben und nun mit dem inneren Leben des anderen klar kommen müßten…)

Vorsichtig schließt er an, daß daraus ein unumstößliches Verbot künstlicher Methoden von Empfängnisverhütung resultiere, habe selbst die Nachdenklichsten nicht überzeugt, von den Frauen in der Kirche ganz zu schweigen. Damit hat er natürlich recht, denn dieses Verbot resultiert nicht aus dem Ideal der romantischen Liebe, sondern aus dem Recht des Kindes, kein Wunschkind sein zu müssen, sondern um seiner selbst willen und ungeplant (aber gewollt) zur Welt zu kommen, also daß sein Leben nicht von einer menschlichen Zustimmung zur Geburt abhängig ist, sondern allein von Gottes und der Menschen Liebe. Genau deshalb ist die Empfängnisverhütung (ich habe mehr Argumentationsschwierigkeiten mit der Erlaubtheit der natürlichen Methode als mit dem Verbot von Verhütungmitteln) tatsächlich der Abtreibung geistig verwandt (und dieser Konnex muß gegen Deckers‘ Kritik an Johannes Paul II. verteidigt werden!), denn es geht in beiden Fällen ums „Selbermachen“, um den Irrtum, sein Leben selbst im Griff haben zu können und sich selbst über andere und letztlich sogar Gott zu stellen. Systematisierte man diese Einstellung als Weltanschauung, dann wäre man bei dem, was theologisch gesehen als Satanismus zu bezeichnen wäre.

Sagt man sowas aber öffentlich, wird man selbst von einem bekannten deutschen Moraltheologen im Stich gelassen, der im anschließenden privaten Gespräch von sich aus einräumt, man habe natürlich recht, aber das könne man öffentlich nun einmal nicht sagen, weil das keiner verstehe, also die Argumentationsbasis und Überzeugungskraft schmälere. Aber, verdammt nochmal!, was soll man denn sonst sagen? Soll ich Argumente einführen und vertreten, die ich selbst nicht nachvollziehen kann? Wie soll ich dann einen anderen überzeugen?! Und sei es nur, daß mein Gegenüber einräumte, er teile diese Auffassung nicht, aber er sehe zumindest, daß die katholische Position in sich konsistent sei, wie ich mal nachts um drei nach stundenlanger, hitziger Diskussion erleben durfte (eine Erfahrung, für die ich sehr dankbar bin).

Auch ist es keine Überdehnung päpstlicher Autorität, eine moraltheologische Karriere an Kritik an Humanae Vitae scheitern zu lassen. Natürlich kann jeder Katholik jede beliebige Meinung zu jeder beliebigen päpstlichen oder Glaubensaussage haben und sie gerne auch äußern. Er braucht dann aber nicht zu erwarten, daß er dann noch von der Kirche als Lehrer für den Glauben dieser Kirche und Ausbilder künftiger Priester eingesetzt wird. Denn ein Reich, das in sich gespalten ist, kann keinen Bestand haben. Das heißt natürlich nicht, daß man nur Ja-Sager braucht (es gibt durchaus legitim nebeneinander stehende, miteinander nicht harmonisierbare theologische Ansätze, aber Theologie ist etwas anderes als Glaube und Lehramt, denn es setzt beides voraus, ohne es selbst schaffen zu können), aber man braucht jedenfalls keine Theologen, die dem Zeitgeist dergestalt hinterherrennen, daß sie sich nicht die Mühe machen, ihm unangenehme Elemente der kirchlichen Lehre zu erklären. Wenn Deckers meint, infolge der päpstlichen Autoritätsüberspannung sei das „intellektuelle Niveau des Episkopats […] heute so niedrig wie lange nicht“, stellt sich — selbst wenn diese Auffassung zuträfe und nicht nur Ausdruck seiner eigenen Arroganz sein sollte, jeden Vertreter von Argumenten, die er nicht versteht, für intellektuell minderbemittelt zu halten —  die Frage, ob er da nicht Ursache und Wirkung miteinander verwechselt.

