Kirche

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In einer Gesprächsrunde äußerte mein Pfarrer einmal, es verwundere ihn, wie sich Joseph Ratzinger entwickelt habe: Die wissenschaftliche Karriere fast wegen Modernismusverdacht gescheitert, auf dem Konzil noch einer der „jungen Wilden“, in den Siebzigern dann plötzlich der Bremsklotz an der Modernisierung der Kirche und später dann der „Panzerkardinal“. Auch andere wunderten sich darüber, daß „Einführung ins Christentum“ und diverse Publikationen der Glaubenskongregation von derselben Person verfaßt sein sollen. Mein Pfarrer konnte sich das ganze nur mit ’68 erklären: Der Professor Ratzinger sei völlig schockiert vom Verhalten der Studenten gewesen und habe dabei „einen Knacks“ bekommen.

Auf dem Hintergrund meiner Vermutung eines Epochenwechsels um 1970 erschließt sich mir diese Vermutung plötzlich in einem positiven Sinne – mein Pfarrer hatte das rein apologetisch gemeint, so im Sinne von: der kann nichts dafür. Doch, das kann er, und vielleicht haben die ’68er tatsächlich dafür gesorgt, daß dem immer noch jungen Professor Ratzinger aufging, daß die Moderne nicht der Weisheit letzter Schluß sein kann. Während man ihm dies in der Kirche aber als Rückschritt auslegte, war er damit eigentlich auf der Höhe der Zeit, ja sogar an der Speerspitze der Entwicklung und damit seiner Zeit ein wenig voraus.

Das hatte er gemeinsam mit dem gleichalten (und vor einem Monat verstorbenen) Bernhard Stoeckle OSB, der der „Glaubensethiker“ schlechthin unter den Moraltheologen war (und zu den Glaubensethikern wird auch, na: wer gerechnet? Genau: Joseph Ratzinger). Ohne auf die damalige Konfliktlage zwischen der „autonomen Moral“ und der „Glaubensethik“ eingehen zu wollen: Einer der Gründe Stoeckles, gegen die autonome Moral zu schreiben, war die Beobachtung, daß die Zeit der Rationalität und menschlichen Machbarkeit vorbei war, daß es wieder Menschen, noch dazu weit von der Kirche entfernte, gab, die auf der Suche nach Spiritualität und Transzendenz waren. Wenn man Stoeckles 35 Jahre alte Kampfschrift „Grenzen der autonomen Moral“ liest, ist man überrascht, wie hellsichtig und zukunftsweisend einige Stellen wirken – und schockiert, wenn man in Dietmar Mieths Antwortartikel genau diese Passagen als Beleg für die traditionalistische Gesinnung Stoeckles wiederfindet! (Während Stoeckle gesellschaftliche Entwicklungen beschreiben wollte, die natürlich noch in den Anfängen steckten, meint Mieth, Stoeckle spreche hier von zurückgezogenen, kleinen Konventikeln.)

Mit anderen Worten: Die Theologie war in den Siebzigern dermaßen damit beschäftigt, „modern“ zu werden, daß sie nicht bemerkte, daß „modern“ schon wieder veraltet war, sie also zu spät kam. Im Gegenteil, den wenigen wirklich fortschrittlichen Theologen wurde sogar noch Traditionalismus vorgeworfen – weil man schockiert auf Kritik an der Moderne und Wiederentdeckung der Tradition reagierte. Auf diese Weise hat sich die Kirche auf Jahrzehnte selbst paralysiert, und es ist alles andere als zufällig, daß sich die (im gläubigen Sinn) kirchliche Jugend als „Generation Benedikt“ formiert. Geistig ist unser Papst immer noch der gesellschaftlichen Entwicklung voraus.

Seit rund dreißig Jahren geistert der Begriff der Postmoderne auch durch die Philosophie. Die hat ihn keineswegs erfunden (er stammt ursprünglich aus der Architektur) und auch nicht unbedingt begeistert übernommen. Lyotard hat ihn eher beiläufig verwendet, Habermas daraufhin die große Krise gekriegt: Es könne keine Postmoderne geben, denn die Moderne sei per se nicht abschließbar. Allenfalls könne Postmoderne als eine Phase der Moderne verstanden werden.

