Kirche

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Bevor ich voraussichtlich für die nächsten vier bis sechs Wochen noch einmal abtauchen muß (um dann wie der Phoenix aus der Asche wiederzuerstehen, versteht sich :-), will ich noch ein paar Dinge loswerden.

Ich habe den guten Kampf gekämpft. Seit Februar. Er ist so gut wie entschieden. Ich weiß nicht, ob ich ihn gewonnen oder verloren habe. Aber ich weiß, das ich Freiheit gewonnen habe. Daß ich seit anderthalb Wochen aus einer geradezu tödlichen (im geistlichen Sinne) Umklammerung befreit bin. Ich hatte ein ganz spezielles Pfingsten, das schon in der Novene losging, dem die Pfingstpredigt die Deutung und den Durchbruch gegeben hat: Der Tunnelblick ist aufgebrochen, das Feuer wieder da, die Sinnlosigkeit des Kampfes offenbart.

Dybart hatte recht, es war, es ist alles noch schlimmer. Wenn das tatsächlich Karneval ist, ist es ein teuflischer. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen. Ich verabschiede mich daher in den „Untergrund“, und der ist „hier“. Unter anderem. Und auf den Straßen vor meiner Haustür. Eigentlich überall, wo ich gerade bin, nur nicht dort, wo ich war. Der Geist treibt mich raus. Raus aus dem Korsett der Sicherheit und vielfältigen Absicherung. Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.

Amen! Komm, Herr Jesus!

Gestern hatten wir eine Einladung zur „Kirchweihe“. Dahinter verbarg sich die Abschlußstunde des Religionsunterrichts der Erst- und Zweitklässler in der Gemeinde. Uns wurde vorgestellt, was die vier Jungs (ja, es sind tatsächlich nur vier, und es sind alles Jungs, was einerseits rein zahlenmäßig betrachtet etwas schade ist, andererseits aber sowas wie ein pädagogischer Glücksfall ist) im letzten halben Jahr dort gemacht haben: Sie haben eine Kirche gebaut — aus Papier und Pappe.

Die Kirche hatte (fast) alles, was eine Kirche braucht — bis hin zur Kreuzform des Gebäudes (Kommentar der Gemeindereferentin: „Ist ja klar, braucht man nicht zu erklären.“ :-). Der Taufstein war am Eingang positioniert — als „Eintritt in die Kirche“. An der Stirnwand gab es einen Klappaltar — ganz außen mit Heiligendarstellungen, unter anderem den vier Namenspatronen der Jungs, in der ersten Stufe dann Darstellungen vom Wirken und Predigen Jesu und in der letzten Stufe dann Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern. Den fehlenden Glockenturm (da fehlte die Zeit für) machten die Haupt- und zwei Nebenorgeln wieder wett. Im großen und ganzen also alles wunderbar.

Nur bei der Anordnung der Sitzbänke im Halb-Oval habe ich erst einen Schreck gekriegt, vor allem als dann auch noch die Frage kam: Warum haben wir das so angeordnet und nicht anders? Sämtliche Horrorszenarien aus dem Liturgievorlesungen/ Kirchenbauseminar kamen da in mein Gehirn geschossen. Die Antwort der Kinder war eine ganz andere: „Die Bänke bilden ein „C“ wie Christus.“ Doch nochmal fragte die Gemeindereferentin nach: „Und warum noch? Was wollen wir sehen?“ Nach der ersten Entspannung also der Schock: Jetzt heißt es gleich, die anderen, die Gemeinde, bla, blu, blups. Nein! Weit gefehlt: „Den Altar!“ Klar, aus Sicht der Kinder ist die übliche Anordnung der Bänke hintereinander natürlich doof: Sie sehen nichts, außer ganz vorne (oder im Chorgestühl :-).

Alles in allem war ich sehr angenehm überrascht. Und fühlte mich bestätigt, meinen Sohn, der schon in der Schule Religionsunterricht hat, auch noch zusätzlich nachmittags in die Gemeinde zu schicken — und mich hier im „Osten“ wohl zu fühlen.