Daß dies sehr viel wahrscheinlicher ist als Deckers‘ Annahme, zeigt sich auch daran, daß er ähnlich wie Geyer die Erklärung Lombardis, es gäbe nicht nur eine Hierarchie der Glaubenswahrheiten sondern auch der päpstlichen Äußerungen, einfach durch Behauptung wegredet. Was der Papst in einer Enzyklika mit noch dazu ziemlich hohem lehramtlichen Anspruch verkündet, steht nun einmal auf einer anderen Ebene als die persönliche Äußerung zu einem bestimmten Sonderfall in einem Interview. Oder anders gesagt: Wer eine Enzyklika grundsätzlich in Frage stellt, tut etwas anderes, als der, der der eine Interviewäußerung für überinterpretiert und im Licht der bisherigen Lehre zu verstehen fordert. Das eine äußert der Papst in seiner Funktion als oberstes ordentliches Lehramt, das andere nicht. Hat nicht Papst Benedikt selbst in seinen Jesus-Büchern sehr ausdrücklich betont, es gäbe einen Unterschied zwischen lehramtlichem und theologischem Reden? Die Vorstellung, der Papst nutze ein Interview, um die Lehre der Kirche zu ändern, ist irgendwie… amüsant.

Nach wie vor zu beweisen wäre die Behauptung, daß sich selbst „kirchenverbundene Katholiken“ ohne Gewissenbisse einfach über die Lehre der Kirche hinwegsetzten. Vielleicht versteht Deckers ja etwas andereres unter kirchenverbundene Katholiken als ich und vielleicht lebe ich ja auch einfach in einem Fundamentalistenhort, jedenfalls spricht die durchschnittliche Kinderzahl junger Familien in meiner Gemeinde (müßte grob über den Daumen gepeilt über drei liegen) nicht gerade für exzessiven Gebrauch von Kondom und Pille (und auch bei uns gibt es gravierende Differenzen über den recht gelebten Glauben). Vertrauenskapital haben bei mir jedenfalls die verspielt, die rundheraus in Frage stellen, wonach ich (bei allen bleibenden Schwierigkeiten) mein Leben auszurichten versuche! Woher wollen all die, die die katholische Sexualmoral ganz oder teilweise ablehnen, eigentlich wissen, daß sie nicht der Weg zu einem reichen und erfüllten Leben ist? „Komm und sieh“ and try it yourself. Aber Vorsicht: Gefahr der Umkehr. BTDT.

Gegen Ende kriegt Deckers allerdings doch wieder die Kurve, seinen Leitartikel nicht in polemische Kirchenkritik abgleiten zu lassen. Er weist darauf hin, daß der Papst hier ganz offensichtlich nicht sich selbst korrigierte, denn er hat sich nie ausführlich zu Kondom und Pille geäußert, dafür in „Deus caritas est“ — das Deckers zu empfehlen nicht müde wird — das „Hohelied der Sexualität“ gesungen. Und zwar ganz ohne den Nebenschauplatz Empfängnisverhütung zu betreten, gehe es ihm doch nicht um Verbote, sondern um „positive Orthodoxie“, also zu zeigen, daß und warum der katholische Glaube das beste ist, was einem Menschen passieren kann. Es ist mehr als nur schade, daß dieses Ziel immer wieder durch das Herausgreifen einzelner, nur scheinbar wichtiger Aussagen aus dem Zusammenhang konterkariert und der Papst immer wieder auf ein Diskussionsniveau deutlich unter der Gürtellinie heruntergezogen wird. Irgendwie liegt es nahe, das auch geistlich zu interpretieren…

Insofern ist es aber besonders schade, daß Deckers am Ende sogar seinen eigenen Kommentar konterkariert, indem er die Interviewaussage des Papstes wieder in den Vordergrund stellt und sogar als lehramtlich interpretiert, wenn er schreibt:

„Daß in dieser Perspektive [der Verantwortung von Mann und Frau füreinander und für die Weitergabe des Lebens] auch eine Güterabwägung vonnöten sein kann, und zwar nicht als Übel, sondern als sittliche Pflicht, das ist keine Reform, sondern eine Revolution“,

bleibt er eindeutig unter seinem eigenen Niveau, denn von Verantwortung für Mann und Frau und Weitergabe des Lebens hat der Papst im Kontext seiner Interviewäußerung nun wirklich nicht gesprochen. Oder hat Prostitution mittlerweile etwas mit Verantwortungüberahme für den Ehepartner und die Weitergabe des Lebens zu tun?! Da müßte mir etwas entgangen sein…