In letzterem Sinne wird mitunter von der Spätmoderne gesprochen. Das hat durchaus seine Berechtigung, insofern heute kaum noch „alte Zöpfe“ (die Absolutismen der Tradition) angegriffen werden, sondern die Absolutismen der Moderne selbst. Die Moderne ist sich also ihrer eigenen Grenzen bewußt geworden und radikalisiert sich selbst, indem sie ihre Prinzipien nun auch auf sich selbst anwendet. Ein Ergebnis davon ist der Relativismus. Alles muß kritisiert und hinterfragt werden, überall werden potentielle Totalitarismen gesehen.

Genau diese Entwicklung erweckt aber auch ein neues Interesse an der Tradition, ja selbst der Relativismus führt zu neuen, wenn auch partikulären Radikalismen (besser vielleicht: Überzeugtheiten – ganz bewußt im Plural!), und hierin liegt die Grenze der Rede von der „Spätmoderne“ als einer Phase der Moderne. Die Moderne war einfach nur „dagegen“, alles was alt war, mußte sich rechtfertigen, das Neue war per se das Bessere. In der Postmoderne ist nun zwar nicht per se alles Vormoderne das Bessere, aber ein nüchternerer Blick auf Tradition und Moderne ermöglicht beiden zu ihrem jeweiligen Recht zu kommen. Nicht alles, was überkommen ist (bzw. war: es gibt fast keine ungebrochene Kontinuität mehr), ist einfach schlecht, nicht alles Neue ist einfach gut, aber auch ist nicht alles Neue schlecht und alles überkommene einfach gut. Der Pendelausschlag tendiert gewissermaßen wieder zur Mitte. Dialektisch könnte man sagen: die Tradition war die These, die Moderne die Antithese und die Postmoderne versucht sich nun an der Synthese.

Soweit so gut. Ich frage mich jedoch mit jedem Tag mehr, ob die Postmoderne nicht nur die Moderne abgelöst hat, sondern auch die Neuzeit schlechthin. Auf den ersten Blick zeigt sich freilich nicht viel, was dafür spricht; eher ist man geneigt, das Ende der Neuzeit noch früher (oder gar nicht) anzusetzen, etwa mit der industriellen Revolution, die die abendländische Zivilisation stärker verändert hat als alles seit der Völkerwanderung. Zugleich zeigen sich aber genug Kontinuitäten, philosophiegeschichtlich etwa wird vom „langen 19. Jahrhundert“ gesprochen, das von 1789 bis 1918 angesetzt wird. Politisch war das ganze 19. Jahrhundert vom Freiheitspathos der französischen Revolution bzw. der entgegengesetzten Restauration geprägt. Andererseits ist auch ein philosophiegeschichtlicher Bruch um 1830 zu erkennen – nämlich nach Hegel.

Aber ich will nicht zu sehr ins Detail gehen. Epocheneinteilungen sind immer ein Stück weit willkürlich, wie ja auch das Mittelalter als Zeit zwischen Antike und Wiederentdeckung der Antike in der Renaissance und damit als „dunkel“ (was es aus anderer Perspektive keineswegs war) definiert ist. Mit Beginn der Postmoderne, der für gewöhnlich um 1970 angesetzt wird, zeigt sich jedoch ein ganz bemerkenswerter Bruch im menschlichen Selbstbewußtsein, der mit den Jahren immer deutlicher zu Tage tritt: Der Mensch hat den Zukunftsoptimismus verloren, er hält die technische und gesellschaftliche Entwicklung immer weniger für kontrollierbar, die Grenzen und Gefahren der bisherigen Entwicklung werden ihm immer klarer.

Deutlich zeigt sich das im Umgang mit der Umweltverschmutzung. Während die verdreckte Luft im Ruhrpott der Sechziger noch technisch angegangen (und „in the long run“ auch gelöst wurde), bricht sich ab 1970 eine Naturschutzbewegung Bahn, die gewissermaßen zurück auf die Bäume will. Die negativen Nebeneffekte seien nicht in den Griff zu bekommen und schlimmer als der Nutzen. So ist dann auch der Anti-Atom-Lobby (oder etwas heutiger: den Klimaaposteln) nicht mit technischen und statistischen Argumenten zu kommen: Die Technik selbst bzw. der Glaube an die Kontrollierbarkeit der Technik werden als das Problem angesehen. Interessanterweise liegen genau hier auch die Übergänge zu einem „neo-mythischen“ Denken, das das stark rationalistische und empiristische Denken der Moderne ablöst.