Das Wort des Herrn erging an mich: Menschensohn, sprich als Prophet gegen die Hirten Israels, sprich als Prophet und sag zu ihnen: So spricht Gott, der Herr: Weh den Hirten Israels, die nur sich selbst weiden. Müssen die Hirten nicht die Herde weiden? Ihr trinkt die Milch, nehmt die Wolle für eure Kleidung und schlachtet die fetten Tiere; aber die Herde führt ihr nicht auf die Weide. Die schwachen Tiere stärkt ihr nicht, die kranken heilt ihr nicht, die verletzten verbindet ihr nicht, die verscheuchten holt ihr nicht zurück, die verirrten sucht ihr nicht und die starken misshandelt ihr. Und weil sie keinen Hirten hatten, zerstreuten sich meine Schafe und wurden eine Beute der wilden Tiere. Meine Herde irrte auf allen Bergen und Höhen umher und war über das ganze Land verstreut. Doch keiner kümmerte sich um sie; niemand suchte sie. Darum ihr Hirten, hört das Wort des Herrn: So wahr ich lebe – Spruch Gottes, des Herrn: Weil meine Herde geraubt wurde und weil meine Schafe eine Beute der wilden Tiere wurden – denn sie hatten keinen Hirten – und weil meine Hirten nicht nach meiner Herde fragten, sondern nur sich selbst und nicht meine Herde weideten, darum, ihr Hirten, hört das Wort des Herrn: So spricht Gott, der Herr: Nun gehe ich gegen die Hirten vor und fordere meine Schafe von ihnen zurück. Ich setze sie ab, sie sollen nicht mehr die Hirten meiner Herde sein. Die Hirten sollen nicht länger nur sich selbst weiden: Ich reiße meine Schafe aus ihrem Rachen, sie sollen nicht länger ihr Fraß sein. Denn so spricht Gott, der Herr: Jetzt will ich meine Schafe selber suchen und mich selber um sie kümmern. Wie ein Hirt sich um die Tiere seiner Herde kümmert an dem Tag, an dem er mitten unter den Schafen ist, die sich verirrt haben, so kümmere ich mich um meine Schafe und hole sie zurück von all den Orten, wohin sie sich am dunklen, düsteren Tag zerstreut haben. Ich führe sie aus den Völkern heraus, ich hole sie aus den Ländern zusammen und bringe sie in ihr Land. Ich führe sie in den Bergen Israels auf die Weide, in den Tälern und an allen bewohnten Orten des Landes. Auf gute Weide will ich sie führen, im Bergland Israels werden ihre Weideplätze sein. Dort sollen sie auf guten Weideplätzen lagern, auf den Bergen Israels sollen sie fette Weide finden. Ich werde meine Schafe auf die Weide führen, ich werde sie ruhen lassen – Spruch Gottes, des Herrn. Die verloren gegangenen Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten. Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist. Ihr aber, meine Herde – so spricht Gott, der Herr -, ich sorge für Recht zwischen Schafen und Schafen, zwischen Widdern und Böcken. War es euch nicht genug, auf der besten Weide zu weiden? Musstet ihr auch noch euer übriges Weideland mit euren Füßen zertrampeln? War es euch nicht genug, das klare Wasser zu trinken? Musstet ihr den Rest des Wassers mit euren Füßen verschmutzen? Meine Schafe mussten abweiden, was eure Füße zertrampelt hatten, und trinken, was eure Füße verschmutzt hatten. Darum – so spricht Gott, der Herr, zu euch: Ich selbst sorge für Recht zwischen den fetten und den mageren Schafen. Weil ihr mit eurem breiten Körper und eurer Schulter alle schwachen Tiere zur Seite gedrängt und weil ihr sie mit euren Hörnern weggestoßen habt, bis ihr sie weggetrieben hattet, deshalb will ich meinen Schafen zu Hilfe kommen. Sie sollen nicht länger eure Beute sein; denn ich werde für Recht sorgen zwischen Schafen und Schafen. Ich setze für sie einen einzigen Hirten ein, der sie auf die Weide führt, meinen Knecht David. Er wird sie weiden und er wird ihr Hirt sein. Ich selbst, der Herr, werde ihr Gott sein und mein Knecht David wird in ihrer Mitte der Fürst sein. Ich, der Herr, habe gesprochen. Ich schließe mit ihnen einen Friedensbund: Ich rotte die wilden Tiere im Land aus. Dann kann man in der Steppe sicher wohnen und in den Wäldern schlafen. Ich werde sie und die Umgebung meines Berges segnen. Ich schicke Regen zur rechten Zeit und der Regen wird Segen bringen. Die Bäume des Feldes werden ihre Früchte tragen und das Land wird seinen Ertrag geben. Sie werden auf ihrem Grund und Boden sicher sein. Wenn ich die Stangen ihres Jochs zerbreche und sie der Gewalt derer entreiße, von denen sie versklavt wurden, werden sie erkennen, dass ich der Herr bin. Sie werden nicht länger eine Beute der Völker sein, von den wilden Tieren werden sie nicht gefressen. Sie werden in Sicherheit wohnen und niemand wird sie erschrecken. Ich pflanze ihnen einen Garten des Heils. Sie werden in ihrem Land nicht mehr vom Hunger dahingerafft werden und die Schmähungen der Völker müssen sie nicht mehr ertragen. Sie werden erkennen, dass ich, der Herr, ihr Gott, mit ihnen bin und dass sie, das Haus Israel, mein Volk sind – Spruch Gottes, des Herrn. Ihr seid meine Schafe, ihr seid die Herde meiner Weide. Ich bin euer Gott – Spruch Gottes, des Herrn.
Ez 34

