Musik
Daß es in letzter Zeit „etwas“ ruhiger bei mir war, obwohl im katholischen Internet mal wieder der Bär steppt, hatte etwas unangenehme Gründe — zu den unumgänglichen beruflichen Verpflichtungen gesellten sich in der vergangenen Woche auch noch eine kranke Tochter und eine mobilitätseingeschränkte Ehefrau. Mittlerweile nähert sich alles wieder dem Normalzustand, wenn man von meinem Schlafpensum einmal absieht. Da man sich aber nicht aussuchen kann, wann eine der großen deutschen Thrash Metal-Bands mal in die Provinz nach Thüringen kommt und ich wohlweißlich zur Selbstverpflichtung eine Karte im Vorverkauf erstanden hatte, bin ich nun gerade von einer endorphingeschwängerten Sodom-Erfahrung zurückgekehrt.
Eigentlich erstaunlich, das war mein erstes Konzert in dieser Wintersaison: Bisher hat entweder der Headliner abgesagt oder es lag zuviel Schnee, um den Weg nach Jena verantwortet angehen zu können (wer konnte schon wissen, ob die Bahn noch fährt, wenn man nachts um viertel zwei wieder zurück will?). Diesmal lag aber weder Schnee noch hat der Headliner abgesagt, außerdem war das Konzert sowieso in Erfurt.
Im Grunde geht mir Thrash Metal ziemlich am Allerwertesten vorbei, wenn man mal von der Varianten „europäischer Power Metal“ und „Bandname beginnt mit S“ (Slayer, Sepultura) absieht. Sodom war hingegen bei genauerer Betrachtung — nicht nur wegen beginnender Entzugserscheinungen — Pflichtprogramm, obwohl ich nicht ein Album von Herrn „Angelripper“ besitze. Es begann mal wieder mit dem allseits beliebten Spiel „auf der Karte steht Beginn 20:00, auf der Website 21 Uhr, wann fangen sie wohl tatsächlich an“, aber da die Vorband „Die Hard“ im wesentlichen entbehrlich war, machte es auch nichts, daß die Angabe auf der Karte offenbar näher dran war. Als ich salomonisch geurteilt habend gegen halb neun kam, waren die schon zu Gange. Schmerzlich anzumerken ist aus meiner Sicht, daß ausgerechnet die ausdrücklich als antichristlich angekündigten Songs mal ein wenig angenehme Abwechslung vom monotonen Geschrammel boten. (Wenn ich mir die dazugehörigen Texte angucke, etwa „Fed to the Lions“, sehen die dann doch nicht so eindeutig antichristlich aus, eher wie eine Möglichkeit, evangelisierend anzuknüpfen. 🙂
Bei Sodom nervte zuerst der übersteuerte Baß, was man schon beim Soundcheck hören konnte, aber offenbar sollte das wohl so sein. Weiß nicht, ob ich mich dran gewöhnt habe oder später noch dran gedreht wurde, jedenfalls schien es mir später besser zu sein. Musikalisch spielten Sodom natürlich in einer gänzlich anderen Liga als ihre Vorband (aber dafür ist eine Vorband eben auch eine Vorband). Deutlich abwechslungsreicher, schade nur, daß man lange Zeit von der Gitarre nichts hörte… Immer wieder beeindruckt mich, was man alles aus einem Schlagzeug rausholen kann: Da schlägt ein thrashiger Beat sammt Double Bass durch und gleichzeitig werden noch alle möglichen Fills mit eingeflochten. Schwerstarbeit. Es wurde alles gespielt, was zu erwarten war, und bis zum abschließenden „Bombenhagel“ (dem Stück, das die Band aus politischen Rücksichten in Polen nicht spielen wollte, zu dem sie aber von den polnischen Fans gezwungen wurden 🙂 dauerte es deutlich über anderthalb Stunden, die inklusive Stage Diving Contest (daraus der Posttitel) alles boten, was man als leicht zu amüsierender langhaariger Bombenleger von einem Freitag abend erwarten kann.
Die neueren Stücke waren, wenig überraschend, die abwechslungsreicheren, groovigeren und komplexeren. Hier waren durchaus mal Death Metal-Elemente angedeutet, die auch bei Slayer und Sepultura der Grund sind, warum ich mit deren Musik was anfangen kann. Vielleicht leiste ich mir ja doch mal eine Sodom-CD.