Nun könnte man einwenden, daß es auch schon vor dem Ersten Weltkrieg eine Umweltschutz- und Lebensreformbewegung gegeben hat, die bei den germanischen Neuheiden durchaus auch Übergänge zu neo-mythischem Denken aufwies. Bei genauerer Betrachtung scheint mir das aber meine Überlegungen zum Ende der Neuzeit eher noch zu bestätigen. Denn die genannten Strömungen vor 1914 waren nicht nur bei weitem nicht so gesellschaftsprägend wie ihre Gegenstücke nach 1970, sondern verdoppelten in sich gerade die „Mythen der Neuzeit“ (und der Moderne) von der Machbarkeit und dem immerwährenden Fortschritt. Das Denken dieser Bewegungen damals war technisch und (pseudo-)wissenschaftlich geprägt und diente dem individuellen weltlichen Vorankommen allein. Eine nicht anthropozentrische Sicht der Natur war überhaupt nicht denkbar. Daß es etwas über den Menschen – in entsprechenden Kreisen: den Arier – hinaus geben könnte, also etwas, das ihm einfach vorgegeben ist (sei es ein Schöpfer, sei es auch nur die Natur als Lebensgrundlage), das er nicht kontrollieren kann, unvorstellbar.

Das alles hat sich ab etwa 1970 radikal gewandelt. Doch scheint die Kirche diese Entwicklung nicht mitgemacht zu haben. Vielleicht liegt das daran, daß das Konzil noch durch und durch modern war, und alle, die um 1970 in der Theologie (meist eher unbewußt) postmoderne Strömungen aufgriffen, mußten so als „Ewiggestrige“ erscheinen, denn Postmoderne bedeutet ja auch, der Tradition wieder ihren Eigenwert einzuräumen. Freilich ohne sie beziehungslos zur Gegenwart erstarren zu lassen. Meines Erachtens ist der herausragendste Vertreter dieser frühen Rezeption der Postmoderne heute Papst. (Fortsetzung folgt.)

Da ich neugierig bin und gerne wisse, mit wem ich es zu tun habe, versuche ich regelmäßig herauszubekommen, worüber ein „Dr.“ eigentlich promoviert wurde. In der Deutschen Nationalbibliographie wird man in der Regel fündig. Manchmal ist das Ergebnis witzig, meistens mehr oder weniger uniteressant, aber zumindest schonmal für eine Grobkategorisierung tauglich.

Was mich jetzt in den letzten Wochen erstaunt hat: In den meisten katholischen Einrichtungen landauf landab scheinen fast ausschließlich Exegeten zu sitzen, zumindest was die Laien angeht (insbesondere Ordensleute können sich ja auch nicht immer aussuchen, in welchem Fach sie promovieren). Dabei werden die meisten theologischen Dissertationen in den systematischen Fächern (mit deutlichem Abstand vorne: Dogmatik) abgefaßt, während in AT in einigen Jahren voraussichtlich kaum noch ordnungsgemäße Berufungsverfahren möglich sein werden.

Es mag ja sein, daß meine Stichproben schlicht nicht repräsentativ sind. Ich berichte hier ja nur von meinem subjektiven Eindruck. Aber merkwürdig finde ich das schon. Was machen eigentlich die ganzen praktischen Theologen? Was die Systematiker? Gibt es in der Deutschen Kirche ein Kastenwesen? Systematisker an die Uni, Pastoraltheologen an die Front und Exegeten in die kirchliche Verwaltung?!

Das würde bedeuten: Die Systematiker denken sich auf Basis des Deutschen Idealismus (oder neuerdings des, meist leider nur unzureichend, weil nicht in seinem anti-ontologischen, rein immanent-soziologischen Anspruch verstandenen, französischen Poststrukturalismus) was Tolles[tm] aus, was die Exegeten in der Verwaltung dann entmythologisierend (wir können doch nicht Computer benutzen und an einen personalen Gott glauben!) historisch-kritisch interpretieren (was wollte der Dogmatiker welcher konkreten Gemeinde sagen, wie können wir diese Gemeinde anhand der uns vorliegenden Textfragmente rekonstruieren und was heißt das allgemein für Kirche in anderen Situationen?) und in eine Dienstanweisung übersetzen, die dann die Pastis total betroffen heideggerschphänomenologisch interpretieren und mit um die gestaltete Mitte (einst als Altar bekannt) gruppierten mündigen Christen nach Gutdünken ausführen, sofern sie was Politisch-Moralisierendes draus machen können. – Was im Umkehrschluß bedeutet: Am Ende kommt zwar eine vergreisende entmythologisierte-politisierte Philosophie (wenn ich böse wäre: weltimmanente Gnosis), aber keine Glaubenspraxis heraus.