testis gaudii meint, das sei eine coole Sache:

Auf den ersten Blick, hätte ich dem zugestimmt. Ein WJT-Flash Mob an sich ist schon eine coole Idee, aber, leider, leider, muß eine coole Idee auch gut ausgeführt werden, und daran scheint es mir zu hapern.

Daß da der Begriff Flah Mob langsam aber sicher etwas überstrapaziert wird, kann man noch übergehen, zumals es die Videobeschreibung bei Youtube auch treffender „surprise performance“ nennt. Aber mich irritieren Song und Performance selbst ziemlich, so daß ich mich frage, ob da nur keine drüber nachgedacht hat, oder ob sie wirklich nicht wissen, was sie da tun.

Der Song „God is a DJ“ ist jedenfalls alles andere als christlich zu nennen (und stammt passenderweise ja auch von „Faithless“). Hat es gereicht, daß da die Worte „God“, „church“, „love“ und „compassion“ drin vorkommen? Ich habe extra nochmal genau hingehört, ob sie nicht eventuell was am Text geändert haben; haben sie aber nicht. Sind wir schon so tief gesunken, daß wir den Kakao, durch den wir gezogen werden, auch noch trinken? Oder bin ich der einzige, der die Aussage des Songs bei genauerer Betrachtung darin sieht, daß die Erlösung im Tanz und in der Musik gesucht wird?

Dazu wirkt die Performance auf mich wie ein Tanz um das Goldene Kalb. In der Mitte ein Podest, auf dem — passend zum Song! — Lautsprecherboxen stehen, und auf dem sich am Ende auch noch ein DJ findet, dazu winkende Arme, die sich diesem Podest entgegenstrecken. Insbesondere ohne Ton wirkt das wie eine pervertierte Form von Anbetung. Und dann noch dieser Herr in weiß, der da irgendwie spirituell ergriffen durch die Tanzenden schreitet und das Podest anhimmelt — auf dem kurz darauf tatsächlich ein DJ auftaucht. Natürlich passend ins Bild gesetzt zur Textzeile „God is a DJ“.

Vielleicht fehlt mir ja einfach nur die kindliche Unbewschwertheit des Jungen bei 3:39, mit der ich das ganze unhinterfragt als spaßiges und werbewirksames Event stehen lassen kann. Leider kann ich gerade bei Musik mein Hirn nicht ausschalten, im Gegenteil, Musik regt mein Denken an, gerade auch auf einer nicht-rationalen, emotionalen Ebene. Und ich habe gelernt, daß Ästhetik immer eine (ggf. unbewußte) Botschaft überträgt, die auch entsprechend rationalisiert werden kann. Vielleicht interpretiere ich das anders, als es auch seiner Eigenlogik interpretiert werden müßte. Dieses Phänomen ist mir schon öfter über den Weg gelaufen. Aber irgendwie habe ich bei Aktionen, bei der die Kirche sich krampfhaft modern darstellen will, ein schlechtes Gefühl, was die Eigenlogik angeht… Sollte ich mich irren, klärt mich bitte auf.