Am überraschendsten war aber, wieviele Bekannte mir über den Weg laufen. Ich bin ja grundsätzlich ein wenig einzelgängerisch veranlagt und habe in meinem direkten Umfeld inzwischen eigentlich gar keinen Metaller mehr. Dafür liefen mir nicht nur „mein“ DHL-Paketbote (der mit den netten Paketen von Nuclear Blast und Perverted Taste oder wer gerade mal wieder mit DHL versendet — jetzt weiß ich endlich, warum der mich immer und überall grüßt) und der freundliche Herr vom Copyshop, der meine Doktorarbeit gebunden hat, über den Weg. Auch der Sodomfreak vom Metalstammtisch von anno dazumal war, sofern noch in Erfurt ansässig, durchaus zu erwarten. Anders der alte Usenet-Bekannte, beide haben mich aber offenbar nicht gesehen (und ich brauchte die Säule neben mir, an der ich mich festhalten konnte: bei so vielen Leuten auf einem Haufen wird die Luft ja sowieso schlecht und trotzdem gibt es immer noch genug ver*piiiieps*te *Piiiiiep*er, die sich nicht ans Rauchverbot halten; aber was will man machen, wenn selbst der Barkeeper mit ’ner Fluppe rumrennt; zugegeben, Schlafmangel, Bier und Sherry fördern vermutlich auch nicht der Standfestigkeit), und vor allem der Herr, der ganz zum Schluß zufällig neben mit stand und dessen Gesicht mir so bekannt vorkam… Auf Nachfrage stellte sich raus, na klar, ein anderer Vater aus dem Kindergarten. Manchmal ist die Welt schon klein, aber wer denkt bei Sodom schon an Kindergarten?
So, jetzt aber ab ins Bett, dann hört die Welt vielleicht auch wieder auf, sich zu drehen. Und vielleicht schaffe ich es im Laufe des Tages mal, einen tiefergehenden, sachbezogenen Post abzusetzen. Es wäre mal wieder Zeit.
Schon beim Titel von Alipius‘ Posting Disciples! hatte ich aufgrund meiner frei flottierenden assoziativen Denkweise sofort Slayer vor Augen. An sich wäre das ja keine Nachricht wert, aber der Inhalt des Postings kam stellenweise meiner Interpretation des Songs so nahe (er ging natürlich weit darüber hinaus), daß ich mich hier zu einer Vorveröffentlichung gezwungen sehe (wobei ich den Einbetten-Code des Videos schon aus einem Posting vom letzten April recyclen kann — ihr seht, der Song beschäftigt mich mächtig :-).
Das Lyrische Ich dieses Lieds versteht sich ganz offensichtlich als sehr viel normaler als die Gesellschaft, aber gerade deswegen auch als Außenseiter, geradezu als Ausgestoßener („Nur ich in meiner Welt voller Feinde“). Es sieht sich in einer nicht anders als apokalyptisch zu nennenden Konfrontation mit der Welt: Es haßt alle Menschen gleichermaßen und kritisiert die angebliche Christlichkeit der Gesellschaft als Heuchelei, ja als die größte Heuchelei aller Zeiten. Die Gläubigen seien bloß Dronen, die behütete, vorgeplante Leben führten und meinten, mit Gott an ihrer Seite stünden sie am richtigen Platz – dabei breite sich ganz offensichtlich überall und die ganze Zeit über nichts anderes aus als die Hölle. Dagegen beansprucht das Lyrische Ich individuelle Wahrheitserkenntnis. Es wolle aufhetzen und den Geist befreien, indem es allen offenbart, was ihm selbst offen vor Augen stehe: Gott hasse die Menschheit.
Die Offensichtlichkeit dieses Gedankens ergibt sich für das Lyrische Ich aus dem katastrophalen Zustand von Welt und Gesellschaft: Terrorismus, Chaos, Hysterie, Kampf aller gegen alle (Stück und Albumtitel haben durch diese Bezüge eine ungeplante, aber geradezu prophetische Gegenwartsbezogenheit: Das Album „God Hates Us All“ erschien ausgerechnet am 11. September 2001), Drogenmißbrauch, Selbstmißbrauch, Suche nach dem jeweils nächsten Kick. Diese Beschreibung von Realität führt aber nicht zu Verzweiflung, sondern zu Aufbegehren: Das kann, das darf nicht so bleiben. Die Hoffnung auf eine neue, bessere Welt wird zwar nicht geäußert, der Untergang des Bestehenden aber als unumgänglich („eine sich selbst zerstörende menschliche Zeitbombe“) angesehen und erhofft („Ich warte auf den Tag, an dem die ganze Welt, verdammt nochmal, stirbt“).
Daher schwimmt das Lyrische Ich auch gegen den Strom, will nicht wie alle anderen ein Jünger Gottes sein. Es will nicht blind folgen, das Kreuz (er-)tragen und sein „Leben in einem Sprung blinden Glaubens vergeuden“. Das alles ergibt angesichts der Realitätserfahrung keinen Sinn, bietet keine Hoffnung. Die Existenz Gottes kann nur die eines Sadisten sein. Denn die Gläubigen leben so, daß sie sich und anderen nur schaden. Der Glaube erscheint als ein falsches Weltverhältnis, von dem das Lyrische Ich durch seinen Aufschrei befreien will. Dabei stellt es sich kompromißlos gegen das unhinterfragt als gut geltende Bestehende. Es fragt, ob sich die Gläubigen überhaupt vorstellen können, daß es anders sein könnte, daß es keinen Gott gibt. Diese Frage müßte doch für das Denken relevant sein. Auffällig ist, daß durch die (Nicht-)Existenz Gottes nicht das Handeln, sondern das Denken infragegestellt wird: Das Handeln wird bereits als heuchlerisch, also dem Denken nicht entsprechend, abgelehnt – darüber kann gar nicht mehr diskutiert werden, es verurteilt sich selbst. Doch es wird durch das Denken gerechtfertigt, denn man sieht sich ja als gute Jünger Gottes. Diese Rechtfertigung ist nichts anderes als eine heuchlerische Selbstrechtfertigung. Daher müßte die Nicht-Existenz Gottes zu einem anderen Denken führen, das gerade die Heuchelei und die Bosheit des eigenen Handelns erkennen ließe.