Vielleicht bin ich ja nur paranoid, aber selbst das hieße ja nicht, daß sie nicht hinter mir her sind…

[Update: Wie ich gerade erfahren habe, tut man an deutschen theologischen Fakultäten auch alles, um die wenigen verbliebenen Wissenschaftler unter den Exegeten auch noch in die Verwaltung zu verdrängen. In Münster sind beide Exegetenprofessuren (AT, NT) ausgeschrieben, in beiden Fällen nur mit W2 (aber immerhin wird AT mit einem Priester besetzt werden), während die Fundamentaltheologie mit W3 ausgeschrieben ist. Verrückt. Die könnten ja mal bei der Fakultät nachfragen, die seit knapp zehn Jahren die W2-Professur für alte Kirchengeschichte und Patrologie nicht dauerhaft besetzen kann, weil die wenigen Patrologen, die es noch gibt, sich nicht unter Wert verkaufen wollen…]

wir sind k

wir sind kaiser
wir sind keine engel
wir sind kirche

Ja, Google weiß tatsächlich alles, und sei es per „Googledichten„. 🙂 Leider erinnert es auch an die unangenehmen Dinge:

kirche

kirchenaustritt
kirchensteuer
kirchenjahr
kirchenlieder
kirchensteuersatz
kirche austreten
kirchenbeitrag
kirchenaustritt formular
kirchenbeitragsrechner
kirchen in der türkei

Es geht also zu 70% ums Geld… Echt überrascht hat mich aber, daß die „Allerweltsfloskel“ „ich glaube“ tatsächlich soviel religiösen Glauben hervorbringt:

ich glaube

ich glaube an gott den vater den allmächtigen
ich glaube an gott
ich glaube nicht tim
ich glaube ja nicht daß sich dieses internet durchsetzt
ich glaube an den vater den schöpfer dieser welt
ich glaube ich bin schwul
ich glaube eher an die unschuld
ich glaube udo jürgens
ich glaube nicht an gott
ich glaube es hakt

Und „ich glaube an gott“ bietet sogar 1,6 Mio[!] Einträge mehr als das Gegenstück! Nur daß so viele an Udo Jürgens glauben, ist eher besorgniserregend. Da mag ich nicht mehr an die Unschuld glauben.

(Aber mal im Ernst: Glaube ja, Kirche nein? Wie aber dann das Glaubensbekenntnis als obersten Vorschlag erklären? Glaube ja, diese Kirche nein? – Bloß nicht weiter drüber nachdenken, sonst müßte ich um diese Uhrzeit nochmal wirklich ernst werden…)

[Hier ein Telepolis-Update.]

Elsa wunderte sich vor einiger Zeit über die „Feier der Lebenswende“, einer Art katholische Alternative zur atheistischen Jugendweihe, und fragte sich

ob es jetzt um die atheistische Jugendweihe geht, oder eine Form der Jugendweihe, die als alternativer christlicher Ersatz – freilich ohne Sakramentenspendung, um selbstverständlich, da sei Gott vor, niemanden über Gebühr zu fordern: Vor allem natürlich nicht den Priester in der Strapaze, christliche Wahrheiten stringent zu vermitteln,- oder letztlich whatever gehen soll? Was wird das denn bitte? Ein achtes Sakrament?

Nachdem jetzt die Weihnachtspause vorbei ist, kann ich endlich was Substantielles beitragen. Eins jedoch noch vorneweg: Elsa war auf die „Lebenswende“ auf den Seiten des Bistums Magdeburg gestoßen, mein „Informant“ hat beim „Original“ in Erfurt als Ehrenamtlicher mitgemacht. Deshalb vorweg: Jeder „Veranstalter“ der „Lebenswende“ ist selbständig und greift nur die Grundidee auf. Es kann also sein, daß die Feier in Magdeburg anders abläuft und andere Hintergründe hat als die in Erfurt.