P.S.: Der kreiförmige Haarausfall bei 3:04 paßt da irgendwie auch wieder ins Bild. 🙂

Einen Protestbrief will er schreiben, und er ist kein geringerer als der Erzbischof von Westminster, Vincent Nichols. Immerhin stehe nicht weniger als die Erinnerung an die lange soziale Verpflichtung der Kirche auf dem Spiel. Dabei beruft er sich auf einen der bekanntesten englischen Konvertiten der 19. Jahrhunderts, Kardinal Henry Edward Manning, der seine Bekanntheit vor allem seinem sozialen Engagement verdankte, unterstützte er doch den Londoner Dockarbeiterstreik von 1889. All das ist also in Gefahr, sollte des Herrn Erzbischofs Stammkneipe umbenannt werden.

So, wo ich jetzt sowieso schon wieder ein Lebenszeichen von mir gegeben habe, kann ich auch gleich erklären, warum es ein solches in den letzten drei, vier Wochen nicht bzw. kaum gab:

Stell Dir vor, es ist Karneval, und keiner geht hin — dann kommt der Karneval zu Dir. Ja, meine letzten Wochen waren teilweise ziemlich karnevalesk, und das, obwohl ich mit Karneval nichts anfangen kann und ihm aus dem Weg gehe, wo immer ich kann. Das Schlimme ist eigentlich nur, daß mit Aschermittwoch nicht alles vorbei war (und auch nicht erst im Februar angefangen hat). Zwar hat sich’s etwas beruhigt, aber das liegt wohl eher an meinem gewandelten Verhältnis zu den fraglichen Dingen (wenn ich eine meiner ältesten Spuren in der Blogoezese nicht längst hätte löschen lassen, müßte ich es jetzt tun, denn ich war idealistisch verblendet). Lange Rede kurzer Sinn: Es ist alles[tm] noch viel schlimmer als ich bisher dachte.

Allerdings kann ich auch nicht so einfach aufhören, an das Gute zu glauben (nicht das Gute im Menschen, aber an das absolute Gut), was es etwas schwer macht, zum Zyniker zu werden (was eine angemessene Reaktion hätte sein können). Bliebe die Möglichkeit, alles hinzuschmeißen und „die“ ihren Dreck alleine machen zu lassen (Wo bitte geht’s zur nächsten Kartause?). Obwohl alles genau darauf hinauslief — Perspektivlosigkeit, Gängelung, Verweigerung von Verantwortungsübernahme –, fehlt mir aber völlig das Gefühl, „da“ jetzt rauszuwollen (was vor und in den letzten drei Wochen schon ziemlich massiv war). Stattdessen macht sich in mir (mal wieder) dieses durchaus angenehme „Fuck You!“-Gefühl breit, es „denen“ zu zeigen und nicht klein beizugeben (was vielleicht genau das ist, was „die“ wollen), die (apokyalyptische) Bereitschaft, gegen eine Übermacht zu kämpfen, das absolute Gegenteil von Verzweiflung. Ja, ich bin Triumphalist, und das ist gut so!

Kinners, dat muß man sich auf der Zunge zergehen lassen:

N[orbert] K[ebekus]: Memorandum und Petition haben ja nicht nur eigene Websites. Diskussionen über die beiden Texte spielen sich in sozialen Netzwerken und in Blogs ab. Wie wichtig ist das “Social Web” für Ihre Anliegen und darüber hinaus für die Dialoginitiative?

Franca Spies, Peter Hohler [Memorandum]: Die Funktion des Internets erleben wir als ambivalent. Polemische Beiträge zeigen uns, dass sich das Internet für tiefere Diskussionen, die ein emotionales Thema behandeln, nicht eignet. Hier werden Diskussionen nicht auf angemessenem Niveau und in der gebotenen Sachlichkeit geführt. Grund dafür scheint zu sein, dass Anonymisierung und ein fehlendes Gegenüber, das direkt wahrnehmbare Reaktionen auch auf emotionaler Ebene zeigt, die Hemmschwelle für Polemik und Beleidigung senken. Als Medium, über das Information verteilt und ein Bildungsauftrag erfüllt werden kann, halten wir das Internet hingegen für sehr geeignet.