Dem entspricht die scheinbar widersprüchliche Identifikation des Lyrischen Ichs mit der Einstellung des hassenden Gottes am Ende des Textes. Wie Gott haßt es alle Menschen, verurteilt die Menschheit und verachtet die Welt. Obwohl es nicht dessen Jünger sein will und sich ausdrücklich als von Ihm gehaßt bezeichnet, verhält es sich den Menschen gegenüber so, wie Er es seiner Meinung nach tut. Diese Widersprüchlichkeit läßt sich auch nicht mit einem Perspektivwechsel erklären, obwohl er musikalisch durchaus gerechtfertigt wäre. Selbst wenn in den letzten Zeilen Gott selbst die Menschheit ablehnen und die Welt verachten würde, entspräche dies exakt der Philosophie, die das vorherige Lyrische Ich als die seine verkündete, nämlich alle Menschen gleichermaßen zu hassen.
Bedenkt man aber, daß dieser Liedtext von einem Sänger vorgetragen wird, der sich als gläubiger Christ bezeichnet und im Interview betont, Gott könne gar nicht hassen, erscheint er für den Nicht-Apokalyptiker fast schon als sinnlose Aneinanderreihung möglichst provokanter Phrasen. Andererseits interpretiert der Texter Kerry King die Textzeile: „Die Schönheit des Todes verehren wir alle“, nicht als Darstellung eines Wunsches oder etwas Erstrebenswertes, sondern als zynisch. Sie beziehe sich auf das (amerikanische) Fernsehen, das ständig betone, in was für einer tollen Gesellschaft man doch lebe, wie friedlich und harmonisch alles sei, auf der anderen Seite aber keinen Widerspruch darin sehe, ständig nur Morde, Amokläufe und andere Gewaltverbrechen in Bild und Ton zu zeigen. Die Selbstwidersprüchlichkeit des Liedtextes hat also (zynische) Methode. Hinter ihr steckt mehr als nur eine kindische Widersetzlichkeit oder spätpubertäre Provokationslust nicht erwachsen gewordener Subkulturanhänger. Die Provokation ist tatsächlich apokalyptisch motiviert. Sie hält der Gesellschaft bis in die künstlerische Gestaltung ihre Selbstwidersprüchlichkeit vor: Wenn ihr tatsächlich gläubige Christen seid, aber nur Tod und Verderben in die Welt bringt und darin keinen Widerspruch seht, muß Gott uns alle hassen, wenn Er uns das gerade durch den Glauben an Ihn antut, was wiederum dem verkündeten Inhalt des Glaubens, nämlich der Liebe Gottes, widerspricht. Eine auf einem solchen Selbstwiderspruch gründende Gesellschaft aber kann keinen Bestand haben.
via MetalSucks
Wozu — dürft ihr euch aussuchen. Wahlweise Guilty Pleasure oder…
Die Ungeduldigen springen bitte bei 0:30 vier Minuten vor.
So, und jetzt verlinkt mich bitte als erzkonservativ 🙂
Die Guilty Pleasure-Geschichte fiel passend zusammen mit einer Queen-von-vorne-bis-hinten-Session. Es scheint also gerade meine Vor-Metal-Phase ihr biographisches Recht zu beanspruchen. Drum noch die eine oder andere vergangene Perle. Warum gibt’s solch mehr oder weniger belangloses Gitarrengeschrammel mit netten Melodien und Feuerzeugatmosphäre heute eigentlich nicht mehr (oder geht da was an mir vorbei?)?
Hm, den Hasselhoff fand ich damals[tm] tatsächlich gut. Und da hatte ich bereits das Vernunftalter erreicht. Bleibt nur noch die Ausrede, vorpübertär gewesen zu sein. An diesen Ausschnitt samt dämlich blinkender Jacke kann ich mich noch extrem gut erinnern. Muß prägend gewesen sein:
Zum Thema Guilty Pleasures hat Elsa schon meine ultimative Guilty Pleasure gepostet. Allerdings habe ich da die Ausrede, zum Zeitpunkt des Erscheinens noch nicht das Vernunftalter erreicht gehabt zu haben. Dafür aber nicht (entsprechend nicht mehr aus den 80ern):
Und daß ich CDs besitze, auf denen David Hasselhoff und Roger Whittaker zu hören sind, verschweige ich besser.
Mache mir gerade Gedanken über eine theologische Auslegung von Queens „We are the Champions“. Sollte wohl besser ins Bett gehen. Gute Nacht!