Die ursprüngliche Initiative ging nicht von kirchlicher Seite, sondern von ungetauften Jugendlichen aus, die die katholische Edith-Stein-Schule besuchten. Dort ist Religionsunterricht für alle Pflichtfach, die „Heidenkinder“ (ich zitiere!) bekommen jedoch in der fünften und sechsten Klasse einen Crash-Kurs „Religion“. Genau dieser Religionsunterricht, unter anderem vom damaligen Erfurter Dompfarrer (und heutigen Weihbischof) Dr. Reinhard Hauke gegeben, und obwohl (oder gerade weil?) er rein informativ und nicht (direkt) missionarisch ist (soll heißen: es geht um Faktenwissen, nicht um Bekehrung), führte dazu, daß einige der Schüler die atheistische Jugendweihe als hohl erkannten und, ohne freilich zur Taufe bereit zu sein, etwas Tieferes suchten. Als nun ihre getauften Mitschüler zur Firmung oder Konfirmation „anstanden“, gingen sie auf Dr. Hauke zu, der als kirchliche Antwort die „Feier der Lebenswende“ entwickelte.

Ziel dieser Lebenswendefeier war nicht, der Jugendweihe Konkurrenz zu machen, die ja ihrerseits als atheistische Konkurrenzveranstaltung zu Firmung/Konfirmation gedacht war, sondern das äußerst zarte Pflänzchen eines beginnenden Umdenkens bei den Schülern nicht zu zerstören. Natürlich konnte es dabei nicht um die „harten“ Glaubensfakten gehen – also „christliche Wahrheiten stringent zu vermitteln“. Dazu waren die Schüler noch lange nicht weit genug! In aller Regel hatten sie vor dem Besuch der Edith-Stein-Schule praktisch überhaupt keinen Kontakt mit Religion welcher Art auch immer, und im besten Fall hatten sie wenigstens keine Vorurteile a la „Mittelalterlichkeit der Kirche“ oder „Unwissenschaftlichkeit jeglicher Religion“. Implizites Ziel der längeren Vorbereitungszeit auf die Lebenswendfeier ist daher „lediglich“, überhaupt erstmal den Horizont zu eröffnen, in dem der christliche Glaube innerlich angenommen werden kann (denn darum muß es ja jetzt über das bloße Faktenwissen hinaus tatsächlich gehen).

Dieser besondere Entstehungshintergrund äußerte sich auch darin, daß für die „Feier der Lebenswende“ in Erfurt keine aktive Werbung betrieben wird (oder zumindest wurde, solange das ganze noch Dr. Hauke als Dompfarrer verantwortete; wie es jetzt ist, wußte mein „Informant“ nicht). Denn es soll ja durch diese „Feier der Lebenswende“ gerade nicht der Jugendweihe das Wasser abgegraben werden, sondern Ungetauften, die tatsächlich auf einem Weg sind, ein kleines bißchen der Weg gewiesen werden – was eben auch nur Sinn hat, wenn das ganze nicht punktuell bleibt, sondern auch eine Rückbindung im Alltag (Besuch einer katholischen Schule, Religionsunterricht etc.) hat.

Insofern ist der „Mundpropaganda“-Erfolg des Projektes über den ursprünglichen Kreis der ungetauften Edith-Stein-Schüler sicherlich nicht unproblematisch, wie sich kürzlich gezeigt hat, als einem katholisch getaufter, aber der Kirche völlig fern stehender Jugendlichen die Teilnahme an der „Lebenswende“ mehr oder weniger demonstrativ verweigert worden sein soll. Allerdings soll sich Weihbischof Dr. Hauke mit dem Gedanken einer „Weg-Feier“ für solche Jugendliche tragen, die aber eben im Gegensatz zur Lebenswendefeier sehr viel konkreter zu Glaube und eben auch Kirche führen, also „christliche Wahrheiten stringent … vermitteln“ sollen würde.