Peter Winnemöller (Petition): Im „Social-Web“ sehe ich ein große Chance, einen Meinungsbildungsprozess auch unabhängig von etablierten Medien zu betreiben. In den katholischen Weblogs wird z.B. regelmäßig sowohl über die Petition als auch über das Memorandum berichtet. Natürlich werden hier Meinungen viel dezidierter vertreten, als in den Medien der großen Verlagshäuser, doch das darf und soll auch so sein.

Die Vernetzung untereinander bewirkt auch, dass es Berührungspunkte mit Vertretern anderer Meinungen gibt. Dabei zeigt sich oft, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt. Es gibt punktuelle Zustimmung und punktuelle Ablehnung, dies kann uns vor Lagerbildung bewahren, die wie ein Damoklesschwert über dem angestrebten Dialog schwebt. Auch wenn ich selber im Augenblick kaum dazu komme, mit dem einen oder anderen in eine Diskussion zu treten, so nehme ich genau das bei vielen, mit denen ich vernetzt bin, deutlich wahr. Beeindruckend empfinde ich die völlig undiplomatische Ehrlichkeit, mit der die Positionen vertreten werden.

[…]

N.K.: Bei Facebook vernetzen sich jeweils die Memorandum-Unterstützer und die Petition-Befürworter. Die beiden “Lager” bleiben aber weitgehend unter sich. Es wird eher nicht mit den anderen geredet, sondern übereinander. Welche Orte des Dialoges sehen Sie im Internet? Oder: welche Orte müssten noch geschaffen werden?

Franca Spies, Peter Hohler: Das Internet dient unserer Ansicht nach in erster Linie der Informationsverbreitung und ist ein ungeeignetes Medium für Diskussionen. Solange Emotionen nur sehr eingeschränkt und nicht in Echtzeit übermittelt werden, kann im Internet kein Ersatz für echte zwischenmenschliche Diskussion geschaffen werden.

Peter Winnemöller: Ich sehe eigentlich nicht, dass die „Lager“ so streng getrennt sind. Jedenfalls habe ich niemanden aus meiner Facebook-Freundesliste gekegelt, weil er das Memorandum unterstützt. Sicher kommunizieren die einzelnen Gruppen nicht miteinander. Aber das tun ja schließlich die Fangruppen von Borussia Dortmund und FC Schalke auch nicht. Orte des Dialoges im Internet sind dann eher die eigenen Profilseiten, Internetforen und Kommentarbereiche von Weblogs.

Social Media als „Informationsverbreitungsinstrument“? Wofür steht denn wohl das „social“ in „social media“? Für Massenkommunikation? Argbl, kein Wunder, daß aneinandervorbei dialogisiert wird.

Ich hatte noch einen sachlichen Artikel versprochen, und hier soll er kommen, bevor das nächste kranke Kind zu hüten ist (deutet sich schon mehr als nur an…). Und zwar will ich begründen, warum ich nicht unterschreibe, weder die Petition, noch das Memorandum. So ganz klar auf den Punkt bringen kann ich es noch nicht, aber ich hoffe, es wird ungefähr deutlich, worum es mir geht.

Das Memorandum hat mich gleichermaßen gelangweilt wie geärgert. Das einzig Spannende war die Frage, wieviele es von meinen geschätzten Lehrern unterschrieben haben (vier, was weniger als befürchtet waren; aber da ich Absolvent der anscheinend einzigen Fakultät bin, die geschlossen nicht unterschrieben hat, stammen die Unterschreiber allesamt aus meinem Freijahr, und ja, ich kann bei zumindest zweien gut nachvollziehen, warum sie unterschrieben haben, und sehe in diesen Gründen keinen Angriff auf meine Positionen, eher im Gegenteil; eine weitere Unterschrift hat mich schlicht gewundert und der vierte Professor gehört eigentlich nicht zu meinen geschätzten Lehrern…). Warum es mich geärgert hat, hat bereits Walter Kardinal Kasper auf den Punkt gebracht. Erfreulich ist, daß in den FAZ-Leserbriefen dazu nur mäßig polarisiert wurde, ja geradezu zustimmend die Überwindung der Spaltung in der Kirche (auch wenn sie teilweise an m.E. falscher Stelle gesehen wurde) gefordert wurde — und zwar von Vertretern, die erkennbar „gegnerischen“ Lagern zuzuordnen wären. Es geht aufwärts.

Auf der anderen Seite fühle ich mich den Anliegen der Petition durchaus verbunden. Auch freue ich mich darüber, hier einige Namen aus meinem näheren Umfeld wiederzufinden (und das nicht einmal hauptsächlich aus der Blogoezese). Und manche völlig undialogische Reaktion der „Memorandumseite“ hat mich fast dazu gebracht, mit zu unterschreiben. Ich habe es letztlich aber nicht getan, weil mir bei der Reflexion über mein Unbehagen bewußt geworden ist, daß ich eine Unterschrift ekklesiologisch nicht vor mir rechtfertigen könnte.

Okay, das ist jetzt ein wenig zu geglättet formuliert und klingt nach rein persönlicher Authentizität. Nein, so banal ist es nicht, ich denke tatsächlich, daß sich in dieser Unterschreiberitis (auf beiden Seiten!) ein ekklesiologischer Irrtum ausdrückt. Wovon ich rede, ist die Anwendung politischer Mittel im innerkirchlichen Diskurs (ich brauche keinen Dialog, ein vernünftiger Diskurs — will heißen: niemand spricht dem anderen das Recht ab, seine Meinung vertreten zu dürfen — würde mir schon völlig ausreichen, aber das ist — wiederum auf beiden Seiten! — keineswegs selbstverständlich).

Als ich das erste Mal gelesen habe, Politik könne als die Technik zur Machterlangung und -erhaltung verstanden werden, war ich ernsthaft entrüstet. 13 Jahre lang wurde mir eingetrichtert, in der Demokratie könne jeder gleichermaßen seine Meinung einbringen, jede Stimme sei gleich viel wert (heute weiß ich: allenfalls gleich wenig). Zugleich lernte ich den Wert rationaler Argumente zu schätzen und den Glauben daran, das beste Argument werde sich schon durchsetzen. Tja, humanistisches Jesuitengymnasium halt.

Ja, das wäre alles sehr schön, aber die Welt, sie ist nicht so. Dort geht es darum Mehrheiten zu organisieren, Abstimmungen zu gewinnen und Interessen durchzusetzen (= Parteiführung, Stimmvieh und Lobbyarbeit). Je länger ich die Politik beobachte, um so mehr bestätigt sich ihr Verständnis als besagte Technik. Im Augenblick rede ich mir noch ein, das wäre nicht immer so gewesen. Ich kenne auch noch genug Leute, die meinen, es sei immer noch nicht so (sie werden aber immer weniger). Vielleicht liegt es daran, daß ich älter werde, an Erfahrung reife und mehr Durchblick gewinne; vielleicht liegt es auch daran, daß ich mich den falschen Einflüssen (von Metal über Telepolis bis zur FAZ) aussetze. Jedenfalls ist das mittlerweile meine Überzeugung, was Politik (wirklich) ist.

Nach einem Wort unseres Papstes ist Macht (nicht Haß) das eigentliche Gegenteil von Liebe (Joseph Ratzinger: Eschatologie – Tod und ewiges Leben; Leipzig: Benno, 1981 [DDR-Lizenzausgabe], 81). In der Kirche sollte es aber um Liebe gehen, nicht um Macht, und daher soll es keine Parteiungen geben. Daher stellt sich mir die Frage, ob uns die Unterschreiberitis nicht genau das beschert und vertieft, was sie eigentlich überwinden will, nämlich die Kirchenkrise. Dabei geht es mir nicht um die öffentliche Wirkung (Katholiken sind zerstritten), die sollte uns bei der Wahrheitssuche herzlich egal sein (und das scheint sie dem Heiligen Stuhl und den meisten Bischöfen auch zu sein), und ich will auch niemanden, der unterschrieben hat, angreifen. Ich unterstelle allen Beteiligten, sowohl den Memorandern als auch den Petitionern an sich guten Willen und ernsthafte Sorge um die Kirche (wobei wir uns eigentlich nicht um die Kirche sorgen sollten, sondern um die vielen de facto Nicht-Glaubenden, die der Kirche angehören). Und ja, ich nehme auch zur Kenntnis, das insbesondere die Initiatoren der Petition genau das hier angesprochene Problem sehen und dagegen argumentieren, es ginge nicht um Mehrheiten, sondern darum, den Bischöfen ein Zeichen zu geben, es gäbe da auch noch andere Meinungen. Wenn ich aber sehe, wie de facto ständig die Zahlen verglichen werden, komme ich doch ein wenig ins Grübeln…