Der springende Punkt der ganzen Idee der „Feier der Lebenswende“ ist also die spezifische Situation der genannten Schüler. Paulus spricht in 1 Kor 3 davon, den „unmündigen Kindern in Christus“ (also getauften Christen!) Milch anstatt wie Geisterfüllten feste Nahrung gegeben zu haben. Dieses Bild träfe eher auf die Idee der „Weg-Feier“ für fernstehende katholische Jugendliche zu als auf die „Feier der Lebenswende“, denn bei der Lebenswende geht es um Menschen, die noch nicht einmal die banalsten Voraussetzungen hatten, die Paulus überall voraussetzen konnte: Daß es überhaupt etwas über das Materielle hinaus gibt. Wenn man das paulinische Bild ein wenig überstrapaziert: Es muß hier überhaupt erstmal der Ei-Follikel heranreifen, damit irgendwann einmal ein Christ gezeugt werden könnte!

Für die anvisierte Zielgruppe scheint mir daher die Lebenswendefeier, zumindest nach dem, was ich aus Erfurt erfahren habe, völlig angemessen zu sein. Sie setzt aber eine ganz bestimmte Situation und eine ganz bestimmte Zielgruppe voraus, die es „bei uns im Westen“ kaum gibt: eine mehrheitlich ganz selbstverständlich ungetaufte Gesellschaft, in der ein ebenso selbstverständlicher praktischer Materialismus vorherrscht, und das schon in der dritten, vierten Generation.

Bleibt natürlich die Frage, wo es heut die feste Nahrung für in Christus Heranwachsende gibt. Aber das ist ein anderes Thema…

[Disclaimer: Was ich geschrieben habe, kann ich nicht selbst beurteilen, sondern habe es nur aus (glaubwürdiger!) zweiter Hand. Mir erscheint es freilich stimmig.]

Jeder Mensch sei schnell im Hören, langsam aber im Reden und langsam im Zorn. (Jak 1,19)

Natürlich heißt das nicht, man solle besser nur Zuhören und selbst dann nichts sagen, wenn das Gegenüber völligen Unfug verzapft. Aber wie im ganzen Brief geht es Jakobus auch hier um eine Einstellung: Die Position des Anderen als die Position des Anderen ernstnehmen und verstehen zu wollen, bevor man ihn kritisiert.

Andererseits kann der „Leidensdruck“ auch so stark werden, daß man gar nicht mehr anders kann, als ihn herauszuschreien. Und eine wenig „lashing-out“ ist mitunter auch psychohygienisch sehr hilfreich und wichtig. Doch wo kommt solcher Leidensdruck denn her? Nach meiner Erfahrung: Daß ich selbst nicht ernst genommen werde, daß mir keine Chance gelassen wird, mich zu rechtfertigen, daß Vorurteile und Stereotype ein Gespräch im Keim ersticken: „Meine Meinung steht fest, bitte verschonen Sie mich mit Tatsachen.“

Wo das nicht der Fall ist, kommt häufig ein recht fruchtbares Gespräch zustande, bei dem sich zwar keine grundlegenden Auffassungen verändern, aber Verständnis für den Anderen entsteht. In einer postmodern-pluralistischen Gesellschaft kann es eigentlich auch gar nicht anders auf Dauer gutgehen: Bei aller Ablehnung seiner Auffassung, muß ich den Anderen doch als Menschen und Geschöpf Gottes respektieren. Warum funktioniert das aber im Gespräch mit nicht-katholischen Christen, ja sogar mit Atheisten oder Neuheiden meist besser als mit ach so „modernen“ Katholiken? Oder nochmals mit Jakobus:

Wieso gibt es Kriege und wieso Streitereien bei euch? (Jak 4,1)

Die Zeit „zwischen den Jahren“ ist ja immer auch die Zeit der Jahresrückblicke. Wenn ich auf das vergangene Jahr zurückblicke, dann sehe ich zwar viel, was passiert ist, aber eigentlich nur ein wirklich weltbewegendes Ereignis: Die Aufhebung der Exkommunikation der Pius-Bischöfe. Und „weltbewegend“ meine ich nicht im journalistischen Sinne, sondern daß (sofern im weiteren Verlauf hauptsächlich homines bonae voluntatis beteiligt sind) daraus viel Gutes hervorgehen kann.

Natürlich darf man nicht blauäugig erwarten, daß jetzt alles wie von selbst ins Lot kommt, aber zumindest ist nun wenigstens vorrübergehend die Gewöhnung an eine neue schismatische Gegenkirche mit apostolischer Sukzession aufgehalten. Offenbar fühlten sich aber viele in ihrer Gewöhnung gestört, in der sie sich so behaglich eingerichtet hatten – und das auf beiden Seiten! Denn während sich der publizistische Blätterwald auf Williamson stürzte (dem die Ausstrahlung seiner Holocaustleugnung auch nicht ganz unangenehm gewesen zu sein scheint), hörten „tines“ nicht auf, den Papst als Modernisten zu verunglimpfen, der schon als junger Professor und auch heute noch Häresien lehre. Da wird noch viel Gnade vom Himmel fließen müssen, bevor über allen Schützengräben Lilien blühen können!