Jedenfalls tragen beide Unterschriftenlisten (und auch die für so viele andere Anliegen, vom Kirchenvolksbegehren bis zur Petition zu den Ausführungsbestimmungen von Summorum Pontificum) nicht dazu bei, verschiedene Standpunkte in Austausch miteinander zu bringen, sondern sie vertiefen die Parteiungen, die im eigenen Saft schmoren. So geht es nicht weiter, denn so wird nie jemand „die andere Seite“ besser zu verstehen beginnen. In der Kirche, der katholischen zumal, sollte jede Stimme zählen, egal ob sie auf breite Zustimmung stößt oder ob sie abstrus oder verzagt wirkt. Katholizität orientiert sich an der Wahrheitssuche, der Katholik sollte immer in Betracht ziehen, daß er sich auch irren könnte und niemals die volle Wahrheit erkannt haben kann, so daß er von abweichenden Erfahrungen lernen kann.

Wahrheitssuche geht eben nicht durch Organisieren von Mehrheiten, sondern durch das Zueinander von ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Gott, mit der Welt und mit anderen Menschen. Jede dieser Erfahrungen ist wichtig und sollte bei Entscheidungen berücksichtigt werden. Genau das ist das Prinzip von Synodalität, von Konzilsentscheidungen: moralischer Konsens (weitgehende Einigkeit). Synodalität setzt aber voraus, daß jeder seine Meinung sagen kann und jede Meinung auch ernstgenommen wird. Dagegen ist ein Widerspruch, durch große Zahlen und Verbandsvertretungen eine Einheitlichkeit herzustellen, bei der scheinbar abseitige Meinungen unter den Tisch fallen. Jeder Katholik hat das Recht, sich an seinen Bischof oder den Papst zu wenden. Aber er sollte es niemals gegen etwas oder jemanden machen, sondern immer für die Wahrheit — und sich der späteren Entscheidung des Hirten unterwerfen, selbst wenn sie ihm nicht passen sollte. Alles andere führt zu Entindividualisierung und Vermassung: nur noch Teil einer anonymen Masse sein.

Angesichts der ganzen Forderungen nach synodaler(en) Struktur(en), Mitbestimmung der Laien bei Pfarrer- und Bischofsernennungen usw. frage ich mich: Wenn das wirklich käme (was ich mit Sicherheit ausschließe), wann sollte ich die nötigen Sitzungen, Abstimmungen und Meinungsbildungsprozesse unterbrigen? Mit Beruf und Familie bin ich schon ganz gut ausgelastet, daneben bin ich ja nicht nur in der Kirche ehrenamtlich aktiv. Manchmal fehlt mir schon die Zeit für die Blogoezese, und dafür brauche ich ja nur Internetanschluß, bin also zur Teilnahme nicht auf körperliche Anwesenheit zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort festgelegt.

Bei den Gemeindeabenden zur Zusammenlegung der hiesigen Innenstadtpfarreien zu einer einzigen wunderten sich jedesmal die Anwesenden über ihr Durchschnittsalter. Wo denn die ganzen jungen Leute seien? Die müßten doch das größte Interesse haben?

Nunja, warum war meine Frau wohl ohne mich dort? Und warum ich ohne sie beim „Ehrenamtlichenempfang“? — Tja, insbesondere Abendtermine bergen für Familien doch die eine oder andere Schwierigkeit. Entweder kann nur einer von uns oder wir brauchen einen Babysitter. Nun sind aber unsere üblichen Babysitter allesamt katholisch, ob es die Paten unserer Kinder oder „Leihomas und -opas“ sind. Ganz davon abgesehen, daß Mutterglück bekanntlich das ist, was eine Mutter empfindet, wenn alle Kinder schlafen (mir als Vater geht es da durchaus ähnlich :-), denn dann hat man endlich auch mal Zeit füreinander und für all die Dinge, die nur in Ruhe auszudiskutieren sind. Oder anders gesagt: Wir würden uns eine „Demokratisierung“ in der Kirche zeitlich kaum leisten können.