Damit bin ich auch schon bei einer Einzelpersönlichkeit, die mir dieses Jahr mehrfach aufgestoßen ist: Peter Hünermann. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Hünermann ist ein netter Mensch und ganz sicher ernsthaft und aus aufrichtigem Glauben um die Kirche besorgt; auch will ich seine wissenschaftlichen Verdienste keineswegs in Abrede stellen. Aber mit seinem Artikel in der Herderkorrespondenz, in dem er die Aufhebung der Exkommunikation als „schweren Amtsfehler“ des Papstes bezeichnet, hat er nun wirklich einen Bock geschossen. Mich wundert eigentlich nur, daß das kaum einer bemerkt zu haben scheint!

Denn seine ganze Argumentation setzt voraus, daß die Exkommunikation 1988 nicht nur wegen der unerlaubten Bischofsweihe ausgesprochen wurde, sondern auch wegen Häresie. Nur deswegen kann er fordern, daß die Piusbrüder erst ihren Irrlehren abschwören müßten (um den „Mangel an Reue“, den Hünermann beklagt, mal frei in Klartext zu übersetzen), und behaupten, die dem zuvorkommende Entscheidung des Papstes verstoße gegen das Kirchenrecht und sei mithin ein schwerer Amtsfehler, weil kirchenrechtlich eben die Reue über die Ursache der Exkommunikation vorausgesetzt ist.

Diese Voraussetzung hat er aber zu Beginn seines Artikels erst selbst geschaffen! Dort argumentiert er nämlich mit dem Motu proprio „Ecclesia Dei“ Johannes Pauls II., dem Begleitschreiben zum Dekret der Bischofskongregation, das die Exkommunikation feststellte. In diesem Schreiben äußerte der damalige Papst die Vermutung(!), man könne(!) die Wurzel dieses schismatischen Aktes in einem theologischen Irrtum, näherhin einem unvollkommenen und widersprüchlichen Begriff von Tradition selbst erkennen. Diese Vermutung einer Möglichkeit wird im weiteren Artikel Hünermanns zu einer Begründung der Exkommunikation mit Häresie.

Hünermanns kirchenrechtliche Argumentation muß dem Dogmatiker so letztlich auf die Füße fallen. Nicht im Begleitschreiben, sondern im Exkommunikationsdekret selbst steht die kirchenrechtlich relevante Begründung der Exkommunikation und damit implizit auch die kirchenrechtlich nötige Reue für eine Aufhebung der Exkommunikation. Das hätte ihm spätestens daran auffallen müssen, daß eben nur die vier Bischöfe exkommuniziert waren, aber nicht die Priester der Bruderschaft. Das, sowie das Fortdauern der Suspension, diskutiert er aber allenfalls andeutungsweise am Rande.

Der Fehler, die zwingende Richtigkeit des späteren Schlusses bereits in die Prämissen einzubauen, ist eigentlich ein so simpler und altbekannter Logikverstoß, daß man sich wundern muß, wie er einem solch verdienten Mann unterlaufen kann – zumal er mit dem Artikel Hünermanns allein belegt werden kann, da Hünermann alle notwendigen Informationen mitliefertn (Anmerkung: In Herders „Theologie Kontrovers“-Band zu „Vatikan und Pius-Brüder“ wird auch im „Dokumentation“-Teil nur das Motu proprio „Ecclesia Dei“ aufgeführt, nicht aber das eigentlich Exkommunikationsdekret der Bischofskongregation. Honi soit qui mal y pense…)

Aber vielleicht hängt dieser schwere Denkfehler mit einem anderen Punkt zusammen, auf den ich morgen zu sprechen kommen will.

Eigentlich hatte ich ein schönes Weihnachtsfest (und eigentlich feiern wir ja noch immer, nur daß Karwoche, Oster- und Weihnachtsoktav schon fast meinen halben Jahresurlaub kosten würden :-(). Spätestens seit der ersten Lesung der Christmette kann mir das schon seit Jahren kaum mehr anders gehen:

Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.

Als dann beim Credo zumindest im Altarraum kräftig die Knie gebeugt wurden und ich am Weihnachtstag selbst auch noch das leider eher seltene Glück hatte, den Johannesprolog in seiner ganzen Schönheit zu hören, war ich endgültig versöhnt. Versöhnt? Ja, versöhnt; denn der Anfang des diesjährigen Weihnachten war alles andere als optimal: die Krippenandacht.

Freiwillig kriegen mich da sowieso keine zehn Pferde rein, dafür habe ich schon viel zu viel Merkwürdigkeiten erlebt. Auf der anderen Seite weiß ich, wie wichtig für mich als Kind die Krippenandacht war. Es gehörte einfach dazu, in die Krippenandacht zu gehen, und wenn wir wieder nach hause kamen, war das Christkind dagewesen. Deswegen sind wir mit unseren Kindern auch dieses Jahr in die Krippenandacht gegangen.

Aber, oh Graus, so was Schreckliches habe ich noch nicht erlebt! Die Krippenandacht soll doch eigentlich gerade für Kinder sein! Wie kann man dann ein durch und durch politisiertes und moralisierendes Krippenspiel aufführen?! Ständig drehte es sich um die schweren Zeiten, die arroganten Reichen, die immer reicher werden, und die armen Armen, die immer ärmer werden und mit denen keiner mehr spielen will, und ständig war ganz offensichtlich: Das sollte „Verheutigung“ sein.

Als mir allmählich das Messer in der Tasche aufklappte und ich ganz und gar unweihnachtliche Gefühle entwickelte, faselte die „Maria“ da vorne was von: „Mein Kind soll später bei dieser ganzen Verflucherei nicht mitmachen!“ – Weh dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida…! – „Die Bösen sind doch gar nicht so böse, denen muß man doch nur mal was Gutes tun!“ – Das kommt bei Charles Dickens wenigstens ästhetisch ansprechender rüber, wird dadurch aber nicht richtiger… – „Mein Kind soll mal gut zu allen sein!“ – Als ob Maria mehr als „Sie haben keinen Wein mehr“ dazu zu sagen hatte! Uarghs!

Nach vierzig Minuten Krippenandacht sind wir dann endlich gegangen – Maria und Josef waren übrigens immer noch auf Herbergssuche! Ich frage mich, was so schwer daran ist, die Weihnachtsgeschichte in evangeliumsgemäßer Fassung und kindgerechter Länge zu spielen?! Warum muß da immer so viel reininterpretiert werden, was vielleicht auch irgendwo drinsteckt, aber eben doch reichlich nebensächlich ist? Ist nicht die Inkarnation, die Menschwerdung Gottes bereits in sich und auch für Erwachsene so unverständlich, daß man eigentlich nicht mehr machen kann, als sie in Bildern zum Ausdruck zu bringen? Warum muß es jedes Jahr ein neues Krippenspiel sein? Kinder brauchen gerade die Wiederholung! Meine Kinder haben nicht einmal verstanden, daß das was mit Weihnachten zu tun haben sollte! Ehrlichgesagt: Ich hätte heulen können!

Aber wahrscheinlich ist bereits den Erwachsenen selbst ein so großes Geheimnis unzumutbar. Wenn etwas nicht auf den Punkt gebracht werden kann, dann muß halt um den heißen Brei herumgeredet werden, dann muß halt die Herbergssuche endlos ausgedehnt und ausgebaut werden, die bei Lukas nur einen Halbsatz (Lk 2,7d) ausmacht. So begann also mein Weihnachten ohne Hirten, ohne Krippe – ohne Menschwerdung. Kein Wunder, daß ich in der Christmette noch nach Versöhnung suchte…

Daniel Deckers schrieb im Leitartikel der FAZ vom 12.12.2009 über den Zustand der Kirche:

Kein Wunder ist es auch, daß aus Pfarrgemeinden keine Priesteramtskandidaten kommen, in denen Laien im Namen des Priestertums aller Gläubigen bizarre Rollenspiele aufführen und nur noch gemeinsam gebetet wird, wenn ein Priester am Altar steht. So viel Fixierung auf das „Amt“ wie gegenwärtig war in der katholischen Kirche noch nie.

Ja und Amen!